Reise nach Russland in unsicheren Zeiten – Teil 2 Jekaterinburg | Von Wolfgang Effenberger

Ein Reisebericht von Wolfgang Effenberger. 

Teil 2: Jekaterinburg (1924-1991 Swerdlowsk)

Am 13. September 2023 ging es dann nach 15 Uhr mit einem Airbus in Richtung Jekaterinburg – die größte Stadt im Ural und zugleich pulsierende 1,5 Millionen-Metropole der Region Swerdlowsk. Inoffiziell wird Jekaterinburg auch die “dritte Hauptstadt Russlands” genannt. Dort kamen wir nach 22 Uhr an und überflogen dabei drei Zeitzonen.

Freunde von dort erwarteten uns bereits und brachten uns über einen kleinen Umweg in ein originelles Lokal sowie in ein neues Hotel mit überbordenden Holzschnitzereien.

Am nächsten Tag standen eine Stadtbesichtigung und am Abend ein Essen mit dem deutschen Generalkonsul am Programm. Jekaterinburg, mit der Transsibirischen Eisenbahn verbunden, liegt 1667 Kilometer östlich von Moskau – als Tor nach Asien am Rand des Uralgebirges. Hier befinden sich die größten Öl- und Gasfelder sowie zahlreiche andere Bodenschätze: Eine wahre Schatzkammer Russlands.

Jekaterinburg wurde im November 1723 vom Historiker und Staatsmann Vasily Tatishchev zusammen mit dem deutschstämmigen Offizier, Bergbauexperten und Ingenieur in russischen Diensten Georg Wilhelm de Gennin/Henning (1676–1750) gegründet.

Am Prospekt Lenina befinden sich auf der einen Seite der neugotische Märchenpalast des Bergbaubeamten Sewastjanow und gegenüber das Denkmal für die Stadtgründer Als Namensgeberinnen der heute wichtigen Industrie- und Universitätsstadt am Uralgebirge gelten Zarin Katharina I. (1684–1727) und die Schutzheilige der Bergarbeiter, die heilige Katharina.

Jekaterinburg war eine der ersten festungsmäßig gesicherten russischen Fabrikstädte; von dort aus erfolgte die weitere Erschließung des Urals. Im Lauf der Zeit wurde Jekaterinburg eines der weltweit wichtigsten Zentren für die Edelstahlverarbeitung. Während und nach dem Zweiten Weltkrieg war die Stadt ein wichtiges Produktionszentrum des militärisch-industriellen Komplexes und scheint es immer noch zu sein.

Dort wurden Panzer, Atomraketen und andere Waffen produziert. Bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 war die Stadt für Ausländer unzugänglich. Sowjetbürger konnten nur mit behördlicher Genehmigung einreisen.

Heute säumen moderne Hochhäuser die großzügigen Straßen, eingesprenkelt alte Bausubstanz, inmitten weitläufiger, gepflegter Parkanlagen mit beeindruckender Blumenpracht. Die Verkehrsdichte erinnert an München. Es dominieren große und teure Autos, wobei Parkplätze Mangelware sind. 15 Universitäten werden durch 140.000 Studierende belebt. Deren Erscheinungsbild ist zurückhaltend dezent. Beim Theaterbesuch fielen die vielen gutgekleideten kulturaffinen Jugendlichen auf.

14. September Stadtbesichtigung und Abendessen mit deutschem Generalkonsul

Auf dem Damm des angestauten Flusses Isset – links und rechts jeweils von einem Pavillon begrenzt – haben wir zunächst das Panorama genossen.

Der Blick über die Staumauer vom Isset (Iset).

Das hohe Gebäude im Hintergrund (Mitte) gehört zum Komplex des ‘Boris Yeltsin Presidential Centre’. Rechts die Residenz (Sewastjanow-Haus)

Hier tagten erstmals 2009 die BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China (Südafrika kam erst 2010 dazu). 2011 trafen sich hier die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der russische Staatspräsident Dmitri A. Medwedew.

In der Mitte des Damms befindet sich auf der gegenüberliegenden Seite der Ausfluss, der mit dem Wahrzeichen von Sverdlovsk-Jekaterinburg dekoriert ist: Ein rosa Rhodonit-Klumpen aus dem Ural. Er wiegt mehrere Tonnen.

Wahrzeichen von Jekaterinburg: Ein rosa Rhodonit-Klumpen aus dem Ural

Von hier aus führen roten Linien Touristen an die wichtigsten aktuellen wie auch historischen Orte.

Entlang der roten Linie – im Vordergrund das Hochhaus von Norman Foster

Denkmal für den westorientierten Zar Peter samt Technikausstellung

Hammerwerk zur Bearbeitung von Stahl

(viele ausgestellte Maschinen kamen von renommierten deutschen Firmen)

Ebenfalls am Ufer des Isset liegt das 1986 gegründete Jekaterinburg Museum of Fine Arts, das größte Kunstmuseum der Uralregion Russlands. In der Eingangshalle steht der preisgekrönte russische Pavillon der Pariser Weltausstellung 1900 – feinste, filigrane Gusstechnik

Der gusseiserne Pavillon demonstrierte 1900 das Niveau der russischen Metallverarbeitung

Blick auf den Stausee vom Jelzin-Center aus

In der Stadt begegnen sich modernste Gegenwart wie auch eine sehenswerte Vergangenheit in Stein und Holz

Das am Lenin-Prospekt mitten in der Stadt unweit vieler Restaurants und Cafes gelegene Theater zieht auch viele Jugendliche an. Sie erhalten bis Ende Zwanzig jährlich einen Kulturgutschein in Höhe von 50.000 Rubel. Das sind umgerechnet nur 50 Euro. Damit lassen sich jedoch einige kulturelle Ereignisse finanzieren, da sie für Jugendliche recht preiswert sind.

