BRICS: Nachschau und das Powerdreieck Russland-Indien-China | Von Jochen Mitschka

Ein Standpunkt von Jochen Mitschka.

Ich will nun mit etwas Abstand vom letzten BRICS-Gipfel über Nachbeben berichten, aber auch über die immer stärker werdenden Versuche, durch westliche Analysten und Medien, Streit zwischen Russland, Indien und China herbeizuschreiben. Wäre ein solcher Streit erfolgreich, könnte das BRICS+ Abenteuer noch holpriger weiter gehen wie man es gerade verfolgen kann.

Eine der wichtigsten Nachwehen des letzten BRICS-Gipfeltreffens dürfte die Aussicht sein, dass die G20-Gipfeltreffen demnächst an Wichtigkeit verlieren oder ganz beendet werden. M.K. Bhadrakumar schreibt dazu sinngemäß in seinem Blog, dass G20 „der letzte Walzer einer zerrissenen Welt“ sei(1).

Der indische Ex-Diplomat erklärt, dass einige Inder negativ darauf reagiert hatten, dass der russische Präsident Putin nicht persönlich am G20-Gipfel teilnehmen wird, weil dadurch eine Show der Unabhängigkeit für Indien „gestohlen“ werde. Bhadrakumar schreibt jedoch, dass die Modi-Regierung keineswegs verblüfft über die Abwesenheit des russischen Präsidenten gewesen sei. Auch nicht über den Verzicht des chinesischen Präsidenten Xi Jinping am 8. und 9. September beim Gipfeltreffen der G20 in Indien dabei zu sein.

Indiens hochkarätige Diplomaten hätten schon vor einiger Zeit geahnt, dass ein Ereignis, das in der Welt von gestern, bevor der neue Kalte Krieg hereinbrach, konzipiert worden war, heute nicht mehr die gleiche Tragweite und Bedeutung hat. Dennoch fühlte sich Delhi enttäuscht, denn die Zwänge von Putin oder Xi Jinping hätten nichts mit den Beziehungen ihrer Länder zu Indien zu tun. Die indische Regierung habe eine neutrale bürokratische Erklärung abgegeben:

“Die Teilnahme an globalen Gipfeltreffen variiert von Jahr zu Jahr. In der heutigen Welt mit so vielen Anforderungen an die Zeit der Staats- und Regierungschefs ist es nicht immer möglich, dass jeder Staats- und Regierungschef an jedem Gipfel teilnimmt.”

Nichtsdestotrotz verschönere die Verwaltung von Delhi die Stadt, entferne die Slums aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit, bringe neue, verlockende Werbetafeln an, um die Aufmerksamkeit der ausländischen Würdenträger auf sich zu ziehen, und stelle sogar Blumentöpfe entlang der Straßen auf, an denen ihre Autokolonnen vorbeifahren, liest man in dem Artikel.

Man müsse kein Raketenwissenschaftler sein, um herauszufinden, dass die Entscheidungen in Moskau und Peking darauf hinauslaufen, dass ihre Führungen nicht im Geringsten an einer Interaktion mit dem US-Präsidenten Joe Biden interessiert sind, der vier Tage lang in Delhi sein werde und alle Zeit für einige strukturierte Treffen haben wird, zumindest aber für einige “Ablenkungsmanöver“, wie der Autor sie nennt, die von der Kamera aufgezeichnet werden könnten.

Bidens Erwägungen seien politischer Natur: Er suche alles, was dazu beitrage, die Aufmerksamkeit von dem aufziehenden Sturm in der US-Politik abzulenken. Einem Sturm, der in einem Amtsenthebungsverfahren gegen ihn zu gipfeln droht, was wiederum seiner Kandidatur bei den Wahlen 2024 schaden könnte.

Biden sei alles andere als ein Visionär. Er habe Putin eine Bärenfalle gestellt, um sein falsches Narrativ zu untermauern, wonach der Ukraine-Krieg über Nacht beendet wäre, wenn Putin nur von seinem hohen Ross absteigen würde, während der Kreml seinerseits sehr wohl weiß, dass das Weiße Haus nach wie vor der stärkste Verfechter der These ist, dass ein längerer Krieg Russland schwächen würde. In der Tat habe Biden zu außergewöhnlichen Mitteln gegriffen, die keiner seiner Vorgänger je zu erreichen wagte – er leistete ukrainischen Terroristen Beihilfe zu Anschlägen tief in Russland. So der indische Ex-Diplomat.

