Vom Basler Kongress 1897 bis zur Balfour-Deklaration 1917: Die Anfänge des Zionismus

Auszug aus dem Buch “Palästina – Hundert Jahre leere Versprechen”, Edlinger, Fritz (Hg.).

von Petra Wild.

Der Zionismus entstand Ende des 19. Jahrhunderts im europäischen jüdischen Kleinbürgertum. Er war nicht nur eine Reaktion auf den zunehmenden Antisemitismus, sondern auch die Verkörperung der damals vorherrschenden kolonialistischen, rassistischen und nationalistischen Strömungen. Ab 1882 brachen in Russland Gruppen von Juden auf, um sich in Palästina anzusiedeln, das damals zum Osmanischen Reich gehörte und etwa eine halbe Million Einwohner zählte, darunter 4% Juden. Die Einwanderung nach Palästina wurde von der Organisation »Hovevei Zion« geleitet, und schon diese frühen Siedler verstanden sich als Kolonialisten. Baron Edmund de Rothschild, der in den Aufbau eines Plantagenkolonialismus in Palästina investierte, förderte das jüdische Siedlungsprojekt. Während der ersten Einwanderungswelle (1. Aliya) von 1882 bis 1903 kamen 20.000 bis 30.000 zionistische Siedler ins Land.

Zu einer erfolgreichen Kolonialbewegung wurde der Zionismus jedoch erst mit der Gründung der Zionistischen Organisation (zo) im August 1897 in Basel, die sich später in Zionistische Weltorganisation (wzo) umbenannte. Auf dem Gründungskongress anwesend waren 204 Delegierte, von denen etwa ein Drittel aus Russland stammte. Im Basler Programm, das auf dem Kongress verabschiedet wurde, heißt es: »Der Zionismus erstrebt die Erwerbung einer sicheren Zuflucht für das Volk Israel in Eretz Israel durch eine öffentliche Entscheidung.« Weiters setzte sich die zo zum Ziel: »… die Förderung … der Kolonisierung Palästinas durch jüdische landwirtschaftliche und industrielle Arbeiter.« Außerdem wurde die Notwendigkeit betont, »die Juden in allen Ländern der Diaspora zu vereinen, ihr nationales jüdisches Bewusstsein zu stärken und eine politische Aktion zu organisieren, um die Unterstützung von Regierungen für die zionistischen Pläne zu erlangen.«[1]

Zum ersten Vorsitzenden der Zionistischen Organisation wurde Theodor Herzl gewählt, der bereits 1896 in seiner programmatischen Schrift »Der Judenstaat« die Vision der aufkommenden zionistischen Kolonialbewegung dargelegt hatte. Da die Zionisten die Prämisse der Antisemiten übernommen hatten, dass Juden und Nicht-Juden nicht zusammenleben können, sahen sie die Lösung der Probleme in der Gründung eines jüdischen Nationalstaates außerhalb Europas. Voraussetzung dafür war, dass die Religionsgemeinschaft der Juden unter dem Einfluss der damals vorherrschenden nationalistischen Ideologien als Nation oder Volk – und zeitweise auch als »Rasse« – umdefiniert wurde.[2]

In den ersten Jahren ihrer Existenz legte die zo die organisatorischen Grundlagen, suchte nach einer internationalen Schutzmacht und begann sich mit siedlerkolonialistischen Modellen auseinanderzusetzen, die für ihr Siedlungsprojekt in Palästina geeignet sein könnten. Zu den ersten Körperschaften, die gegründet wurden, gehörten der »Jüdische Kolonialtrust« 1902 und der »Jüdische Nationalfonds (jnf)« 1901, dessen Aufgabe der Erwerb von Land war. Da die zionistische Bewegung in der ersten Phase ihrer Existenz weder über politische noch militärische Macht verfügte, war sie zunächst darauf angewiesen, sich das Land in Palästina mittels Landkauf anzueignen.

