Die Verantwortung der Friedensbewegung

Von Bernhard Trautvetter.

Die Friedensbewegung der 80er Jahre erklärte im Aufruf für die erste Hunderttausender-Demonstration (am 10.10.1981 in Bonn) ihr Jahrzehnt zum gefährlichsten der Menschheitsgeschichte. Leider war Angst ein zentraler Katalysator der Bewegung; schöner und nachhaltiger ist Friedensengagement, wenn es neben der Angst die Liebe zum Leben spürt. Es beginnt damit, wahr zu nehmen, was ist. Dann kommt die Frage nach dem Warum. Sie führt zur Verständigung darüber, was ist zu tun und mit wem. Seit den 1980er Jahren hat sich nicht nur die Friedensbewegung weiterentwickelt, sondern so ziemlich alle Eckdaten des Lebens, beginnend mit den Techniken und Technologien, mit denen die Menschheit produziert und zerstört. Das Wort ‚entwickelt‘ täuscht. Dafür haben sich zu viele einschneidende und umwälzende Entwicklungssprünge ereignet, die am ehesten mit der Heftigkeit des Übergangs vom Mittelalter zur Industriegesellschaft mit Massenproduktion im Kapitalismus vergleichbar sind. Und der Prozess wird ständig heftiger und schneller:

Gordische Knoten
Seit den 80er Jahren wuchsen sich die globalen Zukunftsgefährdungen immer schneller und einschneidender aus, während sie alle Lebensbereiche der Menschheit durchdrangen. Wie sich gegenseitig aufschaukelnde Wellen speisen sie sich aus sozialen, ökonomischen, ökologischen und militärischen Quellen. Die UNO warnt vor einer Unkontrollierbarkeit der Entwicklung, wenn die Erderwärmung über 1,5 bis 2% weltweit hinausgeht. Stürme, Ernteausfälle, Fluten und verheerende Trockenheitsperioden mit der Ausdehnung von Wüstengebieten, ebenso das weiter grassierende Artensterben, die Meeresversauerung, Ernteausfälle durch Verschiebung der Klimazonen, … all das steigert nicht nur die Not sondern die Instabilität der Weltpolitik auf eine Weise, die die Frage aufwirft, wie lange das nicht zu einer explosiven Lage führt. Der Leiter der Sicherheitskonferenz W. Ischinger spricht von einem ‘Zerfall der internationalen Ordnung‘ htthttp://german-foreign-policy.com/de/fulltext/59048. All das steigert die Gefahr, dass die für Krisen-Management Verantwortlichen der internationalen Politik nicht nur versagen, nicht nur mit ihrem Latein ans Ende kommen, sondern selber die Eigendynamik der Katastrophenentwicklung unbewusst oder sogar absichtlich so weit steigern, dass Unkontrollierbarkeit alles hinweg reißt. Schon jetzt führen vor allem die Kriege um Ressourcen und strategisch zentrale Einfluss-Sphären zur größten Völkerwanderung der Geschichte mit zig Millionen Flüchtlingen in fast allen Erdteilen der Welt. Auch dem syrischen Krieg gingen ungewöhnlich heftige Trockenjahre voraus.

