Verschriftlichung einer anregenden Diskussion zwischen zwei klugen Pazifisten.
Eine Rezension von Eugen Zentner.
Krieg oder Frieden – wohin wird sich Europa, wohin wird sich Deutschland entwickeln? Darüber wird seit Jahren heftig diskutiert, in den Medien, auf Kundgebungen, auf Podien. Der Ukraine-Konflikt lässt die Gemüter hochkochen. Die einen fordern Kriegstüchtigkeit und weitere Waffenlieferungen, die anderen Diplomatie und Annäherung. Für Frieden sprechen sich unter anderem Klaus von Dohnanyi und Erich Vad aus, zwei profilierte Persönlichkeiten, die in Politik und Militär reichlich Erfahrung gesammelt haben. Beide lernten sich erst im Zuge der öffentlichen Debatte um den Krieg in der Ukraine kennen. Was sie verbindet, ist die Sorge, dass Deutschland und Europa wieder in einen großen Konflikt mit Russland geraten.
Der Verleger des Westend-Verlags, Markus Karsten, lud sie zu einem gemeinsamen Gespräch über dieses Thema ein. Geführt wurde es am 9. Juli 2025 in Hamburg. Die Verschriftlichung dieser Diskussion liegt nun als Buch* vor. Es ist eine spannende wie anregende Lektüre, vor allem, weil hier zwei hochgebildete und lebenserfahrene Menschen aufeinandertreffen, die demonstrieren, wie kultiviert man sich über ein brisantes Thema unterhalten kann. Geleitet wird das Gespräch von einer Moderatorin, die gleich zu Beginn die Diskussionsteilnehmer nach der Motivation fragt, sich in diese Debatte einzumischen. Die jeweiligen Antworten darauf, könnten keinen besseren Auftakt bilden. Die Leser lernen nicht nur die Motivation der beiden Gesprächspartner kennen, sondern erfahren auch viel über deren biografischen Werdegang.
Dohnanyi ist ein ausgebildeter Jurist, der seit 1957 der SPD angehört. Er arbeitete viele Jahre in der Wirtschaft und hatte zahlreiche politische Ämter inne, unter anderem als Staatsminister im Auswärtigen Amt. Dohnanyi hat den Krieg selbst erlebt, 1945 im Kampfbataillon des sogenannten Reichsarbeitsdienstes, wo er 100 junge Männer zu führen hatte. Als die russischen Truppen damals auf 30 Kilometer Entfernung heranrückten, türmte er mit anderen Kameraden und kam in die Gefangenschaft der Kanadier. Es sei deshalb ein Unterschied, ob man über den Krieg redet oder ob man ihn mal um die Ohren gehabt habe, sagt er zu Beginn des Gesprächs – und Erich Vad stimmt ihm zu.
Der ehemalige Brigadegeneral der Bundeswehr kennt das Militärwesen wie nur wenige. Zudem war er Gruppenleiter im Bundeskanzleramt, Sekretär des Bundessicherheitsrates und militärpolitischer Berater der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel. In seiner beruflichen Laufbahn hat er sich also nicht nur mit Krieg beschäftigt, sondern auch einen tiefen Einblick in die politischen Prozesse bekommen. Seine Doktorarbeit schrieb er über den preußischen Generalmajor und Militärtheoretiker Carl von Clausewitz, der seinerzeit sagte, dass man Krieg nicht losgelöst von Politik denken könne. Und um die politischen Implikationen dreht sich in der Folge auch die Diskussion zwischen Dohnanyi und Vad, wobei sie sich nicht zu einem Streitgespräch entwickelt, sondern zu einem entspannten Austausch, der immer mehr an gedanklicher Tiefe gewinnt, je länger er andauert.
Dohnanyi fungiert dabei oftmals als Impulsgeber, indem er der Moderatorin die Arbeit abnimmt und seinem Gesprächspartner Fragen stellt. Nicht immer ist es klar, ob sie bloß rhetorischer Natur sind, so wie relativ am Anfang, wenn er wissen will, ob schon die Maidan-Proteste eine gewisse westliche, amerikanische Unterstützung hatten und „damit auch in gewisser Weise eine Manipulation“ waren. Es überrascht geradezu, dass ein so gebildeter Kenner der Lage, als der er sich auch im Laufe des Gesprächs erweist, sich in dieser Sache nicht sicher ist. Dabei gibt es genügend Material, das die Intervention des Westens gut belegt, Igor Lopatonoks Dokumentarfilm „Ukraine on Fire“ etwa oder Patrik Baabs Reportage „Auf beiden Seiten der Front“.
