Sicht aus dem „Globalen Süden“ | Von Jochen Mitschka

Ein Standpunkt von Jochen Mitschka.

Im heutigen Beitrag will ich zunächst kurz anknüpfen an frühere PodCasts, immer um die alternative Sicht von außerhalb des westlichen Medien-Narrativs  darzustellen. Dann geht es um den erneuten Regime-Change-Versuch im Iran, die Eurasische Wirtschaftsunion und schließlich doch noch einmal um den Ukraine-Krieg, um zu zeigen, wie die Eskalation durch den „Globalen Süden“ interpretiert wird, und was man dort aus der Geschichte lernt. Wie üblich lesen Sie zusätzliche Informationen im Anhang.

China – Iran – Saudi-Arabien

Ich hatte schon über einen bevorstehenden Besuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Saudi-Arabien berichtet. Aber die Erwartungen an eine Annäherung wurden durch die Vereinbarungen noch übertroffen, wie Matthew Ehre erklärt. (1) Interessant in seinem Bericht ist, dass er herausarbeitet, wie wichtig die Rolle des Irans für die Beziehungen zwischen China und Saudi-Arabien ist.

Er stellt fest, dass der Iran nicht nur ein wichtiger Akteur in der der Eurasischen Partnerschaft sei, der als strategischer Knotenpunkt für die Südroute der chinesischen Belt and Road Initiative (BRI) dient, sondern auch ein Eckpfeiler des von Russland, dem Iran und Indien geführten Internationalen Nord-Süd-Verkehrskorridors (INSTC), der zu einer wichtigen Kraft geworden ist, und Synergien mit der BRI schaffe. (5)

Im Verlauf des weiteren Artikels erklärt der Autor dann die Einzelheiten von Milliarden-Investitionen und Kooperationen, sowie die Wichtigkeit des beabsichtigten Ausbaus der Interkonnektivität von Wirtschaftsregionen, welche in meinen früheren PodCasts auch schon besprochen wurden.

Iran – RegimeChange

Aber kommen wir nun zum Iran selbst. Während ich im vorletzten PodCast die Meinung von Dr. Hossein Pur Khassalian wiedergab, einem Exiliraner, der vor der Schah-Diktatur geflüchtet war,  möchte ich noch einmal auf die Meinung eines erfahrenen indischen Ex-Diplomaten, M. K. Bhadrakumar hinweisen. (2)

Er schreibt, dass der schon mehrfach gescheiterte RegimeChange diesmal ernsthaftere Folgen haben könnte. Die seit Mitte September andauernden Unruhen im Iran nach dem Tod einer kurdischen Frau in Polizeigewahrsam zeigen seiner Meinung nach bisher keine Anzeichen einer Abschwächung. Die Unruhen seien von allen Gesellschaftsschichten unterstützt worden und hätten regierungsfeindliche Züge angenommen. Die Wirksamkeit der Unterdrückung der Unruhen sei zweifelhaft.

Die Regierung sehe zwar keine unmittelbare Bedrohung, scheine sich aber der Notwendigkeit bewusst zu sein, die Hidschab-Politik anzugehen, um die Demonstranten zu beruhigen. Während die Proteste weitergingen, seien viele Frauen in den Städten des Irans, insbesondere in Teheran, ohne Kopfbedeckung auf der Straße. Was aber von anderen Beobachtern schon seit geraumer Zeit berichtet wird.

Es gebe eine lange Geschichte, in der westliche Länder die öffentlichen Unruhen im Iran angeheizt hatten, schreibt der Autor. Das westliche Kalkül ziel auf einen Regimewechsel ab, aber merkwürdigerweise signalisiere Washington auch Interesse an einer Annäherung an Teheran unter bestimmten Bedingungen, die die Außen- und Sicherheitspolitik des Regimes im gegenwärtigen internationalen Umfeld betreffen.

