Einst das Vorzeigekind des Establishments, ist Greta Thunberg von der globalen Elite fallen gelassen worden. Die Berichterstattung über sie ist von Hunderten Artikeln pro Jahr auf kaum mehr als eine Handvoll zurückgegangen – just in dem Moment, in dem sie ihren Fokus vom Umweltschutz auf das kapitalistische System sowie auf den israelischen Angriff auf Gaza erweitert hat, den die schwedische Aktivistin als „Völkermord“ bezeichnete.
Ein Meinungsbeitrag von Alan Macleod.
Keine Marionette
Greta Thunberg war einst der Liebling der Medien. Als sie mit fünfzehn Jahren einen Klimastreik an ihrer Schule organisierte, wurde sie schlagartig berühmt und vom Establishment schnell ins Rampenlicht gerückt. Im Jahr 2019 wurde sie ins Europäische Parlament eingeladen und erhielt dort stehende Ovationen von den anwesenden Politikerinnen, Politikern und Diplomaten.
Auch vor dem britischen Parlament durfte sie sprechen. Selbst als sie den versammelten Abgeordneten vorwarf, ein Haufen von „Lügnern“ zu sein, die „eine der größten Fehlleistungen der Menschheit“ zu verantworten hätten, wurde die junge Schwedin wohlwollend beklatscht. Der damalige britische Umweltminister Michael Gove gab später zu, die Worte von Greta Thunberg hätten ihn bewegt, und erklärte ihr gegenüber:
„Als ich dir zuhörte, verspürte ich große Bewunderung, aber auch Verantwortung und Schuld. Ich gehöre zur Generation deiner Eltern und anerkenne, dass wir viel zu wenig getan haben, um den Klimawandel und die größere Umweltkrise anzugehen, die wir mitverursacht haben.“
Ihre Botschaft, dass die drohende Klimakatastrophe dringend angegangen werden müsse, war für die Mächtigen annehmbar, und man versuchte, Thunberg durch Zugang zu Entscheidungsträgern und Auszeichnungen zu vereinnahmen. Ebenfalls im Jahr 2019 wurde sie im Alter von gerade einmal 16 Jahren zur „Schwedin des Jahres“ gekürt, Forbes zählte sie zu den 100 mächtigsten Frauen der Welt, und das Time Magazine ernannte sie zur „Person des Jahres“. Zur Begründung hieß es, Thunberg habe „Alarm geschlagen wegen der räuberischen Beziehung der Menschheit zum einzigen Zuhause, das sie hat“, sie sei eine Stimme, „die in einer zersplitterten Welt Grenzen und Herkunft überwindet“, und sie zeige, „wie eine neue Generation die Führung übernehmen könnte“.
Während Konservative ihr von Anfang an feindlich gegenüberstanden, überhäuften liberale Institutionen sie mit Aufmerksamkeit und Lob. Die New York Times etwa bezeichnete sie als „eine moderne Kassandra im Zeitalter des Klimawandels“ und hob hervor, dass ihr Engagement „weltweit gewaltige Demonstrationen von Schulkindern inspiriert“ habe.
Doch Thunberg weigerte sich, zur Galionsfigur der Eliten gemacht zu werden – der Versuch, ihr Engagement zu instrumentalisieren, scheiterte. In der Folge brach die Berichterstattung über sie in den etablierten Medien dramatisch ein, obwohl sie weiterhin für globale Anliegen kämpft und dabei mittlerweile sogar ihr Leben riskiert – wie etwa beim Versuch, die völkerrechtswidrige Blockade des Gazastreifens zu durchbrechen.
Dieses Phänomen lässt sich anhand der Berichterstattung über Thunberg in der New York Times und der Washington Post nachvollziehen. Nachdem sie 2018 schlagartig ins öffentliche Interesse gerückt war, berichteten beide Zeitungen zunächst ausführlich über Thunberg und ihre Aktivitäten – mit nahezu 460 Artikeln im ersten Jahr. Bis 2025 ist diese Berichterstattung jedoch nahezu zum Erliegen gekommen: Die New York Times erwähnte Thunberg nur noch in drei Artikeln, die Washington Post in zweien – und lediglich jeweils ein Beitrag widmete ihr mehr als eine beiläufige Randnotiz.