In den ersten Jahren ihrer Existenz gab es innerhalb der zionistischen Kolonialbewegung zwei miteinander in Widerstreit stehende Ansätze. Eine Fraktion – verkörpert von »Hovevei Zion« – verfolgte die Linie der praktischen Kolonisierung Palästinas. 1882 gründete sie mit Petach Tikva die erste landwirtschaftliche Siedlung in Palästina. Die andere Fraktion, angeführt von Theodor Herzl, drang darauf, das Kolonisierungsprojekt erst nach der Erlangung internationaler Garantien in die Praxis umzusetzen. Herzl machte sich über den »Kleinkolonialismus« von »Hovevei Zion« lustig. Seine Vorstellung war, die jüdische Bevölkerung Europas nach der Erlangung einer internationalen Charta in großer Zahl nach Palästina zu bringen. So konzentrierte sich die wzo zunächst auf die Suche nach einem starken Bündnispartner. Theodor Herzl sprach beim deutschen Kaiser und im russischen Zarenreich vor und verhandelte mit dem osmanischen Sultan, unter dessen Kontrolle Palästina damals stand. Herzl bot den Großmächten Vorpostendienste für europäische Interessen an. In »Der Judenstaat« heißt es: »Für Europa würden wir dort ein Stück des Walls gegen Asien bilden, wir würden den Vorpostendienst gegen die Barbarei besorgen.«[3] Das einzige Angebot einer Charta kam 1903 von der britischen Krone und galt für das fruchtbare Hochplateau von Kenia (der sogenannte Uganda-Vorschlag), dessen Kolonisierung Großbritannien beabsichtigte. Doch nach heftigen Debatten setzten sich in der wzo die Palästina-Zentristen durch.

Vom Plantagenkolonialismus zum reinen Siedlerkolonialismus

Da es zunächst nicht gelang, eine Charta für Palästina zu erlangen, setzten sich in der Folgezeit innerhalb der wzo die praktischen Zionisten durch. 1903 wurde eine Kommission eingesetzt, die die Möglichkeiten der praktischen Kolonisierung Palästinas prüfen sollte. Auf dem 8. Zionistischen Kongress 1907 sprach sich Chaim Weizman für die Verknüpfung von praktischem und politischem Zionismus aus. Dieser Ansatz wurde in der Folgezeit als »synthetischer Zionismus« oder »allgemeiner Zionismus« zur Leitlinie der Organisation. 1908 eröffnete die Zionistische Weltorganisation (wzo) in Jaffa das Palästina-Büro, dessen Aufgabe der Erwerb von Land und die Ansiedlung von zionistischen Kolonialisten war. Doch die wzo wollte weder eine »Kleinkolonisation« im Stile von »Hovevei Zion« noch eine Wiederbelebung des gescheiterten Plantagenkolonialismus, mit dem zwischen 1882 bis 1900 von Baron Edmund de Rothschild und der 1891 gegründeten »Jewish Colonial Association (jca)« experimentiert worden war. Stattdessen begann sie zwischen 1903 und 1909 eine Theorie des reinen Siedlerkolonialismus für Palästina zu entwickeln. Eine wesentliche Rolle spielte dabei der einflussreiche Leiter des Palästina-Büros, Arthur Ruppin. Er ließ sich in seiner Arbeit von zwei Prinzipien leiten, die dem reinen Siedlerkolonialismus entsprechen: der Schaffung zusammenhängender zionistischer Siedlungsblöcke und dem kompromisslosen Bestehen darauf, dass ausschließlich zionistische Siedler in diesen Siedlungen arbeiten durften. Ruppin orientierte sich am Modell der preußischen Ostmark-Kolonisierung, das durch Bevölkerungsaustausch die Polen verdrängen und sich deren Land aneignen sollte. »Ruppins explizite Verwendung des deutschen Kolonisierungsprojekts in der Ostmark als Modell hätte nicht klarer die dem reinen Siedlerkolonialismus entsprechende Denkungsart zeigen können. Der Zweck des deutschen Projekts war die Transformation der Ostmark durch die Enteignung der Polen – sprich ihnen das Land abzuringen – und die Schaffung von Gemeinschaften, die rein deutsch waren und in denen es nur deutsche Arbeit geben würde,« erklärte der israelische Zionismus-Forscher Gabriel Piterberg.[4] Die wzo machte sich das Modell zur Siedlerkolonisierung der Ostmark ab 1904 zu Eigen. Mit der Zeit wurde das Profitmotiv des Plantagenkolonialismus ersetzt durch das demographische Interesse, jüdische Bevölkerungsmehrheiten zu schaffen und so die Kolonisierung Palästinas als nationales jüdisches Projekt zu erreichen.