Yekaterinburg State Academical Opera and Ballet Theatre

Bild rechts: Aufführung von Ballett Romeo und Julia von Prokofjew am 15.9.2023

In den Außenbezirken wird die rasante Entwicklung im Kontrast zwischen Alt und Neu deutlich

Am Abend dann im kleinen Kreis ein Essen mit dem deutschen Generalkonsul Kruse und Vertretern deutsch-russischer Unternehmen in einem armenischen Gourmettempel. Strahlende Gesichter, doch über der guten Stimmung hängen dunkle Wolken. Die bisher so erfolgreiche deutsch-russischen Zusammenarbeit wird von deutscher Seite eingestellt. Von der russischen Seite hörte ich großes Lob über den deutschen Generalkonsul, der anscheinend die deutsch-russische Kooperationen weiter beleben konnte und nun ein beachtliches Niveau erreicht hat. Im Rahmen der verordneten Sanktionen und darüber hinaus stellen deutsche Unternehmen – voran der Schwermaschinenbau – u.a. den Service und die Ersatzteillieferung ein, produktionsreife Projekte werden abgebrochen und Joint Venture-Zusammenarbeit nicht mehr angeboten. Das trifft auch das größte russische Unternehmen für Schwerlastfahrzeuge KAMAZ.

Ein Produkt aus dem KAMAZ-Konzern

Die Folge:

Die fehlenden deutschen Produkte werden nun selbst hergestellt, oder US-amerikanische – sie unterliegen anscheinend keinen Restriktionen – oder chinesische Firmen springen ein.

Deutschland verliert das bislang gewährte Vertrauen in Gemeinschaftsprojekte und dürfte künftig nicht mehr als Partner angefragt werden. Freundschaften zerbrechen.

Alle internationalen Firmen sind im Raum Jekaterinburg präsent, während deutsche Firmen den russischen Markt der Konkurrenz überlassen. So springt z.B. die japanische Firma MAKITA in die Lücke, die der deutsche Markenhersteller STIHL hinterlässt.

Der deutsche Generalkonsul musste das Konsulat zum 30. September 2023 schließen. Ein Konsulat, dass in 18 Jahren erfolgreich aufgebaut werden und im Sinn einer deutsch-russischen Verständigung wirken konnte. Schon im Juni hatte der Konsul 20 langjährige Mitarbeiter entlassen müssen und dann mit dem Verkauf der Möbel begonnen. Sollte sich die Situation nach dem Krieg einigermaßen konsolidieren, dann würde es mindestens 4 Jahre dauern, bis das Konsulat wieder auf dem gleichen Niveau arbeiten könnte, aber auch das wäre fraglich.

Während Deutschland sich auf allen Ebenen zurückzieht, schickt Großbritannien einen neuen, erst 31jährigen Generalkonsul nach Jekatarinburg. Ein starkes Zeichen! Auch Frankreich betreibt sein Generalkonsulat unvermindert weiter.

Von den weiteren Besuchen in und um Jekatarinburg werden vor allem vier in nachhaltiger Erinnerung bleiben:

  1. Ermordung der Zarenfamilie 17./18. Juli 1918
  2. Denkmal der 1937/38 Stalin zum Opfer Gefallenen
  3. Militär-Technik-Museum(1) der Bergbau- und Metallurgie-Holding UGMK.
  4. Jelzin-Zentrum: Ein Tempel der Imagepflege

Ermordung der Zarenfamilie 17./18. Juli 1918

 Die 1977 abgerissene eindrucksvolle Villa des Ingenieurs Iwan Ipatjew – man wollte wohl einen Wallfahrtsort verhindern – ist der Ort, an dem die Zarenfamilie vom 17. auf den 18. Juli 1918 im Keller ermordet wurde.

In diesem Bürgerhaus wurde das Ende einer Dynastie besiegelt, die in Russland mehr als 300 Jahre lang herrschte. Im Zuge der Russischen Februar-Revolution von 1917 wurde der Zar zur Abdankung gezwungen. Am 2. April 1917, nur wenige Tage vor der amerikanischen Kriegserklärung an Deutschland, feierte US-Präsident Woodrow Wilson in seiner Rede vor dem Kongress mit geradezu überschwänglichen Worten die Veränderungen der letzten Wochen in Russland:

„Die Autokratie… wurde abgeschüttelt und das große, hochherzige russische Volk hat sich in all seiner ursprünglichen Majestät und Macht den Kräften zugesellt, die für Freiheit in der Welt kämpfen für Gerechtigkeit und Frieden.“(2)

Die Zarenfamilie wurde zum Schluss in einfachsten Verhältnissen in Jekaterinburg interniert. Vorher war sie noch angemessen in der sibirischen Stadt Tobolsk untergebracht worden. Aus dem Gouvernement Tobolsk, Gemeinde Prokowskoje, stammte auch der von Vielen als Wunderheiler angesehene Mönch und Wanderprediger Grigori Jefimowitsch Rasputin (1869 – 1916).

