Sie sind schuld!

He, Sie da! Haben Sie sie gesehen?

Ein Meinungsbeitrag von Dirk C. Fleck.

Stellen wir uns vor, dass der ökologische Fußabdruck, den wir während unserer irdischen Existenz hinterlassen, eine Datenspur nach sich zöge, die im Archiv des Lebens gespeichert wäre. Dort ließe sich nach unserem Gastspiel ablesen, was wir im Laufe der uns zugestandenen Jahre konsumiert haben.

Angenommen, ein Himmelsbote würde uns schon im Vorhinein verraten, wann wir den Gang alles Irdischen zu gehen haben. Einer erfährt, dass seine Zeit gekommen ist, wenn er weitere 33 Kilo Plastikmüll entsorgt hat. Ein anderer bekommt mitgeteilt, dass ihm noch 789 Liter Benzin zur Verfügung stehen, und wenn die verbraucht sind, ist Schluss auf Erden. Einem Dritten werden 24 Kilo Fleisch zugestanden, bevor er stirbt. Und dem Vierten wird sein Ende vorausgesagt, sobald er auch nur eine Sekunde länger im Internet surft, als 317 Stunden. Das sind keine Drohungen, sondern ein nüchterner Einblick in die Bilanz eines jeden.

Wie würden diese Menschen reagieren? Wie gesagt, sie zweifeln nicht im Geringsten an ihrer inneren Stimme. Ich vermute, dass jeder der vier genannten Personen sein Leben extrem umkrempeln würde. Dass sie dabei einen Entzug zu durchlaufen hätten, gegen den sich das Abnabeln vom Heroin wie eine Fingerübung ausnimmt, ist in dem verzweifelten Versuch, weitere Lebenszeit zu gewinnen, inbegriffen.

Der Autofahrer würde beginnen, seine Fahrten einzuschränken, bis er sich irgendwann selbst ein Fahrverbot erteilt. Aber das Leben ohne Auto wird schwierig. Wie kommt er zur Arbeit? Er wohnt auf dem Land, sein Büro befindet sich in der nächsten Kreisstadt, die nur mit dem Postbus zu erreichen ist, der zweimal täglich verkehrt. Unser Internet-Surfer begänne, seine Besuche im Netz zu hinterfragen und nach Notwendigkeiten auszurichten. Da er sein Geld als freier Journalist verdient, wird er nicht mehr wie gewohnt recherchieren können, was der Qualität seiner Arbeiten extrem schadet. Schließlich erfindet er seine Geschichten, wird erwischt und nicht mehr beschäftigt. Beim Fleischesser weiß man nicht, wie er reagieren würde. Er ist süchtig und die Sucht macht es ihm fast unmöglich, von seinen Gewohnheiten zu lassen. Vermutlich würde er seinen Konsum nach der Prophezeiung rauschhaft steigern, um vor dem letzten Schnitzel eine Vollbremsung hinzulegen, was den Fleischverzicht für ihn fortan zur Hölle macht. Das letzte Schnitzel wäre dann eine Art Waffe, die er in der Wäsche versteckt hält und mit der er sein Ende jederzeit selbst bestimmen kann für den Fall, dass er die Drangsal nicht länger aushält, Krebs bekommt, pleite geht oder von Frau und Kindern verlassen wird.

Am einfachsten scheint es die Person mit der 33-Kilo-Ration Plastikmüll zu haben. Aber das täuscht. Diese Person hat vermutlich die Arschkarte gezogen. Okay, Jute statt Plastik – null Problemo, sofort umsetzbar. Aber bereits beim Leeren der ersten Jutetasche stellt unser Kandidat fest, was ihm vorher nie gestört hat: dass fast jedes Produkt aus dem Supermarkt eingeschweißt ist, inklusive der zwölf Himbeeren, die er morgens so gerne im Joghurt verrührt. Aber hatte er nicht neulich von einem alternativen Laden gelesen, in dem Waren pur verkauft werden, ganz ohne Verpackung? Also ab ins Auto, vierzehn Kilometer hin zu der unverpackten Butter, vierzehn Kilometer zurück. Und das fast täglich. REWE, Edeka, Penny, Netto und Konsorten kommen nicht mehr infrage, wenn man sein schnelles Ableben nicht provozieren will.