Die Hinwendung zum reinen Siedlerkolonialismus war eine Folge des Scheiterns des Plantagenkolonialismus in Palästina. Dieser hatte sich am französischen Kolonialmodell in Algerien orientiert und war darauf angelegt gewesen, Profite zu machen. Deswegen wurden viele billige einheimische palästinensische Arbeitskräfte auf den jüdischen Plantagen und Farmen beschäftigt. Das hatte zur Folge, dass die eingewanderten Siedler nur wenig Arbeit fanden und wenn, dann war sie schlecht bezahlt. Zudem stellte Rothschild im Jahr 1900 seine kolonialen Aktivitäten in Palästina ein. Die »Jewish Colonial Association« (jca), die in dessen Fußstapfen trat, war dem Profit­motiv noch stärker verpflichtet als Rothschild, der kolonialistische mit philantropischen Aktivitäten zugunsten der zionistischen Siedler verbunden hatte. Von der daraus folgenden Krise besonders stark betroffen waren die Kolonialisten der 2. Einwanderungswelle, die 1904–1914 nach Palästina kamen.

Diese Krise führte zu einer Transformation der zionistischen Bewegung. Wenn das Ziel der Errichtung eines jüdischen Staates in Palästina mittels fortgesetzter Kolonisierung des Landes erreicht werden sollte, dann mussten andere Formen der Kolonisierung gefunden werden. Die praktischen Kolonialisten der 2. Einwanderungswelle gaben den Slogan »Eroberung der Arbeit« bzw. »hebräische Arbeit« aus und versuchten durch Aktionen, die jüdischen Farmbesitzer dazu zu zwingen, jüdische statt arabische Arbeiter zu beschäftigen. Doch das scheiterte. Gerettet wurden sie durch die Hinwendung der wzo zur praktischen Kolonisierung. Sie gingen ein Bündnis mit der wzo ein und vereinigten so die bis dahin getrennten Wege der praktischen und der politischen Zionisten. Die »Arbeiterzionisten« begannen sich zunehmend von der »Eroberung der Arbeit« auf die »Eroberung des Landes« zu verlegen und die wzo wurde fortan die dominante jüdische Kolonialorganisation in Palästina.[5]

Die 2. Einwanderungswelle, mit der 35.000 bis 40.000 Zionisten nach Palästina kamen, wurde prägend für das zionistische Projekt und die spätere Formierung des israelischen Staates. In dieser Phase gründeten sich die zionistischen Arbeiterparteien in Palästina, die zum Hauptträger des zionistischen Kolonialprojekts wurden. Ihr Ansatz war exklusiv: »Eroberung der Arbeit« und »Eroberung des Landes« auf Kosten und unter Ausschluss der einheimischen palästinensischen Bevölkerung. Während die 1. Aliya einen europäischen Plantagen­kolonialismus verkörpert hatte, der auf Ausbeutung der Einheimischen basierte, verkörperte die 2. Aliya einen Siedlerkolonialismus, der auf deren Verdrängung zielte.

