Incrementum infinite

von Laurent Stein.

Am 12. November 2016, just vier Tage nach der Präsidentschaftswahl in den USA, veröffentlichte das Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel seine Titelgeschichte zur Wahl von Donald Trump zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten. Unter dem Titel „Das Ende der Welt (wie wir sie kennen)“ zierte ein als Meteorit dargestellter Kopf von Donald Trump, der mit rasender Geschwindigkeit und weit geöffnetem Mund auf die Erde zurast um sie zu verschlingen, das Titelcover. Das gezeichnete Weltuntergangsszenario war eine Folge von Trumps höchst kontroversem Wahlkampf, gekennzeichnet durch plumpe Stammtischparolen und spaltenden Populismus, der seine bevorstehende Amtszeit wie eine große Wundertüte erscheinen ließ. Dass es bei der Hysterie rund um die Präsidentschaft Donald Trumps jedoch nie vorrangig um die tatsächlichen Bedrohungen für unseren blauen Planeten ging, sondern vielmehr um die Person, die uns aufgrund ihrer Unberechenbarkeit einfach nicht in den Kram passt, spiegel-te sich in der nahezu vollständigen Ausklammerung einer zeitgleich stattfindenden und für die Zukunft der Erde weitaus bedeutsameren Veranstaltung als eine scheindemokratische Wahl jenseits des Atlantiks.

Bei diesem Event handelte es sich um die UN-Klimakonferenz in Marrakesch, zu der 196 Staaten zusammen gekommen waren, um einen Fahrplan zur praktischen Umsetzung der im Pariser Klimaabkommen anvisierten Begrenzung des globalen Temperaturanstieges auf 1,5 Grad Celsius zu entwerfen. Als Ergebnis kam jedoch nicht viel mehr als eine rudimentäre Skizze heraus, die auch bei der darauffolgenden Klimakonferenz in Bonn 2017 nur um einige freihandgezeichnete Linien und Striche ergänzt werden konnte.

Gut, zugegebenermaßen können bei der Wahl eines Mannes, der vor einigen Jahren den Klimawandel noch als eine chinesische Märchengeschichte abgetan hat, zum Staatsoberhaupt des weltweit zweitgrößten Emittenten klimaschädlicher Gase, die Verhandlungen schon mal ins Stocken geraten. Allerdings reflektiert sich gerade hierin die tiefer liegende Problematik der Klimadiskussion: Die globale Erderwärmung und all die mit ihr verbundenen Konsequenzen werden bei weitem noch nicht ernst genug genommen. Das beweist schon das hochumjubelte Pariser Klimaabkommen, welches lediglich auf freiwilliger Selbstverpflichtung beruht. Moralische Lippenbekenntnisse von Erdöl-Junkies. Kann man darauf mehr geben als auf ein „das ist meine Letzte“ eines vermeidlich scheidenden Rauchers?

Seit Jahren wird über die Frage diskutiert, ob es den Klimawandel überhaupt gibt und wenn ja, ob ihm tatsächlich anthropogene Ursachen zugrunde liegen. Dabei ist der wissenschaftliche Konsens überwältigend. Der Weltklimarat IPCC spricht in seinem fünften Sachstandsbericht von einer 95-prozentigen Wahrscheinlichkeit (1), dass der Klimawandel hauptsächlich auf den Menschen zurück zu führen ist. Selbstverständlich sollte gerade bei einer solchen Einigkeit, die Kritik an der Hypothese des menschengemachten Klimawandels, beziehungsweise am Konzept des Klimaschutzes (Klimaschutz als Milliardengeschäft) ernst genommen werden und Einzug in den Mainstream erhalten (mehr dazu im letzten Abschnitt). Was bei all dem Trubel um die Rolle des Menschen bei der eindeutigen, vorhandenen Erwärmung des Klimasystems allerdings untergeht, ist eine simple Grundsatzfrage: Wie wollen wir in Zukunft mit dem einzigen uns zur Verfügung stehendem Lebensraum umgehen?

