
“Die Lyrische Beobachtungsstelle” von Paul Clemente.
Die Raketen sind zurück. Feiern ein Comeback im öffentlichen Bewusstsein. Nicht nur als Geschosse, die durch Kriegsgebiete schwirren. Nein, für manchen Visionär avancierten sie bereits zu Lebensrettern: Die Zukunft der Spezies Mensch hänge von ihnen ab. Unter den Gläubigen: Multimilliardär Elon Musk. Sein Credo: Da die Erde dank Klimakollaps unbewohnbar werde, müsse man den Mars besiedeln. Die Rakete dient dabei als Arche Noah.
Noch vor wenigen Jahrzehnten war die Besiedlung anderer Planeten eine kolonialistische Phantasie. Ganz aufgegeben wurde sie nie: Noch 2015 ernannte der US-Kongress die Vereinigten Staaten zum Schürfrecht-Verwalter des Universums. Richtig gehört: Des gesamten Universums! Inklusive aller Planeten, Sterne, Asteroiden und was sonst noch so rumfliegt. Der große extraterrestrische Ressourcenraub.
Zugegeben, nicht jedes Interesse am Universum wurzelt in der Lust am großen Geldschaufeln: Die 1960er Jahre waren das Jahrzehnt der Entgrenzung. Nach innen wie nach außen: Die erste bemannte Rakete erreichte den Mond während Jugendliche mit LSD das innere Universum erforschten. Astronauten und Psychonauten. Der Philosoph Timothy Leary erklärte: Das Leben wolle sich im Weltall ausbreiten. Und der Mensch habe den Job, es durchzuführen. Ja, die Evolution werde ihm bei der Besiedlung des Weltalls unterstützen.
Das Problem ist nur: Die biologische Konstitution des Menschen. Kurze Lebensdauer, Nahrungsbedarf und Grenzen psychischer Belastbarkeit machen extraterrestrische Trips fast undurchführbar. Der Mensch müsste sich zum Cyborg oder gar Androiden optimieren. Nach dem Motto: Vier Milliarden Jahre Kohlenstoffbasis sind genug. Zeit für die Digitalisierung, für den Download des menschlichen Geistes. Auf Festplatte oder Chip. Digitalisiert könnte er auch ins Weltall reisen. Ein erster Schritt in diese Richtung: Der von Elon Musks Firma Neuralink entwickelte Hirnchip. Mit diesem Implantat sollen Gedanken künftig Geräte steuern. Ob’s bis dahin reicht? Derzeit sorgt Neuralink eher wegen Quälerei von Labor-Affen für Schlagzeilen.
Mit dem Durchbruch der KI, so scheint es, gewinnt die Utopie des digitalen Menschen an Plausibilität. Auch mancher Skeptiker wird vom Glauben erfasst. Im dem Buch „Raketenbilder“, von Star-Interviewer Max Dax jetzt im Merve-Verlag publiziert, finden sich Gespräche mit zwei KI-Enthusiasten: Erstens mit Emil Schult, Textdichter und Cover-Gestalter der Sci-Fi-Popgruppe „Kraftwerk“. Und zweitens mit der 93jährigen Filmlegende Alexander Kluge. Der hatte jüngst Kurzfilme über Raumfahrt und Raketen kompiliert: Darunter das Katzenvideo „Cats in Space“ und eine Doku über russische Raumfahrer: Konträr zu den Amis arbeiteten sowjetische Raketentechniker mit Mini-Budgets. Ein Manko, dass sie mit Kreativität kompensierten. Auch für Kluge steht die interplanetarische Zukunft des Menschen außer Frage: Wenn die Erde schlappmacht, muss der Homo Sapiens sich im Weltall eine neue Bleibe suchen. Raketenbau ist Suche nach einem Notausgang. Eine Suche, mit der laut Kluge auch Philosophie und Poetik beginnt.
Auf die Frage, in welcher Form der Mensch das All bereisen werde, outet sich der Regisseur als Kybernetik-Freak: „Das wird eine Form der KI sein, der Digitalisierung. Nur das wir das, was einen Menschen ausmacht, noch nicht digitalisieren können. Aber rein theoretisch könnten Sie ein paar der wesentlichen Eigenschaften des Menschen auf die Größe einer Streichholzschachtel verkleinern und die KI unser Weltall bereisen lassen.“ Eine neue Bleibe hat Kluge sogar ausgemacht. Auf keinen Fall auf dem Mars: „Daran glaubt nur Elon Musk.“ Nein, auf dem Jupitermond Europa. Auf ihm ließen sich Unterwasserstädte errichten.
Dass die Zukunft des Menschen beim Jupiter liegen soll, ist nicht neu. Auch Rudolf Steiner sah in dem riesigen Gasplaneten ein Symbol für die künftige Entwicklungsstufe des Menschen. Und in Stanley Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ fliegt der Held ins Umfeld des Jupiters, durchbricht das Raum-Zeit-Gefüge und erlebt in Form eines riesigen Fötus die Neugeburt des Menschen.