Gefahr des Weltuntergangs aus Versehen
Zwischen der Türkei, Afghanistan, Iran, Saudi-Arabien, Katar, Jemen, Sudan, Mali und Libyen sowie Der Ukraine fechten regionale und Weltmächte teils Stellvertreterkriege, die keiner gewinnen kann, die aber gefährlich schnell selbst in ein nukleares Inferno münden können – Israel hat die Bombe, die USA und Russland sind verwickelt, die Nato, nichtstaatliche Terror-Netze und Bürgerkriegsparteien verschiedenster Couleur… . Die Gefahr eines Atomkrieges aus Versehen wird nicht nur durch die extrem gewachsene Unübersichtlichkeit und deren Beschleunigung gesteigert, sondern auch durch die sprunghaft rasante Weiterentwicklung der Waffentechnologie. Der Nato-Beschluss, die Atomwaffen in den nächsten drei Jahrzehnten für über 1500 Mrd. $ weiter zu entwickeln ist dabei nur der Höhepunkt all dessen. http://www.defencetalk.com/lockheed-martin-statement-on-2011-f-35-selected-acquisition-report-sar-41345/. Mit dieser unvorstellbaren Summe, für die das Geld da zu sein scheint, könnte man sicher viele, wenn nicht sogar alle Probleme der Menschheit erst einmal bewältigen, statt die Existenz der Zivilisation finanziell zu untergraben und militärisch zu gefährden. Wie so oft täuschen die Militärs die Öffentlichkeit über die Gefahr hinweg, indem sie die Neu-Anschaffung immer gefährlicherer ‘Mini’-Nukes und Lenkwaffen als “Modernisierung” verharmlosen. Gustav Heinemann nannte die Atombombe 1958 “sogenannte Waffen”, weil ihr Einsatz, anders als die bisherigen Waffen, die Existenz der Menschheit infrage stellt. Der Problemknäuel wird nun noch durch die Digitalisierung weiter verschärft: In der Beilage zur Bundestagszeitschrift >Das Parlament< vom 25.08.2014: ‚Im Militärbereich ist aktuell eine Revolution im Gange, der sich viele Menschen bislang nicht bewusst sind. Immer mehr Aufgaben werden, wie im zivilen Leben auch, von Computerprogrammen und…robotischen Systemen übernommen.‘ Das kann uns an die Stelle führen, an der der Atomkrieg als Resultat einer fatalen Verkettung von Programmen, Planungsvorgaben, Automatismen und vielleicht sogar Computerfehlern bis hin zu Cyber-Angriffen plötzlich das Ende der Menschheit auslöst. Die Experten sprechen von einer “Vollautonomie” der Programme für den Krieg im 21. Jahrhundert. Aber soweit braucht es gar nicht kommen; Menschen Töten ist Menschen Töten, mit allen Konsequenzen für die Opfer, Angehörigen und die Gesellschaft. Ehrfurcht vor dem Leben, Liebe zu Frauen, Männer und Kindern können ein hinreichendes Motiv des Einsatzes für die gute Sache des Friedens sein. Die Strategen der Nato erklären in dieser Lage einen großen Krieg in Europa wieder für möglich: „Es ist anzuzweifeln, dass es keinen großen Krieg mehr in Europa gibt.“ http://www.japcc.org/wp-content/uploads/Future_Vector_II_web.pdf S. 141.

Deshalb fordern sie einen ‚appropriate‘ (=“angemessen“) Mix nuklearer und konventioneller militärischer Fähigkeiten (ebenda, S. 70). Diese Wortwahl findet man in einigen Nato-Dokumenten, etwa der Nuklearen Planungsgruppe. Wie konkret der Atomkrieg eingeübt wird, das zeigt sich an den Nato-Manövern >Steadfast Noon> und >Cold Igloo<, die den Umgang mit Atombomben für den Kriegseinsatz beinhalten. Aber die Gefährlichkeit des Wahnsinns geht darüber hinaus bereits ins konkrete Kriegsgeschehen: In der Ukraine-Krise belügt die Nato die Öffentlichkeit darüber, womit die Eskalation der Spannung begann: Das waren mitnichten die Krim-Ereignisse, sondern die davorliegende und vom Westen begünstigte Einsetzung einer pro-westlichen Regierung unter Einbezug von Nazis in Kiew, bei dem die Verfassung gebrochen wurde, da das Quorum der Verfassung dafür verfehlt wurde. Wochen später beriet die Nato die damals also illegale Regierung über den Umgang mit Atomanlagen im Krieg http://www.tagesschau.de/ausland/ukraine-akw100.html. Der GAU in Tschernobyl verseuchte nicht nur die direkte Umgebung des Ruinenmeilers. „Nach Angaben des TORCH-Reports gelangte radioaktives Cäsium-137 aus Tschernobyl auf 40 Prozent der Fläche Europas.“ http://www.n-tv.de/mediathek/bilderserien/panorama/Der-Super-GAU-article61832.html Hunderttausende Krebsfälle und inzwischen ca. 100 000 Todesfälle offiziell sind das Ergebnis. In der Ukraine ist das leistungsstärkste AKW Europas, und neben Tschernobyl sind dann dort noch 13 andere AKWs aktiv. Wir brauchen im hochindustrialisierten und eng besiedelten Europa keinen Nuklearkrieg, um einen nuklearen Krieg zu erleiden. Doch – schlimmer noch – die USA erklären, Russland sei „eine‚ sehr, sehr ernsthafte Bedrohung‘… Die USA müssten ihre militärischen Kapazitäten an der russischen Aggression ausrichten, sagte Carter.“ (Die Welt, 21.8.15) Wenn das Wort ‚Aggression‘ in aller Öffentlichkeit fällt, dann ist die Gefahr hoch…

