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Wachstumsschub für den Kraken | Von Bernd Kuck

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Die IT-Riesen wollen die Verbraucher noch mehr als zuvor von sich abhängig machen und ihre Daten abgreifen. Eine Rezension zu „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“.

Hinweis zum Beitrag: Der vorliegende Text erschien zuerst im „Rubikon – Magazin für die kritische Masse“, in dessen Beirat unter anderem Daniele Ganser und Hans-Joachim Maaz aktiv sind. Da die Veröffentlichung unter freier Lizenz (Creative Commons) erfolgte, übernimmt apolut diesen Text in der Zweitverwertung und weist explizit darauf hin, dass auch der Rubikon auf Spenden angewiesen ist und Unterstützung braucht. Wir brauchen viele alternative Medien!

Ein Standpunkt von Bernd Kuck.

In der heutigen schnelllebigen Zeit scheint der gedruckte Text eine überholte Einrichtung zu sein. Allerdings nur insofern, als der Überwachungskapitalismus nahezu ungebremst voranschreitet. So gesehen ist Shoshan Zubhoffs Buch „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“ natürlich aktueller denn je. Es geht um die großen Akteure Google, Facebook plus WhatsApp, Apple, Amazon und Microsoft, die inzwischen eine monopolistische Macht erlangt haben, die die Demokratien massiv gefährden. Was Zuboff noch nicht erwähnen konnte, sind unter anderem die Ausweitung des Geschäfts von Amazon auf die sogenannte Cloud-Speicherung, der Angriff von Google auf Microsoft mit Hilfe von Google Chrom OS und der wichtige Einstieg auf dem Laptopmarkt. Die Idee dahinter ist: kaum noch Speicherplatz auf dem Laptop, alles geht online, Programme laufen online, gespeichert wird in der Cloud. Vielfach herrscht Begeisterung darüber, dass dann die PCs und Laptops billiger werden und dass in den Firmen ganze IT-Abteilungen eingespart werden können, weil Updates direkt in der Cloud erfolgen. Was sich die Enthusiasten nicht klar machen: Die Datensicherheit ist auf diese Weise gefährdet. Das Gros der Menschen wird noch mehr zu Datenlieferanten für die Werbeindustrie. Und Microsoft zieht nach: Windows 11 kommt auf den Markt und wird das Cloudcomputing ebenso vorantreiben. Windows 10 wird ab 2025 nicht mehr mit Updates versorgt, also müssen alle in die Cloud (Handelsblatt vom 13. August 2021 (2))? Es bleibt nur zu hoffen, dass Linux gegenhalten wird und die Freiheit der Entscheidung den Nutzern überlässt.

