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Wahlprotest in Ludwigshafen

Wahlprotest in Ludwigshafen

70 Prozent wählten erst gar nicht, andere nutzten stillen Protest über Wahlzettel

Der Wahlsonntag vom 21. September 2025 hat die politische Landschaft in Deutschland gleich mehrfach gerüttelt. In Ludwigshafen wurde ein Kandidat ausgeschlossen (1), in Koblenz konnte die AfD antreten und blieb schwach (2)(3), in Frankfurt (Oder) kommt es zu einer Stichwahl (4)(5), während in Potsdam die AfD deutlich hinter den etablierten Kräften zurückliegt (6)(7). Doch quer durch alle Städte zeigt sich ein Muster: Die Bürger wenden sich ab, verweigern ihre Stimme oder greifen zu stillen Protestformen, indem sie ungültige Stimmzettel abgeben.

Ein Meinungsbeitrag von Sabiene Jahn.

In Ludwigshafen wurde die Oberbürgermeisterwahl zu einem politischen Skandal. Joachim Paul, AfD-Landtagsabgeordneter aus Koblenz, durfte gar nicht antreten. Der Wahlausschuss verweigerte seine Zulassung mit Verweis auf Zweifel an seiner Verfassungstreue. Das Verwaltungsgericht Neustadt bestätigte den Ausschluss. Nicht weil Paul erwiesenermaßen ungeeignet wäre, sondern weil man die Klärung auf später vertagte. Das Ergebnis: Paul stand nicht auf dem Stimmzettel (1), und die Bürger reagierten. Mehr als siebzig Prozent blieben der Wahl fern, die Beteiligung fiel auf 29,3 Prozent. Rund 3.200 Stimmen waren zudem ungültig, ein Teil davon sichtbar aus Protest, weil Wähler Pauls Namen eigenhändig aufschrieben oder politische Botschaften hinterließen. Bemerkenswert ist zudem, dass die CDU gemeinsam mit der Freien Wählergruppe antrat. Eine Konstellation, die eigentlich breite Zustimmung sichern sollte. Doch selbst im Bündnis reichte es nur für gut 14.000 Stimmen, SPD-Kandidat Jens Peter Gotter kam mit rund 12.000 Stimmen kaum besser davon. Zum Vergleich: Bei der letzten OB-Wahl 2017 erreichte die SPD-Amtsinhaberin Jutta Steinruck in der Stichwahl noch über 30.000 Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 42 Prozent. Heute, nur acht Jahre später, gelingt es den „großen Parteien“ nicht einmal mehr, die Hälfte dieser Zahlen zu mobilisieren.

Die Ursachen liegen in der besonderen Struktur der Stadt. Ludwigshafen ist seit Jahrzehnten von industriellem Wandel, hoher Arbeitslosigkeit und einer starken sozialen Schieflage geprägt. In manchen Stadtteilen haben mehr als 60 Prozent der Einwohner einen Migrationshintergrund, traditionelle Milieus der SPD sind zerfallen, auch die CDU kann kaum noch über ihre Kernklientel hinaus mobilisieren. Die Folge ist ein Klima der Politikverdrossenheit: Schon bei Bundes- und Landtagswahlen lag die Beteiligung regelmäßig unter dem Durchschnitt. Für viele Bürger gilt der Wahlzettel nicht mehr als Instrument politischer Mitgestaltung, sondern als Bühne für stillen Protest – sei es durch Nichtteilnahme oder durch gezielte Ungültigmachung der Stimme. Dass die AfD in Ludwigshafen bei den jüngsten Bundestagswahlen bereits stärkste Kraft wurde, erklärt, weshalb der Ausschluss Joachim Pauls auf so massiven Widerstand stieß. Für viele war er längst ein ernstzunehmender Kandidat. Dass seine Bewerbung nun administrativ blockiert wurde, hat die Distanz zur etablierten Politik weiter vertieft und die Oberbürgermeisterwahl zu einer regelrechten Farce gemacht.

Nur wenige Kilometer weiter, in Koblenz, fiel das Bild völlig anders aus. Hier trat der junge und weitestgehend unbekannte AfD-Kandidat Markus Meixner an und erhielt 7,6 Prozent der Stimmen (2)(3). Amtsinhaber David Langner, der aus der Mainzer SPD-Kaderschmiede stammt, konnte sein Mandat souverän verteidigen, er erreichte 67,1 Prozent, der CDU-Bewerber Ernst Knopp kam auf 21,7 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag mit 44,5 Prozent deutlich über der von Ludwigshafen. Pikant dabei ist: Im Koblenzer Wahlausschuss saß vor Nominierung aller Kandidaten auch Joachim Paul – ausgerechnet jener Kandidat, der in Ludwigshafen ausgeschlossen wurde. In Koblenz gab er allen Bewerbern, auch seinen parteipolitischen Mitbewerbern, grünes Licht – Paul damals: „Formell war alles in Ordnung“. Das unterstreicht die Absurdität der Ludwigshafener Entscheidung: Dort wurde Paul selbst blockiert, während er andernorts das demokratische Verfahren korrekt mittrug. Hier jedoch entschieden sich die Wähler klar gegen die AfD, ohne dass es einer administrativen Vorentscheidung bedurft hätte. Das stärkt die Legitimität des Ergebnisses – ganz gleich, ob man die AfD unterstützt oder ablehnt.