Das erste Opfer des militärisch-industriellen Komplexes:

Die Wahrheit
Die Nato führte im November 2015 eine hochrangige Konferenz von Spitzenfunktionären der Militärs, der Politik, der Militärwissenschaft und der Rüstungsindustrie über Methoden zur Manipulation der Öffentlichkeit in Essen durch. Man nannte sie ‚Strategic Communication‘. Im Material ‚Read ahead‘ verdeutlichen sie ihre Methode am Beispiel des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gegen den Irak: Sie hatten den Kampf um die öffentliche Meinung verloren, weil US-Präsident Bush auf das falsche Pferd gesetzt habe: Er log über Massenvernichtungsmittel des ‚Feindes‘, statt Menschenrechtsverletzungen als Grund heranzuziehen, so die Militärs. Wir lernen hier: Die Kriegsherren suchen nach Legitimationen für das Intolerable, um die Köpfe und Herzen der Menschen zu gewinnen. Sie blicken auf eine reiche Erfahrung der Verlogenheit und Manipulation zurück: Die Rechtfertigung für den Napalm-Bomben-Krieg gegen Nordvietnam war verlogen, der Libyen-Krieg nahm sich einen Vorwand im UNO-Beschluss 1973 und missbrauchte ihn für einen ganz anderen Zweck, den Regime-Change. Bombardements heißen heute Luft- oder gar gleich ‚chirurgische‘ Schläge,…

Sie nennen es Game-Changer, weil es eine Revolution bedeutet
Dies alles geschieht, während die Digitalisierung einen Sprung in der Waffen-/Kriegs-technik, -produktion und –anwendung mit sich bringt, der die Grenzen zwischen Frieden und Krieg verwischt: Cyber-Angriffe auf Atomanlagen in sogenannten Friedenszeiten werden ebenso möglich, wie das 3D-Drucken von Bestandteilen für Massenvernichtungsmittel. Wir sind an einer Stelle, an der wir die immer größere Verantwortung haben, die Öffentlichkeit aufzuklären und zu mobilisieren, so gut wir es nur eben können. Wenn sie Game-Changer bahnbrechende Waffen nennen, die alle bisherigen Regeln umwälzen, dann wir es Zeit, dass die Menschen wissen, welches Teufelszeug unsere (nahe) Zukunft gefährdet, Aus einer solidarischen Friedensbewegung erwächst dann die Hoffnung, das abzuwenden.

Was tun? Was tun! Was?
Die möglichst einige Friedensbewegung der Humanisten hat die Verantwortung, die atomfreie Welt auf die Tagesordnung der Menschheit unserer Zeit zu stellen, ehe es zu spät ist. Sollte es dafür vielleicht aber doch schon zu spät sein, dann gilt: Weil wir es nicht wissen, ob es zu spät ist, tun wir unser Bestes auch in der Phase der Ungewissheit. Hoffnung entspringt nach V. Havel zuallererst dem Erlebnis, dass das eigene Tun Sinn macht.