In gewisser Weise sitze Xi Jinping auch in einer Falle, da die Biden-Regierung alles daran setze, sich gegenüber China als versöhnlich darzustellen, wie die vielen US-Beamten, die sich in letzter Zeit auf den Weg nach Peking gemacht haben, bezeugen würden, meint Bhadrakumar. Deshalb hätten Antony J. Blinken im Juni, Finanzminister und Klimabeauftragter John Kerry im Juli und Handelsministerin Gina Raimondo im August ihre Aufwartung gemacht. Die New York Times habe am Dienstag einen Bericht mit dem Titel „U.S. Officials Are Streaming to China“ veröffentlicht. In dem Artikel sei China gegeißelt worden, und der Blogbeitrag zitiert, was man im Anhang (5) lesen kann.

Der Punkt sei, so Bhadrakumar, dass Washington die ganze Zeit über Peking mit Kriegstreiberei und kalkulierten Mitteln verhöhnt, verleumdet und provoziert habe, um Chinas Wirtschaft zu schwächen und Taiwan und die ASEAN-Länder dazu zu bringen, sich als Verbündete der USA im indopazifischen Raum aufzustellen. Sowohl Putin als auch Xi Jinping hätten auf die harte Tour gelernt, dass Biden ein Meister der Doppelzüngigkeit sei, der hinter verschlossenen Türen das eine sagt und sich dann aber völlig gegenteilig verhalte, wobei er auf persönlicher Ebene in einer beispiellosen Zurschaustellung rüpelhafter öffentlicher Diplomatie oft unhöflich und beleidigend sei.

Natürlich könne eine Symbolik der scheinbaren amerikanisch-russischen “Versöhnung” auf indischem Boden, wie immer sie auch aussehen mag, nur zum Vorteil Washingtons wirken, um Modi von Indiens äußerst wichtiger strategischer Partnerschaft mit Russland abzulenken, und das zu einem Zeitpunkt, an dem die Forderungen des Westens in Bezug auf die Ukraine im globalen Süden keine Resonanz fänden. Dann beschreibt er, wie geschickt die USA Äußerlichkeiten nutzen, um durch ihre Medien die Weltmeinung in die Irre zu führen.

So habe Indiens falsch verstandene Teilnahme an den jüngsten “Friedensgesprächen” in Dschidda (die in Wirklichkeit eine Idee des Weißen Hauses, von Jake Sullivan, war) den falschen Eindruck erweckt, dass die Modi-Regierung sich mit der Selenskyj-„Friedensformel“ angefreundet hätte, was natürlich falsch sei.

Putins möglicher Besuch in China im Oktober könne als Antwort auf Xi Jinpings Besuch in Moskau im März betrachtet werden, habe aber einen substanziellen Inhalt, wie die Einladung Pekings an ihn als Hauptredner auf dem dritten Belt and Road Forum anlässlich des zehnten Jahrestages der Aufnahme der BRI in die chinesische Außenpolitik zeige.

Obwohl Putin und Xi 2015 eine gemeinsame Erklärung über die Zusammenarbeit bei der “Verknüpfung des Aufbaus der Eurasischen Wirtschaftsunion und des Seidenstraßen-Wirtschaftsgürtels” unterzeichneten, habe Moskaus Unterstützung für die Belt and Road Initiative (BRI) bisher eher deklaratorischen Charakter und reiche nicht aus, um einen wirklichen Beitritt zu bezeugen.

Dies könne sich mit dem Besuch Putins im Oktober ändern, meint der Autor, und wenn ja, könnte dies ein historischer Wendepunkt für die Dynamik der chinesisch-russischen Partnerschaft und für den Fluss der internationalen Politik insgesamt sein.

Die G20-Außenminister hätten es nicht geschafft, eine gemeinsame Erklärung zu verabschieden, und die Beratungen seien unter dem Druck der G7-Länder “in emotionale Erklärungen abgeglitten“, wie der russische Außenminister Sergej Lawrow später erklärt habe. Putin und Xi würden vom G20-Gipfel wahrscheinlich keine bahnbrechenden Lösungen erwarten.

