Cancel Culture – Mut und Vertrauen statt Angst und Konformität

Ein Meinungsbeitrag von Paul Soldan

Die Welt braucht Bücher. Unbestritten. Ansonsten würden nicht jährlich mehr als eine Milliarde Exemplare neu gedruckt werden (1). In Deutschland sind es rund 100.000 Neuveröffentlichungen pro Jahr – ein gewaltiger Markt, in den man als unbekannter Neuling nicht so einfach vordringen kann. Jedoch lässt sich der natürliche Drang, uns als Menschen künstlerisch-kreativ ausdrücken zu wollen, nicht so einfach zurückhalten. Weshalb weiterhin zahlreiche junge Autorinnen und Autoren trotz dieser schwierigen Voraussetzung weiter ihre Bücher schreiben, mit der Hoffnung, in der harten Literaturbranche trotzdem ihre Brötchen verdienen zu können.

Als ich Ende 2018 die Figur Sheikhi im Kopf hatte, mich nach der Arbeit am Theater an meinen Schreibtisch setzte und einfach ohne besonderes Ziel drauflosschrieb, ahnte ich noch nicht, dass daraus eines Tages tatsächlich ein gedrucktes Buch werden sollte: »Sheikhi – Ein afrikanisches Märchen«. Natürlich hoffte ich ab einem bestimmten Punkt, nachdem aus losen Ideen schließlich eine echte zusammenhängende Geschichte geworden war, mit dem Manuskript trotz der nicht allzu rosigen Erfolgsaussichten doch einen Verlag finden zu können. Im Frühjahr 2021 begann ich mit der Suche nach Literaturagenturen und Verlagen und musste schnell feststellen, dass es nicht nur so schwer war wie befürchtet, sondern noch weitaus schwieriger.

Die Absagen, wenn es denn überhaupt welche gab, waren in der Regel standardisierte Textbausteine, die keine Aussagekraft besaßen, ob den Agenten und Lektoren die Story nicht gefiel, der Stil, meine Unbekanntheit als Autor oder etwas anderes. Eine Literaturagentur fasste sich jedoch ein Herz und gab mir eine ehrliche Rückmeldung, die zwar einerseits sehr wertvoll war, aber andererseits auch ziemlich ernüchternd.

Wenige Monate zuvor war Joe Biden als neuer Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt worden. Bei seiner Amtseinführung am 20. Januar 2021 hatte auch die 22-jährige afroamerikanische Lyrikerin Amanda Gorman einen Auftritt, bei dem sie das selbstverfasste Gedicht „The Hill We Climb“ (den Berg, den wir erklimmen) vortrug, und der sie über Nacht weltberühmt machte (2). Als verschiedene europäische Länder das Werk daraufhin übersetzen wollten, kam es jedoch zum Eklat. In Spanien und in den Niederlanden waren Übersetzer mit weißer Hautfarbe beauftragt worden. Dies sorgte direkt für Unmut, warum dafür keine farbigen Übersetzer ausgewählt wurden. In Spanien wurde dem Beauftragten der Fall wieder entzogen, in den Niederlanden trat die Beauftragte freiwillig zurück. (3)

Im weiteren Verlauf entbrannte dann eine hitzige Debatte in der Literaturszene, in der es unter anderem darum ging, dass Leben und Kultur von Farbigen nur und ausschließlich von Farbigen selbst erfasst und literarisch verarbeitet oder übersetzt werden könne, wie mir die Literaturagentur mitteilte. Unabhängig davon, ob man diese Forderung für richtig oder falsch halte, „wird eine Vermittlung eines weißen Autors, der über ein Leben auf einem schwarzen Kontinent schreibt, derzeit wenig Chancen auf eine Vermittlung haben. Die Verlage reagieren sehr sensibel auf derlei Diskussionen“.

