Seltsamer Tod des Mittelstandspräsidenten | Von Hermann Ploppa

Ein politischer Nachruf auf Mario Ohoven

Ein Standpunkt von Hermann Ploppa.

Am Samstag, den 31. Oktober verunglückte der langjährige Präsident des Bundesverbandes Mittelständische Wirtschaft (BVMW), Mario Ohoven, mit seinem Bentley tödlich. Rettungsmannschaften versuchten den mit dem Tode Ringenden aus dem vollkommen zerstörten Auto zu befreien – ohne Erfolg. Ohoven befand sich auf einem übersichtlich gradlinigen Teilabschnitt der Autobahn 44 zwischen Ratingen und dem Autobahnkreuz Düsseldorf-Nord, als seine Luxuskarosse aus bisher nicht weiter geklärten Gründen von der Fahrbahn abkam und mit der Leitplanke kollidierte. Es handelt sich um einen sogenannten Alleinunfall, das heißt: andere Verkehrsteilnehmer waren in diesen Unfall nicht verwickelt.

Über die Begleitumstände und die Ursachen dieses tragischen Unfalls kann im Augenblick noch nichts Endgültiges gesagt werden. Ob der vierundsiebzigjährige Ohoven einen Schwächeanfall erlitten hat, oder ob das Auto versagt hat, oder ob andere Ursachen verantwortlich gemacht werden müssen – wir wissen es nicht. Soviel kann aber eindeutig gesagt werden: Der plötzliche Tod von Mario Ohoven kommt in einem sehr entscheidenden Augenblick. Ohoven war seit 1998 Präsident des Bundesverbands Mittelständische Wirtschaft. Er hat seinen Verband immer wieder kraftvoll in die politische Debatte einbringen können. Ab dem Jahre 2004 übernahm der Rheinländer dann auch noch die Präsidentschaft über den europäischen Dachverband mittlerer und kleiner Betriebe CEA-PME. Dem europäischen Dachverband gehören Mittelstandsvereinigungen aus 15 Ländern an. Ohoven sorgte dafür, dass der 1992 gegründete CEA-PME <1> ein größeres politisches Gewicht in Brüssel bekommen hat, unter anderem durch die Registrierung als Lobbygruppe bei der Europäischen Kommission. Allerdings betragen die Ausgaben der Mittelständler für Lobbying in Brüssel gerade mal bescheidene 16.000 Euro.

Mario Ohoven war eine schillernde Figur. Er stammte aus einem Unternehmerhaushalt. Ohoven ist nicht das Sinnbild des typischen Mittelständlers gewesen. Kein Dachdeckermeister oder etwa Inhaber einer Maschinenbaufirma. Ohoven verdiente sein nicht geringfügiges Einkommen als Vermögensberater. Oder genauer: als Anlageberater. Er beriet also vermögende Mitbürger, wie sie ihr Geld so anlegen, dass sie möglichst wenig Steuern zahlen müssen. Seine Klientel bestand folglich oftmals aus Personen, die weit mehr als mittelständisches Vermögen ihr Eigen nennen durften. Entsprechend orientierte sich Ohoven an den Reichen und Schönen dieser Welt. Er liebte den Glamour und den Luxus. Und so nimmt es auch nicht wunder, wenn Ohoven immer wieder gegen die Reaktivierung der Vermögenssteuer wetterte.

Marxisten würden sagen, Ohoven hat den Klassenstandpunkt der Reichen konsequent vertreten. Er hat die Weltsicht der Unternehmer aus seiner Generation der heute über Siebzigjährigen weitergetragen. Eine rein klientelistische Weltsicht, die nur die egoistischen Interessen der eigenen Kundschaft vertritt und das Große Ganze weitgehend ignoriert. So wetterte Ohoven in vielen selbstgemachten Podcasts gegen Steuererhöhungen im Allgemeinen, gegen die Mietpreisbremse im Besonderen. Gegen das Erneuerbare Energien-Gesetz von 2017. Weg mit dem Solidaritätszuschlag! Wobei man angesichts der Zweckentfremdung des so genannten Solidaritätszuschlags Ohoven in diesem Punkt nur Recht geben kann.

Wenig Kritisches fand sich bei Ohoven, wenn es um die Zerstörung des Mittelstands durch die Marktradikalen Netzwerke geht. Nichts Kritisches findet sich beim Mittelstandsfunktionär, wenn es um die Zerschlagung der genossenschaftlichen und öffentlich rechtlichen Geldwirtschaft geht – also um Raiffeisen- und Volksbanken sowie Sparkassen und Landesbanken. Diese Einrichtungen sind essentiell für das Wohlergehen kleiner und mittlerer Betriebe <2>. Sie sind der Lebenssaft des Mittelstands. Sie bieten dieser Kundschaft die preiswerten und zuverlässigen Kredite für ein sicheres Wirtschaften und Planen. Dass angemessene Löhne für Arbeiter und Angestellte die unbedingte Voraussetzung für ausreichende Nachfrage bei mittelständische Unternehmen sind: Ohoven hatte für solche Gedanken kein Verständnis.

