HIStory: Der Putsch in Chile 1973

Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von HIStory!

Ich bin Hermann Ploppa und wir gehen heute der Frage nach: was geschah genau beim Putsch in Chile im Jahre 1973, exakt an jenem elften September?

Elfter September? Wieso 1973?

Nun ja. Ganz einfach:

Wenn wir die Zahlenkombination 9/11 hören, dann denken wir natürlich ganz automatisch an die einstürzenden Türme des World Trade Centers in New York am 11. September 2001. Wir erinnern uns, wie dieser Vorfall unser aller Leben schockartig verändert hat. Und bei der Bewertung der Ereignisse hat sich die erste große Polarisierung herausgebildet. Seitdem ist es möglich, dass wir in einer pluralistischen Demokratie einander nicht mehr zuhören und mit Vertretern einer entgegengesetzten Meinung nicht mehr reden wollen. Man kann sagen, dass mit jedem weiteren Jahr, das uns vom Elften September 2001 trennt, die Meinungen immer heftiger auseinanderdriften.

Aber das Ereignis aus dem Jahr 2001 ist nicht der einzige Elfte September, der die Welt in einer radikalen Art und Weise umgekrempelt hat. Am 11. September des Jahres 1973 wurde in dem lateinamerikanischen Land Chile der demokratisch gewählte Präsident Salvador Allende in seinem Amtssitz La Moneda zu Tode gebracht. Dieses Verbrechen erschütterte die Welt nachhaltig.

Ich befand mich an diesem sonnigen Tag im Pariser Jardin du Luxembourg, als aufgeregte Studenten durch den Park liefen und Flugblätter verteilten. Ein Massaker fand gerade in diesen Stunden in Chile statt. Am Abend versammelten sich die Studenten im großen Hörsaalgebäude der Sorbonne-Universität und gedachten mit einer Schweigeminute der Opfer des faschistischen Terrors.

Zu jener Zeit war der Sozialist Salvador Allende gerade einmal drei Jahre im Amt gewesen. In einer Zangengeburt hatten sich die zerstrittenen linken Parteien zu dem Wahlbündnis mit Namen Unidad Popular zusammengeschlossen. Bei der Wahl konnten sie allerdings nur etwas mehr als ein Drittel aller Wahlstimmen auf sich vereinigen. Doch auch die chilenischen Christdemokraten wählten Allende zum Nachfolger des Christdemokraten Eduardo Frei. Und sie unterstützten in der ersten Zeit auch die Politik des Sozialisten Allende. Dessen Politik bestand im wesentlichen darin, den Reichtum des Landes gerechter als bisher zu verteilen. Zu diesem Zweck wurden die Kupferminen und viele andere Branchen verstaatlicht. Die einheimische Wirtschaft erhielt Schutz durch die Einschränkung von Importen. Bei so einer Umverteilung gibt es natürlich immer einige Leute, die von ihrem Reichtum etwas abgeben müssen. An diese Leute wandte sich der US-amerikanische Auslandsgeheimdienst CIA. Wie später in Kongress-Untersuchungen in Washington ermittelt, gab die Regierung der USA mindestens zehn Millionen Dollar für die Durchführung von Streiks, Boykott-Maßnahmen, Straßenblockaden und politischen Morden in Chile aus <1>. Bereits vor der Amtseinführung von Salvador Allende wurde General René Schneider zunächst entführt und dann ermordet. Schneider hatte erklärt, dass das Militär trotz Sympathien für die USA gegenüber der demokratisch legitimierten Regierung Chiles loyal zu bleiben habe. Nach diesem Mord war die so genannte „Schneider-Doktrin“ nicht mehr viel wert. Jeder Offizier wusste nun, was ihm blühen konnte, wenn er die Demokratie verteidigt. Doch zunächst gelingt es Allende, die Generäle sogar in seine Regierung einzubinden. Als allerdings so langsam die Lähmung der chilenischen Wirtschaft durch die CIA-Regime Change-Methoden Wirkung zeigten, zogen sich die Militärs Stück für Stück immer weiter aus der Verantwortung heraus.

Bei den Wahlen Anfang 1973 konnte die Unidad Popular ihren Stimmenanteil trotz allem sogar um acht Prozent auf 44 Prozent steigern. Denn die unteren Schichten der Bevölkerung sahen unter Allende die Chance einer Besserung ihres Lebensbedingungen, und sie gingen zum ersten Mal in ihrem Leben zur Wahl. Doch die Christdemokraten standen jetzt in Opposition zu Allendes Reformpolitik. Sie verbündeten sich mit den Rechtsradikalen und stellten im Parlament mit 55 Prozent gemeinsam die Mehrheit. Diese Mehrheit brachte dann auch im Spätsommer 1973 ein Misstrauensvotum  gegen Allende im Parlament zustande. Die Generäle zogen sich nun endgültig aus der Regierung zurück. Die vier regierungstreuen Kommandanten der Teilstreitkräfte werden durch unsichere Kantonisten ausgetauscht. Oberbefehlshaber des Heeres wurde ein gewisser Augusto Pinochet. Pinochet erklärte Allende zunächst seine Loyalität.

Der Putsch

Am 11. September 1973 ist es dann soweit. Morgens um halb Sieben meutert die chilenische Marine. Um Acht verlesen Militärs die Putsch-Erklärung gegen Allende. Und siehe da: Augusto Pinochet outet sich als Diktator von Chile! Zunächst zeigt man sich noch großzügig: man werde Allende für seinen Abgang ins Ausland ein Flugzeug bereit stellen. Allende lehnt ab. Der Noch-Präsident von Chile schickt irgendwann seine Leibgarde, seine Mitarbeiter und seine Familie aus dem Präsidentenpalast La Moneda. Um elf Uhr hält er seine Abschiedsrede, die allerdings nur noch bei wenigen Radiostationen übertragen wird. Er sagt unter anderem:

„Mit Sicherheit ist dies die letzte Gelegenheit, mich an Sie zu wenden. Mir bleibt nichts anderes, als den Arbeitern zu sagen: Ich werde nicht aufgeben! In diesem historischen Moment werde ich die Treue zum Volk mit meinem Leben bezahlen. Sie haben die Macht, sie können uns überwältigen, aber sie können die gesellschaftlichen Prozesse nicht durch Verbrechen und nicht durch Gewalt aufhalten. Die Geschichte gehört uns und sie wird durch die Völker geschrieben. Arbeiter meiner Heimat: Ich möchte Ihnen für Ihre Treue danken. Es lebe Chile! Es lebe das Volk! Es leben die Arbeiter! Dies sind meine letzten Worte und ich bin sicher, dass mein Opfer nicht umsonst sein wird, ich bin sicher, dass es wenigstens ein symbolisches Zeichen ist gegen den Betrug, die Feigheit und den Verrat.“ <2>