Wir stecken definitiv in der Plastikfalle. Und 33 Kilo Plastikmüll sind schnell beisammen. Zweifellos haben wir uns in einem System verheddert, das uns sofort an die Gurgel geht, sobald wir auch nur einen Schritt aus ihm heraustreten. Während sich in diesem Gedankenspiel die vier Probanden noch zu retten vermögen, weil sie, von Angst getrieben, bereit sind, ihr gesamtes Leben neu zu ordnen, scheinen wir als menschliche Gemeinschaft rettungslos verloren. Dabei sind die Menetekel des Untergangs unübersehbar geworden, sie springen uns überall an, wo wir gehen und stehen. it`s written on the wall …

„Wo materieller Fortschritt, wo Eroberungen von ganz äußerlicher Perfektion herrschen, wo all das herrscht, was sich unter Ausschluss jedes inneren Fortschritts auf Bequemlichkeiten stützt, da kann sich echte Kultur nicht mehr entwickeln,“ schrieb der französische Dramatiker und Regisseur Antonin Artaud (1896–1948). Und er fährt fort: „In dem Maße, wie wir Fortschritte machen und unser Einfluss auf die äußere Natur uns Wüsten beschert, entgeht uns gleichsam der Himmel“.

Der schleichende Ökozid ist nur deshalb möglich geworden, weil sich das Zerstörungswerk auf unendlich viele Schultern verteilt. Jeder Einzelne von uns lädt von der Gesamtlast der alles niederwalzenden Zivilisationslawine allenfalls ein Mikrogramm auf seine Schultern. Diese Minimenge können wir nur schwer in einen katastrophalen globalen Zusammenhang bringen. Wir kennen die Ausreden, mit denen wir uns Absolution erteilen: SIE SIND SCHULD! Sie weigern sich, den Umweltschutz im Grundgesetz zu verankern. Im Grunde sind sie nur geldgeil. Wie wollen sie die Probleme jemals in den Griff kriegen? Irgendwann ersticken sie in ihrem eigenen Dreck, aber das scheint sie ja nicht zu interessieren. He, Sie da! Haben Sie sie gesehen?

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Dirk C. Fleck ist ein deutscher Journalist und Buchautor. Er wurde zweimal mit dem Deutschen Science-Fiction-Preis ausgezeichnet. Sein Roman “Go! Die Ökodiktatur” ist eine beklemmend dystoptische Zukunftsvision.

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle: petrmalinak / Shutterstock.com

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Kommentare (7)

7 Kommentare zu: “Sie sind schuld!

  1. jarrefreak sagt:

    Ich mag Botschaften nicht, die verkürzt oder in einen zu engen Rahmen gezwängt werden. Bei dieser Problematik meine ich, dass sie in einen größeren Kontext eingeordnet werden muss.

    In der Schöpfung gibt es nicht nur die uns umgebenden sichtbaren Dinge, wir sind untrennbar eingebunden auch in die unsichtbare, geistige Ebene, aus der alles hervorgeht.

    Es ist uns hier auf dieser Welt nicht möglich, alles aufzugeben, nur um ja nichts falsch zu machen, jedoch erwartet der Schöpfer von mir als einzelnen, dass ich mit den mir von ihm anvertrauten Dingen verantwortungsbewusst umgehe. Gleichzeitig zeigt er durch sein geschriebenes Wort, dass wir in der heutigen Welt auch vernünftig bleiben müssen. Mit anderen Worten, es ist ein ständiges Abwägen, inwieweit ich mich auf irgendetwas einlasse. Oder eben auch nicht.

    Das meinte Paulus in 1. Korinther 5:10, dass wir wenn wir um jeden Preis alles richtig machen wöllten, ja aus der Welt hinausgehen müssten. Was unmöglich ist.

    Mein Bibellehrer hatte mir vor Jahrzehnten schon gezeigt, dass die Menschenherrschaft grundsätzlich zum Scheitern verurteilt ist und wir mit den ganzen Folgen des Dilemmas unseres Weggangs vom Schöpfer leben müssen. Aus meiner Sicht, und das ist meine feste Überzeugung, bleibt uns nur, auf die in der Offenbarung versprochene Wiederherstellung aller Dinge hier auf der Erde durch das Königreich Gottes zu warten, wenn dann die satanischen Kräfte endgültig zum Ende gekommen sein werden (Offenbarung 16:16; 21:4,5).

    Die in der Bibel vorausgesagte Zeit des Endes ist bereits weit vorgerückt, wie der Zustand der Welt zeigt.

  2. inselberg sagt:

    Plastik, Fleisch und Benzin. In dieser kindlichen Reihe vermisse ich nur noch das CO2.
    Was geschieht denn mit dem Plastikmüll in Deutschland? Er landet in der Verbrennungsanlage auch wenn jene Spezies ihn schon im Meer wähnen.
    Wo ist das Problem mit dem Fleischkonsum oder dem Benzin? Gut, Als veganer E-Auto-Besitzer muss man sich eben abheben.

    Nebenbei erinnert mich dieses "gedruckte" Albernheit, im Gewand eines """perfiden""" Gedankenspiels, irgendwie an die Alles-Er-Und-Umfassende-E-Id-Verknüpfte-Wallet…

    Klaus? Bist du das?