Der Klimawandel ist eine Metapher, bei der es um sehr viel mehr geht als um warme Temperaturen und steigende Meeresspiegel. Er ist eine Metapher für das Pflanzen- und Artensterben, bei der Schätzungen zufolge bis 2030 ein Fünftel und bis 2100 die Hälfte aller Pflanzen und Tiere ausgestorben sein werden (2). Er ist eine Metapher für das massive Insektensterben in der Bundesrepublik, mit einem durchschnittlichen Rückgang von 76 % des Bestandes seit 1989 (3). Er ist eine Metapher für den Great Pacific Garbage Patch, diesem maritimen Müllcontainer, der flächenmäßig schon gut und gerne zum 8. Kontinent erklärt werden könnte. Er ist auch eine Metapher für die mehr als 2000 Fußballfelder an fruchtbarem Ackerland, die Tag für Tag durch Versalzung verloren gehen (4). Er ist eine Metapher für die Abholzung von Millionen Hektar an Wald, gegen die selbst der größte Gerstensaft- und Regenwaldliebhaber mit Umstieg auf die „Bieronade“ Krombacher nicht ankommt. Und ja, natürlich ist er auch eine Metapher für die Millionen Menschen, die aufgrund des Klimawandels ihre Heimat verlassen werden müssen und als Klimaflüchtlinge an den Toren der Verursacherstaaten klopfend von hochrangigen CSU-Politikern in Empfang genommen und mit besänftigenden Worten in CO2 neutralen Flugzeugen auf die Heimreise geschickt würden, in sichere Herkunftsstaaten wie Mali oder dem was bis dahin von Bangladesch noch übrig geblieben ist.

Das einzige was der Politik bisher eingefallen ist um diesem schleichenden Selbstmord des homo sapiens sapiens Einhalt zu gebieten ist das 2-Grad-Ziel. Damit ist die Beschränkung der globalen Erderwärmung auf 2 Grad Celsius über dem vorindustriellen Wert gemeint, bei der eine „gefährliche anthropogene Störung im Klimasystem [noch] verhindert werden kann (…) (5)“. Zwar inszenierten sich die Industrienationen auf dem Pariser Klimagipfel mit einem 1,5-Grad-Versprechen gegenüber den armen (weitaus bedrohteren) Ländern als außerordentlich entgegenkommend und bewegten diese so dem Abkommen zuzustimmen, jedoch erinnern solch unverbindliche Versprechungen unweigerlich an die Proklamation des ehemaligen US-Außenministers James Baker, die NATO werde ihren Einflussbereich „nicht um einen Zentimeter weiter nach Osten ausdehnen“ (6). Dass Deutschland bei der Aufnahme des 1,5- Grad-Limits in die Vereinbarungen eine maßgebliche Rolle gespielt haben soll, passt da nur allzu gut in das hierzulande immer noch weit verbreitete Selbstbild einer progressiven Vorreiternation des Klimaschutzes. Wie gut, dass sich die Hirten des Weltklimas in Berlin in ihren Debatten über den Kohleausstieg auch nicht dadurch beirren lassen, dass der UN-Klimarat in einem internen Bericht das ehrgeizigste Ziel des Pariser Klimaabkommens bereits so gut wie aufgegeben hat (7).

Ein Hauptgrund, warum der auf der Titanic dahinsinkende Mensch immer noch nicht in die Rettungsboote steigt, liegt in dem jahrhundertalten Widerspruch des unbegrenzten Wachstums in einer physisch begrenzten Welt. Trotz dessen, dass die Binsenweisheit über die Unvereinbarkeit dieser beiden Komponenten inzwischen weitläufig verbreitet ist, ist in der internationalen Politik der Glaube an den Wachstumsgott weiterhin ungebrochen.

Mittels Slogans wie „Ohne Wachstum ist Alles nichts“ oder „Wachstum geht auch Grün“, die wie ein Beruhigungsmittel auf die Bevölkerung (und die Politiker selbst) wirken, gelingt es diesen fortbestehenden Konflikt vorrübergehend in das Unbewusste zu verdrängen. Dabei verhält es sich jedoch wie mit chronischem Stress, der, wenn zu lange ignoriert, unweigerlich in einen körperlichen Zustand der Krankheit mündet. Wenn sich hieraus nicht irgendwann eine unheilbare Krankheit entwickeln soll, führt kein Weg vorbei an einer klaren Benennung mit anschließender Eliminierung der Stressursachen.

In Bezugnahme auf die eben beschriebene Gefahr eines planetaren Burn-Outs, soll in diesem abschließenden Abschnitt auf die Mär des grünen Wachstums eingegangen werden.

