Kalte Arktis – Heißer Kriegsschauplatz für US/NATO/EU?

Ein Meinungsbeitrag von Rainer Rupp.

Die Supermächte China und USA zeigen wachsendes Interesse in der Arktis und dort in der sogenannten “Northern Sea Route” (“Nördliche Seeroute“). Chinas Focus liegt vor allem in den Aussichten, dass die Nutzung dieses Seewegs den Schifftransport nach Europa erheblich verkürzen und billiger machen wird. 

Das US-amerikanische Interesse als mächtigste Seemacht der Welt liegt dagegen wie üblich in dem zwanghaften Bedürfnis, jede wichtige Wasserstraße militärisch zu dominieren. Zugleich ist der westliche, europäische Teil des neuen Seewegs für das Pentagon von besonderer Bedeutung, würde es doch Washington erlauben, im Fall einer Krise den chinesisch europäischen Handel abzuschneiden. 

Die Nördliche Seeroute (NSR), die die Ostsee mit dem Beringmeer durch die ausgedehnte russische Arktis verbindet, ist dafür bekannt, dass sie in eisfreien Zeiten eine schnellere Schifffahrt ermöglicht, was das Interesse verschiedener globaler Akteure weckt. Eine Reise von Dalian (China) nach Rotterdam (Niederlande) über die NSR dauert etwa 33 Tage, im Gegensatz zu 48 Tagen über den Suezkanal. Die potenzielle Zeit- und Geldersparnis erklärt, warum China und andere Länder die NSR und ihr Potenzial für die globale Schifffahrt genau beobachten. 

Analysten erwarten, bzw. hoffen, dass der Nördliche Seeweg bis 2050 das ganze Jahr komplett “eisfrei” sein wird. Weitgegend war das bereits im Jahr 2020 der Fall, wie Iwan Fedjuschin, Zweiter Offizier an Bord eines Groß-Segelschiffs nach einer Reise zwischen Wladiwostok und Kaliningrad berichtete: Die früher vorherrschenden Eisfelder in der Beringsee, der Tschukotka-See und der Ostsibirischen See waren verschwunden. Dieses schwindende Eis ist ein deutlicher Hinweis auf eine tiefgreifende Veränderung der Zugänglichkeit der Arktis für alle Arten von Schiffen und bietet vor allem Russland und China einen entscheidenden Vorteil für die Schifffahrt. 

Die Verlängerung der eisfreien Zeit erhöht das potenzielle Frachtvolumen. Zugleich erlaubt eine dünnere Eischicht russischen Eisbrecher, den Weg für Schiffkonvois freizumachen 

Chinas wachsendes Engagement in die NSR wird durch das „Weißbuch 2018“ zur Arktis und den 14. Fünfjahresplan der Volksrepublik belegt. Darin wird Chinas Engagement für die Zusammenarbeit in der Polarregion betont, wobei die NSR “Polare Seidenstraße” bezeichnet wird, die Teil der so genannten „Seidenstrasse“ ist. Sie zielt darauf ab, neue Seewege durch den Arktischen Ozean zu schaffen, das Potenzial der Region für globale Handelsverbindungen zu erschließen und die Erforschung der Arktis zu fördern.

Russland hat dieses Interesse begrüßt, und Präsident Wladimir Putin sagte 2017, dass “die Seidenstraße den Norden erreicht hat”. Putin fügte hinzu, dass Russland die Nördliche Seeroute mit chinesischen Projekten kombinieren werde. Im Jahr 2019 führte ein Team chinesischer Forscher der Chinesischen Akademie der Wissenschaften und der Universität Fuzhou eine Studie durch, um herauszufinden, welche russischen Häfen das größte Potenzial für den chinesischen Zugang zur strategischen Nördlichen Seeroute haben.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass ab 2019 die Zahl der Transitfahrten auf der Nördlichen Seeroute von 27 im Jahr 2018 auf 62 im Jahr 2020 angestiegen ist und das Transportvolumen sich vervielfacht hat, z.B. von 18 Millionen Tonnen 2018 auf über 30 Millionen Tonnen im Jahr 2021.

In Peking wird die Nördliche Seeroute auch aus geo-strategischen Gründen hoch eingestuft, denn sie bietet eine praktikable Alternative zu einigen strategischen Problemen auf Chinas traditionellen Seewegen, die immer durch Engpässe wie den Suezkanal oder die Straße von Malakka oder das Südchinesische Meer führen, die vom US-Militär als „Würgepunkte“ bezeichnet werden.