Es sei sehr wahrscheinlich, dass das bevorstehende Ereignis in Delhi der letzte Walzer dieser Art zwischen den Cowboys der westlichen Welt und dem zunehmend unruhigen globalen Süden sein werde. Die Wiederbelebung des antikolonialen Kampfes in Afrika sei unheilvoll. Ganz offensichtlich setzten Russland und China auf BRICS+.

Chinas Grenzen

Chinas relativ entschiedenes Vorgehen bei der Besetzung von kleinen Inseln im chinesischen Meer, obwohl andere Anrainerstaaten ebenfalls Ansprüche erheben, hat sicher dabei geholfen, letztere dazu zu bringen, enger mit den USA militärisch zu kooperieren. Für China sind diese Inseln aber von herausragender defensiver strategischer Bedeutung, weil von dort aus Raketen evtl. angreifende Schiffe erreichen können, bevor deren Raketen auf dem chinesische Festland einschlagen. Es sind sozusagen die Opferanoden, wie Deutschland eine für die USA ist, im Falle eines Krieges gegen Russland.

Nun hat China allerdings den Fehler begangen, neue Karten herauszugeben, welche als chinesisches Territorium solche Gebiete ausweisen, die auch von Indien und Russland beansprucht werden. Was sich natürlich die Gegner Chinas nicht entgehen lassen.

Andrew Korybko erklärt die Details in einem Artikel am 3. September. Er meint, dass sechs Punkte, die der russische Botschafter in China in nur drei Sätzen meisterhaft dargelegt habe, zeigten, dass der Kreml mit Chinas jüngster Karte unzufrieden sei, vor allem, weil sie fälschlicherweise Anspruch auf das Territorium seines Landes erhebe, aber auch wegen der absichtlichen Ansprüche gegen Indien. Dann erklärt er im Detail was passiert war.

Der russische Botschafter in Indien, Denis Alipow, war am Freitag zum Skandal um Chinas jüngste Karte befragt worden, da darauf Teile des Territoriums seines Gastlandes beansprucht werden, die gar nicht unter der Kontrolle Pekings stehen. Nach einem Bericht des Press Trust of India, der von NDTV wiederveröffentlicht wurde, habe er wie folgt geantwortet:

“Zu Ihrer Information: Es gibt auch an der russisch-chinesischen Grenze einige Unstimmigkeiten. Wir übertreiben nicht mit diesem Thema gegenüber der chinesischen Seite. Und wie wir festgestellt haben, übertreibt auch Indien in dieser Frage nicht.”

In Anbetracht der Sensibilität dieses Themas sei es wichtig, seine Äußerungen ruhig und besonnen zu interpretieren. Zunächst einmal bestätige Botschafter Alipow, dass die jüngste Karte tatsächlich die “Diskrepanz” enthält, die darin besteht, dass die chinesische Kontrolle über die russische Hälfte der gemeinsam geteilten Insel Bolschoi Ussurijskij kontrafaktisch dargestellt wird. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Zakharova, bekräftigte kürzlich, dass es in den chinesisch-russischen Beziehungen keine Grenzstreitigkeiten gebe, was darauf schließen lasse, dass es sich um einen Fehler der Chinesen handelte.

Der zweite Punkt sei, dass Botschafter Alipow der erste russische Beamte war, der dies bestätigte. Unabhängig davon, ob dies Zufall oder Absicht war, zeige es doch, dass sich Russland und Indien nach der Veröffentlichung der neuesten Karte Chinas in der gleichen Position befänden. Diese Erkenntnis werde dazu beitragen, das Vertrauen zwischen den beiden Ländern aufrechtzuerhalten. Denn Korybko erinnert daran, dass, einige Inder über die ungeschickte Art und Weise enttäuscht waren, mit der der Kreml die Entscheidung von Präsident Putin bekannt gegeben hatte, den G20-Gipfel in Delhi am kommenden Wochenende ausfallen zu lassen.

Drittens könne man jetzt nicht mehr leugnen, dass es in der chinesisch-russischen Entente heikle Differenzen gibt. Davon abgesehen, sei der vierte Punkt, dass Russland dieses Thema nicht übertreibt, und auch keines der anderen Probleme, die es gibt, wie die gegensätzlichen Haltungen gegenüber Indiens Aufhebung von Artikel 370, die Korybko ausführlich beschrieben hatte. Mehr dazu in Anhang (3).