Die Bewegung für den Frieden hatte in den 80er-Jahren auch die starke Ausstrahlungskraft, weil sie Humanisten auch aus konservativen Spektren, unterschiedliche religiöse Kräfte und politisch Engagierte bis zur Linken in der Idee friedlicher Konfliktlösung vereinte. Alle fokussierten sich auf das Ziel, die Wahrscheinlichkeit eines Atomkriegs aus Versehen dadurch zu senken, dass die atomar bestückten Enthauptungsschlag-Atomraketen Pershing II und Cruise Missiles mit Lenkflügelelektronik in Europa geächtet und verboten werden. Das hatte Erfolg, weil die Bewegung breit getragen wurde: Die SPD stellte sich gegen ihren Kanzler, die Grünen waren noch als damaliges Kind der Friedensbewegung mit dabei, die Kirchen, Militärstrategen, die um die Gefahr wussten, konservative Ökologen, jung und alt,…

Quer verlaufende Fronten in den Spektren für Frieden
An einem solchen Bündnis mangelt es aktuell. Unter den Friedenskräften von heute kritisieren Weggefährten andere als Querfrontler, u.a. weil sie auch mit Aktivisten aus dem Spektrum der sogenannten ehemaligen Montags-Mahnwachen zusammenarbeiten. Ein Kern der Begründung für diesen Vorwurf bezieht sich auf einen Protagonisten dieses Spektrums, den ehemaligen rbb-Radiomoderator Ken Jebsen. Ein von Henryk M. Broder und Jutta Ditfurth in den Diskurs gebrachtes Ken Jebsen-Zitat aus einer E-mail, in dem er den Holocaust eine PR-Aktion der Nazis nannte, markiert für diese Auseinanderentwicklung den Anfang. Man kann in der vielerlei kritisierten Ken-Jebsen-Mail eine Leugnung des Holocaust sehen. Ob der Vorwurf zu Recht besteht, das kommt darauf an, wie er dazu argumentiert. Wenn man weiter recherchiert, spricht gegen die Theorie der Holocaust-Leugnung folgende Interview-Stelle von Ken Jebsen mit den Netz-Piloten über die Rezeption der Freudschen Massenpsychologie – Jebsen: „Edward Bernays, einer der Väter der Public-Relations-Disziplin, hatte in seinen Büchern Techniken beschrieben, mit denen man Stimmungen erzeugen und Menschen manipulieren kann. Seine Bücher wurden leider auch von den falschen Leuten gelesen, unter anderem von Goebbels, der mithilfe dieser Techniken das größte Verbrechen aller Zeiten, den Holocaust, organisiert hat.“

Ein als Holocaust-Leugner bezichtigter Moderator geißelt den Holocaust adäquat. Jebsen mit dem fehlinterpretierten Broder-Findling auszugrenzen erweist sich intellektuell als unhaltbar.
Der weitere Vorwurf, er sei mit Jürgen Elsässer ein Rechtsaußen übergeht den von Ende Mai 2014 datierenden Text >Für Einen Humanistischen Grundkonsens< von Ken Jebsen und anderen auf der Website von Pedram Shayar. Mit dieser Erklärung trennte sich u.a. Ken Jebsen von Elsässer, der einst für das Neue Deutschland und die Junge Welt schrieb. Ihm wird hier zu Recht vorgeworfen, er betreibe gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.

Wenn sich Marieluise Beck auch noch im Bundestag zu der ehrabträglichen Formulierung versteigt, er sei als ‚unappetitlicher politischer Geselle‘ rechts außen unterwegs, http://marieluisebeck.de/artikel/14-11-2014/plenarrede-zu-sanktionen-gegen-russland dann ist es die Aufgabe, von Menschen, die am friedlichen Austausch interessiert sind, sich gegen die Herabwürdigung von Menschen zu richten.