In Frankfurt (Oder) hingegen zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen ab. AfD-Kandidat Wilko Möller erreichte 30,2 Prozent und liegt damit nur knapp hinter dem Parteilosen René Strasser, der auf 32,4 Prozent kam (4)(5). Der Vorsprung beträgt gerade einmal 500 Stimmen. Schon jetzt ist absehbar, dass CDU und SPD ihre Anhänger mobilisieren werden, um den Parteilosen in der Stichwahl zu stützen. Das Szenario erinnert an andere Kommunalwahlen, in denen sich eine klassische „Alle-gegen-einen“-Front gegen die AfD formiert. Politisch ist das legitim, offenbart aber zugleich die eigentliche Stärke der Partei: Sie kann auch ohne breite Koalitionspartner in die Stichwahl einziehen und zwingt die übrigen Parteien in ungewohnte Bündnisse.

Ein gänzlich anderes Bild bietet Potsdam. In der brandenburgischen Landeshauptstadt blieb die AfD mit 13 Prozent deutlich hinter den Erwartungen zurück (6)(7). Vorn lagen die parteilose Kandidatin Noosha Aubel mit 34 Prozent und SPD-Bewerber Severin Fischer mit knapp 17 Prozent. Die Wahlbeteiligung erreichte 55 Prozent und lag damit deutlich über dem Wert von Ludwigshafen. Potsdam zeigt, dass urbane, akademisch geprägte Milieus die AfD abblocken. Hier spielt eine gut vernetzte Stadtgesellschaft mit hohen Bildungsabschlüssen eine Rolle.

Rechtlich sind alle diese Ergebnisse gültig, denn das Kommunalwahlrecht kennt keine Mindestbeteiligung. Politisch aber offenbart sich ein anderes Problem: die Legitimität. Was bedeutet ein Wahlsieg, wenn sieben von zehn Bürgern gar nicht teilnehmen oder ihren Protest durch ungültige Stimmzettel ausdrücken? In Ludwigshafen ist eine Situation entstanden, die in westdeutschen Kommunen nach 1945 kaum je verzeichnet wurde. Eine Wahl, die formal korrekt ist, aber die Zustimmung der Bevölkerung nicht sichtbar macht. Die Reaktionen in der Öffentlichkeit sind entsprechend gespalten. Während die regionale Presse nüchtern über die Siege der CDU oder der Parteilosen berichtet, bleiben die massiven Proteststimmen und die niedrige Wahlbeteiligung weitgehend unerwähnt. In den sozialen Netzwerken und alternativen Medien hingegen werden Bilder der Stimmzettel verbreitet, auf denen Bürger eigenhändig „Joachim Paul“ eintrugen. Dort spricht man offen von einem Skandal.

Damit zeigt dieser Wahlsonntag zweierlei. Wo die AfD zugelassen ist, kann der Wähler sie schwächen oder stark machen – Frankfurt (Oder) und Koblenz liefern den Beweis (3)(4). Wo sie ausgeschlossen wird, wie in Ludwigshafen, bricht die Wahlbeteiligung weiter ein, und Proteststimmen erreichen historische Höhen (1). Das eigentliche Drama liegt nicht in den Prozentzahlen der Parteien, sondern in der Frage nach der demokratischen Legitimation. Denn eine Demokratie lebt nicht nur vom Recht auf Wahl, sondern auch von der tatsächlichen Teilnahme. Ludwigshafen ist in diesem Sinne ein deutliches Warnsignal für parteipolitische Tricksereien. Wer glaubt, Demokratie lasse sich durch Ausschlüsse sichern, riskiert genau das Gegenteil, Entfremdung, Protest und eine Erosion des Vertrauens. Koblenz dagegen macht deutlich, dass das Vertrauen in die Wahlurne erhalten bleibt, wenn der Wähler selbst entscheiden darf. Frankfurt (Oder) wird mit seiner Stichwahl zur nächsten Nagelprobe, Potsdam zeigt die Grenzen der AfD in urbanen Zentren (5)(6).

Die Bilanz ist ernüchternd. Rechtlich gültige Ergebnisse, politisch jedoch fragile Siege. Die Bürger in Ludwigshafen sind zunehmend sauer – und sie haben es diesmal sichtbar gemacht, auch auf dem Wahlzettel. Offen bleibt die Frage, ob der Ausschluss Joachim Pauls nur ein einmaliger Vorgang war – oder ob die Altparteien hier ganz bewusst einen taktischen Verfahrensweg „ausprobiert“ haben, der künftig häufiger genutzt werden könnte. Wollten sie sehen, wie weit ein Wahlausschuss gehen kann, ohne dass die Gerichte sofort einschreiten? Fakt ist, Paul kann das Ergebnis nun anfechten. Doch selbst wenn er recht bekommt, bleibt zweifelhaft, ob dies eine Neuwahl nach sich ziehen würde. Die Wahl ist gelaufen, der Schaden politisch angerichtet. Ein nachträglicher juristischer Erfolg hätte vor allem symbolischen Wert – als Warnung für künftige Verfahren. Genau deshalb ist Ludwigshafen nicht nur ein lokaler Streit.

Hier zum Interview mit Joachim Paul: https://apolut.net/im-gespraech-joachim-paul/

Quellen und Anmerkungen:

1.) https://ludwigshafen.de/verwaltung-politik/oberbuergermeisterinnenwahl-2025

2.) https://www.koblenz.de/aktuelles/oberbuergermeisterwahl-2025

3.) https://wahlen.koblenz.de

4.) https://wahlergebnisse.brandenburg.de/53/700/20250921/buergermeisterwahl_gemeinde/ergebnisse.html

5.) https://www.frankfurt-oder.de/index.php?FID=4071.3843.1&ModID=7&object=tx,4071.5.1

6.) https://opendata.potsdam.de/explore/dataset/ergebnisse-obm-hauptwahl-21092025/

7.) https://wahlergebnisse.brandenburg.de/54/100/20250921/buergermeisterwahl_gemeinde/index.html

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bild: Ortseingang von Lufwigshafen
Bildquelle: DonJulio / shutterstock


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