Aber nun zum Text. Die Kernthese besteht darin, dass die Nutzer schon lange nicht mehr bloße Datenlieferanten sind, was sich von den Datenkraken in klingende Münze umsetzen lässt, sondern längst die gesammelten Daten dazu genutzt werden, Verhaltensmanipulationen vorzunehmen. Dazu verhelfen nicht nur Cookies, sondern der ganze Bereich des sogenannten Smarthome. Es ist noch gar nicht so lange her, dass die Barbiepuppe aufflog, weil sie via WLAN-Anschluss die Gespräche der Kinder belauschte, um deren neueste Wünsche zu erfahren. Das geht auch in der Erwachsenenwelt: Der Fernseher hört mit, Alexa sowieso und auch Cortana, die Sprachsoftware von Windows ist mit am Ball. Das bedeutet letztlich den Verlust der Privatsphäre. Aber der normale Nutzer, die normale Nutzerin hat ja nicht einmal eine Idee vom Minimum an Datenschutz (3). Wozu braucht Ihre App Zugriff auf Kamera und Mikrophon, wenn Sie doch nur den aktuellen Wetterbericht erfahren wollen? Und selbst für digital Affine übersteigt es die Vorstellungskraft, was im Hintergrund an Datenmassen gesammelt wird, miteinander verknüpft und gewinnbringend vermarktet wird. Wer immer noch glaubt, dass es im Kapitalismus irgendetwas kostenlos gibt, der findet es wahrscheinlich auch toll, wenn sich die Vorstellung der Datenkraken erfüllt, bei der Sie in eine Bar in Frisko gehen, wo der Barkeeper schon weiß, dass Sie kommen, weil er dafür bezahlt, dass Sie in die richtige Bar gelotst werden. Und er hat schon Ihren Lieblingsdrink gemixt, weil er natürlich weiß, was Sie so mögen. Doof nur für den Barkeeper, wenn mir heute nach etwas anderem ist. Aktuell kann mensch sich gruseln bei den Ergebnissen des Künstlerprojekts „Made to Measure“. Siehe dazu auch den Artikel in der TAZ vom 30.8.2021: Bis du dich wiedererkennst. Für Zuboff geht es also „um die Verfinsterung des digitalen Traums und dessen rapide Mutation zu einem ganz und gar neuen gefräßigen kommerziell orientierten Projekt, dem ich den Namen Überwachungskapitalismus gegeben habe“. Was Marx nicht wissen konnte, denn diese Spielart des Kapitalismus ist völlig neu, selbst wenn sie auf dem Neoliberalismus gründet. Sie ist auch beispiellos, was die Überrumpelung der Menschen erleichtert. Diese Spielart nährt sich nicht von Arbeit, sondern von jeder Art menschlicher Erfahrung. „Überwachungskapitalisten wissen alles über uns, während ihre Operationen so gestaltet sind, uns gegenüber unkenntlich zu sein. Überwachungskapitalisten entziehen uns unermessliche Mengen an Wissen, aber nicht für uns; sagen unsere Zukunft nicht zu unserem, sondern zu anderer Leute Vorteil voraus“. Wenn schon der Kapitalismus an sich aus dem Ruder gelaufen ist, so in diesem Feld der neuen Märkte erst recht. Der Neoliberalismus hat dazu die Grundlage geschaffen, indem er mit seiner Marktideologie den Staat immer mehr zurückdrängte. „Die Disziplin der Wettbewerbsmärkte versprach, die aufsässigen Individuen ruhigzustellen, ja sie sogar wieder in Untertanen zu verwandeln, die zu sehr mit Überleben beschäftigt sind, um sich groß zu beschweren“. Quasi nebenbei entdeckte Google den „Verhaltensüberschuss“. Damit meint Zuboff, dass die Rohstoffe für die Datenkraken, die bislang der Verbesserung der Suchergebnisse dienten, nunmehr den einzelnen Nutzer ins Visier nehmen. Das geht bis hin zu Stimmungsdaten, die sich aus den Suchanfragen, aber auch aus der Art des Tastenanschlags ermitteln lassen. Derlei Verhaltensdaten stellten einen Überschuss dar, der dem damals noch jungen Unternehmen „die nachhaltigen und exponentiellen Profite“ einbringen würde. So ließen sich Nutzerprofile erstellen, selbst wenn der Nutzer sie nicht ausdrücklich zur Verfügung stellt. „Nutzerprofil-Informationen können jede Art von Information über einen individuellen oder über eine Gruppe von Nutzern enthalten. Solche Informationen können, die Genehmigung einer Herausgabe der Nutzerinformationen durch einen Dritten vorausgesetzt, vom Nutzer gestellt und/oder aus den Aktionen des Nutzers gewonnen werden. Gewisse Nutzerinformationen lassen sich anhand anderer Nutzerinformationen desselben Nutzers und/oder Nutzerinformationen anderer Nutzer ableiten und vermuten. Nutzerprofil-Informationen können mit unterschiedlichen Einrichtungen verbunden sein“. (4)

Wir sind schon lange nicht mehr das von Google verkaufte Produkt. Unseren Subjektstatus haben wir im Netz sowieso schon verloren. Vielmehr sind wir die Objekte für die unrechtmäßige Datensammlung, sind der Rohstoff für Googles Vorhersagefabriken.