Im Text >Für einen Humanistischen Grundkonsens< wird auch ganz klar, warum es keine Zusammenarbeit der klassischen Friedensbewegung mit den Mahnwachen geben kann, kennzeichnet er das entsprechende Potential als so basisdemokratisch, dass die humanistische Grundposition nicht überall mehrheitsfähig ist. Zitat: „Darüber hinaus steht es uns in einer dezentralen Bewegung nicht zu – und wir haben auch gar keine Möglichkeit, – die lokalen Entscheidungen in Erfurt oder anderswo einfach von außen zu überstimmen.“ http://pedram-shahyar.org/2014/05/fur-einen-humanistischen-grundkonsens.html

Umgekehrt hat auch Ken Jebsen Äußerungen von sich gegeben, die ebenfalls Kritik ernten müssen: „Unser Feind ist die sogenannte linke Presse … .“ Er meinte damit Medien, die sich um die Aufklärung verdienter machen, als andere und er meint Aktivisten aus der klassischen Friedensbewegung, die ihm teils keine Entwicklungsmöglichkeit zubilligen. Die eine wie die andere Kritik hält weder den Fakten Stand, noch trägt sie dazu bei, dass die Kräfte des Konflikts einer Lösung näher kommen, auch wenn man einen Ken Jebsens Formulierungsfehlgriff verstehen kann, wenn man sich vergegenwärtigt, das die Angriffe auf ihn oft aus von ihm undifferenziert angegriffenen Medien kommen. Für einige klassisch Friedensbewegte hat er sich mit seinem Fehlgriff diskreditiert; sie übersehen, was in umgekehrter Richtung geschehen war und geschieht.

Beispiele für diese nicht-valide Meinungsmache: „Wenn Querfrontstrategen und rechte Kleinunternehmer wie Jürgen Elsässer oder Ken Jebsen ‚Mut zur Wahrheit‘ fordern, wenn rechte Rattenfänger der PEGIDA-Bewegung von Systempresse und Lügenpresse reden…“ J.W. vom 27.12.14 In der TAZ vom 26.11.14 erklärte Otmar Steinbicker Ken Jebsen zum „neurechten Verschwörungstheoretiker“, der die Friedensbewegung unterwandern will.

Zu bedenklichen Tatsachen zählt es, dass Mahnwacheninitiator Lars Märholz mit seiner Vergangenheit im rechten Verband Junger Journalisten so umgeht, als habe es sie nie gegeben. Gerade Opfer faschistischer Verfolgung wie etwa Verfolgte des Naziregimes und mit Neonazi-Drohungen belegte DemokratInnen halten völlig verständlich aus Vorsicht, als „gebrannte Kinder“ Abstand zu Kräften, die nicht konsequent antifaschistisch auftreten.

Zu bedenklichen Tatsachen zählt auch die undifferenzierte viele in einen Topf werfende Auflistung von Kräften, die manche Aktive der klassischen Friedensbewegung zur sogenannten Querfront zählen: „Teile der linken und antifaschistischen wie antiimperialistischen Bewegung (sind) zur Zusammenarbeit in einer … Querfront bereit: mit Elsässer, Jebsen, Teilen der Freidenker, Teilen der Arbeiterfotografie, der Gruppe „Bandbreite“, den Friedenswinter-Aktivisten und Montags-Mahnwächtlern, deren Nähe zu PEGIDA und anderen rechten Gruppen empirisch ist.“ https://wurfbude.wordpress.com/2016/02/02/kapitalismus-rassismus-sexismus-und-krieg/ Querfront ist ein seit der Weimarer Republik besetzter Begriff für punktuelle Zusammenarbeit von Kommunisten mit Nazis; ihn auf die Friedensbewegung zu übertragen verfremdet ihn und diffamiert die Kritisierten als Nazi-nahe Aktive. Ich selbst war Friedenswinter-Aktivist, und ich habe mit dazu beigetragen, dass er vom Aufruf 2014 über die NRW-Aktivitäten bis zu seinem Abschluss am 70. Jahrestag der Befreiung mit der Gruß-Botschaft von Oskar Lafontaine antifaschistisch getragen war. Es gab Infiltrationsversuche von rechts, die ich hier im Abschnitt >Links, [Anti]Kapitalismus und Frieden< verarbeite. Dass verdiente Antifaschisten sich in der Abqualifizierung anderer vergreifen, wird mich nicht dazu veranlassen, sie auszugrenzen. Der Dialog ist unsere einzige Chance. Wenn sich am Ende sogar die Friedensbewegung zerlegt, dann brauchen wir uns nicht wundern, dass die Herrschenden statt eines Interessensausgleichs zu den Waffen greifen. Die Friedens- bzw. alternativen Bewegungen haben die Aufgabe, zu zeigen und zu beweisen, dass eine andere Welt möglich ist, wie es Arunthati Roy in der weltweiten Sozialforumsbewegung einst sagte.

