Ein Lokomotivführer gegen die Hochfinanz

Ein Meinungsbeitrag von Dirk C. Fleck.

Kennen Sie das österreichische Wörgl? Liegt im Inntal, 55 Kilometer Luftlinie von Innsbruck entfernt. Sie kennen es nicht? Okay. Anfang der dreißiger Jahre kannte es die halbe Welt. Das „Wunder von Wörgl“ machte in den von einer Wirtschaftskrise gebeutelten Industriestaaten blitzartig die Runde. Es gab also einen Ausweg aus Arbeitslosigkeit, Inflation und sozialem Elend! Und der wurde in der Region eines 14.000-Einwohner-Nestes in den Alpen aufgezeigt.

Der Name Wörgl ist untrennbar mit einem Mann verbunden, dessen Name so provinziell und heimatverbunden klingt, wie fast alles in Österreich: Unterguggenberger. Der Unterguggenberger Michel hatte bereits eine ungewöhnliche Biographie hinter sich, als er 1932 per Los zum Bürgermeister von Wörgl bestellt wurde, weil niemand das Amt übernehmen wollte. Er arbeitete zunächst als Sägewerks-Hilfsarbeiter, bevor er eine Lehre zum Mechaniker begann. Nach absolvierter Gesellenzeit erhielt er eine Anstellung bei der Bahn als Lokomotivführer. Als solcher fuhr er ins Amt. Wörgl stand vor dem Bankrott, die Gemeinde sparte auf Teufel komm raus. Vergeblich.

Das Wunder von Wörgl wurde der Jodel-Nation, um die Fußballersprache zu bemühen, aus der Tiefe des Raumes präsentiert. Vom Bürgermeister persönlich, den die Presse des Landes daraufhin prophylaktisch für verrückt erklärte. Das mussten die Schmierfinken jedoch bald zurücknehmen. Denn während das Elend im Lande, in ganz Europa und auch in Übersee bedenkliche Ausmaße annahm und die Menschen massenhaft in Depressionen stürzte, blühte in einem Tiroler Tal das Leben neu auf.

Auch in Wörgl grassierte Anfang der dreißiger Jahre die Weltwirtschaftskrise. Auch dort war die Verzweiflung der Menschen groß. Bis Bürgermeister Unterguggenberger sich an ein Buch erinnerte, das er einmal gelesen hatte: „Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld“ von Silvio Gesell. Nach Gesells These ist eine gleichmäßige Umlaufgeschwindigkeit des Geldes für eine krisenfreie Wirtschaft von hoher Bedeutung. Geld darf der Wirtschaft lediglich als Tauschmittel dienen. Da das Geld im Gegensatz zu Waren und menschlicher Arbeitskraft weder rostet noch verdirbt, könne man es ohne Nachteil zurückhalten, also „horten“. Diese spekulative Verschiebung des Zahlungsmittels stört den Wirtschaftskreislauf erheblich. Durch Zinsen und Zinseszins würden „leistungslos“ Reichtümer dort angehäuft, wo sie nicht benötigt werden.

Wow! Tief beeindruckt schritt der Unterguggenberger Michel zur Tat und druckte kurzerhand seine eigene Währung, das sogenannte „Schwundgeld“. Das neue Geld verlor jeden Monat ein Prozent an Wert, daher der Name. Die Menschen waren deshalb eher geneigt es auszugeben, anstatt es zu horten. Und prompt geriet die Wirtschaft vor Ort in Schwung. Inmitten einer krisengeschüttelten Welt stellte sich die kleine Alpengemeinde wieder auf. Die Arbeitslosigkeit in der Region sank in den Keller, während sie überall sonst auf Rekordniveau stieg. Wörgl war das kleine gallische Dorf, das sich mit seinem Freigeld-Experiment dem zersetzenden Einfluss des alten Geld-Systems erfolgreich widersetzte.

Das Wunder von Wörgl war zwar auf ein winziges Gebiet in Österreich beschränkt, fand aber sehr schnell weltweite Beachtung. Damit das Virus nicht übergriff auf die von der Hochfinanz kontrollierten Länder, in denen Krisen und Inflationen als immer wiederkehrende Begleiterscheinungen eines von Egoismus und Vorteilsnahme geprägten Systems in Kauf genommen werden, trat logischerweise irgendwann die andere Seite auf den Plan. Im Januar 1933 verbot die Tiroler Landesregierung auf Weisung des Bundeskanzleramts die weitere Ausgabe des Wörgler Schwundgeldes. Der Gemeinderat des Städtchens legte Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof ein, die aber mit der Begründung abgelehnt wurde, dass es nur der Österreichischen Nationalbank gestattet sei, Geldnoten auszugeben und in Umlauf zu setzen. Nach dem Motto: „Du sollst keine Noten haben neben mir“ wurde Wörgls Schwundgeld kurzerhand verboten und die Gemeinde wieder einverleibt in den trostlosen Verbund einer krisengeschüttelten Welt.

Das Wörgler Experiment war eine Dorfgeschichte, sicher, gleichzeitig aber war es auch ein Teil der Geschichte Österreichs – und in gewisser Hinsicht auch der Weltwirtschaftsgeschichte! Michael Unterguggenberger, dem Initiator des aufregenden Experiments, wurde erst 2018 mit dem Film „Das Wunder von Wörgl“ ein weiteres Denkmal gesetzt.

*Aus meinem Buch „HEROES. Mut, Rückgrat, Visionen

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Dirk C. Fleck ist ein deutscher Journalist und Buchautor. Er wurde zweimal mit dem Deutschen Science-Fiction-Preis ausgezeichnet. Sein Roman “Go! Die Ökodiktatur” ist eine beklemmend dystoptische Zukunftsvision. 2023 erschien sein aktuelles Buch „HEROES. Mut, Rückgrat, Visionen“.

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle: Barbara MacDonald / Shutterstock.com

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Kommentare (1)

Ein Kommentar zu: “Ein Lokomotivführer gegen die Hochfinanz

  1. Norbert sagt:

    Am Sonntag, 8.10., 16:00 h sprechen wir im Steiner Haus in Berlin über Peter Haisenko, "Die Humane Marktwirtschaft" und natürlich auch über die Altvorderen, Sylvio Gesell und Michel Unterguggenberger.

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