Noch nicht einmal eine Stunde später wird der Amtssitz des Präsidenten von der Luftwaffe bombardiert, ebenso alle Leitzentralen der Allende unterstützenden Organisationen, Gewerkschaften und Parteien. Nach offizieller Lesart habe sich Allende dann angesichts der nahenden Katastrophe selber das Leben genommen. Um zwei Uhr Mittags erstürmt das Militär die Moneda. Es folgt eine gigantische Liquidierung aller Sympathisanten der demokratischen Regierung. Fußballstadien und Veranstaltungshallen füllen sich mit verängstigten Opfern, zusammengepfercht wie Schlachtvieh. Leute werden aus der Herde herausgeholt, vor den anderen gefoltert, verstümmelt und getötet. Der berühmte Liedermacher Victor Jara wird erkannt. Ihm werden die Handgelenke gebrochen. Nun fordern ihn die höhnischen Folterknechte auf, er solle doch mal Gitarre spielen und dazu seine Lieder singen. Jara singt noch einmal und wird dann ermordet. Der Krieg gegen die eigene chilenische Bevölkerung geht bis 1976 weiter. Dann hat die Junta Chile fest in ihren blutverschmierten Krallen. An diesem verbrecherischen Akt gegen die Menschlichkeit sind als ausländische Unterstützer nicht nur die Geheimdienste und Stiftungen der USA beteiligt. Der ehemalige CDU-Generalsekretär und damalige Präsident der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, Bruno Heck, zeigt sich nach einer Inspektion der Verhältnisse in Chile begeistert:

„Das Leben im Stadion ist bei sonnigem Wetter recht angenehm.“ <3>

Auch der damalige CSU-Vorsitzende Franz Strauß ließ es sich nicht nehmen, immer wieder seinen Freund Augusto Pinochet, jetzt Diktator von Chile, zu besuchen und dabei auch einen Abstecher in das Konzentrationslager Colonia Dignidad nicht auszulassen. Und die Freunde aus den Vereinigten Staaten von Amerika waren rein zufällig damit beschäftigt, die Kader des neuen chilenischen Geheimdienstes DINA in den USA auszubilden. Amnesty International geht davon aus, dass bis zu 30.000 Menschen in Chile von den Pinochet-Faschisten ermordet wurden.

Weshalb das Ganze?

Warum ließ man Allende nicht einfach gewähren?

Eine geopolitische Herausforderung war Allende gewiss nicht. Er war ja eher ein sozialdemokratischer Reformer und hätte auch ein Stück weit mit den USA kooperiert, wenn die darauf eingegangen wären. Die Gefahr, dass Chile in das Lager der Sowjetunion überwechseln würde, war denkbar gering. Die Sowjetunion hatte viel zu viele eigene Probleme und ihr Arm reichte keineswegs bis nach Südamerika. Südamerika war damals immer noch der verlängerte Vorgarten der USA. Und die USA waren immer noch in der Lage, jederzeit selber mit Strafexpeditionen gegen unwillige Regierungen vorzugehen. Zudem war die Linke schwach und gespalten.

Nein, Geopolitik spielte hier eher eine untergeordnete Rolle. Heute sind sich die meisten Beobachter darüber im Klaren, dass es bei dem Putsch vom 11. September 1973 eher um die Durchsetzung eines neuen radikal-kapitalistischen Gesellschaftsexperiments handelte. In Chile wurden nämlich nach der Einführung des Pinochet-Faschismus in der Duldungsstarre der unterworfenen Bevölkerung marktradikale Experimente durchgeführt <4>. Den immer stärker werdenden multinationalen Konzernen war es ein Dorn im Auge, dass die einfache Bevölkerung an Entscheidungsprozessen beteiligt werden sollte. Dass das Volk womöglich mehr vom erarbeiteten Bruttoinlandsprodukt abbekommen sollte. Sie investierten massiv in die neue Ideologie des Freien Marktes, fälschlich auch „Neoliberalismus“ genannt, wie sie Propagandisten wie Friedrich von Hayek oder Milton Friedman unermüdlich predigten. Hayek fand, dass der Staat sich aus allen wirtschaftlichen Entscheidungen heraushalten sollte. Der weise Markt würde schon alles von alleine richten. Wirtschaftskrisen entstünden nur dann, wenn der Staat sich in die Wirtschaft einmischte.

Hayek hatte im Jahre 1944 in seinem Buch „Die Straße zur Knechtschaft“ gefordert, dass seine Anhänger sich nach dem Schneeballprinzip innerhalb von vier Generationen zur absoluten Diskurshoheit in allen Gesellschaften dieser Welt emporarbeiten sollten <5>. Da aber viele Regierungen dieser Welt sich nicht dem Diktum der Sponsoren von Hayek und Consorten beugen wollten, mussten Militär, Stiftungen und Geheimdienste handgreiflich nachhelfen. So wurde das erste marktradikale Freilandexperiment im Jahre 1964 in Indonesien durchgeführt. Der dortige Präsident Achmed Sukarno wurde mit amerikanischer Hilfe durch den blutrünstigen General Haji Mohammed Suharto ausgetauscht. Mindestens eine halbe Million Gegner des Marktradikalismus sind bestialisch ermordet worden. Die Flüsse waren rot gefärbt in jenen Tagen, mit frei schwimmenden Gliedmaßen angefüllt.