Grigori Jefimowitsch Rasputin (1869 – 1916)(2)

Der bis Kriegsbeginn am Zarenhof wirkende Rasputin hatte bereits im August 1914 den Ausgang des Kriegs für Russland und das damit verbundene Ende der Romanows vorhergesagt. Keine 24 Stunden nach den Schüssen von Sarajewo am 28. Juni 1914 wurde Rasputin in seinem sibirischen Heimatort Prokowskoje bei einem Attentat lebensgefährlich verletzt. Aus dem Krankenhaus von Tobolsk verschickte er an die 20 Telegramme an den Zarenhof. Das erste lautete:

„Schwarze Wolken über Russland: Not, viel Leid, kein Hoffnungsschimmer … ich weiß, alle wollen von dir den Krieg, auch die Treuen, die nicht wissen, dass er der Untergang ist. Gottes Strafe wird schlimm. Du bist der Zar … Lass die Irren nicht triumphieren und sich und das Volk zugrunde richten. Alles wird in einem großen Blutbad untergehen“.(4)

Nun, die Irren triumphierten.

Drei Jahre vor Beginn des Ersten Weltkriegs wurde Ernst Ferdinand Sauerbruch (1875-1951), einer der bedeutendsten und einflussreichsten Chirurgen des 20. Jahrhunderts, in Davos zu einer schwer erkrankten hochgestellten Persönlichkeit gerufen, die inkognito reiste.

Der Patient war verunsichert und verängstigt. „Wie viele Kranke seiner Kategorie“, so Sauerbruch, „hatten Furcht zu sterben?“. Als ich ihm lächelnd widersprach und ihm zusicherte, dass er am Leben bleiben würde, verdüsterte er sich noch mehr und sagte dann den folgenden Satz:

„Sie tragen große Verantwortung! Ich muss am Leben bleiben! Denn ich habe eine Aufgabe zu erfüllen! …Es ist meine Aufgabe, Deutschland zu vernichten!“(5)

Wie Sauerbruch in Erfahrung bringen konnte, handelte es sich bei seinem Patienten um den russischen Außenminister des Zaren, Sergei Dmitrijewitsch Sasonow.

Nachdem Rasputin von seiner schweren Verletzung genesen war, reiste er Ende August 1914 wieder an den Zarenhof, immer zum Frieden mahnend. Im Herbst 1916 streckte er aktiv Friedensfühler aus. Das entging dem britischen Botschafter in Petersburg (1910-1918), Sir George William Buchanan (1854-1924) und den pro-britischen Kräften in der Duma und im erweiterten Umfeld der Zarenfamilie nicht.

In den Morgenstunden des 30. Dezember 1916 (nach dem Gregorianischen Kalender, am 17. Dezember 1916 nach dem Julianischen Kalender) lockte eine Gruppe Adeliger Rasputin zum Jusupowski-Palast, wo er vergiftet werden sollte. Weil die Gift-Dosis nicht wie erwartet anschlug, wurde er letztlich aus kurzer Distanz erschossen. Der noch lebende Rasputin wurde dann unter das Eis des Newa-Flusses gedrückt. Die Obduktion Rasputins erwies Folgen schwerer körperlicher Misshandlung.(6) Eine polizeiliche Untersuchung der Tat hat es nur in Ansätzen gegeben, sie wurde vom Zaren gestoppt.(7)

Später reklamierte Fürst Felix Jussupow (1887-1967) den Mord für sich. Enger Freund des Fürsten war der gleichaltrige Oswald Rayner (1888-1961), der 1915 vom britischen Geheimdienst MI6 als Offizier rekrutiert worden war und nun an der britischen Botschaft in St. Petersburg Dienst versah. Nach Aussage von Rayners Tochter hat ihr Vater Rasputin den aufgesetzten Kopfschuss gegeben.(8)

Dieser Version stimmen inzwischen viele russische Historiker zu. Ein Separatfrieden mit Deutschland wäre für Großbritannien sehr ungünstig gewesen, denn dadurch wären umfangreiche deutsche Truppen für die Westfront freigeworden.

Sogar in einer Radiosendung des Bayrischen Rundfunks über Rasputin wird festgehalten: „Auch die Tatsache, dass der britische Botschafter George Buchanan noch vor dem Zaren vom Tod Rasputins erfuhr, zeugt davon, dass der britische Geheimdienst beteiligt war.“(9)

Nach der Ermordung der Zarenfamilie in Jekatarinburg (1918) verscharrten die Bolschewiken den Leichnam des letzten russischen Zaren Nikolaus II. und jenen seiner Ehefrau Alexandra Fjodorowna (die Enkelin der britischen Königin Victoria) sowie den ihrer fünf Kinder in einer etwa 3,6 Kilometer weiter südöstlich gelegenen stillgelegten Grube.

Warum hatte die Zarenfamilie bei ihren gekrönten Verwandten im Westen kein Asyl erhalten? Nun, der deutsche Kaiser hatte andere Probleme, und der erste Cousin des Zaren, der britische König Georg V., fürchtete revolutionäre Tendenzen in seinem Land und witterte Gefahr für den eigenen Thron. So überredete er die britische Regierung unter David Lloyd George, das Angebot zurückzunehmen, nämlich der kaiserlichen Familie Zuflucht zu gewähren.(10)

1979 wurden durch erste heimliche private Nachforschungen des Geologen Alexander Awdonin die Überreste aufgefunden. Nach der Auflösung der Sowjetunion wurde es dann offiziell.

Heute: Anbetungskreuz an der Verscharrungsstelle in Ganina Yama, ca. 25km nordwestlich von Jekaterinburg

Im Umfeld des Anbetungskreuzes, mitten in einem Birkenwald, errichtete die orthodoxe Kirche das “Kloster der heiligen Zaren-Märtyrer”. Der Leichenfundort ist inzwischen zum Wallfahrtsort geworden.