So stellt z.B. Chinas übermäßige Abhängigkeit von der vitalen Energietransporten durch die Straße von Malakka ein großes Problem dar, da Hindernis für Chinas Handelsnetze dar, da diese Meerenge leicht von den USA blockiert werden könnte. Präsident Hu Jintao hat im Jahr 2003 den Begriff „Malakka-Dilemma“ geprägter, womit die Anfälligkeit Chinas für eine Seeblockade aufgrund begrenzter alternativer Routen und der möglichen Kontrolle durch externe Mächte bezeichnet wird. 

Die Diversifizierung seiner Öl- und Erdgasversorgung über die Nördliche Seeroute würde Chinas strategische Verwundbarkeit in Form des “Malakka-Dilemma” erheblich verringern. Tatsächlich hat sich der Export von Energie- und anderen Rohstoffen aus west-sibirischen Häfen nach China in den letzten Jahren rasant entwickelt.

Vor nunmehr neun Monaten berichteten Bloomberg und viele andere westlichen Wirtschaftsmedien, dass „Russland über die Arktische Route Öl nach China verschifft. Weiter erklärte die Zeitung, dass „die nördliche Seeroute die Transportzeiten für Asiens größte Volkswirtschaft um 30 % verkürzt.“ Moskau wolle angesichts der westlichen Sanktionen die Nutzung des Nördlichen Seewegs ausweiten. 

Das anti-russische EU-Embargo für die Ausfuhr von Rohöl auf dem Seeweg, begleitet von EU-gesetzten Preisobergrenzen für Öl und Erdölerzeugnisse aus Russland, hat in der Tat zu einer Umstrukturierung der weltweiten Lieferwege für Rohöl geführt. Letztes Jahr hatte Moskau innerhalb weniger Monate den Großteil seiner Ölströme, die früher in die EU gingen, erfolgreich auf die asiatischen Märkte umgeleitet. Auf Grund des allgemeinen Mangels haben sich dann westliche und vor allen Einkäufer aus EU-Ländern vor allem aus Indien und China zu weit überhöhen Preisen mit Russischem Öl eingedeckt.

Derweil tut der brandgefährliche US-Möchtegern Weltherrscher in Washington alles, um die chinesische Strategie, die Nördliche Seeroute als Alternative zum Malakka-Dilemma zu entwickeln, mit Hilfe des NATO-Mitglieds Norwegen zu konterkarieren: 

„Die USA eröffnen 12 Militärstützpunkte in Norwegen, um Russland in der Arktis zu konfrontieren“,

titelte letzten Monat der „Barents Observer“. Das Hauptziel der Amerikaner sei, Russlands Nördliche Seeroute und die russischen Ansprüche auf Energieressourcen in der russischen Arktis anzufechten.

Der Barents Observer scheint allerdings hier zu kurz zu greifen, denn er erkennt nicht, dass dieser Schritt eigentlich gegen China gerichtet ist, und einen Versuch Washingtons darstellt, auf die NSR militärisch zu dominieren und Pekings Versuch zu torpedieren, eine Alternative zum Malakka-Dilemma aufzubauen.

Zugleich muss in dem US-Schritt, 12 neue Militärbasen im Norden Norwegens zu bauen, auch der Versuch gesehen werden, Russland die Nutzungsrechte beim Abbaus der Unter Wasser-Rohstolle in den der russischen Arktic-Küste vorgelagerten Gebieten streitig zu machen, an denen auch die Chinesen in Kooperation mit Moskau interessiert sind.

Allerdings sollte hier daran erinnert werden, dass die USA das UN-Seerechtsübereinkommen nicht ratifiziert haben. Zugleich kennen die russischen oder kanadischen Ansprüche auf die Arktis nicht an. Die USA betrachten dies als “internationale Gewässer”, die eigentlich ihnen gehören müssten und in denen sie die “Freiheit der Seefahrt” ausüben wollen.

Bei den 12 neuen US-Basen in Nord-Norwegen gab es jedoch anfangs ein Problem. Oslo hat nämlich eine Politik, die keine ausländischen Stützpunkte auf seinem Boden zulässt. Aber US-Amerikaner wären keine Amerikaner, wenn sie solche Lappalien nicht mit ein paar juristischen Taschenspielertricks lösen könnten. 