Chile war dann das nächste Freilandexperiment des entfesselten Marktes. Wirtschaftsguru Milton Friedman von der Universität Chicago hatte bereits in den 1950er Jahren seine „Chicago-Boys“ ausgebildet. Es handelte sich um Nachwuchsökonomen aus allen möglichen lateinamerikanischen Ländern. Diese Kader gingen jetzt in Chile ans Werk. Alle Bereiche der Wirtschaft fielen der Privatisierung zum Opfer. Der gleichermaßen faschistische wie marktradikale Arbeitsminister José Pinera beseitigte das aus Deutschland bewährte Umlageverfahren. Die Leute mussten jetzt bei privaten Rentenversicherungen einzahlen, die mit dem Geld an der Börse spekulieren und deren Unternehmensziel nicht mehr der optimale Schutz der Versicherten war, sondern der optimale Spekulationsgewinn einiger Weniger. Folge: die Wirtschaft Chiles boomte – aber nicht für die Mehrheit der Chilenen. Die Mehrheit der Chilenen stürzte ins nackte Elend. Soweit, dass sich viele Chilenen von Hundefutter ernährten. Friedrich von Hayek war zweimal im Horror-Reich des Augusto Pinochet und er befand voller Genugtuung:

„Als langfristige Institutionen lehne ich Diktaturen mit allem Nachdruck ab. Aber eine Diktatur kann für eine Übergangszeit das erforderliche System sein“. <6>

In der Tat: Wirtschaftsliberalismus und Faschismus schließen sich keineswegs gegenseitig aus. Im Gegenteil: die Durchsetzung des Marktradikalismus ist ohne die harte Keule des Faschismus schlicht undurchführbar. Folglich wurde das Freilandexperiment der Hayeks und Friedmans nun auch auf Argentinien und Uruguay ausgedehnt. Nachdem man daraufhin experimentell herausgefunden hatte, dass der Patient zwar ganz schön geschwächt war, aber immer noch am Leben, wurde der Marktradikalismus auf die große Bühne gehoben: nämlich seit 1979 in Großbritannien durch Maggie Thatcher und in den USA durch Ronald Reagan. In Deutschland mussten die Marktradikalen noch bis zum Zusammenbruch der DDR warten <7>. Sie sogen sich am Volksvermögen der Ostdeutschen voll. So gestärkt, gingen diese Kleptokraten nun daran, das Volksvermögen aller Deutschen in Ost und in West abzusaugen <8>. Die Corona-Politik hat dieser Diebeskaste jetzt eine bislang ungeahnte Machtvollkommenheit beschert.

Wir sehen also: diese magische Neun/Elf hat unsere Welt radikal verändert. Die Neun/Elf von 2001 veränderte die Welt in sehr kurzer Zeit. Für alle spürbar. Die Folgen von Neun/Elf des Jahres 1973 war nicht sofort für alle wahrnehmbar. Der chilenische Putsch hat dafür aber über fünfzig Jahre weit tiefere Spuren hinterlassen als die einstürzenden Hochhäuser von New York. Doch wir sehen jetzt ganz klar: das Mehr-Generationen-Projekt des Marktradikalismus hat unsere Lebenswirklichkeit von den Füßen auf den Kopf gestellt.

Wir lernen aus der Geschichte, wie wir die Zukunft besser machen.

Quellen und Anmerkungen

<1> https://www.nytimes.com/1974/09/20/archives/cia-is-linked-to-strikes-in-chile-that-beset-allende-intelligence.html

<2> https://web.archive.org/web/20061109124913/http://www.ciudadseva.com/textos/otros/ultimodi.htm

<3> https://www.telepolis.de/features/Tod-eines-Moerders-3409226.html

<4> https://www.deutschlandfunkkultur.de/der-terror-des-freien-marktes-100.html

<5> http://digamo.free.fr/roadto.pdf

<6> https://lobbypedia.de/wiki/Friedrich_August_von_Hayek

<7> Hermann Ploppa: Die Macher hinter den Kulissen – Wie transatlantische Netzwerke die Demokratie unterwandern. Frankfurt/Main 2014

<8> Otto Köhler: Die große Enteignung – Wie die Treuhand eine Volkswirtschaft liquidierte. Berlin 2011.

Bildquellen: https://commons.wikimedia.org

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Kommentare (20)

20 Kommentare zu: “HIStory: Der Putsch in Chile 1973

  1. Man muss das Ganze natürlich im Kontext des "Kalten Krieges" betrachten, was aber nicht die Schandtaten der USA und ihrer verbündeten Diktaturen rechtfertigen soll. Salvador Allende hatte damals eben schon auch Hilfe bei der Sowjetunion gesucht, ist allerdings nur auf stark begrenzte Unterstützung des Ostblocks gestoßen. Die verantwortlichen Politbüro-Mitglieder der UdSSR sollen ihn für einen "Träumer" gehalten haben. Immerhin galt er aber auch als überzeugter Marxist, bzw. sah sich auch selbst so und nicht nur als Sozialdemokrat der "alten Schule". In Indonesien gab es 1965 angeblich die Befürchtung eines "kommunistischen Putsches", was zu den Grausamkeiten des Militärs unter dem späteren Machthaber Suharto führte. Zu den weiteren "neoliberalen Versuchslaboren" der US-Regierungen zählt Ploppa hier Argentinien und Uruguay auf. Zu Argentinien ist zu sagen, dass es zwar die Importzölle drastische reduzierte, was zu einer Überschwemmung des argentinischen Marktes mit ausländischen Billigprodukten und einer Pleitewelle der einheimischen Industrie führte, es aber andererseits die damals noch zahlreichen Staatsunternehmen entgegen vorheriger Ankündigungen des Wirtschaftsministers der Militärjunta Martinez de Hoz nicht privatisierte. Das geschah erst später unter dem peronistischen Präsidenten Menem in den 1990er Jahren. Insgesamt sind Diktaturen mit dirigistischer bis planwirtschaftlicher Wirtschaftspolitik zudem weitaus häufiger als Diktaturen oder repressive Regimes mit neoliberaler Wirtschaftspolitik, was der hier geäußerten These Ploppas entgegensteht, dass sich Wirtschaftsliberalismus und "Faschismus" keineswegs widersprechen, sondern sich sogar vielmehr gegenseitig bedingen würden.

    • _Box sagt:

      6.2 Demokratie im Liberalismus: Elitenkonkurrenz, Verachtung des Volkes und Zuschauerdemokratie

      Indem der Liberalismus einen vorkapitalistischen Freiheitsbegriff auf neuartige kapitalistische Machtverhältnisse übertrug, für deren Begrenzung dieser Freiheitsbegriff gleichsam blind war, konnte er sich zur »liberalen Demokratie« wandeln, also zu einer Form von Demokratie, die dem Bereich der Wirtschaft von demokratischer Kontrolle ausklammert und somit kapitalistische Macht von jeder außerökonomischen Beschränkung befreit. Dabei wird die traditionelle Leitidee von Demokratie als radikale Vergesellschaftung von Herrschaft durch einen neuartigen Begriff von Demokratie ersetzt, der das ursprüngliche Konzept entleert und damit den mit ihm ursprünglich verbundenen Intentionen eines zivilisatorischen Schutzbalkens gegen eine Macht des Stärkeren zuwiderläuft. Mehr noch: »Charakteristisch für den Umgang der liberalen Demokratie mit dieser neuen Machtsphäre ist nicht, sie zu kontrollieren, sondern sie zu befreien.«
      (…)
      Inhaltliche Unbestimmtheit und innere Widersprüche des Liberalismus