Im Juli 1998 wurden die sterblichen Überreste der Zarenfamilie von Jekaterinburg nach St. Petersburg überführt und dort in Gegenwart des damaligen Präsidenten Boris Jelzin in der „Peter und Paul Kathedrale“ feierlich beigesetzt. Jelzin nannte den Mord an Nikolai II. eine der “schändlichsten Seiten” in der russischen Geschichte. Schuldig seien nicht nur die Täter, sondern auch alle, die diese Untat verschwiegen hätten.

„Man darf sich nicht selbst belügen und sinnlose Grausamkeit durch politische Ziele rechtfertigen“,

mahnte Jelzin. Die Bestattung betrachtete er als „Akt der menschlichen Gerechtigkeit” und als “Versuch der heutigen Generation von Russen, ihre Sünden zu büßen“(11).

Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde die Zarenfamilie in einem anderen Licht gesehen. Es ging sogar so weit, dass die orthodoxe Kirche die Zarenfamilie im August 2000 als Märtyrer heilig sprach. Ikonen zeigen Nikolaus II. und seine Angehörigen nun im In- und Ausland in jeder russisch-orthodoxen Kirche. Der Zar, der den Ersten Weltkrieg an exponierter Stellung mit zu verantworten hatte und nichts unternahm, um ihn zu verhindern oder Rasputin bei seinen Friedensbemühungen im Herbst 1916 zu unterstützen, ein Heiliger?

Am 12. Dezember 1916 hatte sogar der deutsche Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg im Auftrag des Kaisers in einer Note den Kriegsgegnern Friedensverhandlungen angeboten, worauf der Zar ebenfalls nicht reagierte.(12)

In Jekatarinburg erhebt sich seit 2003 am Ort des Verbrechens ein gewaltiger, zehn Millionen Euro teurer Bau als neues leuchtendes Wahrzeichen der Stadt – die “Kirche auf dem Blute”. Fünf goldene Kuppeln krönen das Gotteshaus aus weißem Stein. Im Inneren erinnern sieben Gedenktafeln an einer Seitenwand im düsteren Untergeschoss an Nikolaus II. und seine Familie.(13)

Kirche auf dem Blute

Im Inneren der Kirche: Personenkult um den Zaren

Trotz akribischer Suche war nirgends ein Hinweis und auch kein Bild des Mönchs und Friedensfreunds Rasputin zu finden.

Einen Tag nach dem Mord an der Zarenfamilie wurde die Schwester der Zarin, die Großfürstin Jelisaweta Fjodorowna (Elisabeth von Hessen-Darmstadt) – sie heiratete 1884 den Großfürsten Sergei Alexandrowitsch, den Onkel des Zaren – außerhalb der Stadt Alapajewsk mit anderen Repräsentanten des kaiserlichen Hauses Romanow im stillgelegten Schacht Nishne-Selimskaja ermordet; sie wurde 1992 von der orthodoxen Kirche heiliggesprochen.

Kloster in Nishne-Selimskaja Denkmal in Alapajewsk

Bikerprozession zu Ehren der heiligen Großfürstin Jelisaweta Fjodorowna

Denkmal der 1936/1938 Ermordeten aus dem „GULAG“ Jekatarinburg (an die 20.000 Opfer)

Als Zeit des “Großen Terrors” sind in Russland die Monate zwischen September 1936 und Dezember 1938 in die Geschichte eingegangen. In diesem Zeitraum ließ der aus Georgien stammende Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Iosseb Bessarionis dse Dschughaschwili – besser bekannt als Josef Wissarionowitsch Stalin – annähernd 1,5 Millionen Menschen verhaften. In Schau- und Geheimprozessen wurden sie zu Zwangsarbeit verurteilt. Ganze Volksgruppen wurden in GULAGs (Glavnoe Upravlenije Lagerej, übersetzt: Hauptverwaltung der Strafarbeitslager) deportiert. Die Hälfte von ihnen wurde erschossen, darunter treue Anhänger der Sowjetunion. Als Ergebnis dieser ‘Säuberungen’ besaß Stalin nach 1938 die absolute Macht.

Mit dem Zerfall der UdSSR begann die Aufarbeitung dieser dunklen Seite des sowjetischen Kommunismus. Die bis dahin entweder heroisierten oder tabuisierten Themen wurden von lokalen Initiativen mit dem Willen aufgearbeitet, Licht in die Verbrechen des »Großen Terrors« und den GULAGs zu bringen und mittels Denkmälern daran zu erinnern.

Die Gedenkstätte zur Erinnerung an die Opfer der politischen Repression wurde am 26. Oktober 1996 außerhalb von Jekaterinburg, am Kilometer 12 der Straße von Jekaterinburg nach Moskau, eingeweiht. Das beeindruckende Areal wurde von der “Assoziation der Opfer politischer Repression des Gebietes Swerdlowsk” und der Stadtverwaltung Jekaterinburg gestaltet.

Diese Gedenkstätte in Jekaterinburg befindet sich am Ort der Massenhinrichtungen von Bürgern aus den Regionen Perm, Tomsk und Swerdlowsk. Sie wurden zwischen 1937 und 1938 von der zuständigen Troika – einem außergerichtlichen Dreiergremium bestehend aus einem lokalen Funktionär des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten (NKWD) sowie je einem Vertreter der kommunistischen Partei und der Staatsanwaltschaft – abgeurteilt, an diesem Ort hingerichtet und anonym verscharrt.