Selbst Kritik – schöne Quelle des Erfolgs
Es tut zumal jedem engagiert lebenden Menschen gut, die Dialektik mit ihrer Erkenntnis, dass die Realität ein Prozess ist, der sich aus Gegensätzen speist, auch auf sich selbst anzuwenden. Das ist die sicherste Haltung gegen das schleichende Gift persönlicher Stagnation, die nur durchlässt, was ins Bild passt. Wahrnehmungsverengung und immer wiederkehrendes Bewerten anderer Menschen bzw. ihrer (und implizit-unterschwellig seiner selbst) steht in einem Wechselverhältnis zu Unsicherheit durch Auslassen von Erkenntnis-möglichkeiten. Das schränkt nicht nur die Persönlichkeitsentwicklung ein, was bei engagierten Menschen auch für die Sache bedauerlich ist, sondern es schwächt auch die Bündnis- und Ausstrahlungsfähigkeit.

Links, [Anti]Kapitalismus und Frieden
Dabei gibt es allerdings Differenzierungsdefizite, die der Friedensbewegung schaden: Menschen, die – wie Nazis – die US-Notenbank FED kritisieren, die Verschwörer am Werk sehen, sind dadurch nicht sogleich rechtsoffen oder gleich Nazis, auch wenn diese Vorwürfe in einigen Diskussionen Diskurs-Abwehrend, ausgrenzend und massiv geäußert werden. Man muss schon in der Tat aufpassen, denn Nazis wenden sich gegen die so bezeichnete ‚jüdische‘ und die damals von Hitler so genannte ‚bolschewistische‘ linke Weltverschwörung. Sie bekämpfen Personengruppen; das ist einer der Unterschiede gegenüber Sozialisten, die sich gegen das System, den Kapitalismus wenden. Nur eine Strukturveränderung kann bewirken, dass die Angst der Konkurrenzgesellschaft durch friedliche Interessensabsprachen ersetzt wird. Für Sozialisten gilt entsprechend der von Max Horkheimer gezogene Zusammenhang: „Wer vom Kapitalismus nicht reden will, soll vom Faschismus schweigen.“

Wenn man das klar sieht, dann kann man sich auch klar Nazis entgegenstellen, die nur ego-nationalistisch gegen Waffenexport und Auslandseinsätze sind, da sie die Kraft der jeweils eigenen Nation schwächen. Nazis in Europa sind gegen die USA und die FED, können gegen die NATO sein, insoweit sie in die Souveränität des eigenen Staates greift. Sie sind für die ‚man wird ja noch ‘mal sagen-dürfen Meinungsvielfalt, mit der sie ihre Hetze als berechtigt absichern, sie bedienen sich teilweise des Vokabulars und der Aktionsformen der Linken, wenden sich wortgewaltig gegen den Westen, demonstrieren teilweise am Antikriegstag für den Frieden nach dem Sieg, am 1. Mai für die deutsche Arbeit und kritisieren die Presse als manipulativ. Versuche, in andere Spektren hineinzuwirken, schaffen die Nazis bei der Friedensbewegung nicht; bei Teilen der Mahnwachen war das anders, wie der ‚Humanistische Grundkonsens‘ konstatierte.

Die Friedensbewegung ist international, sie ist gegen autoritäre Law- and Order-Rufe nach dem „starken Staat“. Der Frieden ist gegen Militarismus, Rassismus, gegen Faschismus und jede Form von Gewalt. Rechts ist die Friedensbewegung also schon einmal nicht. An dieser Stelle hat sich Ken Jebsen in den Anfängen der Mahnwachendemonstrationen inhaltlich im Fahrwasser von Elsässer bewegt, als er die Aufhebung von Rechts und Links verkündete http://www.glaktuell.net/montagsdemos-weder-links-noch-rechts/; er hat das aber abgelegt und sich in diesem Zusammenhang als lernfähig bezeichnet – siehe seine Antwort dazu in seinem Interview mit mir.