      Jenseits des individualistischen Freiheitsbegriffs des Liberalismus und den damit verbundenen Abwehrrechten gegen den Staat haftet dem Liberalismus seit je eine inhaltliche Unbestmmtheit an, da er sich in erster Linie als gegen etwas gerichtet versteht. Diese inhaltliche Unbestimmtheit überträgt sich auch auf die Ideologie der politischen Mitte. »Diese Mitte ist natürlich«, wie Wallerstein zutreffend bemerkt, »eine politische Abstarktion und ein rhetorischer Kunstgriff, denn man kann sich selbst immer in die Mitte rücken, indem man die Extreme entsprechend definiert, und die Liberalen machten dies zu ihrer grundlegenden politischen Strategie.«
      (…)
      Zugleich erlaubte die inhaltliche Unbestimmtheit des Liberalismus durch eine geeignete Bestimmung der Gruppen, die als Träger von Freiheitsrechten anzusehen seien, mühelos extremste Formen von Freiheitsbeschränkungen zu rechtfertigen.
      (…)
      Der Ökonom Thomas Piketty weist besonders mit Blick auf den Neoliberalismus noch einmal auf die »tiefe Übereinstimmung« von »sklavenhalterischen, kolonialistischen und rassistischen Ideologien« mit der »proprietaristischen [das heißt auf einer Sakralisierung des Eigentums] und hyper-kapitalistischen Ideologie« hin.
      (…)
      >Universell< an der Logik des Liberalismus ist also lediglich die Rechtfertigung von Herrschaft der Besitzenden über die Besitzlosen. Mithilfe des Konzepts der »repräsentativen Demokratie« ließ sich eine solche Ideologie in wirkungsvoller Weise demokratisch verbrämen.
      Durch seine Fokussierung auf Konkurrenz und meritokratische Auslese konnte der Liberalismus auch sozialdarwinistische und sozialrassistische Positionen in sein ideologisches Gerüst >universeller< Rechte integrieren. Reinhard Kühnl bemerkt zu dieser ideologischen Flexibilitätdes Liberalismus:

      »Mit dieser Wendung des Liberalismus zum Sozialdarwinismus war Gewalt als Mittel zur Lösung der Probleme menschlichen Zusammenlebens legitimiert, war der imperialistische Krieg ebenso gerechtfertigt wie die wirtschaftliche Ausbeutung und die politische Diktatur. Hier ist der Punkt wo der Faschismus anknüpfen konnte.«

      Der mit dem Kapitalismus verflochtene Liberalismus hat also vielfältige Berührungspunkte – ideologische wie auch hinsichtlich seiner politischen Praktiken – zu Positionen im rechten Teil des politischen Spektrums, die man bezogen auf den Referenzpunkt einer egalitären Demokratie als extremistisch ansehen muss.
      (Rainer Mausfeld, Hybris und Nemesis – Wie uns die Entzivilisierung von Macht in den Abgrund führt – Einsichten aus 5000 Jahren, S. 391,400, 401, 402)

    • @ Box
      Sie können offenbar sehr schön aus Rainer Mausfelds Büchern zitieren. Aber was hat das mit meiner These zu tun, dass diktatorische Systeme viel häufiger als sog. "demokratische" auf eine stark staatlich gelenkte Wirtschaft zurück greifen und viel seltener auf freie Marktwirtschaft? Das sog. "Dritte Reich" ist übrigens trotz ausbleibender Verstaatlichung spätestens ab 1936 mit dem Vierjahresplan (Vorbereitung der "Kriegswirtschaft") auch ein Beispiel für eine Diktatur mit einer dezidiert staatlich gelenkten Wirtschaft. Das wollen linke Sozialisten oder "Antifaschisten" nur nicht gerne hören.

    • _Box sagt:

      Ihr Vorzug diktatorischer, mörderischer Regime, ist nicht unbemerkt geblieben, das hatten sie bereits bemerkt. Ihre sog. "freie" Marktwirtschaft (eine weitere propagandistische Verbrämung des kapitalistischen Blutsäuferregimes) ist nicht weniger dirigistisch als andere diktatorische Regime. Die Sponsoren sind die Gleichen.

      Da sie es wünschen:

      Nach der Machtübernahme durch den Faschismus schleiften die neuen Herren die Grenzen zwischen öffentlichem Bereich und Privatwirtschaft. Am 1. Mai 1933 wurde noch mit den Gewerkschaften der neu eingeführte Tag der Arbeit gefeiert. Und am 2. Mai 1933 verhaftete die Polizei die Gerkschaftler wie Verbrecher. Das Vermögen der Arbeiterbewegung ging in den Besitz der Nazis über. Der Gewerkschaftsapparat mutierte zum Instrument der Deutschen Arbeitsfront. Eine Organisation, in der nunmehr, gerade wie im Falle der National Civic Federation, Großunternehmer, Mittelständler, Angestellte und Arbeiter vereinigt waren.
      (…)
      Und Neumann kommt zu einem klaren – der Lehrmeinung der ihm nachfolgenden Großhistoriker zuwiderlaufenden – Befund:
      „Zusammenfassend können wir sagen, daß es keinen Grund gibt, in Deutschland von Verstaatlichung zu sprechen – ganz im Gegenteil gibt es eine entschiedene Entwicklung von der Verstaatlichung hinweg.“ (Neumann, 353) Die faschistischen Usurpatoren manipulierten den Staatsapparat, damit sich die Privatwirtschaft den staatlichen, öffentlich-rechtlichen und genossenschaftlichen Sektor in aller Ruhe einverleiben konnte. Was so in der Weimarer Republik nicht durchführbar war: „Die Ziele der Monopolmächte konnten in einem System politischer Demokratie zumindest in Deutschland nicht erfüllt werden.“ (Neumann, 313)
      Dass der gewerkschaftliche Apparat in Deutschland der Deutschen Arbeitsfront übereignet wurde, haben wir bereits gesehen. Der Polizeiapparat im Dritten Reich zu einer öffentlich-praivaten Partnerschaft. Denn die bestehenden staatlichen Polizeiorganisationen werden um die privaten Bereiche der SA und SS zum Reichssicherheitshauptamt erweitert. Die SS verwandelt sich, im Laufe der Jahre zunehmend, in eine privatwirtschaftliche Vereinigung. Die SS verleibt sich erbeutete staatliche und private Unternehmen ein. Der sog. „Freundeskreis Reichsführer SS“ setzt sich zusammen aus Unternehmern und Bankiers, die Tribute an die SS entrichten, und dafür im Gegenzug Stücke von der Beute abbekommen. Auch Konzerne sind auf diese Weise korporative Mitglieder der SS. Z.b. Rockefeller durch die Deutsch-Amerikanische Petroleumgesellschaft – der deutschen Filiale Standard Oil.
      Nach einem kurzen peinlichen Intermezzo mit Hugenberg avanciert 1933 Kurt Schmitt zum Wirtschaftsminister der Nazis. Schmitt ist zuvor Generaldirektor der privaten Allianz Versicherung gewesen und hatte bereits seit 1931 die Nazis finanziert. Unter Schmitt werden öffentlich-rechtliche Versicherungen mit privaten Versicherungen unter eine Dachorganisation gezwängt. Chef der neune Zwangskammer: ein Direktor der Allianz.
      Nach nur einem Jahr löst Hjalmar Schacht den Allianz-Chef als Wirtschaftsminister ab. Schacht, in Personalunion Reichsbankdirektor und Minister, ist ebenfalls kein Nazi. Er hatte seinen Weg über die mit der Morgan-Bank liierte Dresdner Bank gemacht. Als Nazis murren, weil im NSDAP-Programm Verstaatlichung, Entkartellisierung und Bändigung der Finanzkreise versprochen wurde, nun aber gerade das Gegenteil betrieben wird, bescheidet Schacht ihnen ganz humorvoll: „Eine nationalsozialistische Wirtschaftspolitik gibt es ebenso wenig wie eine nationalsozialistische Blinddarmoperation.“
      Die öffentlich-rechtlichen Sparkassen, die ja eigentlich dazu da sind, die Infrastruktur ihrer Region und die materielle Lage der kleinen Leute zu verbessern, werden zu Geldbeschaffern für die Rüstungsindustrie degradiert durch das bereits 1931 erlassene Kommunalkreditverbot. Städte und Gemeinden müssen sich jetzt ihr Geld bei privaten Bankhäusern teuer besorgen.
      (Hermann Ploppa, Hitlers amerikanische Lehrer, S.275, 280/281)

      Mir entgeht der Unterschied:

      Merkmale des Neoliberalismus

      Historischer Ursprung: Hass auf „1789“:
      „Sozialismus“ und „egalitäre Demokratie“
      – verkörpert durch Gewerkschaften, Sozialstaat, …

      Ideologische Basis I: Sozialdarwinismus:
      Glorifizierung des Starken,
      Verachtung des Schwachen

      Angestrebte gesellschaftliche Organisationsform:
      Extrem hierarchische Elitenoligarchie
      – Verachtung für „Volk“,
      zutiefst antidemokratisch

      Ideologische Basis II:
      Mythos „freier Markt“

      Rolle des Individuums:
      – hat sich dem „Markt“ vollständig unterzuordnen
      „Du bist nichts, der Markt ist alles.“
      – zielt nicht nur auf Teilaspekte der Organisation einer Gesellschaft, sondern auf totalitäre Formung von Personen

      Merkmale des Faschismus

      Historischer Ursprung: Hass auf „1789“:
      „Sozialismus“ und „egalitäre Demokratie“
      – verkörpert durch Gewerkschaften, Sozialstaat, …

      Ideologische Basis I: Sozialdarwinismus:
      Glorifizierung des Starken,
      Verachtung des Schwachen

      Angestrebte gesellschaftliche Organisationsform:
      Extrem hierarchische Elitenoligarchie
      – Verachtung für „Volk“,
      zutiefst antidemokratisch

      Ideologische Basis II:
      Mythos „Nation/Rasse“,
      „ethnisch reiner Volkskörper“

      Rolle des Individuums:
      – hat sich der „Nation“ vollständig unterzuordnen
      „Du bist nichts, dein Volk ist alles.“
      – zielt nicht nur auf Teilaspekte der Organisation einer Gesellschaft, sondern auf totalitäre Formung von Personen

      Beide, Neoliberalismus und Faschismus, verbindet der Hass auf „1789“, das heißt auf die sozialen und politischen Errungenschaften der Aufklärung. In diesem Jahr wurden durch die französische Nationalversammlung die Bürger- und Menschenrechte erklärt. Aus der Perspektive des Neoliberalismus und des Faschismus steht dieses Jahr für Sozialstaat und egalitäre Demokratie. Beide verbindet ein Sozialdarwinismus mit seiner Glorifizierung der Starken und seiner Verachtung der Schwachen. Beide sind elitär und teilen eine Verachtung des Volkes. Beide verlangen eine Anpassung und vollständige Unterordnung unter eine Fiktion, den freien Markt auf der einen Seite, das ethnisch homogene „Volk“ auf der anderen Seite.
      (Rainer Mausfeld, Warum schweigen die Lämmer? Wie Elitendemokratie und Neoliberalismus unsere Gesellschaft und unsere Lebensgrundlagen zerstören S. 102/103)

      Irgendwie entgeht mir, oder auch nicht, auf welchem Nebengleis sie diesen Zug abstellen möchten. Weiters vermisse ich an ihren Behauptungen irgendetwas belegbares.

    • @ Box
      Belegbar sind meine Ausführungen zumindest deutlich mehr als Ihre oder die von Herrn Mansfeld. Ganz einfach nochmal gefragt: wie viele diktatorisch regierte Staaten mit neoliberalen Wirtschaftspolitik fallen Ihnen ein? Chile unter Augusto Pinochet, Indonesien unter Suharto, Argentinien unter Videla, Kenia unter Jomo Kenyatta, Peru unter Fujimori würden mir spontan einfallen. Aber dann hört es bald auf. Die diktatorisch regierten Staaten mit planwirtschaftlicher oder zumindest stark staatlich gelenkter Wirtschaft aufzuzählen, würde den Rahmen hier sprengen…Aber klar, für Leute wie Rainer Mausfeld oder z. B. Daniela Dahn ist der "böse freie Markt" natürlich an allem Übel auf dieser Welt schuld…Der freie Markt sei quasi gleich bedeutend für "Versklavung" und "Diktatur". Wenn es so einfach wäre, müsste man ja nur die Marktwirtschaft weltweit abschaffen und das Paradies auf Erden könnte einkehren.