Vad jedenfalls gibt eine eindeutige Antwort:
„Nun, ich komme ja aus dem Militär, ich bin in den USA militärisch ausgebildet worden und Regime Change Operationen gehören nun mal zum Repertoire des US-Militärs in ihrem Verständnis als weltweite Ordnungsmacht. Und natürlich wurde auch die Westannäherung und der NATO-Aufnahmeprozess der Ukraine unterstützt durch westliche NGOs und durch Finanzmittel, die wir da reingegeben haben.“
Es bleibt nicht der einzige interessante Aspekt, der behandelt wird. In ihrem Gedankenaustausch kommen Dohnanyi und Vad zudem auf die Gefahren für Deutschland zu sprechen, betrachten den Krieg als belebendes Element für die festgefahrene Wirtschaft, leiten über zum nuklearen Schutzschirm der USA oder sinnieren über neu entstandene Herausforderungen:
„Aufgrund eines durch Drohnentechnologie, KI, Robotik und Hyperschallwaffen veränderten Kriegsbildes gilt es heute, neue Ansätze der Abrüstung und Rüstungskontrolle zu finden“,
sagt Vad an einer Stelle. Der ehemalige Brigadegeneral beweist oftmals seine Kompetenz und wird erkennbar als Militärstratege, der auch Russlands Beweggründe verstehen kann. Er ist auch der Meinung, dass Moskau Kiew niemals angegriffen hätte, wenn die Ukraine im Besitz von Atomwaffen gewesen wäre.
In Dohnanyis Wortbeiträgen fällt hingegen auf, dass er die gegenwärtigen Ereignisse immer im historischen Kontext betrachtet. Einer dieser Zusammenhänge ist die Wiedervereinigung und der Fall der Mauer. Dieser, so Dohnanyi, habe dazu geführt, dass innerhalb von sieben Jahren, also in einer politisch kurzen Frist, die ehemals sozialistischen Länder, in die Nato übergegangen seien. Vad sieht es etwas differenzierter: Zwar habe das westliche Verteidigungsbündnis dieses Ziel aktiv verfolgt, allerdings müsse man bei der ersten Phase der Nato-Erweiterung berücksichtigen, „dass diese Länder nur noch eins wollten: raus aus dem russischen Machtbereich“.
In den meisten Punkten sind sich die beiden Gesprächspartner einig, nur hier und da gehen die Ansichten auseinander, wobei dies nicht selten auf Missverständnissen beruht. Beide geben einander oftmals Recht, antworten mit „richtig“ oder ergänzen die Ausführungen des jeweils anderen um weitere Aspekte. Die Moderatorin bleibt größtenteils arbeitslos. Erst in der zweiten Hälfte meldet sie sich mit drei, vier Zwischenfragen wieder zu Wort, unter anderem danach, ob es überhaupt noch „eine unabhängige, deutsche Militär- und Landesverteidigungsstrategie“ gebe. Vad entgegnet wie so oft knapp und klar:
„Nein. Wir müssen die Verteidigung Deutschlands immer im Ganzen sehen, also im Bündnis.“
Es macht großen Spaß, diesem Austausch zu folgen, nicht nur weil er sehr respektvoll verläuft, sondern weil er auch Informationen enthält, die nicht allen bekannt sein dürften. Dohnanyi und Vad plaudern mal aus dem Nähkästchen, mal geben sie Prognosen ab, etwa ob die Ukraine in die Nato aufgenommen wird. Was sich jedoch wie ein roter Faden durchzieht, ist der Ruf nach Diplomatie, nach der verbalen und militärischen Abrüstung. Alle müssen sich darum bemühen, wie Dohnanyi es wunderbar auf den Punkt bringt:
„Frieden ist Arbeit, wirkliche Arbeit. Frieden fällt nicht vom Himmel. Frieden wird uns nicht geschenkt. Frieden ist kein Geschenk des lieben Gottes. Frieden ist ein Produkt von sorgfältiger politischer Arbeit.“
Quellen und Anmerkungen
* https://westendverlag.de/Krieg-oder-Frieden-Deutschland-vor-der-Entscheidung/2332
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bildquelle: FrankHH / shutterstock
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