Das fertige Produkt, Vorhersagen über unser Verhalten, liefert Google natürlich nicht an uns, sondern profitabel an Werbekunden. „Wir sind die Mittel zu anderer Leute Zweck“. Diese Art der „Produktion“ ist derart außergewöhnlich wie die Einführung der Fließbandarbeit durch Ford. Das war seinerzeit ebenso beispiellos. Selbst beim Automobil sprach mensch von Wagen ohne Pferde, weil es so wenig vorstellbar war. Dem laxen Umgang mit dem Datenschutz bereitete einerseits der Neoliberalismus den Boden, andererseits der Terroranschlag am 11. September 2001 auf das World Trade Center. Ab sofort ging es mehr um Sicherheit als um Privatsphäre. „Die eben noch diskutierten Datenschutzbestimmungen waren mehr oder weniger über Nacht vom Tisch. Sowohl in den USA als auch in der Europäischen Union sorgte man rasch für Gesetze, die ausgedehnte Überwachungsaktivitäten erlaubten“. So war bald die Wahlverwandtschaft zwischen staatlichen Nachrichtendiensten und dem „kaum flüggen Überwachungskapitalisten Google“ zu neuer Blüte gelangt. Dass Google dann bald erhebliche Mittel für Lobbyarbeit aufwandte und aufwendet, versteht sich von selbst. Einfluss auf Forschung, Gesetzgebung und Patente sollen Googles Position festigen und ausbauen. Die Finanzierung universitärer Forschung dient natürlich nur dem Allgemeinwohl. Als allerdings im Sommer 2017 Barry Lynn das Urteil der EU-Kommission nach langjährigen kartellrechtlichen Ermittlungen — Google sollte 2,4 Millarden Euro zahlen — lobte, wurden Lynn, einer der renommiertesten Wissenschaftler der New America Foundation und Spezialist für digitale Monopole, und sein zehnköpfiges Open-Markets-Team gefeuert. Seine Monopolstellung baute Google mit seinem Betriebssystem Android deutlich aus. Dazu gehört auch das Universum von Google Play, dem App-Store schlechthin, an dem kein Android-Nutzer vorbeikommt. Die Hersteller der Handys, die Play-Store vorinstalliert ausliefern wollten, mussten eine entsprechende Lizenz erwerben und voreingestellte weitere Dienste mitliefern: Search, Gmail, Google Play, YouTube, Google Maps, Google Photos — allesamt Datenquellen, Google Photos schließlich zum Training der Gesichtserkennungssoftware. Der Übergriff ist bereits zur Normalität geworden. „Das Staunen verflüchtigt sich ebenso wie die Empörung: der Übergriff selbst, einst undenkbar, hält schleichend Einzug in die Normalität. Schlimmer noch, er erscheint uns allmählich unvermeidlich. Neue Abhängigkeiten entwickeln sich. Und je mehr die Bevölkerung dieser Entwicklung gegenüber abstumpft, desto schwieriger wird es für Einzelne wie für Gruppen, ihre Rechte einzuklagen“ (Seite 167). Sukzessive werden die Menschen ihres Selbstbestimmungsrechtes beraubt, was sich etwa in Deutschland derzeit mit der elektronischen Patientenakte ereignet. Google hat mit Street View die selbstermächtigte Aneignung von Daten massiv vorangetrieben. Widerstand regte sich in Deutschland, was immerhin dazu führte, dass die Betroffenen die Verpixelung ihrer Hausansichten fordern konnten.

Eine allseits beliebte Methode des „opt-out“. Wir machen erst einmal, ihr könnt dann ja widersprechen; wir setzen darauf, dass euch das zu unbequem ist, zumal ihr natürlich einige Geduld benötigt, um euch durch die verschlungenen Wege unsere Website zu klicken.

