Paul Watson: 007 war ihm nicht gut genug

Ein Meinungsbeitrag von Dirk C. Fleck.

Ich bin ihm begegnet, vor zwanzig Jahren etwa. Damals hatte Captain Paul Watson mit der Sea Shepherd für zwei Tage an den Landungsbrücken festgemacht. Als er auf dem Schiff zur Pressekonferenz bat, war Hamburgs Journaille vollständig angetreten, um dem berüchtigten Ökokrieger zu lauschen. Die von ihm mitbegründete Sea Shepherd Conservation Society*, so Watson vor den Pressevertreten, sei für ihn eine konservative Organisation.

»Unser Anliegen ist es, zu schützen und zu erhalten. Die Terroristen der Welt sind jene, die aus reiner Gier unsere Ozeane, unsere Wälder, unsere Flora und Fauna und mithin unsere Freiheit zerstören.«

Die Damen und Herren von Abendblatt, Bild, Morgenpost, Stern, Spiegel, dem Fernsehteam des NDR – sie alle entblödeten sich nicht, den Mann hinterher mit Fragen zu löchern, für die sie sich eigentlich hätten schämen müssen. Die meisten der Anwesenden wollten wissen, ob er bei seinen Rammaktionen gegen marodierende Walfangschiffe keine Skrupel habe, Menschenleben zu gefährden, ob nicht er der wahre Terrorist sei.

Paul Watson reagierte mit stoischer Ruhe auf die moralischen Keulenhiebe, die ihm verbal um die Ohren gehauen wurden, aber er antwortete nicht. Er hatte zuvor seine Motivation deutlich zum Ausdruck gebracht, das musste reichen.

Endlich gaben die Wadenbeißer aus den Redaktionsstuben auf. Captain Watson entließ sie mit Worten, die mir nicht aus dem Kopf gehen wollen:

»Ist Ihnen nicht klar, dass Sea Shepherd keine Organisation ist, sondern eine Bewegung. Eine Bewegung engagierter Menschen aus aller Welt. Man kann sie nicht aufhalten. Ich vertrete die Menschen, die noch nicht geboren sind und die mit Verachtung auf unsere Generation zurückblicken werden.«

Ich blieb sitzen, bis auch der letzte meiner Kollegen von Bord gegangen war. Draußen die vom Wind zerrissenen Lautsprecherdurchsagen der vorbeiziehenden Barkassen, mit denen die Touristen auf die Sea Shepherd aufmerksam gemacht wurden. Captain Paul Watson und ich saßen uns schweigend gegenüber. Er sah mich mit verschränkten Armen an, sein Blick war milde; der Bannstrahl hatte mich jedenfalls nicht getroffen. Irgendwann, es kam mir wie eine zitternde Ewigkeit vor, erhob ich mich und ging wie ferngesteuert auf ihn zu, um ihm die Hand zu schütteln. Der Druck seiner Pranke war beachtlich. Wir nickten einander zu, während jemand eine Kamera aufs Stativ setzte und ihn für ein Interview ins rechte Licht setzte.

Time Magazin ernannte Paul Watson im Jahr 2000 zum »Helden des zwanzigsten Jahrhunderts«. Die britische Zeitung The Independent zählte ihn unter den »Verteidigern der Erde« zu den zehn wichtigsten Ökokriegern und The Guardian wählte den Captain zu jenen fünfzig Menschen, die den Planeten retten könnten (»50 people who could save the planet«).

Ein kurzer Blick auf die Biografie dieses Mannes: Anfang der 1970er-Jahre stieß Watson zur Friedensbewegung Don’t Make a Wave Committee. Die Gruppe wollte einen amerikanischen Atombombentest vor der Aleuteninsel Amchitka verhindern. Paul Watson hatte genug seemännische Erfahrung und übernahm sein erstes Umweltkommando auf einem Schiff. Den Atombombentest konnte die Gruppe nicht verhindern. Die Aktion allerdings hatte weitreichende Folgen, denn unmittelbar darauf wurde Greenpeace gegründet. Watsons Mitgliedsnummer bei Greenpeace: 007!

Im Juni 1975 positionierten sich Paul Watson und Greenpeace-Gründer Dr. Robert Hunter (Mitgliedsnummer 000) in einem Schlauchboot zwischen einem sowjetischen Walfangschiff und einer Gruppe Pottwale. Retten konnten sie keines der Tiere, aber für Watson stand nun fest, dass er sein Leben dem Schutz der Wale widmen würde. Wenn es sein musste, mit Gewalt. Hier war für Greenpeace das Ende der Fahnenstange erreicht. Die Umweltschutzorganisation lehnte eine weitere Zusammenarbeit mit ihm ab. Watson hat sich nie darüber beklagt, Greenpeace war ihm ohnehin zu moderat, zu bürokratisch und zu harmlos – Eigenschaften, die einem im Kriegsdienst, und als solchen verstand er sein Engagement, eher im Wege standen.

Nach der Trennung von Greenpeace gründete Watson die Sea Shepherd Conservation Society. Im Gegensatz zu anderen Umweltschützern griff der Captain zu aggressiven Mitteln. Unter anderem rammte er Walfänger und Schiffe illegal fischender Fangflotten, die er mit ungiftiger, jedoch sehr geruchsintensiver Buttersäure »beschoss«. Sie sollten den Verzehr des Fangs ungenießbar machen und damit dessen kommerzielle Verwertung verhindern.

»Wir versuchen Gesetze durchzusetzen, um die sich sonst niemand kümmert«,

betont Watson immer wieder. Er beruft sich auf die von der UN formulierte Weltcharta für die Natur, die auch Privatpersonen dazu berechtigt, im Namen der internationalen Schutzgesetze zu handeln und diese durchzusetzen.