»Die Kolonisierung der 1. Aliya basierte auf zerstreutem Siedlungsbau und der Ausbeutung von schlecht bezahlten palästinensischen Arbeitern auf Farmen in jüdischem Besitz. Die 2. Aliya ersetzte das durch die Kolonisierung in Form von dichtem Siedlungsbau in exklusiv jüdischen Kolonien und die Vertreibung der arabischen Bewohner,« erklärt der israelische Zionismus-Forscher Gershon Shafir.[6] Zu diesem Zweck wurden unter Anleitung der wzo auf Land, das der jnf erworben hatte, exklusiv jüdische Siedlungen gegründet, die kooperativ bewirtschaftet wurden – die Kibbuze.

Die Kibbuze als Instrumente der Siedlerkolonialisierung Palästinas

Der erste Kibbuz war das 1909 gegründete Degania auf dem Land von Um Djunni, das von der Familie Sursuk in Beirut verkauft worden war. Die Gründung des ersten Kibbuz ging auf die Initiative von Arthur Ruppin zurück. Die Siedler in Degania standen im Dienste der »Palestine Land Development Company«, die dem Palästina-Büro angeschlossen war. Sie verpflichteten sich vertraglich dazu, für diese zu arbeiten und den Instruktionen ihrer Angestellten Folge zu leisten. Das Inventar der Siedlung war Eigentum des Palästina-Büros.[7]

Kibbuze wurden zu einem wichtigen Instrument der Siedler­kolonisierung Palästinas. Es ging bei der Hinwendung zu kooperativen Siedlungen weniger darum, einen zionistischen Sozialismus aufzubauen, als darum, eine Siedlungsform zu finden, die den absoluten Ausschluss einheimischer Arbeitskräfte ermöglichte. Kooperative Siedlungen waren die effektivste Form, um die Siedlerkolonisierung des Landes durchzuführen. Das Modell orientierte sich an der preußischen »Siedlungsgenossenschaft« zur Kolonisierung der Ostmark. Während des Ersten Weltkrieges und noch stärker während des britischen Mandats wurden die Kibbuze zu Pfeilern einer exklusiv jüdischen kooperativen Wirtschaft, die unter anderem Bau- und Vermarktungsunternehmen, Versicherungen und Banken sowie das Busunternehmen »Eged« umfasste, von denen später viele zu Giganten der israelischen Wirtschaft aufstiegen. Zudem spielten die Kibbuze eine wichtige militärische Rolle. Sie verkörperten die schleichende Landnahme und die Schaffung einer neuen kolonialen Geographie. Sie markierten die Grenzen des zukünftigen zionistischen Staates. Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges wurden 30 Kibbuze gegründet, in denen 446 Arbeiter lebten. Nach dem Ersten Weltkrieg sahen alle zionistischen Fraktionen den Kibbuz als »eine fundamentale und typische Form« der Siedlerkolonisierung Palästinas an.[8]

Die »Wir oder sie«-Logik des reinen Siedlerkolonialismus

Da Palästina ein seit Jahrtausenden besiedeltes Land war, in dem seit der Entstehung ihrer Religion immer auch Juden gelebt hatten, die aber niemals die einzige oder gar die vorherrschende Bevölkerungsgruppe stellten, waren Konflikte mit der einheimischen Bevölkerung vorprogrammiert. Die Palästinenser, die die Juden der 1. Aliya noch freundlich aufgenommen und ihnen die Arbeit in der Landwirtschaft beigebracht hatten, begannen sich in dem Maße gegen sie zu wehren, wie die Vertreibung der Bauern von ihrem Land zunahm.

Mit der 1858 unter europäischem Druck vom Osmanischen Reich durchgeführten Landbesitzreform waren europäische kapitalistische Normen des Landbesitzes eingeführt worden. Zuvor hatten palästinensische Bauern über Jahrzehnte oder sogar über Jahrhunderte Staatsland im Gewohnheitsrecht bewirtschaftet und es als ihr Land betrachtet. Nach der Landbesitzreform von 1858 kauften reiche, meist im Ausland lebende Araber Teile dieses Landes auf. Einige von ihnen verkauften dieses Land an den jnf weiter. Das führte zu Konflikten mit der einheimischen palästinensischen Bevölkerung, die von ihrem Land vertrieben wurde, um es für die europäischen Siedler freizumachen.