„Die strategische Disziplin des Unternehmens, wenn es ums Mauern geht, um Abfuhren an die Obrigkeit oder die Ausbeutung der Demokratie, führte dazu, dass die aus Street View gewonnenen Daten sechs weitere Jahre genutzt werden konnten und dass man sechs weitere Jahre hatte, um am Mythos von Googles Unvermeidlichkeit zu feilen. Und wir sahen hilflos zu, während das Unternehmen sechs weitere Jahre hatte, um den Diebstahl unseres Entscheidungsrechts normal aussehen zu lassen, ja sogar ‚praktisch‘, ‚nützlich‘ oder ‚genial‘“. Facebook stand und steht dem in nichts nach, ist nach Zuboff der aggressivste Konkurrent in der Schlacht um Daten. Facebook trackte seine Nutzer sogar dann noch, wenn sie ausgeloggt waren, wozu ein australischer Blogger den Nachweis führte. Und Microsoft sammelte nicht nur Daten über seine Suchmaschine „Bing“, sondern perfektionierte die Sammelwut über seine cloudbasierte „Assistentin“ Cortana. „Nichtsdestoweniger war das Unternehmen klug genug, seinen Nutzern das wahre Ausmaß von Cortanas Wissen zu verschweigen. Cortana will alles über Sie wissen, aber sie will nicht, dass Sie wissen, wie viel sie weiß oder dass alle ihre Operationen darauf abgestimmt sind, fortwährend mehr zu erfahren.“ Und schließlich erwarb Microsoft 2016 für 26,2 Milliarden Dollar das soziale Netzwerk für Fachkräfte LinkedIn! Und eines der größten amerikanischen Unternehmen der IT-Nutzung, Verizon, sammelte über die Identnummer Verhaltensdaten der Nutzer, egal, ob sie Smartphones oder Tablets nutzen. Der verwandte Tracker kann nicht abgeschaltet werden oder mit Browsereinstellungen oder Datenschutztools umgangen werden. Eingeführt werden diese Möglichkeiten kurzerhand durch Deklaration. Google und andere erklären einfach, dass die Daten ihr Eigentum sind! Das sind Methoden, die in Kolonialzeiten üblich waren. Mensch erklärte einfach ein Land zum Eigentum eines Königs — und fertig. Und so beanspruchen heute Google und Konsorten menschliche Erfahrungen als „herrenlosen Rohstoff“. „Auf der Basis dieses Anspruchs können wir Rechte, Interessen, Kenntnisnahme und Verständnis der Betroffenen ignorieren.“ So eignete man sich Wissen, Autorität und Macht an: „Wer weiß?“, „Wer entscheidet?“, und: „Wer entscheidet, wer entscheidet?“ Die Antworten auf die drei Fragen: die Maschine, die beschränkte Marktform und die zugehörigen Geschäftsmodelle, das Finanzkapital, das allein der Gewinnmaximierung und den Forderungen der Aktionäre folgt. Wissen und Macht fließen sozusagen ab und der ahnungslose Nutzer glaubt immer noch, dass alles zu seinem Nutzen geschieht und er nichts dafür bezahlen muss. Der offizielle Text ist der angebliche Nutzen für die User, der inoffizielle ist die Gewinnmaximierung der Betreiber. „In diesem [inoffiziellen, BK] Text sehen wir unsere Erfahrungen als Rohstoff requiriert, um diesen als Mittel zu anderer Leute Marktzielen anzuhäufen und zu analysieren.“

Die Befürworter der Marktmacht von Google, Facebook, Amazon und Co. werden zu Priestern der Datenmonopole, weil die Masse an digitalisierten Daten nur noch mittels künstlicher Intelligenz — oder Dummheit, wie manche finden — zu bewältigen sind.