Diese Probleme wurden gelöst, indem die US-Militärstützpunkte als sogenannte “designierte Gebiete” bezeichnet wurden, d.h.: Norwegen überträgt dem US-Militär die souveräne Kontrolle über Gebiete, die nicht unter die Rechtshoheit der USA fallen, die aber nicht als Militärbasen bezeichnet werden dürfen. Das ist so, als würde man Folter als “fortgeschrittene Verhörtechniken” bezeichnen, um die Folter zu legalisieren.

Während des Kalten Krieges verfolgte Norwegen die Politik gut nachbarschaftlicher Beziehungen zu den Russen, um zugleich den Amerikanern ein getreuer Verbündeter zu sein. Dieses Gleichgewicht bedeutete, dass Norwegen zur zwar Teil der NATO war, aber keine ausländischen Truppen in den hohen Norden einlud oder ausländische Militärstützpunkte aufnahmen, da dies für die Russen eine Provokation gewesen wäre und eine Reaktion ausgelöst hätte.

Diese Politik ist nun vorbei. In der Tradition des schrittweisen Vorgehens der NATO ließ Norwegen zunächst amerikanische Truppen auf Rotationsbasis in Norwegen stationieren, um den Eindruck zu erwecken, dass sie nicht permanent stationiert sind und somit nicht gegen die norwegische Politik des Verbots ausländischer Stützpunkte verstoßen. Im Jahr 2021 einigten sich Norwegen und die USA auf einige wenige Militärstützpunkte, nannten sie jedoch “spezielle Bereiche”. Sie versicherten der Öffentlichkeit, dass die neuen Stützpunkte, die keine waren, nicht gegen Russland gerichtet seien. 

Jetzt habe man jedoch jede Vorsicht fallen gelassen und Washington mache „aus seinen wahren Absichten keinen Hehl mehr“, bemerkte jüngst der norwegische Politologe Professor Glen Diesen. Er führte weiter aus: 

“Wir haben 2019 in den norwegischen Medien davor gewarnt, dass wir in einen amerikanischen Frontstaat in der Arktis, in eine arktische Ukraine, verwandelt werden. Dies wurde als pro-russisches Gerede abgetan, da die USA scheinbar kein anderes Interesse an der Arktis haben, als Norwegen kostenlosen Schutz zu bieten.“

Weiter erklärt Prof Diesen: 

„Norwegens Interesse ist es, Frieden und Stabilität an der russischen Grenze zu erhalten, während die USA versuchen, die russischen Grenzen zu destabilisieren. RAND, eine mit den Geheimdiensten verbundene Denkfabrik, schrieb 2019 einen von der US-Armee gesponserten Bericht darüber, wie man die russischen Grenzen destabilisieren kann. Die Ukraine, Weißrussland, Moldawien und Zentralasien wurden als Schlüsselregionen identifiziert, um Russland “auszudehnen” und ihm die Ressourcen zu entziehen. In einer zukünftigen Aktualisierung des RAND-Berichts könnte Norwegen zu dieser Länder-Liste hinzugefügt werden.“

Früher hat der Westen auch die Zusammenarbeit mit Russland im Arktischen Rat gesetzt, eine Organisation für eine positive und freundschaftliche Zusammenarbeit, die bisher von der Geopolitik abgekoppelt war. Mit dem Beitritt Schwedens und Finnlands zur NATO sind nun alle arktischen Staaten außer Russland NATO-Staaten. In der Folge lädt Russland China, Indien und andere nicht arktische Mächte im Osten zur Zusammenarbeit in der russischen Arktis ein. Vor diesem Hintergrund fordert Professor Diesen eine Debatte über die Logik der norwegischen Politik im Verein mit den USA und dem Rest der NATO gegenüber Russland.  Dazu führt er aus: 

„Man könnte meinen, es gäbe eine heftige Debatte darüber, die ausgewogene Außenpolitik aufzugeben und stattdessen ein Frontstaat zu werden. Aber das wäre ein Irrtum. Alle Diskussionen werden zu einem Narrativ von Gut gegen Böse verdummt. Wir können unsere Außenpolitik und unser Territorium getrost an die Amerikaner auslagern, da sie unsere Verbündeten sind und ihre Interessen somit angeblich mit den unseren identisch sind, während die Russen Feinde mit bösen Absichten sind, so dass es keinen Grund gibt, über unsere Provokationen zu diskutieren. Der Hinweis, dass unsere Politik provokativ ist und unsere eigene Sicherheit untergraben könnte, wird als “russische Propaganda” abgetan.“

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bildquelle: knyazev vasily/ Shutterstock.com

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