Kommen wir nun zu den Punkten, in denen sich Ohoven positiv von Vertretern anderer Unternehmerverbände abhob. Zwar war Ohovens Mittelstandsvereinigung auch in der Arbeitsgruppe zur Gestaltung des Freihandelsabkommens TTIP in Sigmar Gabriels Wirtschaftsministerium präsent. Aber Ohoven erkannte, dass das TTIP ein Abkommen darstellte, das den USA im transatlantischen Handel massive Vorteile einbringen und damit die europäische Wirtschaft langfristig zu einem enthaupteten Organ der US-Konzerne degradieren würde <3>. Ohoven kritisierte die fragwürdigen Schiedsgerichte des TTIP-Regimes und wandte sich gegen das amerikanische Evidenzprinzip: dass nämlich erst ein massiver Schaden eines neuen Produktes quasi im großflächigen Freilandversuch nachweisbar sein muss, bevor dieses Produkt aufgrund seiner Schädlichkeit verboten wird. Ohoven bestand auf dem europäischen Vorsorgeprinzip. Dass ein Produkt, wie zum Beispiel genmanipuliertes Soja lieber keine Zulassung bekommt, wenn die Unschädlichkeit nicht einwandfrei nachgewiesen werden kann. TTIP wurde vor allem auf Eis gelegt, weil der damalige US-Präsident Donald Trump kein großes Interesse an dem neuen Freihandelsabkommen hatte. Doch war auf europäischer Seite Ohovens Ablehnung von TTIP ein wichtiger Beitrag zu dessen Verhinderung. Klare Kante gab es auch beim Bargeld. Ohoven wandte sich mit guten Argumenten gegen die Abschaffung des Bargelds <4>. Natürlich geht es dabei nicht um die Verhinderung krimineller Geldwäsche, stellt der Chef des Mittelstandsverbands klar. Allerdings sieht Ohoven hier nur die übergriffigen Krallen eines Überwachungsstaats, aber nicht die Konzernhände, die diesen übergriffigen Staat unterwandern und kontrollieren.

Und nun Corona. Die massiven und absolut einseitigen Einschränkungen der Geschäftstätigkeiten der mittelständischen Wirtschaft durch die Bundesregierung fordern zum Protest der Mittelständler heraus. Am 1. Mai 2020 trat Ohovens BVMW mit seinem ersten offenen Brandbrief an die Bundeskanzlerin an die Öffentlichkeit <5>. Titel: „Bevor es zu spät ist!“.

Dort ist zu lesen: „In großer Sorge um die Zukunft dieses Landes und um den Wohlstand seiner Bürger appellieren wir an die Politik: Beenden Sie die einseitige Fixierung auf eine rein virologische Sichtweise und damit das gefährliche Spiel mit den Zukunftschancen dieses Landes. Es geht um das Schicksal des deutschen Mittelstands. Heben Sie den Lockdown auf, bevor es zu spät ist! (…) Trotz eines staatlichen Rettungspakets von mehr als einer Billion Euro droht eine Pleitewelle unbekannten Ausmaßes, die die Existenz hunderttausender Menschen binnen weniger Wochen vernichten könnte.“

Dieser Brandbrief war wohl dringend nötig. Denn über drei Viertel der BVMW-Mitglieder forderten damals einen Ausstieg aus dem Lockdown bis Ende Mai; ein gutes Drittel plädierte für Exit sofort. Es brodelte also schon damals heftig unter dem Topfdeckel. Frau Merkel und die unheilige Allianz aller im Bundestag vertretenen Parteien ignorierten diesen Brandbrief großräumig. Es ist fraglich ob es richtig war, dass Ohoven in dieser Situation eine massive Digitalisierung der mittelständischen Wirtschaft forderte und sich dabei ausgerechnet auf die massiven Anstrengungen in der Volksrepublik China berief <6>.

Ab August begann bereits unübersehbar die Einstimmung auf den nächsten Lockdown im Herbst. Auf der Webseite des BVMW fand sich längere Zeit ein Emblem mit der Aufschrift: „Kein Zweiter Lockdown!“. Ein zweiter Brandbrief an die Kanzlerin folgte <7>:

„Bitte schließen Sie einen zweiten Lockdown verbindlich aus, damit im Mittelstand wieder stabile Zuversicht Einzug hält!“

Als der BVMW im September den SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil im Studio hatte zum Interview, versicherte Klingbeil noch, dass es keinen zweiten Lockdown geben werde <8>. Doch auch dieses Ehrenwort erwies sich als trügerisch.