Und Jott Spahn hält sich in Deutschland für den gottähnlichen Akteur und ist doch nur einer der Priester, die Digitalisierung predigen und Vernetzung und Datennutzung durch andere meinen. Paul Schwartz von der University of California in Berkley warnte schon 1989 davor, die Gefahr der Computerisierung zu unterschätzen. „‚Die Gefahr, die der Computer birgt, gilt der Autonomie des Menschen‘, warnte er. ‚Je mehr über eine Person bekannt ist, desto leichter ist sie zu kontrollieren. Um die Freiheit zu garantieren, von der die Demokratie lebt, bedarf es der Strukturierung des gesellschaftlichen Umgangs mit Informationen und sogar des Verbergens von Informationen‘.“ Der Stand bei Erscheinen des Buches von Zuboff war, dass es „die überwachungskapitalistischen Unternehmen [sind], die wissen. Es ist ihre Marktform, die entscheidet. Und es ist der Wettbewerb zwischen Überwachungskapitalisten, der entscheidet, wer entscheidet.“ Daran hat sich nichts geändert, vielmehr hat sich die Situation noch verschärft, siehe Handelsblatt weiter oben. Es hat gleichsam eine Metamorphose stattgefunden. Dachten wir früher, dass die digitale Infrastruktur etwas ist, das wir haben, so ist sie inzwischen zu Etwas geworden, das uns hat! Lieferanten der Daten sind wir, die vernetzte Autos nutzen, das Internet der Dinge (Smarthome) oder eben Telefon, Smartphone und PCs. Regt sich dann doch ein Widerwille, so werden die Lämmer und Unternehmen mit Vergünstigungen und Kosteneinsparungen gelockt, „die ‚signifikant genug‘ sein sollten, um die Leute dazu zu bewegen, hinsichtlich ihrer Sorge um die Privatsphäre ‚einen Kompromiss einzugehen‘ — ‚trotz anhaltender Bedenken‘.“ Solche Angebote sind etwa günstigere Versicherungstarife bei Auto- und Krankenversicherung. Bei letzteren, wenn mensch seine Gesundheitsdaten zur Verfügung stellt. McKinsey sprechen denn auch von ‚völlig neuen Geschäftsbereiche[n]‘ in den ‚Datenmärkten‘. So lasse sich etwa ein ‚Gesundheitsüberschuss‘ durch ‚relevante Empfehlungen monetarisieren‘ (5). Diese Entwicklung sei unvermeidlich, so ja auch die Rede, wenn es um den Zugang der „Gesundheitsindustrie“ zu den Gesundheitsdaten geht, die eigentlich Krankheitsdaten sind. Das ist jedoch nicht einfach ein Schicksal, das über uns kommt, sondern von Menschen gemacht. Statt dass die Lämmer weiter schweigen und erdulden, gilt es, sich zu wehren! Und so geht es weiter über viele Seiten, auf denen sich ein Szenario darstellt, in dem wir unserer Privatheit mehr und mehr beraubt werden. Zuboff vergleicht es mit dem gläsernen Haus, das für uns keinerlei Rückzugsmöglichkeiten mehr bietet. Und das über WLAN — allein in meiner unmittelbaren Nachbarschaft sind, je nach Tageszeit, zwei bis sieben Netzwerke sichtbar.

Es reicht nicht aus, sich durch alle möglichen Datenschutztools abzusichern. Die meisten Nutzerinnen und Nutzer werden damit überfordert sein. Dem Eingriff in unsere Intimsphäre kann nur durch gesetzliche Regelungen entgegen getreten werden.