Erfahrene Friedensaktivisten mit Verantwortung über Jahrzehnte hinweg dürfen Orientierungs- Suchende nicht schon deshalb ausgrenzen, weil sie noch nicht auf ihren klaren Positionen stehen, sondern noch unpräzise und offen auch Dinge äußern, die offen sind für den Missbrauch durch Gegner des Friedens. Andererseits gilt: Das Verhältnis der Systemfrage und der Kritik an konkreten Ungerechtigkeiten, Verbrechen, Gefahren und korrupten Prozessen ist für die Nachhaltigkeit von demokratischem Engagement entscheidend: Ohne die Erkenntnis, dass hinter den beklagten Symptomen der Gewalt, der Gefahr und der Ungerechtigkeit der Kapitalismus mit der Konkurrenz und seinem Drängen nach nicht-endendem Wachstum im begrenzten System Erde steckt, verkleinert sich politisches Engagement leicht zum Einsatz für eine konkrete Sache in einer Kampagne, und dann der nächsten, bis es einem vielleicht reicht.

Wenn wir wissen, dass Kapital im Konkurrenzkampf mit Kapital teils aus anderen Staaten um Marktanteile, Ressourcen, Handelswege, Zugriffsrechte und Einflussmöglichkeiten und um billige Produktionsmöglichkeiten steht, wenn wir dann noch wissen, dass in diesem Konkurrenzkampf das Mehr des Wachstums über Marktanteile und damit höchsten Erfolg entscheidet, dann ist nicht nur ökologisch klar, dass der Kapitalismus den Interessen des Lebens in der begrenzten Erde widerspricht, er trägt auch Spannungen und Konflikte bis hin zum Krieg in sich, wie die Wolke den Regen, wie der französische Sozialist Jean Jaurès sagte.

Hoffnung wächst aus der Erfahrung von Sinn und Gemeinsamkeit
So ist es kein Wunder, wenn man in der Friedensbewegung über die Jahrzehnte hinweg immer wieder engagierte Sozialisten erleben kann. Ihre Erfahrung, ihr Wissen und ihre entsprechende Beharrlichkeit ist so wichtig, wie die rebellische Motivation vieler, die beim Protest dabei sind, vieler Christen, die Ihr Leben in der Nachfolge Jesu dem Engagement für die Ehrfurcht vor der Schöpfung widmen, vieler Humanisten, die es nicht aushalten, so viel Leid und Elend zu sehen, vieler Verschwörungs-Gegner, die Demokratie statt Mauschelei und Korruption wollen, …

Konkret >>Ja<<
Kernpunkt für die Forderungen für die Mobilisierung der Menschen ist, was sie im Moment bewegt und was objektiv geächtet gehört: Die Mehrheit der Menschen ist gegen Kriegseinsätze und Drohnen, gegen Milliardenverschleuderung für die Vernichtung von Leben, gegen Kriegspläne mit und ohne Atom in Europa und anderswo; sie wollen Investitionen in die Ökologie und friedliche Produktion zur Rettung der Erde. Das aufzugreifen und mit den Forderungen der Gewerkschaften und Umweltbewegung, sowie anderen Bewegungen für sozialen Fortschritt zu verknüpfen, das muss die Kunst der Bündnisarbeit für den Frieden sein. Das ist schon schwer genug, da Drohnen sehr weit weg sind, und da existenzielle Ängste durch die Unsicherheiten auf dem Arbeitsmarkt und durch Hartz IV … spürbarer sind und im Vordergrund stehen. Wir müssen die Verbindungen aufzeigen. Das aber ist ein Prozess der Informationsverarbeitung, während die Angst einen viel nahe gehenderen Prozess der Verarbeitung von Gefühlen betrifft. Diese Gefühle werden zudem noch in Titytainment-Medien wie RTL und der Bildzeitung angesprochen und in Berichten über Kriminalität bestimmter Bevölkerungsteile verstärkt, damit der Unterhaltungs-Konsument nicht nachdenkt. Das wird dann auch oft mit ablenkender Unterhaltung garniert.