Dr. Jill Stein, dreifache Präsidentschaftskandidatin der US-amerikanischen Grünen, zeigte sich über diese Entwicklung nicht überrascht. „Das gehört dazu, wenn man sich von innerhalb des Systems nach außerhalb bewegt – und es ist ein echtes Zeichen von Integrität, wenn die Medien aufhören, über einen zu berichten“, sagte sie gegenüber MintPress. „Greta wurde gecancelt, so wie viele der besten Aktivistinnen und Aktivisten, die ich kenne.“
Der drastische Rückgang des Interesses in den etablierten Medien korreliert deutlich mit den zunehmend radikalen Positionen, die Greta Thunberg einnimmt. Im Jahr 2022 identifizierte sie den Kapitalismus als Hauptursache für den drohenden Klimakollaps und forderte eine umfassende globale Revolution. Sie erklärte:
„Was wir als ‚normal‘ bezeichnen, ist ein extremes System, das auf der Ausbeutung von Menschen und des Planeten basiert. Es ist ein System, das vom Kolonialismus und Imperialismus, von Unterdrückung und Völkermord durch den sogenannten globalen Norden geprägt ist, mit dem Ziel der Akkumulation von Reichtum – und das bis heute die Weltordnung bestimmt.“
Bei derselben öffentlichen Veranstaltung bezeichnete sie die UN-Klimakonferenzen als Zeitverschwendung und lediglich als Gelegenheit für Mächtige, „sich grünzuwaschen, zu lügen und zu betrügen“.
Zudem setzt sich Thunberg verstärkt für Arbeiterrechte im Kampf gegen ihre Arbeitgeber ein. Im vergangenen Jahr besuchte sie die Fabrik für Automobilkomponenten GKN im italienischen Florenz, ein Werk, das von streikenden Beschäftigten besetzt wurde. Sie erklärte, Klimagerechtigkeit seien Arbeiterrechte, und betonte:
„Jede angebliche Notwendigkeit, sich zwischen dem Kampf für Arbeiterrechte und dem Kampf für Klimagerechtigkeit entscheiden zu müssen, ist aufgehoben. Die Landschaft verteidigt die Fabrik, die Fabrik verteidigt die Landschaft. Der Kampf, bis ans Monatsende durchzukommen, ist derselbe Kampf gegen das Ende der Welt.“
Thunberg äußerte sich zudem gegen die marokkanische Besatzung der Westsahara, unterstützte streikende indische Bauern und verurteilte die russische Invasion der Ukraine. Unzweifelhaft brachte ihr jedoch besonders die Solidarität mit dem palästinensischen Volk und dessen Anliegen am meisten Kritik ein. Im Jahr 2021 teilte sie einen Beitrag in den sozialen Medien, in dem Israel Kriegsverbrechen vorgeworfen wurden. Sie schrieb, es sei „verheerend, die Entwicklungen in Jerusalem und Gaza zu verfolgen“, und versah den Post mit dem Hashtag #SaveSheikhJarrah.
Nach dem Angriff der Hamas vom 7. Oktober und der darauf folgenden israelischen Bombardierung des Gazastreifens forderte sie einen sofortigen Waffenstillstand sowie Freiheit und Gerechtigkeit für Palästina. Und im vergangenen Jahr wurde sie bei einem Protest gegen die Teilnahme Israels am Eurovision Song Contest festgenommen.
Für diese Haltung wurde Greta Thunberg lautstark von denselben Medien verurteilt, die sie nur wenige Jahre zuvor noch gefeiert und gefördert hatten. Nur wenige Tage nach ihrem Aufruf zu einem Waffenstillstand veröffentlichte das Magazin Forbes einen Artikel mit der Überschrift: „Die Haltung von Greta Thunberg zu Gaza ist ein Problem für die Klimaschutzbewegung“.
Im Artikel wurde behauptet, das Teilen „kontroverser Meinungen, die lediglich ganze Bevölkerungsgruppen entfremden“, in den sozialen Medien trage nicht dazu bei, „ein ökologisches Anliegen voranzubringen“, sondern „schwäche lediglich ihre Wirksamkeit als Fürsprecherin und schade der gesamten Klimabewegung“. In einem weiteren Forbes-Artikel wurde der bisherige Werdegang von Thunberg als „Tragödie“ bezeichnet. Sie sei getrieben von einem alles durchdringenden „Hass auf Israel“ und dem festen Willen, „den jüdischen Staat zu zerstören“. Die einflussreiche deutsche Publikation Der Spiegel, die Thunberg 2019 noch zur „Person des Jahres“ gekürt hatte, bezeichnete sie nun als „Antisemitin“.