Der iranische Außenminister Hossein Amirabdollahian habe am Montag ausdrücklich erklärt, dass die USA und eine Reihe anderer westlicher Länder Unruhen angezettelt hätten, weil “eines der Ziele der USA darin bestand, den Iran zu zwingen, am Verhandlungstisch große Zugeständnisse zu machen“, um das JCPOA wiederzubeleben. Amirabdollahians Bemerkung sei eine Antwort auf die „Megaphon-Diplomatie“ von Rob Malley, dem US-Sondergesandten für den Iran, gewesen. (12)

Malley habe zugegeben, dass die Regierung Biden an den laufenden Protesten im Iran beteiligt ist. (9) Wichtig sei, dass er auch andeutete, dass, obwohl der Iran eine Reihe schicksalhafter Entscheidungen getroffen hat, die eine vollständige Wiederbelebung des Atomabkommens und eine Aufhebung einiger Wirtschaftssanktionen im Moment politisch unmöglich machen, die Tür zur Diplomatie nicht verschlossen sei, wenn nur die iranische Führung ihren Kurs in den Beziehungen zu Russland ändere.

Weiter habe Malley ausgeführt, dass

“wir gerade jetzt einen Unterschied machen können, indem wir versuchen, die Lieferung von Waffen an Russland zu verhindern und zu unterbrechen und die grundlegenden Bestrebungen des iranischen Volkes zu unterstützen”.

Demnach ziele Washington darauf ab, die Waffenlieferungen des Irans an Russland zu “unterbrechen, zu verzögern, abzuschrecken und zu sanktionieren“, und eine eventuelle Lieferung von Raketen oder Unterstützung beim Bau von militärischen Produktionsanlagen in Russland “würden neue Grenzen überschreiten“.

Insgesamt habe Malley das Vorgehen der USA gegen die Proteste im Iran mit der Außen- und Sicherheitspolitik Teherans gegenüber Russland und dessen Krieg in der Ukraine verknüpft. Man möchte hinzufügen, dass die meisten begeisterten deutschen Befürworter eines RegimeChanges immer noch an „humanitäre Gründe“ glauben. Während man das für Politiker wohl ausschließen darf.

Der Zeitpunkt von Sullivans Enthüllung müsse genau beachtet werden, erklärt Bhadrakumar,  er falle mit einem Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Teheran am 19. Juli zusammen. Putins Gespräche mit der iranischen Führung seien Ausdruck einer strategischen Polarisierung zwischen Moskau und Teheran gewesen, die weitreichende Folgen für die regionale und internationale Politik haben werde.

Putins Gespräche hätten von den aktuellen Konflikten in der Ukraine und in Syrien bis hin zur Rechtmäßigkeit der vom Westen geführten Sanktionsregelungen gereicht. Es sei die Entdollarisierung der Geopolitik im Energiebereich angesprochen worden, ebenso wie der internationale Nord-Süd-Transportkorridor, die  Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich usw.. Dabei basierten die Ergebnisse auf den übereinstimmenden Interessen der beiden Länder in einer Reihe wichtiger strategischer und normativer Fragen, führt der Artikel aus.

Im Anschluss an die Gespräche mit Putin sei der Generalstabschef der iranischen Streitkräfte, General Mohammad Bagheri, Mitte Oktober nach Moskau gereist. General Bagheri traf mit dem russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu zusammen, was ein Zeichen dafür gewesen sei, dass die militärischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern einen unumkehrbaren Aufschwung nehmen.

Unterdessen spüre Washington, so der Artikel weiter, dass innerhalb des iranischen Establishments Uneinigkeit darüber herrscht, wie mit den Protesten umzugehen ist, was wiederum die interne iranische Debatte über die Sinnhaftigkeit eines wachsenden Bündnisses mit Russland gegenüber einer erneuten Annäherung an den Westen im Rahmen eines neuen Versuchs zur Wiederbelebung des Atomabkommens verschärfe.

Malleys Äußerungen deuten der Meinung von Bhadrakumar folgend darauf hin, dass die USA trotz ihrer Unterstützung für die Proteste im Iran, nach wie vor für Geschäfte mit Teheran offen seien, wenn das Land seine sich vertiefende strategische Partnerschaft mit Moskau zurückfahre und sich nicht in den Konflikt in der Ukraine einmische.