Das deutsche Bruttoinlandsprodukt ist im Jahr 2017 um 2,2 Prozent gewachsen (8). Nimmt man diesen Wert nun als Ausgangspunkt für eine simple (vereinfachende) Rechnung, so ergibt sich für ein jährliches Wirtschaftswachstum von 2,2 Prozent eine Verdoppelung der Wirtschaftsleistung nach etwa 32 Jahren. Die in dieser Zeit gesteigerte Produktion von Waren und Dienstleistungen geht selbstverständlich mit einem wachsenden Energieverbrauch einher. Vielleicht wird sich der Energieverbrauch nicht verdoppeln, aber man kann mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit von einer erheblichen Steigerung ausgehen. So ist der Stromverbrauch pro Kopf in Deutschland von 5.797 kWh im Jahr 1980 auf 7264 kWh im Jahr 2010 angestiegen (9), bei einem durchschnittlichen Wirtschaftswachstum von 1,8 Prozent im selben Zeitraum (10).

Reduziert man die Idee von Klimaschutz (wie es in der aktuellen Politik leider der Fall ist) lediglich auf die Kohlenstoffintensität (Emissionen pro Einheit BIP), ist es sicherlich nicht ausgeschlossen durch die Erforschung neuer Energietechnologien den CO2-Ausstoß bei gleichzeitigem Wirtschaftswachstum zu reduzieren. Aber ist das wirklich „grün“? Steht die krampfhafte Fixierung auf Kohlenstoffemissionen nicht viel eher sinnbildlich für den Versuch eines Patienten, seine durch Stress hervorgerufenen Kopfschmerzen mittels Ibuprofentabletten herr zu werden?

Es ist unausweichlich, dass bei einem Festhalten an unbeschränktem Wirtschaftswachstum neben dem Energieverbrauch auch der Ressourcenverbrauch weiter in die Höhe schnellt. Alleine schon für den notwendigen Bau der Anlagen zur Erzeugung regenerativer Energien, die nur selten thematisierte „schmutzige Seite der sauberen Energie“. Der renommierte Ökonom Niko Paech von der Universität Oldenburg bringt in einem Interview (11) mit der Süddeutschen Zeitung das Problem mit einer Frage auf den Punkt: „Was bringt ein ökologisch designtes Smartphone, wenn ich immer mehr davon kaufe?“

Nun wird sicher der Leser unweigerlich fragen, warum in diesem Artikel im Kontext der UN-Klimakonferenz einerseits von einer „bedeutsamen Veranstaltung“ die Rede ist, wenn doch andererseits die dort verhandelten Emissionsreduzierungen nichts anderes als ein Ablenkungsmanöver von den wirklichen Problemen darstellen. Ein berechtigter Einwand, bei dem ein Vergleich mit der UNO Licht ins Dunkle bringen soll.

Das im Völkerrecht verankerte allgemeine Gewaltverbot ist durch den jahrzehntelangen Missbrauch des Vetorechts der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates im Grunde genommen zu einer Farce verkommen. Bedeutet das im Umkehrschluss, dass die Weltfriedensorganisation UN obsolet ist? Oder bedeutet es vielmehr, dass es hier einer Reform bedürfe, die das Übel an der Wurzel packt? Wenn die Alternative zu den Vereinten Nationen eine Verrechtlichung des „Recht des Stärkeren“ und imperialer Angriffskriege ist, erscheint letzteres doch weitaus vernünftiger. Genauso verhält es sich mit globalen Klimagipfeln. Sie stellen eine der wenigen Plattformen dar, auf der existenzielle Fragen zum Fortbestehen der menschlichen Spezies in einem politischen Rahmen zur Sprache kommen. Die Grundidee ist positiv und begrüßenswert, wenn man bedenkt, dass die Alternative ein passives Predigen der Möglichkeit eines nichtanthopogenen Klimawandels beziehungsweise hoffnungsvolles Bangen auf ein Ausbleiben desselben ist. Und wer weiß, vielleicht bleiben wir ja tatsächlich vom Klimawandel verschont, nur eben nicht ohne dafür den Preis der vollständigen Zerstörung aller Lebensgrundlagen zu bezahlen. Daran würde sich die klimatisch durchaus anpassungsfähige Krone der Schöpfung dann allerdings endgültig die Zähne ausbeißen.

Quellen:

(2) Altner, G.(2007): Jahrbuch Ökologie 2007

(5) https://www.bundestag.de/blob/531604/f983e28e61f0de0d04b76461749188ac/das-deutlich-unter-zwei-grad-ziel-data.pdf

(6) Ganser, D.(2016): Illegale Kriege

(11) http://www.sueddeutsche.de/wissen/oekonomie-und-oekologie-gruenes-wachstum-gibt-es-nicht-1.1865075

Bildhinweis: Zeichnung von Claire Stein-Imart, Parodie auf das SPIEGEL-Cover vom 12.11.2016

Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung.

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