Für Jill Stein lässt sich die mediale Ausgrenzung von Thunberg nicht einfach damit erklären, dass das Engagement einer mittlerweile 22-Jährigen weniger berichtenswert sei als das Engagement eines frühreifen Teenagers. Vielmehr hätten ihre öffentlichen Positionierungen gegen Kapitalismus, Imperialismus und Israels Vorgehen in Gaza für Verärgerung gesorgt.
„Jede ihrer Stellungnahmen war in den Augen der Oligarchie und der sie verteidigenden Mainstream-Medien ein weiterer Abstieg“, sagte Stein. „Man konnte förmlich beobachten, wie der Gegenwind gegen sie zunahm, sobald sie damit begann, über soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit zu sprechen. Aber als sie sich auch noch zum Thema Gaza äußerte, war das der letzte Tropfen – ab da wurde sie in den Leitmedien nicht mehr erwähnt.“
Thunberg selbst sieht den Kampf für eine grünere Welt als untrennbar verbunden mit dem Einsatz für politische und wirtschaftliche Freiheit. „Für mich lässt sich das nicht voneinander trennen“, sagte sie und ergänzte:
„Klimagerechtigkeit ist ohne soziale Gerechtigkeit nicht möglich. Der Grund, warum ich Klimaaktivistin bin, ist nicht, weil ich Bäume beschützen will. Ich bin Klimaaktivistin, weil mir das Wohlergehen von Mensch und Planet am Herzen liegt – und das ist eng miteinander verknüpft.“
Dimitri Lascaris, Jurist und ehemaliger Kandidat für den Vorsitz der kanadischen Grünen Partei, der selbst bereits mehrfach auf sogenannten Freedom Flotillas versuchte, die Blockade Gazas zu durchbrechen, sieht in der Ausgrenzung von Greta Thunberg auch ein Armutszeugnis für die Umweltbewegung. Gegenüber MintPress sagte er:
„Bevor Greta eine unglaublich mutige Haltung gegenüber den Opfern des genozidalen israelischen Regimes einnahm, war sie der Liebling der Bewegung. Doch viele dieser sogenannten ‚Umweltschützer‘, die sie zuvor noch gefeiert haben, sind nun verstummt – obwohl Thunberg ihr Leben riskiert, um auf das Leid der Palästinenser aufmerksam zu machen. Umweltgerechtigkeit und Menschenrechte sind untrennbar miteinander verbunden. Wer jetzt nicht an Gretas Seite steht, hat kein Recht, sich ‚Umweltaktivist‘ zu nennen.“
Gefährliche Gewässer
Nebst ihrer Reise in neue politische Betätigungsfelder als Aktivistin befindet sich Greta Thunberg derzeit auch auf einer realen Reise: Sie segelt auf einem Hilfsschiff nach Gaza, um die israelische Blockade zu durchbrechen. Gemeinsam mit elf weiteren Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens bestieg sie im sizilianischen Catania die Madleen, die am 7. Juni den dicht besiedelten Gazastreifen erreichen soll. Mit an Bord sind unter anderem der Game of Thrones-Schauspieler Liam Cunningham und die französische Politikerin Rima Hassan.
Das Schiff transportiert dringend benötigte Hilfsgüter – darunter Mehl, Reis und andere Grundnahrungsmittel – ebenso wie Säuglingsnahrung, Hygieneprodukte für Frauen, medizinisches Material, Krücken, Prothesen und Mittel zur Aufbereitung von Trinkwasser. Die Madleen ist ein kleines Schiff – und die mitgeführten Hilfsgüter sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein verglichen mit dem, was laut Experten in Gaza benötigt wird.
Die Organisatoren betonen jedoch die symbolische Bedeutung des Versuchs, die israelische Blockade von außen zu durchbrechen. „Wir tun das, weil wir es immer wieder versuchen müssen – ganz gleich, wie groß die Widerstände sind. Denn in dem Moment, in dem wir aufhören, es zu versuchen, verlieren wir unsere Menschlichkeit“, erklärte Thunberg. Die Freiwilligen und die Besatzung sind unbewaffnet und wurden in gewaltfreiem Widerstand geschult.