    • _Box sagt:

      Krass, wie stramm sie bei ihrem markttheologischen Ablenkmanöver verbleiben, um nur ja das Wort Kapitalismus zu vermeiden.

      Hier zu ihrer Glaubenslehre:

      6.4 Die neoliberale Mitte als Extremform antidemokratischer Positionen

      Der Neoliberalismus mit seinen unterschiedlichen Ursprüngen und Ausformungen hat mit dem klassischen Liberalismus eigentlich wenig zu tun. Weder teilt er dessen Freiheitsbegriff noch seine damit verbundenen Wohlstands- und Glücksversprechen. Der Neoliberalismus entstand vielmehr als eine krisenbedingte Ausdifferenzierungsform des Kapitalismus. Durch interne und externe Krisen der Kapitalakkumulation suchte sich das Kapital in den 1970er Jahren mit einem Verweis auf einen globalen Wettbewerb von nationalen Beschränkungen und Regelwerken zu befreien und seine Rentabilität durch Ausweitung der Marktkräfte auf alle Bereiche innerhalb der Gesellschaft und auf andere geographische Bereiche durch ein global mobil gemachtes Finanzkapital zu steigern. Diese Transformationsprozesse werden oft unter der Bezeichnung >Neoliberalismus< zusammengefasst, auch wenn sich diese Bezeichnung einer klaren Bestimmung entzieht. Insbessondere lässt sich damit weder eine kohärente ökonomische Theorie noch ein klar bestimmbares System von politischen Praktiken bezeichnen, sodass es zur Erfassung der Vielschichtigkeit und Flexibilität dieser Transformationsprozesse einer Umverteilung von unten nach oben, von Süd nach Nord und von der öffentlichen in die priavte Hand sinnvoller ist, vom >real existierenden Neoliberalismus< zu sprechen. Der Soziologe Mike Savage und der politische Ökonom Karel Williams fassen die empirische Befundlage bündig so zusammen:

      »In den letzten zwanzig Jahren des 20. Jahrhunderts vollzog sich die schnellste und dramatischste Verschiebung von Einkommen, Vermögen und Ressourcen zugunsten der sehr Reichen, die es in der Geschichte der Menschheit je gegeben hat.«

      Den Kern der neoliberalen Ideologie, die der renommierte Sozialhistoriker Perry Anderson als »die erfolgreichste Ideologie der Weltgeschichte« bezeichnet, bildet eine Markttheologie, die eine »völlige Unwissenheit aller im Angesicht eines allwissenden Marktes« postuliert und dem Menschen eine unaufhebbare grundsätzliche Unwisenheit über alle gesellschaftlichen Verhältnisse zuschreibt. Die eigene soziale Lebenswelt wird dabei in grundsätzlicher Weise als undurchschaubar, unvorhersehbar, unberechenbar und durch eigenes Verhalten nicht mehr beeinflussbar erklärt. Eine solche Ideologie ist ausgesprochen nützlich, weil sich die bewussten Entscheidungen ökonomischer und politischer Eliten als bloße Notwendigkeiten einer Anpassung an vorgebliche Naturgesetzlichkeiten eines (fiktiven) freien Marktes deklarieren lassen, womit politische Entscheidungsträger jeder demokratischen Verantwortlichkeit entzogen sind.
      (…)
      Die auf Basis abstruser Fiktionen errichtete neoliberale Ideologie stellt als ökonomische Konzeption eine Art intellektueller Pathologie dar. Kohärenz und Eindeutigkeit zeigt der real existierende Neoliberalismus jedoch in der Bestimmung seines Gegeners. Er zeilt nämlich, in all seinen Varianten, darauf, dem gesellschaftlichen Projekt der Aufklärung ein für alle Mal ein Ende zu bereiten und dessen grundlegende Konzepte, insbesondere Vernunft, Freiheit und Autonomie, als Mythen zu entlarven. Ihm zufolge könne nur der Markt frei sein, nicht aber der Mensch, der sich an die >Naturgesetzlichkeit< des Marktes anpassen müsse. Bereits in seinen historischen Anfängen war das neoliberale Projekt explizit als Konterrevolution gegen emanzipatorische Errungenschaften der Aufklärung konzipiert worden. Man würde es also grundlegend missverstehen, wenn man es als lediglich ökonomisches Projekt betrachtet, durch das die Rentabilität des Kapitals gesteigert und die Macht der besitzenden Klasse wiederhergestellt werden soll. Vielmehr zielte das neoliberale Projekt von Beginn an auf eine Uminterpretation und Umgestaltung aller gesellschaftlichen Verhältnisse, von politischen und sozialen Institutionen über soziale Beziehungen bis hin zur Eben des Individuums selbst. Alles soll nun in den kapitalistischen Verwertungsprozess integriert werden und Imperativen der Konkurrenz und Marktlogik unterworfen werden. Diesen Anspruch des Neoliberalismus, den Menschen als Ganzen und in allen seinen sozialen Beziehungen zu kommodifizieren und >marktförmig< zu gestalten (und damit gleichsam einen neuen Menschen zu schaffen), kommt einem totalitären Anspruch gleich.

      Lag bereits dem Liberalismus das Menschenbild eines weitgehend sozial atomisierten und isolierten Selbst zugrunde, das unabhängig von sozialen Bindungen seine Ziele und Werte frei wählen kann, so geht der Neoliberalismus noch weit darüber hinaus: In seinem pervertierten Freiheitsbegriff bezieht sich die Freiheit einer Person darauf, dass sie sich in Konkurrenz mit anderen den Kräften des freien Marktes zu unterwerfen habe und ansonsten von allen gesellschaftlichen und sozialen Banden >befreit< sei. Der Neoliberalismus zielt darauf, gesellschaftlich entwurzelte Konsumenten zu produzieren, die in einer sozial atomisierten Gesellschaft nur noch als Konsumenten eine soziale Identität finden.Er zielt gesellschaftspolitisch darauf, eine radikal entpolitisierte und sozial atomisierte Gesellschaft zu erzeugen. Geleitet wird er dabei von dem Menschenbild eines Homo oeconomicus, dem zufolge der Mensch ein Wesen sei, das in permanenter Konkurrenz mit anderen seinen individuellen Nutzen zu optimieren sucht und alle sozialen Beziehungen als kalkulatorische Zweckverhältnisse ansieht. Es bedarf keiner Erwähnung, dass ein solches Wesen – das nicht mehr als eine abstruse intellektuelle Fiktion ist – als ein abscheuliches Wesen zu betrachten wäre, das in seinem Charakter sogar noch weit unter dem Wesen stünde, das in der politischen Philosophie allegorisch durch den Wolf personifiziert wird. Auch hinsichtlich des seiner Gesellschaftsorganisation zugrunde gelegten anthropologischen Leitbildes ist also der Neoliberalismus als eine Form des Extremismus anzusehen.