Auch wenn diese Rückmeldung für mich damals sehr hilfreich war – weil es zum ersten Mal eine ehrliche war –, hatte sie natürlich prompt eine desillusionierende Wirkung. Außerdem war ich noch immer nicht schlauer, was die Verlage tatsächlich von dem Manuskript hielten. Doch hatte ich nie wirkliche Zweifel an der Qualität meiner Geschichte und war überzeugt, dass sie es wert sei, der Welt erzählt zu werden.

Die Figur Sheikhi ist ein Imam aus Zentralafrika, der einen Jugendlichen aus seinem Dorf namens Abanga davon abhalten möchte, in einen religiösen Bürgerkrieg zu ziehen, indem er ihm seine Lebensgeschichte erzählt. Als junger Mann hatte Sheikhi nämlich einst selbst als Söldner in einem Krieg gekämpft und dessen Schrecklichkeiten am eigenen Leibe erfahren. Da nun erneut ein Krieg im Land wütet, und die jungen Männer durch dieselben Mechanismen für diesen begeistert werden wie auch Sheikhi damals, möchte er Abanga davon überzeugen, dass man Krieg nicht erlebt haben muss, um zu verstehen, wie schrecklich dieser ist. Fortan treffen sie sich jeden Morgen an einem geheimen Platz im Wald und der Imam erzählt dem Jungen von seinem früheren Leben als Kämpfer.

Es ist eine spannende und berührende Abenteuergeschichte, die den Teufelskreis von Krieg aufzeigt und mit ihrer kraftvollen Friedensbotschaft eine universelle Gültigkeit besitzt. Denn der Wert von Freundschaft; das Bedürfnis mit seinen Mitmenschen (trotz möglicher Unterschiede) friedlich zusammenzuleben; die Problematik von Freund-Feind-Denken; das Auflösen von Hass-und-Gewalt-Spiralen sowie die Verbindung zur Natur und der Platz des Menschen in der Welt sind für uns genauso von Bedeutung wie für alle anderen auf der Erde. Von daher ist eine Affinität zu Afrika keine Voraussetzung, um aus dem Buch etwas für sich mitzunehmen. Afrika ist der Spielort, doch die Themen betreffen uns alle. Insbesondere, da Aufrüstung und Krieg heute auch wieder in Deutschland salonfähig werden, trifft der Roman den Zahn der Zeit.

Beinahe wirkt es so, als hätte das Warten und die zweieinhalbjährige Verlagssuche einen Sinn gehabt. Eigentlich hatte ich mit der Suche innerlich schon abgeschlossen, da mir keine Verlage mehr einfielen, denen ich das Manuskript noch hätte vorstellen können. Doch im September 2023 stieß ich plötzlich auf den Anderwelt Verlag, ein kleiner Verlag aus München, der sich vordergründig mit dem Thema der Geschichte Deutschlands befasst. Jedoch besaß dieser auch eine kleine Belletristiksparte, weshalb ich es einfach versuchte und ein Manuskriptangebot abschickte. Der Anderwelt Verlag war begeistert und sagte mir nach wenigen Tagen zu. Im weiteren Verlauf ging alles ziemlich schnell: Am 16. Januar 2024 kamen die ersten Exemplare aus der Druckerei.

Letztlich kam alles, wie es kommen sollte. Mittlerweile selbst als Medienschaffender war ich mit dem tobenden Kampf gegen unterdrückte Informationen und ungewollte politische und gesellschaftliche Haltungen bestens vertraut. In diesem Sinn war wenige Monate zuvor der Wunsch in mir immer konkreter geworden, einen „Alternativverlag“ zu finden, der noch Mut und Vertrauen besitzt und dessen Ausrichtung sich nicht an dem aktuell immer stärker einschnürenden Meinungs- und Debattenraum orientiert, wie es viele verängstigte und zu konforme Verlage leider praktizieren, sondern der einfach das veröffentlicht, was er für richtig hält. In Bezug auf die Belletristik ist es jedoch gar nicht so einfach, solche Verlage zu finden. Denn obwohl die Sparte mit einem Umsatzanteil von 34 Prozent die mit Abstand verkaufsstärkste Warengruppe (4) im deutschen Buchhandel darstellt, legen viele alternative Verlage ihren inhaltlichen Schwerpunkt doch eher auf Journalismus- und Sachbücher.