Die europäischen Siedlerkolonialisten erkannten die Rechte der einheimischen palästinensischen Bevölkerung nicht an, ja, sie machten ihr sogar die Existenz streitig. Ein beliebter zionistischer Slogan war: »Ein Land für ein Volk für ein Volk ohne Land.« Chaim Weizman erklärte 1914: »In seiner Anfangsphase wurde der Zionismus von seinen Pionieren als eine ganz von mechanischen Faktoren abhängende Bewegung konzipiert: da ist ein Land namens Palästina, ein Land ohne ein Volk, und auf der anderen Seite existiert das jüdische Volk, das kein Land hat. Was sonst ist also nötig, als den Edelstein in den Ring zu fügen, dieses Volk mit diesem Land zu vereinen. Die Besitzer des Landes [die Türken] müssen deswegen überzeugt werden, dass diese Heirat vorteilhaft ist, nicht nur für das [jüdische] Volk und das Land, sondern auch für sie.«[9]

Mit dem typischen rassistischen Blick aller europäischen Kolonialisten wurden die nicht-weißen, nicht-europäischen Palästinenser nicht als vollwertige Menschen angesehen. Der britische Zionist Israel Zangwill sprach ihnen eine gemeinsame nationale Identität ab und bezeichnete sie als »Zeltlager«. Schon Herzl hatte in »Der Judenstaat« ihre Vertreibung nahegelegt. Weizman bezeichnete sie als »die Steine von Judäa, als Hindernisse, die auf einem schwierigen Weg weggeräumt werden müssten.«[10]

Der Bezug auf die Bibel diente zur Monopolisierung der Geschichte Palästinas als exklusiv jüdische Geschichte. Moshe Smilansky von »Hovevei Zion« erklärte 1908: »Es ist entweder – oder: Wenn Eretz Israel – im nationalen Sinn – diesen Arabern gehört, die sich hier kürzlich niedergelassen haben, dann gibt es keinen Grund für uns, hier zu sein und wir müssen offen zugeben: das Land unserer Vorväter ist für uns verloren. Und wenn Eretz Israel uns, dem Volk von Eretz Israel, gehört, dann hat unser nationales Interesse für uns Vorrang vor allem anderen. Es gibt in dieser Sache keinen Raum für Kompromisse.«[11]

Die Balfour-Deklaration

Parallel zu den praktischen Kolonisierungsanstrengungen in Palästina bemühten sich die Zionisten weiterhin um die Unterstützung internationaler Regierungen. Den nationalen Organisationen der wzo in Großbritannien und den usa gelang es, Teile der herrschenden Elite für ihr Kolonialprojekt zu gewinnen. Vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs und aus eigenen strategischen Interessen begann die britische Regierung im Februar 1917 Verhandlungen mit Chaim Weizman, einem Vertreter der britischen Zionistischen Organisation, über eine öffentliche Erklärung der Unterstützung Großbritanniens für das zionistische Projekt. Das Ergebnis war die Balfour-Deklaration vom 2. November 1917, in der die britische Krone ihre Unterstützung für die Errichtung einer jüdischen »nationalen Heimstätte« in Palästina erklärte. Zwar wurde darin erklärt, dass dadurch die religiösen und bürgerlichen Rechte der »nicht-jüdischen« Bevölkerung des Landes nicht verletzt werden dürften, doch das war kein Schutz für die einheimische palästinensische Bevölkerung, sondern im Gegenteil ein Angriff auf ihre Rechte und ihre Existenz. Indem sie, die zu diesem Zeitpunkt noch über 90% der Bevölkerung des Landes ausmachten, als das definiert wurden, was sie nicht sind – »nicht-jüdisch« – wurden sie zur Bevölkerung zweiten Ranges erklärt. Auch die nationalen und politischen Rechte der einheimischen Bevölkerung blieben unerwähnt. Juden machten zu diesem Zeitpunkt 9% der Bevölkerung Palästinas aus und besaßen 2,5% des Landes.[12]