Zurück zur aktuellen „Krise“, erklärt der Autor fünftens, dass der Botschafter Alipow in seiner knappen Antwort durch seine Wortwahl an eben diese Position gegenüber Artikel 370 erinnert.

Die Formulierung “auch” in Bezug auf “einige Diskrepanzen an der russisch-chinesischen Grenze” signalisierten diplomatisch, dass Moskau auch andere Darstellungen in Chinas jüngster Karte als problematisch ansieht, nämlich solche, die Anspruch auf das gesamte mit Indien umstrittene Gebiet erheben, insbesondere auf Regionen außerhalb der Kontrolle Pekings. Der sechste Punkt sei, dass Botschafter Alipow auch diplomatisch der Andeutung des Sprechers des chinesischen Außenministeriums widersprach, dass Indien mit seiner scharfen Verurteilung dieser Karte überreagiert habe.

Wang Wenbin, der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, so der Artikel weiter, sei von China Daily am 30. August zu diesem Thema befragt worden, und habe laut der offiziellen Niederschrift des chinesischen Außenministeriums über seine Pressekonferenz an diesem Tag erklärt: “Wir hoffen, dass die betroffenen Seiten objektiv und ruhig bleiben und das Thema nicht überinterpretieren“. Mit der Aussage, dass “Indien das Thema auch nicht übertreibt“, unterstützt Botschafter Alipow den offiziellen Protest Indiens gegen diese Karte.

Insgesamt, so der Autor bewiesen diese sechs Punkte, die der russische Spitzendiplomat in Indien in nur drei Sätzen meisterhaft dargelegt hat, dass der Kreml mit Chinas jüngster Karte unzufrieden sei, vor allem, weil sie fälschlicherweise Anspruch auf das Territorium seines Landes erhebt, aber auch wegen ihrer absichtlichen Ansprüche gegen Indien. China werde seine zweitgenannten Ansprüche nicht zurücknehmen, aber Russland würde es dennoch begrüßen, wenn es in aller Stille eine überarbeitete Karte herausgeben würde, die den Fehler korrigiert, die russische Hälfte der Insel Bolschoi Ussurijski als chinesisches Territorium darzustellen.

Indien und Afrika

Und da wir gerade so schön über Russland und Indien und ihre Freundschaft sprechen, noch eine Bemerkung von Korybko, dass sich Indien stärker Afrika zuwenden solle. Wir erinnern uns: Es wird immer wieder, auch von mir erklärt, dass sich China und Russland in Afrika arbeitsteilig verhielten. Während Russland die Sicherheit von patriotischen Regierungen versucht gegen Terroristen und auch Umstürze zu unterstützen, sei es die Aufgabe Chinas, zu investieren und die Infrastruktur für die Entwicklung Afrikas zu bauen.

Korybko schreibt in einem Beitrag, dass angesichts der Unwahrscheinlichkeit einer baldigen Annäherung zwischen Indien und China, geschweige denn einer politischen Lösung ihres langjährigen Grenzstreits, die indischen Entscheidungsträger gut daran täten, das “asiatische Jahrhundert” hinter sich zu lassen und stattdessen ein anderes Paradigma für dieses Jahrhundert zu verfolgen. Das “afro-indische Jahrhundert“. Dann begründet er seine These und beginnt mit einem Artikel in der South China Morning Post von dem angesehenen indische Wissenschaftler C. Uday Bhaskar. Unter dem Titel, übersetzt, „Unruhige Beziehungen zwischen China und Indien bedeuten, dass das asiatische Jahrhundert schwer fassbar bleibt“, argumentiere Bhaskar überzeugend, dass die anhaltenden Spannungen zwischen China und Indien die Chancen auf die Verwirklichung des “asiatischen Jahrhunderts” beeinträchtigen werden. Dann geht Korybko auf die oben erwähnte Kartenkrise ein, welche die Beziehungen nicht unbedingt verbessern werden.

Zunächst einmal impliziere das Festhalten am Konzept des “asiatischen Jahrhunderts“, dass die Schicksale von Indien und China miteinander verwoben seien. Wobei man interpretieren könne, dass die ein halbes Jahrtausend andauernde Ära westlicher Dominanz erst dann zu Ende geht, wenn China und Indien ihre Probleme in Ordnung gebracht haben. An dieser Beobachtung sei zwar etwas Wahres dran, aber sie suggeriere fälschlicherweise, dass es für Indien keine Alternative zu einem Teilkompromiss in der Grenzfrage gebe, meint Korybko. Aber es gebe eine Alternative um den globalen systemischen Übergang zur Multipolarität zu beschleunigen.