Brauchen wir denn in der heutigen Zeit eigentlich noch Geschichtenerzähler? Brauchen wir noch Literatur? Ich sage: Ja! Geschichten haben nicht den Anspruch auf Wahrheit. Das ist ihre Stärke. Geschichten enthalten Erzählungen – realistisch und auch fantastisch –, sie besitzen Botschaften wie Freundschaft, Hoffnung und Frieden, und was am wichtigsten ist, sie erzeugen Gefühl: Heiterkeit, Wut, Liebe, Trauer oder Berührtheit.

Ich habe in den letzten Jahren sehr nachdrücklich erfahren, dass ich zahlreiche Mitmenschen trotz Fakten nicht erreichen konnte. Die errichteten Mauern zur Beschützung des eigenen Weltbildes waren zu dick und zu hoch, sodass selbst nachweisbar wahre Informationen häufig an ihnen abprallten. Geschichten haben jedoch das Vermögen, durch die Fugen und Ritzen dieser Weltbildmauern hindurchzufliegen und mit ihren Botschaften das Herz statt den Kopf zu erreichen. Literatur kann einen Beitrag leisten, damit wir uns vom derzeitigen reinen Funktionswesen homo oeconomicus hoffentlich wieder zurück zum Gefühlswesen homo sapiens entwickeln.

»Sheikhi – Ein afrikanisches Märchen« hat das Potenzial, ein kleiner Klassiker der Friedensliteratur zu werden.

Ergänzende Links zum Buch:

Rezension von Dirk C. Fleck: https://apolut.net/atmen-wir-uns-maerchenhaft-frei/
Kapitelauszug: https://apolut.net/literatur-fuer-eine-friedliche-welt-von-paul-soldan/
Rezension von Eugen Zentner: https://transition-news.org/roman-sheikhi-ein-appell-fur-frieden
Manova-Videointerview: https://www.youtube.com/watch?v=FH0t2OW6P54

Quellen und Anmerkungen

Paul Soldan arbeitet als freier Schriftsteller und Onlineredakteur. Bis Ende 2023 lebte er über ein Jahr in Afrika. 2024 erschien im Anderwelt Verlag sein Debütroman »Sheikhi – Ein afrikanisches Märchen«.

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Hier der Link zum Buchkauf: https://anderweltverlag.com/p/sheikhi-ein-afrikanisches-maerchen

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(1) https://de.globometer.com/kultur-buecher.php

(2) https://www.deutschlandfunkkultur.de/streit-um-amanda-gorman-uebersetzung-es-geht-nicht-um-100.html

(3) https://www.fr.de/meinung/kolumnen/amanda-gorman-gedicht-amtseinfuehrung-joe-biden-uebersetzung-diskriminierung-gleichberechtigung-kolumne-90264546.html

(4) https://www.boersenverein.de/markt-daten/marktforschung/wirtschaftszahlen/warengruppen/

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bildquelle: Paul Soldan

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Kommentare (1)

Ein Kommentar zu: “Cancel Culture – Mut und Vertrauen statt Angst und Konformität

  1. Dass jetzt schon es soweit ist, dass die Hautfarbe über die Arbeit des Übersetzens entscheidet… Darf ich als alter weißer Mann dann überhaupt das Buch einer schwarzen Afrikanerin lesen? Ist das nicht schon Aneignung fremden Kulturguts? Und wenn dann ein solches Buch verfilmt wird, dürfen dann nur ausschließlich schwarze Personen mitspielen und die Regie führen? Und werden dann Weiße von dem Kinobesuch ausgeschlossen?
    Ich gebe zu, ich übertreibe, aber mich kotzt diese unerträgliche Cancel Culture an.

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