Zuboff verwendet das Beispiel der Berliner Mauer, die nicht durch Tunnelgrabungen fiel, sondern erst als die Menschen kollektiv aufbegehrten. Die Rechtswissenschaftlerin Anita Allen sieht die Verletzung der physischen Intimsphäre gegeben, „‚wenn eine Person ihre Bemühungen, sich abzusondern oder zu verstecken, konterkariert sieht‘ (…). Eine Verletzung der informationellen Intimsphäre liegt vor, ‚wenn Daten, Fakten oder Gespräche, die eine Person geheim zu halten oder zu anonymisieren wünscht, erworben oder enthüllt werden’.“ „Die letzten beiden Jahrzehnte haben uns gelehrt, dass der Einzelne die Last dieses Kampfs (um den Schutz unserer Daten und unserer Intimsphäre, BK) an der neuen Grenze der Macht ebenso wenig allein tragen kann, wie der einzelne Arbeiter zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Kampf um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen nicht allein führen konnte. Diese Herausforderungen des 20. Jahrhunderts bedurften des kollektiven Handelns. Das gilt jetzt mehr denn je.“ Cory Doctorow (6) hält den vorliegenden Text für sehr wichtig, meint jedoch, dass Zuboff mit ihrer Diagnose falsch liege. Die Unternehmen können nicht manipulieren. Das Problem sei, dass sie ein Monopol haben und wir haben nur dann eine Chance, wenn wir die Monopole zerschlagen, wozu die Politiker, die nicht korrupt sind, die Graswurzel brauchen. Dabei bezieht er sich auf Roosevelt, der meinte, er könnte die Monopole zerschlagen, sei aber auf die Hilfe der Bürger angewiesen. Zuboff deutet nur an, dass es nicht hinreicht, über Gesetze eine Änderung herbeizuführen. Das sieht mensch zum Beispiel an der Datenschutzgrundverordnung, wonach wir der Nutzung von Cookies zustimmen müssen — oder eben nicht. Nur — die Webseite funktioniert dann oft nicht besonders gut, vor allem bei Einkäufen über das Netz. Also stimmen die Nutzer ebenso locker zu, wie sie die vielseitigen Geschäftsbedingungen nicht lesen. Oder die Unternehmen suchen trickreich neue Möglichkeiten, und sei es nur die Rubrik „berechtigte Interessen“, wohinter sich massenhaft „Dritte“ verbergen, die auch noch Cookies setzen. Oder sie ändern die Geschäftsbedingungen — die sowieso keiner liest und die mensch, wenn mensch es doch tut, nicht versteht —, wodurch die Nutzerinnen und Nutzer dann zustimmen, die Datenschutzverordnung zu umgehen. Zum Beispiel unterstanden dann die Nutzer von Facebook in Afrika, Asien, Australien und Lateinamerika nicht mehr den Datenschutzbedingungen, wie sie am Firmensitz in Irland gelten, also der europäischen DSGVO, sondern wurden klammheimlich dem amerikanischen Datenschutzrecht zugeschlagen. Abgesehen davon, dass Facebook in Irland nur deshalb residiert, weil dort die geringsten Steuern anfallen. „Sollte sich die Vergangenheit als Auftakt erweisen, werden Privatsphäre, Datenschutz und das Kartellrecht kaum genügen, um den Überwachungskapitalismus zu bremsen.“ „Unterbrechen lässt sich dieser Kreislauf nur, wenn wir als Bürger, als Gesellschaft, ja als Zivilisation der Tatsache Rechnung tragen, dass Überwachungskapitalisten zu viel wissen, um in den Genuss der Freiheit zu kommen, die sie für sich beanspruchen.“ Setzen wir uns nicht wirkungsvoll zur Wehr, nähern wir uns dem Totalitarismus an, wie er in China schon herrscht und den Hannah Arendt in seiner Struktur beschrieben hat.

Quellen und Anmerkungen:

  1. Im Deutschlandradio gibt es ein Interview mit Frau Zuboff: 20.10.2018, Überwachungskapitalismus und kein Ausweg?
  2. https://www.handelsblatt.com/technik/it-internet/chromebook-erfolg-im-zweiten-anlauf-wie-google-im-laptop-markt-an-microsoft-und-apple-vorbeizieht/27502188.html?tp=hb-eng-art4-fp-, Zugriff 23.8.2021, 17:00
  3. Zotzmann-Koch: „Dann haben die halt meine Daten. Na und!“
  4. Krishna Bharat, Stephen Lawrence, Mehran Sahami, Generating use information vor us in targeted advertising, S. 10
  5. so Deloitte, Overcoming Speed Bumps on the Road to Telematic, in: IGAAP 2016, In Depth
  6. Ein Interview mit Doctorow im Deutschlandradio in der Mediatek: 19.9.2020, Breitband, Cory Doctorow über den Überwachungskapitalismus: Monopole zerschlagen!

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Danke an den Autoren für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Dieser Beitrag erschien am 17.9.2021 im Rubikon – Magazin für die kritische Masse. +++

Bildquelle:   / shutterstock


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