Die wzo war nicht zufrieden mit der Balfour-Deklaration, denn sie hatte das Bekenntnis Großbritanniens zur Umwandlung Palästinas in einen jüdischen Staat gewünscht. In der von Weizman vorgeschlagenen ersten Version war die Rede von der »Wiederherstellung von Palästina als die nationale Heimstätte des jüdischen Volkes« gewesen. Dennoch verkörperte die Balfour-Deklaration die erste internationale Anerkennung zionistischer Ansprüche auf Palästina. Dass die Zionisten ihr Ziel der Umwandlung Palästinas in einen exklusiv jüdischen Staat nicht aufgegeben hatten, wurde an der Erklärung Weizmans auf der Pariser Konferenz 1919 klar: »Ich erklärte, dass wir unter einer jüdischen nationalen Heimstätte die Schaffung solcher Bedingungen in Palästina verstünden, die es uns ermöglichten, 50.000 bis 60.000 Juden jährlich ins Land zu bringen und sie dort anzusiedeln, unsere Institutionen, unsere Schulen und die hebräische Sprache zu entwickeln und schließlich solche Bedingungen zu schaffen, dass Palästina genauso jüdisch sei, wie Amerika amerikanisch und England englisch sei.«[13] Die systematische ethnische Säuberung Palästinas 1948 war die sich daraus ableitende, notwendige Folge.

Quellen

[1] Jakob Moneta, Zionismus zwischen nationaler Befreiungsbewegung und kolonialistischer Unterdrückung; in: Verein »Gegentagung zum Herzl-Jubiläum« (Hg.), 100 Jahre Zionismus. Befreiung oder Unterdrückung?, Köln 1998, S.15; Clive Christie, Race and Nation: A Reader, London/New York 1998, S. 169

[2] Seth J. Frantzman, Israel’s Uncomfortable History of Racial Engineering, Forward, 21.4.2014; Gabriel Piterberg, The Zionist Colonization of Palestine in the Context of Comparative Settler Colonialism in: Rochelle Davis/ Mini Kirk (Hg.), Palestine and the Palestinians in the 21st Century, Bloomington/Indiana 2013, S. 29

[3] Theodor Herzl, Der Judenstaat, Leipzig/Wien1896, Militaria Faksimiledruck zur Dokumentation der Geistesentwicklung, herausgegeben von Helmut Rosenfeld und Otto Zeller, Osnabrück 1968, S. 29

[4] Piterberg, a.a.O., S.30

[5] Gershon Shafir, Land, Labor and the Origins of the Israeli-Palestinian Conflict, 1882–1914, Berkeley/Los Angeles/London 1996, S. 147 ff.

[6] Shafir, Land, Labor, a,a,O, S.xii

[7] Asa Winstanley, The Receiving End of Our Dreams, New Left Project, 7.10.2010

[8] Shafir, Land, Labor, a.a.O., S. 172

[9] Nur Masalha, Expulsion of the Palestinians: The Concept of »Transfer« in Zionist Political Thought 1882-1948 Washington D.C. 1999, S. 5f.

[10] Masalha, a.a.O. S. 17

[11] Shafir, Land, Labor, a.a.O., S. 209

[12] The Committe on the Exercise of the Inalienable Rights of the Palestinian People, The Origins and Evolution of the Palestine Problem Part ii 1947-1977, un New York, 30.6.1979

[13] Martin Kloke, The Development of Zionism until the Founding of the State of Israel, ego European History Online, 7.9.2011

 

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Petra Wild ist Islamwissenschaftlerin mit den Arbeitsschwerpunkten Palästina-Frage sowie Widerstand und Revolution in der arabischen Welt. Sie ist Autorin der Bücher „Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina. Der zionistische Siedlerkolonialismus in Wort und Tat“ (Wien, 2013) und „Die Krise des Zionismus und die Ein-Staat-Lösung. Zur Zukunft eines demokratischen Palästinas“ (Wien, 2015)

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