Am 28. Oktober 2020 gab Mario Ohoven das letzte Live-Interview seines Lebens. In einem Video der Zeitung Die Welt vergleicht Ohoven den zweiten Lockdown mit einem zweiten Herzinfarkt, den die mittelständische Wirtschaft nicht mehr überleben werde <9>. Im Großen und Ganzen befindet sich Ohoven bei diesem letzten öffentlichen Auftritt auf einer Linie mit der Bundesregierung. Er wiederholt das Narrativ von der Gefährlichkeit des Corona-Virus. Ihm sind die Auflagen des zweiten Lockdowns im Prinzip noch nicht scharf genug. Die Kritiker der Corona-Politik der Bundesregierung kanzelt Ohoven ziemlich grob ab. Sie hätten die jetzige Pandemie-Misere mit zu verantworten. Möglicherweise hatte sich Ohoven eine Art Deal mit der Kanzlerin erhofft, bei dem der Mittelstand schonend weggekommen wäre. Denn schon am nächsten Tag veröffentlicht die größte deutsche Mittelstandsvereinigung eine Erklärung von Mario Ohoven, der die Enttäuschung über Merkels Selbstherrlichkeit abzulesen ist <10>:

„Die Bundeskanzlerin konnte in ihrer Regierungserklärung keine für den Mittelstand zufriedenstellende Begründung für den von ihr und den Ministerpräsidenten der Länder verfügten zweiten Lockdown liefern. Als Folge dieser – am Deutschen Bundestag vorbei – beschlossenen Maßnahmen droht tausenden Mittelständlern das wirtschaftliche Aus. Es besteht kein Zweifel daran, dass der Staat zur Eindämmung der Pandemie alles tun muss, was geeignet, erforderlich und angemessen ist, um die Bürger zu schützen. Bei den getroffenen Maßnahmen geht es aber um nicht weniger als die wirtschaftliche Existenz von ganzen Berufsgruppen, Millionen von Selbstständigen und deren Familien. Daher ist es nicht nur legitim, sondern geradezu geboten, die Frage zu stellen, ob die Maßnahmen auch im Rechtssinne verhältnismäßig sind und damit im Einklang mit unserer Verfassung stehen. Wir werden als Verband im Interesse des Mittelstands eine solche Überprüfung veranlassen. Am Ende könnte die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts stehen.“

Das waren die letzten öffentlichen Worte des Präsidenten des BVMW. Endlich hatte Ohoven den Mut, die verfassungswidrige Umgehung der Parlamente offen auszusprechen. Hier kann man in der Tat die Koinzidenz mit dem plötzlichen ungeklärten Tod des Bundestagsvizepräsidenten Thomas Oppermann nicht ganz unerwähnt lassen. Auch Oppermann war nicht mehr länger bereit, den de-facto-Putsch der Merkel-Regierung in Kooperation mit den Ministerpräsidenten hinzunehmen.

Oppermann und Ohoven sind verstummt. Ohoven war ein bedeutender Interessenvertreter der mittelständischen Wirtschaft, und das auch auf internationaler Ebene. Sein Verlust kann nicht so schnell ersetzt werden. Wer immer sein Nachfolger sein wird: Er ist nicht zu beneiden. Er muss neben großer Sachkompetenz auch eine Menge Arsch in der Hose haben. Er muss gegen die sich gerade vollziehende Vernichtung des gewerblichen Mittelstandes kämpfen müssen, wenn er etwas erreichen will. Mit warmen Worten ist gegen die kriminellen und unfairen Manöver gegen den Mittelstand nämlich nicht mehr anzukommen. Der neue BVMW-Präsident muss sich starke Partner suchen, um seine Klientel zu schützen.

Mario Ohoven war ein Mann mit Ecken und Kanten. Wir vermissen ihn.

Quellen und Anmerkungen:

<1> CEA-PME steht für: Confédération Européenne des Associations de Petites et Moyennes Entreprises.

<2> siehe Hermann Ploppa, Rubikon: Entsorgter Mittelstand
https://www.rubikon.news/artikel/entsorgter-mittelstand

<3> https://www.youtube.com/watch?v=asK6aew75z4

<4> Mario Ohoven: Finger weg vom Bargeld! https://www.youtube.com/watch?v=4dKIEI2bPb4&feature=emb_logo

<5> Brandbrief BVMW
https://www.bvmw.de/fileadmin/01-Presse_und_News/Pressemitteilungen/Dateien/Mittelstand-Offener-Brief-Bevor-es-zu-spaet-ist-01-05-2020.pdf

<6> Ohoven zur Digitalisierung
https://www.bvmw.de/news/7200/unsere-arbeitswelt-wird-nach-corona-eine-andere-sein/

<7> Zweiter Brandbrief BVMW
https://www.bvmw.de/leverkusen-rheinisch-bergischer-kreis/news/6860/kein-zweiter-lockdown-brandbrief-an-die-deutsche-politik/

<8> Interview Lars Klingbeil (SPD)
https://www.youtube.com/watch?v=qOAtyp6FpTw&feature=emb_logo

<9> Welt-Interview
https://www.welt.de/videos/video218864836/Wirtschaftliche-Folgen-Erneuter-Lockdown-Wie-ein-zweiter-Herzinfarkt-und-der-ist-oft-toedlich.html

<10> Pressemitteilung BVMW 29.10.2020
https://www.bvmw.de/fileadmin/01-Presse_und_News/Pressemitteilungen/PM_29-20_Lockdown.pdf

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Bildquelle: Photo Kozyr / shutterstock

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