      Joachim Hirsch spricht von einem »neuen Totalitarismus der Mitte«, den er als »die ideologische Herrschaftsform des voll durchgesetzten, globalisierten und damit zu sich selbst gekommenen Kapitalismus« versteht:

      »Unter diesen Bedingungen bedarf die gesellschaftlich-politische Einpassung der Individuen nicht der allumfassenden Überwachung oder des rohen Terrors, sondern geschieht mittels der Gesetze des Marktes und stützt sich auf die damit verbundenen Prozesse des privatistischen Konkurrenzmobilisierung, der sozialen Heterogenisierung und Spaltung. An die Stelle totalitärer Staatspropaganda tritt die Wirkung eines mit staatlichen Institutionen eng verflochtenen, die verschiedenen Sektoren der >Zivilgesellschaft< umgreifenden und einbeziehenden bewusstseinsindustriellen Apparats, der ebenfalls primär der Logik der Kapitalverwertung und Profitmaximierung gehorcht.«
      (Rainer Mausfeld, Hybris und Nemesis – Wie uns die Entzivilisierung von Macht in den Abgrund führt – Einsichten aus 5000 Jahren, S. 403-406)

  2. hulli3 sagt:

    Hayek ist doch einer der Säulenheiligen des sog. KONTRAfunks. Ständig werden dort Vertreter der sog. F.A.v.Hayek-Gesellschaft (nicht mal ihren eigenen Namen können sie schreiben) interviewt.

  3. Ziviliest sagt:

    Übrigens bei Jean ZIEGLER nachzulesen

    Generell sind Schweizer Unternehmen stark engagiert in Lateinamerika: Elektrifizierung, Hydro etc. und bringen natürlich ihre Bankster mit. Die Verlängerung der im höchsten Maße sittenwidrigen Verträge waren ein Grund für den Putsch in Peru. Aber zu Chile: Wichtig war die Organisation einer ökonomischen Krise, Destabilisierung, dazu war bestens geeignet ein trucker Streik, dafür mußten die trucker bezahlt werden und das geschah mit kleinen $$ Scheinen und die wurden von schweizer Bankstern geliefert.

  4. Henry Kissinger sagte zu Chile, man wollte nicht einen weiteren sozialistischen Staat in Südamerika, daher wurde "interveniert". @Ralle002 hat ja schon einige Stichworte genannt.

    Die wirtschaftspolitische Abteilung der Farbwerke Hoechst – was hier an tödlicher Lobbyarbeit geleistet wurde…, der militärisch-industrielle Komplex lässt grüßen. https://x.com/FriedemannWo/status/1701384941005623379

    Allerdings gibt es hier noch deutlich wichtigeres zu erfahren – und dabei rede ich nicht von den Alt-NAZI Netzwerken, die auf beiden Seiten (BND "Fremde Heere Ost" + CIA "Paperclips") im Einsatz waren, und den Waffenschmuggel über Colonia Dignidad steuerten und bestens kooperierten.

    Sondern von sozialen Experimenten "Project Camelot", die erstmals großflächig an Bevölkerungsgruppen erprobt wurden. Klaus Abt, der nach dem zweiten Weltkrieg aus NAZI Deutschland in die USA auswanderte, hatte die Vision Kriege statt über Waffen mittels alternativer Mittel zu führen. Dazu entwickelte er die Spieltheorie weiter, die englische Version seines Buches "Serious Games" gibt hierzu viele Hinweise, die in der deutschen Version fehlen.
    https://x.com/FriedemannWo/status/1758527152721473641

    Abt`s Unternehmen, ist m.E. eine CIA Tarnorganisation, die Zusammenarbeit mit US Aid diente dem Ziel Entwicklungsländer in Armut zu halten, dazu finanzierte man Despoten und spielte Bevölkerungsgruppen gegeneinander aus. Kein Wunder ist China hier so erfolgreich… https://x.com/FriedemannWo/status/1756790286255063521

    Die Gelder die Abt Associates in den letzten Jahren erhalten hat liegen im mittleren dreistelligen Millionenbereich.
    Kognitive Kriegsführung – ein Business das sich lohnt. https://x.com/FriedemannWo/status/1645073137657081858

    Ich habe für mich eine Antwort gefunden, wofür die synthetischen Diskurse in Deutschland und Themenüberhöhung wie bsp Genderideologie, Kampf gegen Rechts, etc dienen. Man übermalt damit auch reale Konflikte. Wenn man nun aber die Spieltheorie durch KI ersetzt – hat man ein unglaublich potentes Werkzeug Länder zu destabilisieren, oder nach seinen Absichten zu prägen. Natürlich setzen die USA das ein. Dank der dominierenden Medienfabriken gibt es keinen Widerspruch mehr – und wenn dann spricht man von "NAZIs" wie die AFD oder "Putinverstehern" wie Wagenknecht – oder laut Friedrich Merz – "die schrecklichen Vereinfacher von links und rechts"… Lumpenpazifisten.

    • Fass sagt:

      Wenn man sich der IT verschreibt – obwohl deren ewigliche fremde Speicherung und Auswertung längst bekannt ist, sich dann noch Widerstand nennt! Was will man erwarten?

  5. Das war mal wieder nötig und Sie haben es wunderbar gemacht. Danke sehr!

  6. Ralle002 sagt:

    11.9.2001
    Mord in Chile: Kissinger verklagt
    https://taz.de/Mord-in-Chile-Kissinger-verklagt/!1151943/

    21.07.2011
    Chile: Allende nahm sich das Leben
    https://www.tagesspiegel.de/politik/chile-allende-nahm-sich-das-leben /4419720.html

    27. Juli 2011
    DILJA/1358: Chile 1973, Putsch-Nachlese – Wem nützt die bestätigte Suizidthese zum Tod Allendes? (SB)
    http://www.schattenblick.de/infopool/politik/meinung/polm1358.html

    Bei der Militärdiktatur in Chile gab es zahlreiche Todesopfer:

    19.08.2011
    MILITÄRDIKTATUR
    Chile erhöht offizielle Opferzahl auf 40.000
    Erhöhung: 9.800 Menschen mehr bekommen monatliche Entschädigungen
    https://www.derstandard.at/story/1313024605138/nun-40000-offizielle-opfer-der-diktatur