Das Modell der Trimultipolarität, böte einen plausiblen Ersatzplan für den Fall, dass sich Indien weiterhin unwohl dabei fühlt, sich auf einen territorialen Kompromiss mit China einzulassen. Anstatt einer Annäherung an China den Vorzug zu geben und dafür möglicherweise einen Teil des von ihm beanspruchten Territoriums abzutreten, könnte Indien diesen Streit auf Eis legen und sich darauf konzentrieren, den Aufstieg des globalen Südens als dritten Einflusspol neben der Goldenen Milliarde des Westens unter Führung der USA und der chinesisch-russischen Entente anzuführen.

Genauso wie Indien zwischen den genannten De-facto-Blöcken eine Mehrfachausrichtung vornehme, könnte es auch andere Entwicklungsländer dazu inspirieren, dem Beispiel zu folgen und sie bei der Optimierung dieser Politik beraten. Wenn dies über die neu geschaffene Plattform Voice of Global South (VOGS) koordiniert werde, die in der Praxis als neue Bewegung der Blockfreien Staaten (“Neo-NAM”) fungiere, könnte Indien den Prozess der Bipolarität im Zaum halten, indem es die Zweiteilung der internationalen Beziehungen zwischen der Goldenen Milliarde und der Entente verhindere.

Damit dies gelingen kann, meint Korybko, müsse sich Indien stärker in Afrika engagieren. Es könne realistischerweise nicht mit den USA und China bei den Investitionen konkurrieren, aber deshalb sollte es sich stattdessen auf den Bereich der Ideen und der Strategie konzentrieren, ergo auf den Vorschlag, die Vision des “Afro-Indischen Jahrhunderts” als sein nächstes großes außenpolitisches Konzept. Die Länder des Kontinents befänden sich in einer ähnlichen strukturellen Position wie Indien im Neuen Kalten Krieg zwischen der Goldenen Milliarde und der Entente über die Richtung des globalen Systemwechsels.

Mit wenigen Ausnahmen wollten sich die Länder Afrikas nicht auf eine Seite schlagen und zögen es stattdessen vor, ihre strategische Autonomie zu maximieren, indem sie sich nach dem erfolgreichen Beispiel Indiens mehrfach ausrichten, um gegenseitig von beiden De-facto-Blöcken zu profitieren. Dies sei im Alleingang nur schwer möglich, da jeder von ihnen in jeder Hinsicht von den Führern der USA und Chinas in den Schatten gestellt werde, aber es wäre viel praktikabler, wenn es mit anderen Entwicklungsländern über VOGS koordiniert werde.

Da Korybko eine russische Sichtweise vertritt, erkennt man hier die Sorge Russlands, eine echte Mulitpolarität zu erschaffen, die unabhängiger von China ist.

Indien sei in Bezug auf Ideen und Strategien attraktiver als die beiden anderen Länder, da es die meisten sozioökonomischen Herausforderungen mit Afrika teile und außerdem bewiesen habe, dass Neutralität im Neuen Kalten Krieg durchaus möglich ist. Darüber hinaus haben weder die Goldene Milliarde noch die Entente eine Zukunftsvision der Weltordnung, die diesen Kontinent in den Mittelpunkt globaler Prozesse stellt, so dass Indien einen unschätzbaren Soft-Power-Vorsprung gegenüber ihnen erlangen könnte, wenn es als erstes über das “afro-indische Jahrhundert” sprechen würde.

Dies wäre nach Korybko kein hohler Slogan, denn er werde durch wirtschaftliche und geografische Fakten untermauert. Afrika als Ganzes erlebe ebenso wie Indien einen rasanten wirtschaftlichen Aufschwung, und beide liegen geografisch am Indischen Ozean. Es mache daher durchaus Sinn, vom “Afro-Indischen Jahrhundert” zu sprechen, denn gerade diese Region werde in den nächsten acht Jahrzehnten das schnellste Wachstum erleben, mit allen Konsequenzen für die sich entwickelnde Weltordnung.