„Der Leiter der Internationalen Atomenergiebehörde, Rafael Grossi  (der Washington unterstellt ist), erklärte am Montag, dass die UN-Behörde keine Beweise dafür habe, dass der Iran ein Atomwaffenprogramm verfolge, und deutete damit an, dass die Wiederaufnahme der Verhandlungen in Wien kein ‚systemisches‘ Hindernis darstelle.“ (2)

Die außen- und sicherheitspolitische Zusammenarbeit Teherans mit Moskau sei für den Iran jedoch von langfristiger Bedeutung, und die iranische Führung setze keineswegs alle Karten auf die USA. Sowohl für den Iran als auch für Russland sei die Partnerschaft mit dem Iran unter den Bedingungen der Multipolarität von strategischer Bedeutung.

Bezeichnenderweise, so analysiert Bhadrakumar weiter iranische Medien, habe der iranische Unterhändler für Atomfragen und stellvertretende Außenminister Ali Bagheri Kani Moskau besucht und sei in Moskau mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Rjabkow zusammen getroffen, um die Aussichten auf eine umfassende Umsetzung  des Atomabkommens von 2015 zu erörtern, “um den Ansatz des Multilateralismus zu stärken und dem Unilateralismus entgegenzutreten und an den in der Charta der Vereinten Nationen enthaltenen Grundsätzen festzuhalten (…)“

Derweil, so erklärt der Autor weiter hätten die Gespräche zwischen Moskau und Teheran sicher auch die groß angelegten US-amerikanisch-israelischen Luftübungen berücksichtigt, bei denen Angriffe auf das iranische Atomprogramm simuliert wurden. Das israelische Militär habe in einer Erklärung mitgeteilt, dass die gemeinsamen Flüge von vier israelischen F-35i Adir Tarnkappen-Kampfjets, die vier US-amerikanische F-15 Kampfjets durch den israelischen Luftraum begleiteten, “ein operatives Szenario und Langstreckenflüge” simulierten.

Die Erklärung habe zudem weiter gelautet: “Diese Übungen sind ein Schlüsselelement der zunehmenden strategischen Zusammenarbeit der beiden Militärs als Reaktion auf die gemeinsamen Sorgen im Nahen Osten, insbesondere die, die vom Iran ausgehen.”

Die amerikanisch-israelischen Übungen würden die kritische Situation in Bezug auf den Iran unterstreichen, meint Bhadrakumar. Die Umstellung Teherans auf eine Anreicherung von 60 % sorge in Washington für Unruhe. Ein Militärschlag gegen den Iran hätte jedoch unvorhersehbare Folgen nicht nur für die westasiatische Region, sondern auch für den globalen Ölmarkt, der aufgrund des Versuchs der USA, den Preis für russisches Öl zu deckeln, mit Unsicherheiten konfrontiert sei.

Unterm Strich würden die Proteste im Iran die Ausmaße eines casus belli annehmen, also eines möglichen Kriegsgrundes.

„Die USA haben den inneren Aufruhr im Iran internationalisiert.“

Abweichend von dieser Analyse sieht Pablo Escobar die Situation der Wehrhaftigkeit des Irans als von den USA unterschätzt und unerwartet. (6) Was einen Angriff auf Irans Atomanlagen unwahrscheinlich macht.

Die Eurasische Wirtschaftsunion (EAEU)

Die bereits mehrfach besprochene EAEU beschleunige die Entwicklung eines gemeinsamen Zahlungssystems, das seit fast einem Jahr unter der Leitung von Sergey Glazyev, dem für Integration und Makroökonomie zuständigen Minister der EAEU, intensiv mit den Chinesen diskutiert wird, berichtet zum wiederholten Male ebenfalls Pepe Escobar. (3)

Über ihre Regulierungsbehörde, die Eurasische Wirtschaftskommission (EEC), habe die EAEU den BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika), die sich bereits auf dem Weg zu BRICS+, einer Art G20 des globalen Südens, befinden, einen sehr ernsthaften Vorschlag unterbreitet, berichtet er. Das System werde eine einzige Zahlungskarte umfassen – in direkter Konkurrenz zu Visa und Mastercard – und die bereits bestehende russische MIR, Chinas UnionPay, Indiens RuPay, Brasiliens Elo und andere zusammenführen. Dies stelle eine direkte Herausforderung an das westlich konzipierte (und durchgesetzte) Geldsystem dar. Und das, so Escobar, nachdem die BRICS-Mitglieder ihren bilateralen Handel bereits in lokalen Währungen abwickeln und so den US-Dollar bereits umgehen.