Bereits ab 1991 wurden auf dem Gelände des ehemaligen Sperrgebiets der NKWD Gedenkfeiern abgehalten. 1993 stimmte der Bürgermeister von Jekaterinburg, A.M. Tschernezkij, der Errichtung einer Gedenkstätte an diesem Ort zu.(14)

Gedenkstätte in Jekaterinburg für die 18.475 ermordeten Opfer der politischen Repression

Gedenkpark an der E22, „Memorial uyy Kompleks Zhertv Politicheskikh Repressiy“, 15km westlich von Jekaterinburg

Ausschnitt der umfassenden Bilddokumentation

Zentraler Bestandteil der Gedächtnisstätte ist ein mehrere Meter hohes Anbetungskreuz aus schwarzem Marmor, auf dem ein weißes Kreuz, symbolisch für die Unschuld der Toten, angebracht ist. Unter dem Sockel des Kreuzes befindet sich ein Massengrab. Es liegt in der Mitte eines strahlenförmig angelegten Platzes, dessen Zugänge von Ziegelsteinmauern eingefasst sind. Dort sind auf 46 Metallplatten die Namen sowie Geburts- und Sterbedaten von 18.475 Menschen verzeichnet, die in den Lagern der Gebiete Swerdlowsk und Perm inhaftiert waren oder auf andere Weise Opfer politischer Verfolgung wurden.(15)

Alljährlich finden an diesem Ort am 30. Oktober, dem Tag der Opfer politischer Repressionen in Russland, von der städtischen Administration in Zusammenarbeit mit der Opferassoziation organisierte Gedenkveranstaltungen statt.

Militär-Technik-Museum der Bergbau- und Metallurgie-Holding UGMK

Im nordöstlichen Vorort von Jekatarinburg Werchnjaja Pyschma befindet sich auf einem riesigen Gelände das privat betriebene Militär-Technik-Museum(16) der Bergbau- und Metallurgie-Holding UGMK.

Im Freiluftbereich ist alles von Luftfahrtausrüstung und Artillerie bis hin zu gepanzerten Oldtimern, einschließlich verschiedener Modifikationen des berühmten T-34-Panzers, eines gepanzerten Flussboots Project 1125 und eines 1943-Panzerzuges zu finden.

Eingang „Muzey Voyennoy Tekhniki“, ca. 20 km nördlich Yekaterinburg

Kleiner Ausschnitt aus dem Freiluftbereich

Treffen im Militär-Technik-Museum in Jekatarinburg mit einem stolzen Veteranen.

Breiter Raum wird US-amerikanischen wie britischen Hilfslieferungen eingeräumt. Neben Lebensmitteln wurden auch kriegswichtige Rohstoffe im Rahmen des Lend-Lease-Act (engl., „Leih-Pacht-Gesetz“) vom 18.2.1941 an die Sowjetunion geliefert.(17) Durch dieses Gesetz erhielt der US-Präsident die Vollmacht, denjenigen Staaten kriegswichtige Güter zur Verfügung zu stellen, die gegen die Achsenmächte (Deutschland war mit Italien und Japan verbündet) kämpften.

Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 begannen die Amerikaner und Briten auch die UdSSR materiell zu unterstützen. Bis zu diesem Datum war die Sowjetunion durch den “Hitler-Stalin-Pakt” vom August 1939 (er hatte erst den deutschen Angriff auf Polen möglich gemacht) von den Westmächten isoliert gewesen.

Die Lend-Lease-Lieferungen führten zu einem engen Vertrauensverhältnis zwischen Franklin D. Roosevelt, Winston Churchill und Josef Stalin. Die Nachschubrouten verliefen vorwiegend über den Nordatlantik (Murmansk/Archangelsk), den Persischen Golf (über den Iran nach Baku/Astrachan) sowie über den Pazifik (Wladiwostok).

Ab 1943 hatten die Lieferungen maßgeblichen Einfluss auf die sowjetische Kriegführung. Neben US-Panzern vom Typ Sherman erhöhten auch LKWs und Jeeps die Offensivfähigkeit der Roten Armee seit der Schlacht um Stalingrad.(18)

US-Tank M4 Sherman

Etwa 4.100 Panzer der insgesamt 6.748 Stück wurden im Rahmen von Lend-Lease geliefert. Der M4 nahm in den Jahren 1943-1945 an vielen Offensiv-Operationen der Roten Armee teil. Seine Modifikationen wurden von den Armeen vieler Länder in militärischen Konflikten bis in die 1990er Jahre eingesetzt.

Studebaker US6

Der beliebteste amerikanische Lkw wurde 1941-1945 im Rahmen von Lend-Lease an die UdSSR geliefert. Der Lkw war bei jedem Wetter geländegängig und hatte eine hohe Ladekapazität. Über 151.000 LKWs von an die 250.000 Stück in verschiedenen Ausführungen wurden als Fahrgestell für die Feldraketenwerfer und für den Personentransport eingesetzt

Der Dodge WC-51 war ein Mehrzweck-Pickup mit zwei Sitzplätzen. Er verfügte über Holzbänke und Metallmunitions-kästen an den Seiten des hinteren Aufbaus.

Ab 1942 wurden etwa 20.000 (von insgesamt 123.000) Einheiten im Rahmen von Lend-Lease in die UdSSR geliefert und dort vielseitig eingesetzt

In diesem Museum wird auch die Erinnerung an das Leid des Krieges wach gehalten

Aber auch der Sieg über Hitler-Deutschland im großen “Vaterländischen Krieg”

Die Zerstörung nationalsozialistischer Symbole auf dem Roten Platz

Neben unzähligem Militärgerät auch Nutzfahrzeuge wie aus einer anderen Welt.

Überdimensionaler Muldenkipper für Extremaufgaben

Am 17. September 2023, war das Museum auch von jungen Familien gut besucht.

Durch einen neuen Lend-Lease-Act wird nun die Ukraine im Kampf gegen Russland unterstützt.