Die Ozeane stellen neunzig Prozent des Lebensraumes auf der Erde. In ihnen leben über zehn Millionen Arten, von winzig kleinen Bakterien bis hin zu gigantischen Säugetieren. Das Artensterben im Meer aber ist beträchtlich, es verläuft doppelt so schnell wie an Land. »Sea Shepherd stellt sich diesen Missständen entgegen«, heißt es auf der Website sea-shepherd.de.

»Als einzige Meeresschutzorganisation der Welt gehen wir mit einer eigenen Flotte gegen illegale Handlungen vor und wenden innovative Taktiken an.«

Diese innovativen Taktiken haben Watson ein ums andere Mal in Schwierigkeiten gebracht, manchmal war das sogar beabsichtigt. Nachdem die Sea Shepherd Conservation Society in einem isländischen Hafen zwei Walfangschiffe versenkt hatte, flog Paul Watson nach Reykjavik, um die isländische Regierung zu zwingen, ihm den Prozess zu machen – aus propagandistischen Gründen. Diese weigerte sich jedoch und verwies ihn des Landes. Festgenommen, angeklagt und inhaftiert worden war Paul Watson fast überall auf der Welt: unter anderem in Kanada, Norwegen, Japan, Costa Rica.

Nein, dem Haftbefehl aus Costa Rica konnte er entgehen – bis die Deutschen zugriffen. Am 13. Mai 2012 wurde er aufgrund eines Festnahmebegehrens aus Costa Rica am Flughafen Frankfurt/ Main verhaftet. Während der Dreharbeiten zu dem Film »Sharkwater – Wenn Haie sterben« hatte der Captain vor der Küste Costa Ricas ein Schiff mit der Wasserkanone angegriffen. Das geht gar nicht, meinten die Deutschen und leisteten pflichtbewusst Amtshilfe. Am 18. Mai wurde Watson gegen Zahlung einer Kaution von zweihundertfünfzigtausend Euro freigelassen. Bis zum Abschluss des Auslieferungsverfahrens durfte er Deutschland nicht verlassen. Mittlerweile lag ein weiteres Auslieferungsgesuch aus Japan vor, was der Captain nach eigenen Angaben von einem Unterstützer aus dem deutschen Innenministerium gesteckt bekam. Beim nächsten Meldetermin auf einer Polizeiwache sollte er festgenommen und nach Japan ausgeliefert werden. So konnte er gerade noch rechtzeitig aus unserem Land fliehen.

Wenn ich an Paul Watson denke, fällt mir ein Spruch von Muhammad Ali ein: »A man who stands for nothing, will fall for anything.« Der Captain weiß, wofür er steht:

»Wir sind Piraten voller Mitgefühl auf der Jagd nach den Piraten des Profits.«

Dass ein solcher letztlich immer zum Einzelkämpfer mutiert, hat der Aufsichtsrat diverser Sea-Shepherd-Organisationen wieder einmal bewiesen, als er die Zusammenarbeit mit Paul Watson aufkündigte und ihm untersagte, das Logo von Sea Shepherd weiterhin zu benutzen. Man wolle die Kampagnen in Zukunft weniger »konfrontativ« gestalten, die Schiffsflotte verkleinern und die Wissenschaft mehr unterstützen.

Dann mal zu. Aber seid euch bewusst, dass die offensive Verteidigungsstrategie von Captain Paul Watson das Beste war, was den Ozeanen und den Meeresbewohnern, insbesondere den Walen, Haien und Schildkröten geschehen konnte.

Unter der 2018 erschienenen Dokumentation »Sea Shepherd – Verfolgungsjagd auf hoher See« (auf YouTube nicht mehr verfügbar) schrieb jemand folgenden zutreffenden Kommentar:

»Ich fasse nicht, wie mutig die Crew von Sea Shepherd ist! Sie riskieren einfach ihr Leben für uns. Dafür seine Dankbarkeit auszudrücken ist schier unmöglich!«

* Die Sea Shepherd Conservation Society, ist eine Umweltschutzorganisation mit Sitz in Friday Harbor, Washington, die sich dem Schutz der Meere, dem Kampf gegen illegale Fischerei, das Töten von Meeressäugern, Schildkröten und Wildlachs sowie der Bekämpfung der Meeresverschmutzung verschrieben hat.

Aus meinem Buch HEROES – Mut, Rückgrat, Visionen

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Dirk C. Fleck ist ein deutscher Journalist und Buchautor. Er wurde zweimal mit dem Deutschen Science-Fiction-Preis ausgezeichnet. Sein Roman “Go! Die Ökodiktatur” ist eine beklemmend dystoptische Zukunftsvision. 2023 erschien sein aktuelles Buch „HEROES. Mut, Rückgrat, Visionen“.

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle: Mathias Berlin / Shutterstock.com

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Kommentare (1)

Ein Kommentar zu: “Paul Watson: 007 war ihm nicht gut genug

  1. Wow – Paul Watson ist meines Erachtens (m.E.) völlig zurecht Teil des Buches „HEROES. Mut, Rückgrat, Visionen“ – muss ich mir vielleicht doch zulegen!
    Das Vorgehen von Paul Watson ist die einzige Sprache die ein "demokratisches" und (dennoch) profitorientiertes System versteht.
    Wenn hunderte von Millionen/Milliarden Menschen auf der Erde Paul Watsons Anliegen öffentlichkeitswirksam/lautstark und friedlich unterstützen würden – was sie im Stillen m.E. sicherlich tun (sofern sie ihn kennen) – müsste das System aufgeben und es wären gar keine waghalsigen Aktionen insbesondere auf hoher See notwendig!

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