Die EAEU (8) soll den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeitnehmern zwischen den Mitgliedsländern ermöglichen. Die Ukraine, so der Rückblick des Autors, wäre Mitglied der EAEU geworden, wenn es 2014 nicht zu dem „von der Regierung Barack Obamas gesteuerten Maidan-Putsch“ gekommen wäre.

Wladimir Kowaljow, Berater des Vorsitzenden der EAEU, habe es gegenüber der russischen Zeitung Iswestija auf den Punkt gebracht. Im Mittelpunkt stehen die Schaffung eines gemeinsamen Finanzmarktes und die Entwicklung eines gemeinsamen “Börsenraums“. “Wir haben erhebliche Fortschritte gemacht und konzentrieren uns jetzt auf Sektoren wie Banken, Versicherungen und den Aktienmarkt.” In der Zwischenzeit hätten sich der Handel und die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der EAEU und den BRICS-Staaten allein in der ersten Hälfte des Jahres 2022 um das 1,5-fache erhöht. Der Anteil der BRICS am gesamten Außenhandelsumsatz der EAEU habe 30 Prozent erreicht, erklärte Kowaljow auf dem Internationalen BRICS-Wirtschaftsforum am vergangenen Montag in Moskau.

Das Zeitalter der Plünderung stoppen

Als wäre das alles nicht schon einschneidend genug, gehe der russische Präsident Wladimir Putin noch einen Schritt weiter und fordere ein neues internationales Zahlungssystem auf der Grundlage von Blockchain und digitalen Währungen, führt der Artikel weiter aus. Das Projekt für ein solches System sei kürzlich auf dem 1. Eurasischen Wirtschaftsforum in Bischkek vorgestellt worden.

Der nächste große Schritt sei die Aufstellung der Tagesordnung für die entscheidende Sitzung des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates am 14. Dezember in Moskau. Putin, so der Autor, „wird dabei sein – persönlich. Und es gibt nichts, was er lieber täte, als eine bahnbrechende Ankündigung zu machen“.

Berichten zufolge hat Putin an der Konferenz teilgenommen auch wenn davon zunächst am 15. Dezember nichts auf der Seite des Präsidenten zu finden war (11). In einem Tass-Bericht wird als herausragendes Ereignis die Aufnahme des Iran in einen Freihandelsvertrag berichtet. (10) Über einen Durchbruch in der Frage eines gemeinsamen Zahlungssystems wurde nicht berichtet.

Langsam aber sicher zeichne sich das große Bild einer unwiederbringlich zerrissenen Welt mit einem dualen Handels-/Zirkulationssystem ab, meint Escobar: Das eine werde sich um die Überreste des Dollarsystems drehen, das andere auf der Grundlage der Vereinigung von BRICS, EAEU und SCO aufgebaut.

„Möge der Bruch andauern, da ein neues internationales Zahlungssystem – und dann eine neue Währung – darauf abzielen wird, das westlich geprägte Zeitalter der Plünderung endgültig zu beenden.“ (3)

Beim Ukraine-Krieg geht es nicht um die Ukraine, das weiß jeder, der sich nur etwas mit Politik beschäftigt. Es ist der Stellvertreterkrieg zwischen der aggressiven westlichen imperialen Politik des Unterwerfens, gegen die Herausforderung durch ein multipolares Szenario. Indien spielt in dieser multipolaren Welt eine sehr große Rolle. Weshalb der Druck der US-Politik auf das Land immer größer wird. Unter diesem Aspekt müssen auch die wieder aufflammenden Grenzstreitigkeiten zwischen Indien und China gesehen werden, die von beiden Regierungen heruntergespielt werden.