Das US-Paradigma der “regelbasierten Ordnung” sei westlich orientiert und werde daher von den meisten afrikanischen Ländern als überholt angesehen, während Chinas “Schicksalsgemeinschaft” auf eine chinesisch geprägte Weltordnung hindeute, in der alle Handelswege über die Belt & Road Initiative (BRI) letztlich in die Volksrepublik führen. Beide stellen Afrika nicht ins Zentrum globaler Prozesse, sondern verweisen es entweder an die Peripherie oder betrachten es nur als eine von mehreren gleichberechtigten Regionen.

Im Gegensatz dazu feiere das Paradigma des “Afro-Indischen Jahrhunderts” die führende Rolle Afrikas in der sich entwickelnden Weltordnung und biete die positivste Vision der Zukunft aus der Sicht Afrikas. Afrika und Indien seien echte Regionen des Globalen Südens, deren umfassende Zusammenarbeit als Gleichberechtigte eine echte Süd-Süd-Integration fördere.

Afrika und Indien befänden sich im Hinblick auf den globalen Systemwandel in ähnlichen strukturellen Positionen und hätten beide zu verlieren, wenn der Neue Kalte Krieg stärker von der Systemrivalität zwischen China und den USA bestimmt wird und zu einer Zweiteilung der internationalen Beziehungen führt.

Indien habe die einmalige Chance, an über eine Milliarde Menschen in Afrika zu appellieren, indem es das “Afro-Indische Jahrhundert” als sein nächstes großes außenpolitisches Konzept einführe, vielleicht schon auf dem nächsten G20-Gipfel, zu dem die Afrikanische Union als Gast eingeladen wurde.

Fazit

Russland, China und Indien wissen sehr wohl, dass sie einem immer noch sehr mächtigen Feind die Stirne bieten, und sich durch interne Streitigkeiten keine Blößen geben dürfen. Und dies ist auch der Treiber hinter den nun immer schneller realisiert werdenden Beitritten zu BRICS+. Aber natürlich hat BRICS+ noch längst nicht die Reife in den politischen Vorgängen, wie die EU oder die G7. Der gemeinsame Gegner, das imperiale System, ist das hauptsächlich verbindende Band.

Wenn sich die EU von den USA lösen würde, und die ehemaligen Kolonialstaaten endlich ihre überhebliche Zeigefinder- und Sanktionspolitik aufgeben würden, könnte die Teilnahme an BRICS oder VOGS sofort wieder weniger wichtig für die Länder Afrikas werden. Leider, leider verstehen das unsere Politiker wohl nicht.

Quellen und Hinweise

Der Autor twittert zu tagesaktuellen Themen unter https://twitter.com/jochen_mitschka

(1) https://www.indianpunchline.com/g20-last-waltz-in-a-world-torn-apart/

(2) https://korybko.substack.com/p/interpreting-the-russian-ambassador

(3) https://korybko.substack.com/p/russias-reaction-to-indias-revocation
Delhi hatte den Sonderstatus von Jammu und Kaschmir aufgehoben, bevor es in zwei Unionsterritorien aufgeteilt wurde, was Islamabad und Peking dazu veranlasste, gegen die als destabilisierend bezeichnete Entscheidung Indiens zu protestieren, wobei Chinas Kritik auf dessen Kontrolle über die kaschmirische Region Aksai Chin zurückzuführen war, die Indien als Teil von Ladakh betrachtet. Obwohl die russisch-indischen Beziehungen zu dieser Zeit einige Irrungen und Wirrungen erlebten, stellte sich Moskau in diesem Streit auf die Seite Delhis, auch vor dem UN-Sicherheitsrat. Das russische Außenministerium erklärte damals: “Wir gehen davon aus, dass die Veränderungen, die mit der Änderung des Status des Staates Jammu und Kaschmir und seiner Aufteilung in zwei Unionsterritorien verbunden sind, im Rahmen der Verfassung der Republik Indien durchgeführt werden.” Auf der anschließenden geschlossenen Sitzung des UN-Sicherheitsrats, die von China einberufen wurde, so berichtet Korybko, bekräftigte Russland Berichten zufolge seine konsequente Haltung, dass die Angelegenheit bilateral sei und nicht vor dieses globale Gremium gebracht werden sollte.