Allerdings garantieren Raketen nicht nur künftige Fluchten ins Weltall. Laut Kluge revolutionieren sie längst unsere Auffassung vom Universum. So liefert das Hubble-Teleskop zahllose Fotos aus den Urtiefen des Kosmos. Dabei fällt auf: Die Anordnungen in Galaxien besitzen Ähnlichkeit mit neuronalen Hirn-Strukturen. Das führt zu der Frage: Ist das Universum vielleicht ein riesiges Gehirn? Und der Mensch ein Partikel darin? Damit hätte Kluge den „Weltgeist“ oder die „Weltseele“ idealistischer Philosophen aktualisiert. Ein Rückgriff auf Hegel und Schelling. Diese Deutung verbindet den Menschen nicht nur auf materielle Weise mit dem Kosmos. Sie eröffnet ihm einen spirituellen Kanal. Und genau darauf setzt der zweite Gesprächspartner von Max Dax: Emil Schult.
Als Schüler von Joseph Beuys spekuliert Schult im Bereich der Wellen und Feinstofflichkeit, schnuppert nach fundamentalen Zusammenhängen im Universum. Und da verfügt er über reichlich Phantasie: So glaubt Schult, dass die KI wesentlich einfachere und effizientere Raketen gestalten kann. Auf spiritueller Ebene erinnert er an unser geringes Wissen über den Schlaf: Wo befinden wir uns, wenn wir schlafen? Schults Antwort: In anderen Welten. Und Träume lassen sich steuern. Womöglich bis in die Außenbezirke des Universums? O-Ton Schult: „Vielleicht können wir tatsächlich in Gedanken reisen und brauchen gar keine Raketen mehr? Es gibt diesbezüglich so viele ungelöste Fragen, weshalb die Kunst in diesem Zusammenhang auch so wichtig ist. Wir steuern auf jeden Fall auf eine metaphysischere, spirituellere Zeit zu, in der solche Fragen ganz wichtig werden.“
Also Space-Cakes statt Raketen? Schults „Traumzeit“, seine Vision von spirituellen Raketen wurde ebenfalls durch Beuys angeregt. Der hatte nämlich „auf die Frage, ob er auch einmal den Mond betreten wolle, geantwortet: ,Da war ich bereits.‘ Ich will damit sagen, dass wir uns als Menschen als spirituelle Wesen verstehen müssen, die es auch auf eine ganz andere Art und Weise in den Begriff bekommen können als nur mit komplexer Technologie.“
Eine solche Auffassung der Raumfahrt vertrat bereits der Psychoanalytiker und Mystiker Carl Gustav Jung: Eine Patientin hatte behauptet, den Mond bereist zu haben. Als eine Therapeutin diese Aussage zum Phantasma erklärte, erwiderte Jung: „Doch, sie war auf dem Mond.“ Die Idee vom Traum als kosmische Reise ist noch viel älter: 1609 schrieb der Astronom Johannes Kepler sein Fragment über eine Traumreise zum Mond.
Ja, es sind alte Träume, die Kluge und Schult in „Raketenbildern“ fortsetzen und neu begründen. Für beide ist die KI das Tor zu einer radikalen Neuauffassung der Welt. Das verwundert nicht: Fast jeder Durchbruch in Wissenschaft und Technik befeuert die Phantasie. Was hat man in vergangenen Jahrzehnten für Hoffnungen in Genetik oder Neurobiologie projiziert! Aber am Ende zeigte sich: Außer Spesen nichts gewesen. Trotzdem bleiben metaphysischen Erzählungen unausrottbar. Der Mensch kann sie nicht aufgeben. Nicht dauerhaft. Diese Erzählungen lauten: Unsterblichkeit. Ewigkeit. Gott. Wenn ein materialistischer Zeitgeist sie verbietet, dann warten, dann überwintern sie. Und feiern bei nächster Gelegenheit ihre Auferstehung.
+++
Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
+++
Bild: futuristic spaceship on a mission to Europa, ice moon of planet Jupiter (3d science fiction illustration banner, elements of this image are furnished by NASA)
Bildquelle: Dotted Yeti / shutterstock
+++
Ihnen gefällt unser Programm? Machen wir uns gemeinsam im Rahmen einer "digitalen finanziellen Selbstverteidigung" unabhängig vom Bankensystem und unterstützen Sie uns bitte mit der:
Spenden-Kryptowährung „Nackte Mark“: https://apolut.net/unterstuetzen/#nacktemark
oder mit
Bitcoin: https://apolut.net/unterstuetzen#bitcoin
Informationen zu weiteren Unterstützungsmöglichkeiten finden Sie hier: https://apolut.net/unterstuetzen/
+++
Bitte empfehlen Sie uns weiter und teilen Sie gerne unsere Inhalte in den Sozialen Medien. Sie haben hiermit unser Einverständnis, unsere Beiträge in Ihren eigenen Kanälen auf Social-Media- und Video-Plattformen zu teilen bzw. hochzuladen und zu veröffentlichen.
+++
Abonnieren Sie jetzt den apolut-Newsletter: https://apolut.net/newsletter/
+++
Unterstützung für apolut kann auch als Kleidung getragen werden! Hier der Link zu unserem Fan-Shop: https://harlekinshop.com/pages/apolut