Die Eskalation des Ukraine-Kriegs aus indischer Sicht

Der Ukraine-Krieg, erklärt der Autor Bhadrakumar, (4) war als Falle für Russland geplant. Kein Geringerer als der Russland-Beauftragte der Regierung Bill Clinton, Strobe Talbot, habe Anfang des Jahres, als Russlands militärische Sondereinsätze begannen, getwittert, dass er dem außenpolitischen Team von Präsident Biden – Victoria Nuland, Antony Blinken und Jake Sullivan – dazu gratulierte, Russland erfolgreich in die Enge getrieben zu haben.

Talbot habe es nicht als Falle bezeichnet. Denn eine Falle sei nur dann eine Falle, wenn man nichts von ihr weiß; wenn man sie hingegen kennt, sei es eine Herausforderung. Russland, so der Autor, wusste bereits 2014, dass die USA und ihre europäischen Verbündeten – Frankreich, Deutschland und Polen – eine Herausforderung für seine Sicherheitsinteressen in der Ukraine darstellten. Die Annexion der Krim sei die instinktive Reaktion Russlands gewesen.

Talbot habe sich aber geirrt, weil die USA und ihre Verbündeten Russland unterschätzten, die Falle überschätzten und die Tatsache unterschätzten, dass sie sich selbst überschätzten.

Bhadrakumar  erinnert dann an das so genannte Abkommen zur Beilegung der politischen Krise in der Ukraine, das am 21. Februar 2014 vom damaligen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch und den Führern der parlamentarischen Opposition unter Vermittlung der Europäischen Union und Russlands unterzeichnet wurde. Damals wurde es von den Außenministern Deutschlands und Polens sowie einem Beamten des französischen Außenministeriums als Garanten formell bezeugt, während der russische Sonderbeauftragte, obwohl er an den Verhandlungen teilnahm, sich weigerte, seine Unterschrift unter das Dokument zu setzen.

Moskau sei sich über die Absichten der drei westlichen “Garanten” im Unklaren gewesen. Sicher sei, dass sich innerhalb der nächsten 24 Stunden der Boden unter den Füßen in Kiew nach der Machtübernahme durch die bewaffneten Demonstranten, die von den westlichen Geheimdiensten unterstützt wurden, dramatisch verschoben hatte.

„Bis heute haben sich die drei ‚Garanten‘ nicht darum gekümmert, ihre seltsame Duldung zu erklären.“  (4)

Es sei bekannt, dass die derzeitige US-Unterstaatssekretärin für politische Angelegenheiten, Victoria Nuland, den Übergang in Kiew im Februar eingefädelt und sogar den Nachfolger von Janukowitsch ernannt habe. All dies werde heute relevant, da die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Reihe von Interviews mit dem Spiegel und der Zeit kürzlich zugab, dass das anschließende Minsker Abkommen von 2014 zur Lösung der Situation im Donbass selbst nur

“ein Versuch war, der Ukraine Zeit zu verschaffen. Die Ukraine hat diese Zeit genutzt, um stärker zu werden, wie man heute sehen kann. Die Ukraine in den Jahren 2014-2015 und die Ukraine heute sind nicht dasselbe.”

Merkel fügte hinzu, es sei “für alle klar” gewesen, dass der Konflikt ausgesetzt und das Problem nicht gelöst sei, “aber genau das hat der Ukraine die unbezahlbare Zeit verschafft.” In der Tat sei das Minsker Abkommen als Zwischenstation gedacht gewesen, als die USA die Agenda verfolgten, die NATO einzuführen und die militärischen Fähigkeiten der Ukraine auszubauen, um es schließlich mit Russland aufzunehmen.

Zwar hatte ich schon am Tag nach der Vereinbarung von Minsk2 den Vertrag einen „Bauernstadel“ (13) genannt, weil die angelsächsischen Staaten schon am gleichen Tag gegen ihn verstießen und Kiew ganz offensichtlich keine Absicht zeigte, ihn zu erfüllen, aber dieses Geständnis von Merkel hat mich doch überrascht. Zeigt es doch dem Rest der Welt, was von Verträgen mit Vasallen der USA zu halten ist.