Die Menschen sollen bloß nicht noch einmal wie zu Zeiten des Vietnamkriegs und der Raketenrüstung ins Nachdenken kommen. Die Friedensbewegung hatte in ihren Auf- und Abschwüngen selten die Medien auf ihrer Seite. Im Kalten Krieg hieß es oft, wir seien die 5. Kolonne des Kommunismus in Moskau, immer wieder hält man uns entgegen, dass der Pazifismus naiv sei. Dabei wird so getan, als könne man mit Krieg Frieden herbei-bomben. Leserbriefe und Friedensaktivitäten in der Öffentlichkeit sind hier ein wichtiges Gegenmittel gegen das schleichende Gift der Militärpropaganda. In den Phasen geringerer Mobilisierung ist es wichtig, dass die Aktiven die Infrastruktur stabil halten, damit das Feuer wieder aus der gut gepflegten Glut die Herzen ganz vieler Menschen erreicht. Das bedeutet, immer wieder auf die Straße und in eigene und in Veranstaltungen anderer Kräfte gehen, immer an die Vernunft appellieren und zeigen, wie viel Kraft es dem Menschen geben kann, etwas sinnvolles zu tun.

Und das fängt da an, wo wir uns austauschen, uns einbringen, orientieren uns auf das gemeinsame Ziel einer friedlichen und humanen Welt hin wirken. Wir pflegen einen achtsamen Umgang miteinander, der im Andersdenkenden eine Bereicherung sieht, ohne aus der Andersartigkeit eine Beliebigkeit entstehen zu lassen. Wir hören einander zu und aus der Einheit von Wort und Tat wachsen Kraft, Geduld, Motivation und weitere Aktionen.

Gandhi rät uns: „Sei selbst die Veränderung, die du in der Welt sehen willst.“

Alle Menschen, auch die Militaristen und Faschisten sind Menschen. Jede/r kann sich in die eine oder andere Richtung ändern. Der Humanismus gibt niemanden auf, er stellt sich gegen antihumanes Denken und Handeln. Unerbittlich, beharrlich, solidarisch mit allen Menschen guten Willens. Die Friedensbewegung kann dann erfolgreich sein, wenn sie konsequent ‚nein‘ sagt zum Töten aus einem „Ja“ zu Leben heraus, wenn sie bei allen aktuellen Gewaltausbrüchen mit ihrem gewaltfreien Widerstand den Schutz des Lebens in den Vordergrund stellt, wenn sie sich nicht dafür gewinnen lässt, dass der Krieg das beste Mittel der Herbeiführung von Frieden ist..

Wenn sie aufklärt Propaganda als Lügen entlarvt, und wenn sie in den Forderungen das jeweils Konkrete mit dem allgemeinen Menschen- und Völkerrecht verbindet, sowie wenn sie in der Kultur des Friedens nach innen und außen attraktiv ist, kann die Friedensbewegung die erforderliche Strahlkraft (weiter)entwickeln, die ihr Erfolge beschert. Wenn sie an die Hoffnung appelliert, die Liebe zum Leben, kann sie die Herzen der Menschen ermutigen, aufzustehen, wie die >bots< auf den großen Friedensdemonstrationen der 80er Jahre in Bonn sangen:
„Alle, die nicht schweigen, auch nicht, wenn sich Knüppel zeigen, solln aufstehn. Die zu ihrer Freiheit auch die Freiheit ihres Nachbarn brauchen, solln aufstehn…
…Wo keiner sich mehr Angst um morgen macht,… Wenn Du Dich da ganz mitbringst, … Dich ganz und Deinen Traum mitbringst, mag sein, dass es gelingt.“

Das ist einen Versuch wert.

 

Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Artikels.

KenFM bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Meinungsartikel und Gastbeiträge müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.


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