Die etablierten Medien haben die Fahrt der Madleen größtenteils ignoriert. Die New York Times etwa hat bislang überhaupt nicht darüber berichtet, während die Washington Post lediglich einen Artikel dem Thema widmete. Andere Medien hingegen äußerten sich scharf ablehnend. Die britische Tageszeitung The Telegraph titelte: „Der Narzissmus von Greta Thunberg hat ein erschreckendes Ausmaß erreicht“ und bezeichnete die Aktion als „selbstgefällige Inszenierung, die sich als mutiger Akt der Nächstenliebe tarnt“.
Andere gaben sich noch feindseliger. So erklärte der US-Senator Lindsey Graham, er hoffe, „Greta und ihre Freunde können schwimmen“ – und deutete damit offen an, dass das Hilfsschiff angegriffen werden sollte.
Israel selbst hat angekündigt, die Madleen am Einlaufen in die Gewässer vor Gaza zu hindern, und bereits kreisten Drohnen des israelischen Militärs über dem Schiff. Bereits im vergangenen Mai griff das israelische Militär ein anderes Boot mit Hilfsgütern für Gaza an und feuerte Raketen in Richtung des Schiffs ab – knapp außerhalb der maltesischen Hoheitsgewässer. Dieser Vorfall wurde von westlichen Medien weitgehend ignoriert.
Jill Stein zeigte sich beeindruckt vom Mut Greta Thunbergs und sagte gegenüber MintPress:
„Es ist heldenhaft, es ist inspirierend, und es wirkt mobilisierend, diese Kühnheit von ihr und den anderen auf der Freedom Flotilla zu sehen. Ihr unglaublich mutiges, mitfühlendes humanitäres Handeln steht im krassen Gegensatz zu diesem entsetzlichen Völkermord. Sie riskieren ihr Leben – und sie wissen das –, weigern sich aber, einen Genozid hinzunehmen oder machtlos dabei zuzusehen.“
Dass die Medien dem kaum Beachtung schenken, dürfte Thunberg kaum überraschen. Sie bezeichnete die westlichen Konzernmedien als aktive Mitverantwortliche des Blutvergießens: „Unsere Regierungen, unsere Institutionen, unsere Unternehmen unterstützen diesen Völkermord – mit unserem Steuergeld. Und es sind unsere Medien, die weiterhin Palästinenser entmenschlichen“, sagte sie und fügte hinzu: „Im Namen der internationalen Gemeinschaft, der sogenannten westlichen Welt, bitte ich euch in Gaza um Verzeihung – dafür, dass wir euch verraten haben, indem wir euch nicht genügend unterstützt haben.“
Die Art und Weise, wie die herrschenden Eliten Thunberg kollektiv fallengelassen haben, ist keineswegs ein Einzelfall. Liberale Kräfte des Establishments haben in der Vergangenheit immer wieder versucht, radikale Herausforderungen an den Status quo – wie etwa Black Lives Matter, die Befreiungsbewegung der LGBT oder die Proteste von Occupy Wall Street – zu entschärfen und zu vereinnahmen, indem sie deren Anführerinnen und Anführern Zugang und Privilegien boten. Scheitert diese Strategie, werden Personen und Bewegungen ignoriert, zurückgewiesen oder direkt angegriffen. Solange Martin Luther King seine Kritik auf rassistische Sheriffs im Süden der USA beschränkte, wurde er mit Respekt behandelt. Doch nach seiner berühmten Rede gegen den Vietnamkrieg, in der er die „drei großen Übel“ anprangerte – Rassismus, extremer Materialismus und Militarismus –, wurde er zur öffentlichen Zielscheibe, ignoriert, verurteilt und letztlich ermordet.
Thunberg zeigt keine Anzeichen des Rückzugs. „Wir setzen uns ein für Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Befreiung für alle. Es kann keine Klimagerechtigkeit ohne soziale Gerechtigkeit geben“, sagte sie. Und genau solche Aussagen führten überhaupt erst dazu, dass sie aus der „feinen Gesellschaft“ der Eliten ausgeschlossen wurde.
Quellen und Anmerkungen
Alan Macleod promovierte 2017 und hat seitdem zahlreiche wissenschaftliche Artikel verfasst. Er hat außerdem für FAIR.org, The Guardian, Salon, The Grayzone, Jacobin Magazine und Common Dreams geschrieben. Man kann Alan Macleod auf X unter @AlanRMacLeod folgen.
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Dieser Beitrag erschien zuerst am 6. Juni 2025 in englischer Sprache auf mintpressnews.com.
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bild: Greta Thunberg (Umweltaktivistin)
Bildquelle: photowalking / shutterstock
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