Präsident Putin, so der Artikel weiter, habe wiederholt darauf hingewiesen, dass Russland keine andere Wahl hatte, als zu reagieren, als sich die “Mission Creep” der USA und der NATO auf seine westlichen Grenzen zubewegte. Dies sei auch der Grund, warum Russland es sich nicht leisten könne, eine antirussische Ukraine als Nachbarn zu haben. Wenn der Stellvertreterkrieg weitergehe, werde Russland die Ukraine auf einen Rumpfstaat reduzieren.

Und das sei der Punkt, an dem es Ärger, großen Ärger, geben werde. Es sei offensichtlich, dass polnische nationalistische Elemente, die sich in einem Tiefschlaf befanden, aufwachen und darüber nachdenken, wie sie ihre so genannten historischen Gebiete zurückerhalten können, jene Gebiete, die ihnen Josef Stalin nach dem Zweiten Weltkrieg weggenommen und mit der Sowjetukraine zusammengelegt hat.

Auf der anderen Seite mache sich auch in Deutschland Revanchismus bemerkbar. Bundeskanzler Olaf Scholz habe letzte Woche einen Essay in Foreign Affairs veröffentlicht, in dem er die neue “Mentalität” in Berlin – wie er es ausdrückte – vor dem Hintergrund der “epochalen tektonischen Verschiebung” hin zu “dieser neuen multipolaren Welt, [in der] verschiedene Länder und Regierungsmodelle um Macht und Einfluss konkurrieren”, hervorhob.

Deutschland spüre, dass seine Stunde gekommen sei, um in Mitteleuropa wieder die Führung zu übernehmen. Die preußische Vision von Mitteleuropa sei ein pangermanistisches staatszentriertes Imperium, eine Idee, gewesen, die später in abgewandelter Form von nationalsozialistischen Geopolitikern übernommen wurde. Der Mitteleuropa-Plan ziele auf eine wirtschaftliche und kulturelle Hegemonie über Mitteleuropa, und die anschließende wirtschaftliche und finanzielle Ausbeutung dieser Region ab, indem Marionettenstaaten als Puffer zwischen Deutschland und Russland geschaffen wurden.

Scholz, so Bhadrakumar  weiter, behauptet in seinem Essay, dass Deutschland auf dem Weg der Militarisierung sei, seine Hemmungen aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ablege, Waffenexporte fördert und hoffe,

“einer der Hauptanbieter von Sicherheit in Europa zu sein… und unsere militärische Präsenz an der Ostflanke der NATO zu verstärken.”

Es sei klar, dass es in der Westukraine nicht genug Platz für Polen und Deutschland geben werde. Während sich die ukrainischen Nationalisten gegen den polnischen Revanchismus wehren würden, sähen sie Deutschland als Gegengewicht zu Polen an. Es sei nützlich, sich daran zu erinnern, dass die Geschichte der Schwarzmeerdeutschen mehr als 200 Jahre alt ist. (7)

„Scholz hat eine Büchse der Pandora geöffnet. Die Gespenster der deutschen Geschichte kehren zurück – und die tiefe Frage der europäischen Geschichte: Wo sind die Grenzen Deutschlands?“ (4)

Ein selbstbewusstes Deutschland werde Westeuropa, insbesondere Frankreich und Italien, mit Sicherheit beunruhigen. Italien distanziere sich von der russophoben Erzählung in Europa. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron habe gesagt, der Westen solle sich überlegen, wie er Russlands Bedarf an Sicherheitsgarantien befriedigen könne.

Fazit

Deutschlands Größenwahn, und der Versuch als bester Vasall des Imperiums Fleißsternchen zu bekommen, und die größten Brocken, die  vom Tisch fallen, zu erhaschen, hat sich also bis Indien herumgesprochen. Aber er wird wohl niemanden wirklich beeindrucken, weil durch die Vernichtung der mittelständischen Industrie und Vertreibung von vielen Menschen, nicht viel übrig bleiben wird, mit dem die Politik noch protzen kann. Eigene Kreativität und Ideen werden es sicher nicht sein. Abgesehen davon hat Bundeskanzler Scholz ganz offensichtlich nicht begriffen, dass echte Multipolarität nicht auf Militarismus, sondern Diplomatie und gegenseitiger Rücksichtnahme basiert.