(4) https://korybko.substack.com/p/korybko-to-c-uday-bhaskar-its-time

(5) “China hat viel davon, Beamte in die Vereinigten Staaten zu entsenden. Es würde der Welt signalisieren, dass es sich bemüht, die Spannungen mit Washington abzubauen, insbesondere zu einer Zeit, in der China das Vertrauen in seine schwächelnde Wirtschaft stärken muss. Ein Besuch könnte auch dazu beitragen, den Grundstein für ein mögliches, mit Spannung erwartetes Treffen zwischen Präsident Biden und Chinas oberstem Führer Xi Jinping auf einem Forum in San Francisco im November zu legen.“ Dann heißt es, dass sich Peking aber noch nicht festgelegt habe.

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle: Fly Of Swallow Studio / shutterstock

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Kommentare (7)

7 Kommentare zu: “BRICS: Nachschau und das Powerdreieck Russland-Indien-China | Von Jochen Mitschka

  1. Schramm sagt:

    Aspekte der Klassengesellschaft, weltweit

    Russland – Indien – China

    Das Durchschnittseinkommen von 10 Prozent reichsten Russen überflügelt heute die Durchschnittsbezüge von 10 Prozent einkommensschwächsten Bürgern um das 15,3fache. Berücksichtigt man aber noch die inoffiziellen Einnahmequellen, kann die Einkommensschere nach Expertenschätzungen das 30fache übersteigen. (FES 2011)

    Extremer Reichtum, extreme Armut

    Indien ist ein Land extremer Gegensätze: Man findet dort boomende Zentren wie Mumbai, Delhi oder Bangalore und eine wachsende Anzahl an enorm reichen Familien, gleichzeitig aber auch Millionen Menschen, die in extremer Armut leben. Etwa 15 Prozent der Inderinnen und Inder sind unterernährt. Jedes dritte Kind unter fünf Jahren weist infolge chronischer Unterernährung Wachstumsverzögerungen auf. Die Kindersterblichkeit ist höher als in den Nachbarländern Nepal und Bangladesch. (BMZ, 2023)

    Im Jahr 2020 gehörten den oberen 1 Prozent der chinesischen Bevölkerung 30,6 Prozent des gesamten Reichtums. Das Ausmaß der Ungleichheit weckt Zweifel am Anspruch Partei, die Interessen der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung zu vertreten und für soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Die Mehrheit der Wanderarbeiter wurde in den Städten als Bürger zweiter Klasse behandelt. Auch wenn die Regierung das Haushaltsregistrierungssystem inzwischen reformiert und es den Landbewohnern erleichtert hat, sich in der Stadt anzumelden, bleibt es wegen der hohen Mieten und Hauspreise für die allermeisten schwierig, sich dauerhaft niederzulassen. (bpb 2021)

    09.09.2023, R.S.

  2. Ursprung sagt:

    Erst seit rund 8 T Jahren Jahren, sagen Praehistoriker schauen wir auf die Welt durch die Hierarchiebrille. Die davor liegenden 350 T Jahre nicht durch diese Brille. Da entstand aber unser Hirn.
    Wir koennten also auch anders.
    Ich selber bestehe uebrigens genau darauf. Ja, es wird schwer fuer alle player, ohne Hierarchie die Jetztwelt anzusehen, Mitschkas Schilderung gibt `ne Vorstellung davon.
    Es bleibt uns allen aber nicht erspart. Anders bekommen wir das Tohuwabu nicht wieder vom Tisch.
    Es geht nur mit Gemeinwohl und Demokratie. In den USA und Europa werden wir am muehseligsten umlernen muessen. Es ging uns einfach zu gut bis zuletzt auf den armen Knochen der Anderen. Bezeichnend von Mitschka, wie dieser schildert, dass Russen, Inder, Chinesen sehr wohl ueber Stoecke springen koennen.

    • Querdenker sagt:

      "Es geht nur mit Gemeinwohl und Demokratie."

      Nichts gegen Gemeinwohl und Demokratie, ganz im Gegeteil :-) Aber auch da geht's nicht ohne Hierachien. Mir deucht, das was Sie gegen Hierachien haben ist eher ein Missbrauch dieser. Oder um es noch direkter zu sagen: ein Machtmissbrauch. Dagegen bin ich allerdings auch und sehr dafür entsprechende Sicherheitsbalken (Mausfeld) in der Gesellschaft einzuziehen um diesen möglichst zu vermeiden.