  3. Nevyn sagt:

    Was wir heute verteufeln, war vor einigen Jahrzehnten der heiß willkommene Fortschritt.

    Das wirft bei mir weniger die Frage auf, wie wir die negativen Seiten des sogenannten Fortschritts der letzten 60 bis 80 Jahre in den Griff bekommen, sondern was der Fortschritt, den wir heute so preisen, in 60 bis 80 Jahren auf diesem Planeten angerichtet haben wird.

  4. ytiralugnis sagt:

    „Wo materieller Fortschritt, wo Eroberungen von ganz äußerlicher Perfektion herrschen, wo all das herrscht, was sich unter Ausschluss jedes inneren Fortschritts auf Bequemlichkeiten stützt, da kann sich echte Kultur nicht mehr entwickeln,“

    Das ist sehr tiefsinnig. Insbesondere wenn man die Wurzel des Wortes Kultur betrachtet, also Kult – Verehrung – (spirituelle) Liebe. Das was heute Kultur genannt wird, ist nichts als oberflächliche Närretei, die bestenfalls die auf das Außen gerichteten Sinne befriedigt. Wirkliche Kultur ist aber Ausdruck unseres Wesenskerns, der jenseits der menschlichen Hülle liegt, jenseits der Begrenztheit dessen, was wir hier Leben nennen. Wirkliche Kultur ist die Blume, die aus unserem ewigen Wesen her in diese Welt hineinblüht, dieses ewige Wesen erahnbar macht und uns dadurch die Möglichkeit gibt, die Schranken des Todes zu durchschauen und das ewige Wesen zu erkennen. Der eigentliche Sinn menschlicher Existenz. Alles, was von dieser Ausrichtung wegführt, ist eigentlich Antikultur und zerrt uns in das Dickicht materieller Verwirrung und Ausbeutung, aus dem dann nur Krieg, Umweltzerstörung und andere Drangsal resultieren.

    Richtet man seine Aufmerksamkeit nach innen, darf man der eigenen Unabhängigkeit von der Gesellschaft gewahr werden und verstehen, dass es zu jedem Zeitpunkt möglich ist, diese Suche nach dem eigenen Wesenskern zu beginnen.

    https://apolut.net/m-pathie-thomas-fiedler/
    https://apolut.net/die-wurzel-allen-uebels-von-thomas-fiedler/

  5. Onkel Ulrich sagt:

    Wieso soll die Plastik-Vermeidung schwer sein? In den Supermärkte stehen Entsorgungsstellen zur Verfügung. Frau muß ihre Artikel nur dort auspacken. Im Übrigen ist Plastik eine Energiequelle, die sich – wie Öl und Gas – wirtschaftlich zur Wärme- und Stromerzeugung verbrennen läßt. Wenn es gewollt wäre. Der Verweis auf Sprit-, Fleisch- und Internetnutzung ist natürlich völliger Unsinn. Der Verbrauch dieser Gütern ist nicht das Problem. Spritknappheit wird seit Jahrzehnten propagandistisch gepredigt, Fleisch, wenn nicht künstlich verteuert, läßt sich auch aus verantwortlicher Tierhaltung beziehen. Und die Internetnutzung ist wesentlich ressourcensparender als alle anderen Medien.

  6. …er hat so Recht, der Herr Fleck!
    Bevor ich mein Leben umgekrempelt habe, fuhr ich ein dickes Auto, ging im Supermarkt einkaufen, aß Fleisch (natürlich mit viel Energieaufwand gegrillt/gegart),
    saß ständig im Flieger, und war Teil des Systems, was ich mit allen meinen Entscheidungen, also meiner (Teil-) Verantwortung, unterstütze. Also ein ganz normales Leben innerhalb des Normalen…
    Jetzt fliege ich gar nicht mehr, habe kein Auto, lebe auf den Land, gehe vielleicht zweimal im Jahr in einen Supermarkt, wenn ich Himbeeren Essen möchte, gehe ich sie pflücken, sonstiges saisonales Obst und Gemüse kaufe ich beim Bauern, als Fleisch esse ich nur noch Wild und das auch fast nie, Wasser nutze ich seeehr sparsam und bewusst, mein Wohnraum ist zehnmal kleiner als vorher, ich nutze keine Plastik-Kleidung, etc.
    Bin so gesund und glücklich wie nie zuvor. Was der Mensch WIRKLICH will, kann er auch verwirklichen, wenn er SEINE Werte WIRKLICH definiert und gefunden hat.

  7. Publicviewer sagt:

    Meinen GTI werde ich nicht aufgeben!
    Nur über meine Leiche…

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