Quellen und Hinweise:

(1) https://uncutnews.ch/xi-jinpings-besuch-in-saudi-arabien-und-der-umsturz-des-atlantizismus-und-eine-zusammenfassung-der-wichtigsten-vereinbarungen/ Matthew Ehret

(2) https://www.indianpunchline.com/us-internationalises-irans-unrest/ K. BHADRAKUMAR

(3) https://thecradle.co/Article/Columns/18975 Pepe Escobar

(4) https://www.indianpunchline.com/italy-distances-from-cancellation-of-russia/ K. BHADRAKUMAR

(5) Der Irak und der Iran, so der Autor weiter, befinden sich in der Endphase des Baus der lang erwarteten Shalamcheh-Basra-Eisenbahn, welche die beiden Länder zum ersten Mal seit Jahrzehnten auf der Schiene verbinden soll und „gleichzeitig eine potenzielle Erweiterung der bereits bestehenden 1500 km langen Eisenbahnstrecke durch den Irak bis zur syrischen Grenze darstellt“.

Ehre meint, dass das Klima für die Zusammenarbeit  durch die Präsenz der chinesischen Wirtschaftsdiplomatie ermöglicht sei. Diese habe mit dem Iran ein Energie- und Sicherheitsabkommen mit einer Laufzeit von 25 Jahren und einem Volumen von 400 Mrd. USD abgeschlossen. Ebenso wichtig sei aber die Beziehung zu Russland, dessen ähnliches, aber kleineres, zwanzigjähriges Abkommen mit Teheran im Umfang von 25 Mrd. USD „in den kommenden Jahren leicht auf 40 Mrd. USD an russischen Investitionen in die riesigen Erdöl- und Erdgasfelder des Iran anwachsen könnte“.

Die Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Russland und der OPEC+ hätten in diesem Sommer ihre Stärke unter Beweis gestellt, als Riad nicht dem Willen Washingtons folgte, indem es nicht nur die Forderung nach einer Erhöhung der Ölproduktion ablehnte, sondern sogar die gemeinschaftliche Ölproduktion drosselte, was die Weltmarktpreise für Öl stabilisierte. „Saudi-Arabien profitierte davon, indem es seine Einfuhren von verbilligtem russischem Öl erheblich steigerte, das dann an ein verzweifeltes Europa verkauft wurde.“

Darüber hinaus habe Saudi-Arabien mit seinen Plänen, BRICS+ (neben der Türkei, Ägypten und Algerien), beizutreten, sowie mit seinem Beitritt zur Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) als vollwertiger Dialogpartner, sein Schicksal immer stärker in die wachsende Multipolare Allianz eingebunden. Während ja, das möchte man hinzufügen, es so scheint, als ob der deutsche Bundeskanzler der Multipolarität den Krieg erklärt habe.

„Mit dem gestiegenen Potenzial für Stabilität und die Harmonisierung von Interessen über verschiedene Machtblöcke hinweg bietet sich chinesischen Investoren, die das konfliktreiche Westasien lange Zeit mit berechtigtem Misstrauen betrachteten, endlich eine Atmosphäre, die langfristigen Wirtschaftsinvestitionen förderlich ist.“ (1)

(6) „Die ‘Vordenker‘ des Imperiums haben eines nie kommen sehen: eine strategische Partnerschaft zwischen Russland und Iran, die nicht nur geoökonomisch absolut sinnvoll ist, sondern auch ein Multiplikator für militärische Kräfte geworden ist. Außerdem ist dies Teil des sich abzeichnenden großen Ganzen, auf das sich die erweiterten BRICS+ konzentrieren: die Integration Eurasiens – und noch mehr – durch multimodale Wirtschaftskorridore, Pipelines und Hochgeschwindigkeitszüge.“ (https://cooptv.wordpress.com/2022/12/12/die-usa-sind-durch-die-strategischen-manover-der-islamischen-republik-iran-wie-gelahmt-von-pablo-escobar-resumenlatinoamericano-org/) Pablo Escobar

(7) Die gemeinhin als “Deutsche aus Odessa und vom Schwarzen Meer” bezeichnete Gruppe von Siedlern waren Einwanderer aus West- und Süddeutschland, die auf die von Katharina der Großen und Zar Alexander I. ausgesprochenen Einladungen zur Kolonisierung großer Gebiete Russlands hin auswanderten.