    02.08.2013
    TERROR IN CHILE
    Pinochet ließ Leichen sackweise ins Meer werfen
    https://www.welt.de/politik/ausland/article118611952/Pinochet-liess-Leichen-sackweise-ins-Meer-werfen.html

    14. November 2020
    Wie Henry Kissinger den Putsch in Chile vorbereitet hat
    https://www.telepolis.de/features/Wie-Henry-Kissinger-den-Putsch-in-Chile-vorbereitet-hat-4958988.html

    05.08.2021
    Oberstes Gericht in Chile bestätigt Urteil gegen ehemalige DINA-Agenten
    https://amerika21.de/2021/08/253195/chile-urteil-agenten-diktatur

    Australien hatte die CIA seinerzeit unterstützt:

    10 Sep 2021
    Declassified documents show Australia assisted CIA in coup against Chile’s Salvador Allende
    Former Liberal PM Billy McMahon approved spy agency request to conduct covert operations in Chile, a move later overturned by Gough Whitlam
    https://www.theguardian.com/politics/2021/sep/11/declassified-documents-show-australia-assisted-cia-in-coup-against-chiles-salvador-allende

    16. September 2023
    Die Knochensucherinnen der Atacamawüste
    50 Jahre nach dem Putsch sucht eine Gruppe Frauen in einer Wüstengegend nach Überresten von Pinochet-Opfern. Die Diktatur prägt die chilenische Gesellschaft bis heute.
    https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-09/chile-50-jahre-putsch-atacama-wueste-augusto-pinochet

    05. August 2023
    Chile: USA sollen ihre Rolle beim Putsch gegen Salvador Allende offenlegen
    https://www.nachdenkseiten.de/?p=102041

    11. Oktober 2023
    BRD-Verstrickung mit der chilenischen Diktatur und Pinochet
    https://free21.org/brd-verstrickung-mit-der-chilenischen-diktatur-und-pinochet/

    FULL DISCLOSURE ON CHILE
    https://fas.org/sgp/news/1999/10/kennedy.html

    Projekt FUBELT 
    https://de.qaz.wiki/wiki/Project_FUBELT

    Das Cybersyn-Projekt, ein ambitiöses Unterfangen, dass die kybernetische Theorie von Stafford Beer einsetzte, zielte darauf ab, ein Echtzeit-Datenfluss- und Managementsystem zu erschaffen, das die Wirtschaftsaktivitäten des Landes zentralisiert koordinieren konnte.

    18. Dezember 2023
    Cybersyn – Das Experiment in Chile für eine kybernetische Steuerung der Wirtschaft
    https://www.univativ-magazin.de/cybersyn-das-experiment-in-chile-fuer-eine-kybernetische-steuerung-der-wirtschaft/

  7. Yoyohaha sagt:

    😡🙏👉https://defa-stiftung.de/filme/filme-suchen/el-golpe-blanco-der-weisse-putsch/
    Kurzinhalt (Deutsch)
    😡🙏👉Chile 4. März 1973 ……. DDR Film….
    Vielleicht aus Archiv bestellen bei Interesse? Defa….
    Andere Sicht als schon raus bekommen. :)

    Liebe Grüße an Alle

    • Yoyohaha sagt:

      Kurzinhalt (Deutsch)

      😡🙏👉Chile 4. März 1973 – Versuch der Reaktion, mit Unterstützung des amerikanischen CIA durch einen "weißen Putsch" im Nationalkongreß eine Zweidrittelmehrheit zu gewinnen und die Amtsenthebung von Präsident Allende zu erreichen. Diese Bemühungen scheiterten. So griff die chilenische Reaktion zur Strategie des bewaffneten Putsches, der am 11.09.1973 gelang und eine militärfaschistische Politik zur Folge hatte.

  8. _hog sagt:

    Was lehrt uns die chilenische Geschichte des gewaltlosen Widerstands? Denn das war die Allendefraktion in der chilenische Linken, die es ablehnte die ‚Revolution‘ mit Waffen zu verteidigen.
    Man hat ganz einfach Illusionen bzw. Gottglauben, wenn man blauäugig ist und den Klassengegner ebenso gewaltlos sehen will, wie man selbst ist.
    Ploppa schreibt von 30000 ermordeten Revolutionären, die umgekommen sind, weil kleinbuergerliches Denken den Ausschlag im Kampf gegen die Repression erhalten hat.

    Etwas Positives hatte dieser Teil des antiimperialistische Kampfes allerdings doch. In der damaligen BRD wurden hunderte von Menschen fuer den Kampf gegen den Faschismus gewonnen.

    • triple-delta sagt:

      Losurdo nennt diese "westliche Marxisten", die einer sterilen Revolution anhängen, die nur durch ihre moralische Überlegenheit an der Macht bleibt. Jeder gewaltsame Verteidigung der Macht zerstört die unbefleckte Empfängnis.

    • _hog sagt:

      Moin, triple-delta!

      In welchem Buch kann man das Nachlesen?
      Oder besser: erklären Sie mir den Begriff ‚sterile Revolution‘ oder entkräften Sie doch meine These mit einem vernuenftigen Gegenargument!
      Oder habe ich Sie gänzlich missverstanden?

      mfG

  9. FCS7 sagt:

    Der Mix aus Kapitalismus und Liberalismus (MKL) kann durch ein alternatives System ersetzt werden, ohne die Freiheit der Menschen zu sehr einzuschränken. Im September gibt es die erste Koalition aus AfD und BSW oder WU. Bitte googeln: Freichristlicher Schamanismus

  10. Ziviliest sagt:

    Die Verbindung Indonesien – Chile ist wichtig. Laut Isabel Allende war in Santiago nach dem Putsch 'Djakarta' an die Wand geschrieben, freilich verstand es kein Chilene.

    Seit und mit SMITH wird gepredigt, daß das Gemeinwohl am besten durch den größten Eigennutz erreicht werde durch die Magie des Marktes. Das ist natürlich bullshit, sagen wir es mal so: die Kunst des Regierens besteht darin, die Verhältnisse so zu gestalten, daß der Eigennutz dem Gemeinwohl diene, wobei ein entsprechend geregelter Markt ein gutes Mittel sein mag.

    https://www.bpb.de/mediathek/video/230864/adam-smith-und-der-freie-markt/

    ist 'ne ganze Reihe

  11. Norma D. sagt:

    Danke,Herr Ploppa, für die detaillierte Ausführung über das brutale, unmenschliche Wirken einer Prädatorenkaste.

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