Interessanterweise wurde dieser Lend-Lease-Act schon am 19. Januar 2022 im Kongress eingebracht, also noch vor dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022.

Jelzin-Zentrum: Ein Tempel der Imagepflege

Boris Jelzin, 1931 in Butka (heute Rajon Taliza, Oblast Swerdlowsk) geboren und von 1991 bis 1999 erster Präsident Russlands, genießt bei vielen russischen Bürgern keinen guten Ruf. Dagegen inszenieren die Staatsmedien den Nachfolger Jelzins, Wladimir Putin, gern als Heilsbringer nach dem Chaos. Im Sommer 2023 stellte der ehemalige US-Offizier William Scott Ritter jr. (er machte sich in seiner Rolle als Inspektor der Vereinten Nationen für die UNSCOM-Mission im Irak einen Namen) nach seiner Russlandreise fest: „Russland hat – wie jedes Land – seine Probleme. Zunächst einmal ist Russland immer noch dabei, sich aus dem Loch zu befreien, das Boris Jelzin und der kollektive Westen in den 1990er Jahren gegraben haben. Die Folgen dieser katastrophalen Zeit wirken bis heute nach“.(19) Scott hatte viele russische Städte bis tief nach Sibirien im Rahmen seiner Tournee zu seinem neuen Buch „Disarmament In The Time of Perestroika – Arms Control in The End of The Soviet Union“ (Abrüstung in der Zeit der Perestroika – Rüstungskontrolle am Ende der Sowjetunion) besucht und sich so ein aktuelles Bild von der Situation im Land machen können.

Jelzin-Museum: Personenkult gleich im Eingangsbereich

Die Witwe von Boris Jelzin hat ihrem umstrittenen Mann 2015 inmitten der Stadt, eingerahmt von modernster Architektur, ein monumentales Denkmal errichten lassen. Das Jelzin-Zentrum, dem jährlich ein Budget von umgerechnet 12, 25 Millionen Euro aus Föderationsgeldern zur Verfügung steht, ist ein Museum mit Kinder- und Bildungseinrichtungen, einer Art-Galerie, einem Kino, einer Bibliothek samt Buchhandlung, einem Restaurant und anderen öffentlichen Einrichtungen.

Boris Jelzin hat die Politik seines Vorgängers, des damaligen KPdSU-Generalsekretärs Michael Gorbatschow (Stichworte „Glasnost“ – Offenheit und „Perestroika“ – Umgestaltung) nicht weiter umgesetzt. Stattdessen hat er mit Hilfe bereitwilliger Profiteure Russlands Tafelsilber an den Westen verscherbelt. Große Staatsfirmen, vor allem aus dem Rohstoffsektor wurden mit Zustimmung Jelzins für billiges Geld an findige Geschäftsleute verkauft, die als Oligarchen zweifelhafte Berühmtheit erlangten – u.a. Michail Borissowitsch Chodorkowski (20), russischer Unternehmer, früherer Oligarch und ehemaliger Vorstandsvorsitzender des heute  insolventen Ölkonzerns Yukos.(21)

Den Architekten des Jelzin-Zentrums ist es zumindest gelungen, die zwei Prinzipien von Offenheit und Freiheit im Konzept einer lebendigen, durchlöcherten Fassadenhaut, die erst in der Nacht zur vollen Erscheinung kommt, zu versinnbildlichen: „Es ist ein neuer Ort entstanden für die Interaktion zwischen den Besuchern des Museums und der Medienfassade.(22)

Da ließen die Preise nicht lange auf sich warten: 2017 / IES Award-Merit Award; 2018 Deutscher Lichtdesign Preis – International Project.

Beeindruckt betritt man den Innenraum. Hier ist die Staatskarosse Jelzins der Besuchermagnet.

Im Eingangsbereich die Staatskarosse Jelzins

Weiter geht es in einen Filmraum. Hier wird im Zeitraffer mit modernsten Stilmitteln die tausendjährige Geschichte Russlands aufgezeigt. Gewaltherrscher folgt auf Gewaltherrscher, jeder legt Russland immer enger „in Ketten“.

Als Übergang zum Ersten Weltkrieg dient ein Bild des deutschen Kaisers Wilhelm II. Dem unkundigen Betrachter wird damit suggeriert, dass der deutsche Kaiser Urheber des Ersten Weltkriegs sei. Zur Erinnerung: Deutschland erklärte am 1. August 1914 Russland den Krieg, nachdem Russland seine Armee mobilisiert hatte. Der deutsche Kaiser Wilhelm II. hatte den Zaren Nikolaus II. vorher verzweifelt darum gebeten, die russische Mobilmachung zurückzunehmen. Am 1. August 1914 hatte Russland bereits an der Ostgrenze von Ostpreußen die Armee Rennenkampff und an der Südflanke Ostpreußens die Armee Samsonow in Stellung gebracht. Am 1. August 1914 nahmen beide Armeen ihre Aufklärungstätigkeit in Ostpreußen auf.