      Und da Sie hier für Gemeinwohl plädieren und mir gerade wieder Mausfeld einfiel: In einer Demokratie müssen natürlich _alle_ Bereiche demokratisch geregelt sein, sprich Wirtschaft, Landesverteidigung, Polizei, Nachrichtendienste etc. Für Konzerne gäbe es in einer demokratischen Gesellschaft dann wohl kaum noch eine Existenzberechtigung.

      Ach ja, um es gleich vorwegzunehmen, da ich schon wieder die Einwände höre, Nachrichtendienste, Landesverteidigung etc. brauche eine demokratische Gesellschaft nicht. Das träfe vielleicht zu, wenn wir uns auf einer Insel der Glückseligen befänden, tun wir aber nicht. Also sehe ich die Welt lieber so, wie sie ist und hab' eine realistische Vison, denn eine Utopie ;-)

    • Ursprung sagt:

      #Querdenker:
      was soll denn Gemeinwohl mit Hierarchie zu tun haben? Wer bestimmt das Wohl? Eine Hierarchie etwa?
      Gerade eben nicht, sondern das G-E-M-E-I-N-E, also alle und jeder. Zu deren Wohl. das ist von der Logik her und der Etymologie her ein gegenseitiger Ausschluss. Hierarchie und Gemeinwohl ist gegenseitiger Ausschluss.
      Ebenso ist der Begriff Demokratie und Hierarchie gegenseitiger Logik- und etymologischer Auschluss. Es sind Antagonisten, die gar nicht zusammen genannt werden koennen. Sie sind Gegensaetze und Gegenbegriffe.
      Was soll das, sie zusammen zu behaupten? Sie schliessen sich gegenseitig aus!
      Also kann auf und mit Hierarchie weder Demokratie, noch Gemeinwohl gebaut werden. Ich denke, Sie verwechseln anscheinend Gemeinwohl mit dem Wohl einer in sich geschlossenen Gruppe gegen andere oder weitere Gruppen. Daher ruehrt Ihr vermeintlicher Dissens mit meiner Sicht.

  3. FizzyIzzy sagt:

    https://www.bitchute.com/video/Cl5LLeEG7Jq4/

  4. Krishna sagt:

    Interessante Sichtweise, zu der aber verschiedene Aspekte was ein Indo-Afrikanisches Bündnis betrifft zumindest von indischer Seite ein starkes Hemmnis sein könnten:
    Indien ist zerrissen wie schon lange nicht.
    Der Burgfriede zwischen Hindus und Moslems scheint mit Narendra Modi nachhaltig gestört. Er war immer zerbrechlich, und die vielgelobte Toleranz dort, lag meist im Zurücktreten der Hindus. Eine brisante Mischung, die im Falle wirtschaftlicher Probleme oder noch schneller durch Nahrungsknappheit oder False flag-Anschläge rasch eskalieren kann.
    Mit der Aadhaar-ID-card ist Indien völlig von Microsoft abhängig, beziehungsweise unter dessen Kontrolle, also im US-Amerikanischen Einfluß und kann somit nicht mehr autonom handeln.
    Auf diplomatischer Ebene mag die Möglichkeit bestehen mit afrikanischen Staaten Abkommen zu erzielen, diese bestehen ja zum Teil schon z.B. in der Versorgung mit Generika; auf gesellschaftlicher Ebene wird der Austausch aus kulturellen Gründen sich allerdings schwierig gestalten, zu groß die Differenzen der Werte, des Lebenskonzeptes. Über Afrika weiß ich zu wenig, lediglich daß dort auch viele Staaten unterschiedliche Eigeninteressen haben. Sollte es zu diesem Indisch-AfrikanischenBündnis kommen, werde ich werde ich vor Hochachtung vor den Diplomaten die dies erreichen den Hut abnehmen.

  5. Zivilist sagt:

    Auf Indien würde ich nicht wetten, obwohl auch die Inder unendlich unter den westeuropäischen (incl US) 'Fernhändlern', Kolonialherren, zu leiden hatten. Aber das besondere der EIC Ausbeutung war das 'indirect rule', sie haben also mit wenigen Indern viele Inder bis auf's Blut ausgebeutet und das bietet reichlic Potential für die Fortsetzung heute.

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