(8) Diese EAEU-BRICS-Union sei lange im Entstehen begriffen gewesen – und werde nun auch einen weiteren geoökonomischen Zusammenschluss mit den Mitgliedsstaaten der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) vorbereiten. Die EAEU wurde 2015 als Zollunion von Russland, Kasachstan und Weißrussland gegründet und ein Jahr später durch Armenien und Kirgisistan ergänzt. Vietnam sei bereits ein Freihandelspartner der EAEU, und auch das kürzlich aufgenommene SCO-Mitglied Iran stehe kurz vor der Teilnahme. (3)

(9) Diese Tatsache wird noch ausführlicher in diesem Beitrag detailliert nachgewiesen: https://voiceofeast.net/2022/12/12/heres-why-the-latest-unrest-in-iran-is-actually-a-us-backed-hybrid-war/

(10) https://tass.com/economy/1550421

(11) http://www.en.special.kremlin.ru/events/president/news (Stand am 15.12. 15:00 Uhr) Allerdings gibt es einen Facebook-Eintrag zu einer Videokonferenz. https://www.facebook.com/watch/live/?ref=watch_permalink&v=1688489431531504

(12) In einer Rede in Rom habe Malley erklärt: “Je mehr der Iran unterdrückt, desto mehr Sanktionen wird es geben; je mehr Sanktionen es gibt, desto mehr fühlt sich der Iran isoliert. Je isolierter er sich fühlt, desto mehr wendet er sich an Russland; je mehr er sich an Russland wendet, desto mehr Sanktionen wird es geben, desto mehr verschlechtert sich das Klima, desto unwahrscheinlicher wird eine Atomdiplomatie. Es stimmt also, dass sich die Teufelskreise im Moment selbst verstärken.”

(13) https://jomenschenfreund.blogspot.com/2015/02/bauernstadel-in-minsk.html

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle: shutterstock / Alex_Po

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Kommentare (4)

4 Kommentare zu: “Sicht aus dem „Globalen Süden“ | Von Jochen Mitschka

  1. Kiristal sagt:

    So finden wir uns selbst schnell wieder. Wie das andere handhaben ist ihre Sache.

  2. Abschaffung des Bargeldes = mitunter vielleicht faktische Umsatzsteuererhöhung um bis zu 3%:

    Ziel vieler Herrscher ist die Abschaffung des Bargeldes. Dies könnte u.a. für den Bürger den Nachteil haben, dass dadurch möglicherweise mitunter auf den Bürger große Kosten zukommen könnten, da dann Unternehmen, die dem Bürger eine Sache oder eine Dienstleistung verkaufen, möglicherweise mitunter bis zu 3% des Kaufumsatzes an einige Banken oder Kreditkartenfirmen bezahlen müssten und gegebenenfalls diese Kosten wohl oft auf den Bürger abwälzen würden.

    Dieser potentielle Nachteil wird leider nur selten erwähnt. Mit ihm könnte man vielleicht die vielen Menschen, denen bisher eine Abschaffung des Bargeldes egal wäre, davon überzeugen, dass es nicht egal ist.

    • Querdenker sagt:

      "Dies könnte u.a. für den Bürger den Nachteil haben, dass dadurch möglicherweise mitunter auf den Bürger große Kosten zukommen …"

      Ach %-/

  3. Zivilist sagt:

    Warum nur wird die Erde immer so abgewickelt, daß die westeuropäische Halbinsel oben halbwegs in der Mitte zu liegen kommt, am Ende glauben die Menschen noch, daß es wirklich so sei ?!

    Die Macht um Acht hab ich in dieser Hinsicht auch schon zu mehr Abwechslung aufgefordert.

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