Am Ende dieses geschichtsverfälschenden Filmclips erscheint die Reihe aller vorangegangener Herrscher in schwarz-weiß, während am Ende ein übergroßer Jelzin in Farbe ersteht: Jelzin als der Mann, der Russland die Liberalität brachte, das Jelzin-Zentrum eine Insel der Freiheit! Weiter kann ein Personenkult nicht getrieben werden. Die Besucher werden danach auf eine weitere Zeitreise mitgenommen – räumlich und akustisch: In einem nachgestellten sowjetischen Wohnzimmer aus dem Jahr 1991 tanzen im Fernseher Ballerinas „Schwanensee“. Ab und zu wird die Ausstrahlung von der ruhigen Stimme der Nachrichtensprecher unterbrochen, die berichten, dass Michail Gorbatschow aus gesundheitlichen Gründen seine Aufgaben als Präsident der Sowjetunion nicht mehr wahrnehmen könne. Aus der anderen Ecke des Zimmers tönt das russischsprachige Programm von Radio Liberty.(23)

Bei dieser Zeitreise erinnert nichts mehr an die russische Verfassungskrise vom 21. September 1993, als der russische Präsident Boris Jelzin per Dekret den gesetzgebenden Kongress der Volksdeputierten sowie den Obersten Sowjet Russlands auflöste. In der Folge ließ Jelzin in der Nacht vom 3. auf den 4. Oktober 1993 die oberen Geschosse des 119 Meter hohen Parlaments von Panzern beschießen; das Gebäude geriet daraufhin in Brand. Die Jelzin-Gegner flohen und gaben den offenen Widerstand auf – insgesamt gab es 100 Tote. Im Dezember 1993 ließ er in einem Referendum über eine stark auf den Präsidenten ausgerichtete neue Verfassung abstimmen, die seine Macht festigte und ausbaute.(24) So entstand in Russland ein Machtsystem, von dem auch der heutige Kremlchef, Wladimir Putin, profitiert. Der Westen stützte ihn im Glauben, die Alternative sei schlimmer.

Am Ende der Zeitreise findet sich der Besucher im echten Kreml-Büro von Jelzin wieder. Dort wird seine Ansprache vom 31. Dezember 1999 ausgestrahlt:

„Ich bitte um Vergebung, dass Hoffnungen von Menschen nicht erfüllt wurden, die daran glaubten, dass wir schlagartig aus dem grauen totalitären Stillstand der Vergangenheit in die lichte, reiche und zivilisierte Zukunft springen können. Ich habe selbst daran geglaubt“, sagt er.

In Russland beginnt nun die Zeit von Wladimir Putin, dem Jelzin die Macht übergeben hat.(25)

Mitte August 1999 hatten sich Berichte über kriminelle Machenschaften hochrangiger russischer Politiker und Banker gehäuft, wovon auch der Jelzin-Clan betroffen war.

Ende August 1999 konstatierte Ex-Premier Sergej Stepaschin, dass Jelzin und seine Umgebung in der politischen Landschaft Russlands ziemlich isoliert dastehen. „Sie müssen sich ernsthaft nach einer politischen Kraft umsehen, die noch Sympathien für sie hegt“, sagte er. Wenn sich die Public Relations der “Familie” weiter so entwickle, drohen dem Präsidenten alle Fälle davon zu schwimmen – nicht nur die Sympathien, sondern auch die im September fällige nächste Rate des IWF-Kredits.(26) Sollten diese Vorgänge den Rücktritt Jelzins beschleunigt haben?

Das Jelzin-Zentrum polarisiert. Im Gästebuch loben es einige als das “beste Museum Russlands”, andere beschimpfen es als “Schande”. Und in einem Eintrag heißt es, Jelzin habe sich während seiner Regierungszeit mit Leuten umgeben, die Russland “vor den USA und Europa auf die Knie” gezwungen hätten. Jetzt würden sie das Jelzin-Zentrum nutzen, um ihre Reihen mit jungen Leuten aufzufüllen, welche die Macht im Land ergreifen und sich weiter in die Dienste der USA und Europas stellen wollten.(27) Konservative sammeln Unterschriften dafür, dass das “Museum für Propaganda des liberalen Faschismus “geschlossen wird.(28)

Festzustellen ist, dass die USA mit ihren Nichtregierungsorganisationen in der Jelzin-Ära starken Einfluss auf eine Westorientierung der Jugend genommen haben. War früher deutsch die erste Fremdsprache, so ist es nun englisch geworden. Ebenso beliebt ist Basketball und amerikanische Musik, die rund um die Uhr in den Hotels und Edelrestaurants gespielt wird.

Ein entspannter Blich aus dem Fenster des Zentrums auf Stausee und Hochhaus

Im Vordergrund ein großzügig angelegter Kinderspielplatz

Eine Landpartie ca. 150 km in den Nordosten von Jekaterinburg

Es ging u.a. in das “Nizhnyaya Sinyachikha Museum-Preserve of Wooden Architecture and Folklore”. Dieser Besuch ließ Politik und Geschichte in den Hintergrund treten.

Picknick im Grünen vor der in Holzblockbauweise errichteten Windmühle „Melnitsa“ (im Plan Nr. 10)

Kapelle und Wohnhaus (filigraner Fensterumrahmung) in Holzblockbauweise (Nr.4)/(Nr. 14)

Am Abschlussabend dann geselliges Beisammensein im Haus des Gastgebers mit Freunden und Nachbarn. Strahlende Gesichter und eine üppig gedeckte Tafel. Vor dem Haus grillte indessen der Gastgeber auf seinem Profigrill

Tellergroße Lachssteaks …

…und jede Menge Kaviar!

Nach dem üppigen Essen gab es einen Schnaps, und dann verschwanden die Männer in der Sauna. Zum Schluss erhielt jeder – wie in Finnland üblich – eine Quast-Massage mit nassen Birkenzweigen. Begonnen wird an den Beinen, danach werden die Hände, die Arme und Rücken, zum Schluss die Brust und der Bauch bearbeitet. Es stellte sich in der Sauna ein angenehmer Birken-Geruch ein. Wohlfühlen pur.

Die herzliche Gastfreundschaft der Menschen, die wir in Russland getroffen haben, wird mir noch lange in Erinnerung bleiben.

Meine Reiseeindrücke decken sich weitgehend mit den Beobachtungen von Scott Ritter, der im Sommer 2023 in Russland sein neues Buch (Abrüstung in der Zeit der Perestroika – Rüstungskontrolle am Ende der Sowjetunion) vorgestellt hat. In seinem Reisebericht(29) kommt er zu dem Schluss, dass die Russen die Amerikaner keineswegs hassen:

„Die Russen wollen tatsächlich unsere Freunde sein. Die Russen sind verzweifelt auf der Suche nach einer Lösung. Und wenn ich sage verzweifelt, dann meine ich keine pathetische Verzweiflung. Was ich damit sagen will, ist: Die Verzweiflung von guten Menschen, guten Menschen, die wollen, dass es allen gut geht.“(30) Das gilt nach meiner Beobachtung auch eingeschränkt für die Deutschen.

Allerdings verstehen viele Russen die wachsende Russophobie in Deutschland nicht. Durch den Abbruch sämtlicher Beziehungen auch auf der persönlichen Ebene von deutscher Seite könnte die jahrhundertealte Sympathie für Deutschland in Abneigung, wenn nicht sogar in Hass umschlagen.

Scott Ritter hält einen russischen Sieg im Ukraine-Krieg für wahrscheinlich und geht davon aus, dass die Russen trotz allem, was die Amerikaner ihnen angetan haben [ein Kriegsplan nach dem anderen seit Oktober 1945, Ausplünderung unter Jelzin und Ausdehnung des amerikanischen Einflusses bis tief in die ehemaligen Sowjetrepubliken und aktuell die aktive Bewaffnung der Ukraine, W.E.](31) auf sie zugehen werden: „sie werden … nicht die Art von Sieger sein, wie Amerika das ist: Ein rachsüchtiger Sieger …Es gibt Hoffnung für die Zukunft. Aber das liegt nur an der Qualität des russischen Volkes und, offen gesagt: An der Reife der russischen Regierung.“(32)

Die Lebensqualität in Russland ist, so Scott Ritter, trotz der Sanktionen im Vergleich zu der in den USA gar nicht schlecht. Vor allem, weil die Russen nicht ständig mit der Angst des Existenz- oder Imageverlustes leben müssen, und weil die alltägliche Gewalt und Kriminalität dort nicht so präsent ist: „In Russland lässt es sich ganz gut leben. Sehen Sie, Amerikaner neigen dazu, die Lebensqualität danach zu beurteilen, was wir besitzen, was wir erworben haben … Kann ich einfach durch die Straßen schlendern und durch einen Park gehen, ohne Angst haben zu müssen, überfallen zu werden, in ein Museum gehen und die Geschichte genießen. Das ist Lebensqualität für die Russen … Wir kommen nach Hause, wir essen, wir gehen ins Bett, wir stehen auf, wir gehen wieder zurück, wir arbeiten lange. Das ist unser Leben …basierend auf dieser Arbeit, um uns billigen Nervenkitzel oder was auch immer zu bieten. Aber wir nehmen uns nicht die Zeit, innezuhalten und an den Rosen zu riechen, wie es in einem alten Country- und Western-Song heißt. Die Russen tun das. Die Russen riechen jeden Tag an den Rosen.“(33)

Angesichts der globalen Probleme würde uns im Westen eine solche Einstellung zum Leben ganz gut anstehen und auch manche Umweltprobleme lösen. Das amerikanische Modell der ungebremsten Profit-Gier globaler Konzerne und die damit zusammenhängenden imperialen Kriege treiben langfristig die Welt in den Abgrund – auch wenn sie mit dem Etikett der Weltverbesserung bemäntelt werden. Wer immer nur der Gewinner sein will, kann keine bessere Welt schaffen.

Im Vorwort der „Nationalen Sicherheitsstrategie“ vom Oktober 2022 lässt US-Präsident Joseph R. Biden keinen Zweifel daran, dass die USA nicht vorhaben, die Interessen anderer Völker bzw. Kulturen gelten zu lassen.

„Die Nationale Sicherheitsstrategie umreißt, wie meine Regierung dieses entscheidende Jahrzehnt nutzen wird, um Amerikas lebenswichtige Interessen zu fördern, die Vereinigten Staaten zu positionieren, um unsere geopolitischen Konkurrenten auszumanövrieren,  gemeinsame Herausforderungen zu bewältigen und unsere Welt fest auf den Weg in eine hellere und hoffnungsvollere Zukunft zu bringen.“(34)

Bei so viel Selbstgerechtigkeit ist zu befürchten, dass die USA auch nach Beendigung des Ukraine-Krieges eine von Russland ausgestreckte Hand nicht ergreifen würden.

Quellen und Anmerkungen

 

Wolfgang Effenberger, Jahrgang 1946, erhielt als Pionierhauptmann bei der Bundeswehr tiefere Einblicke in das von den USA vorbereitete „atomare Gefechtsfeld“ in Europa. Nach zwölfjähriger Dienstzeit studierte er in München Politikwissenschaft sowie Höheres Lehramt (Bauwesen/Mathematik) und unterrichtete bis 2000 an der Fachschule für Bautechnik. Seitdem publiziert er zur jüngeren deutschen Geschichte und zur US-Geopolitik. Zuletzt erschienen vom ihm „Schwarzbuch EU & NATO“ (2020) sowie “Die unterschätzte Macht” (2022)

(1) https://navigator.web.de/mail?sid=7e350d506550e9b296f48f831186a8a1b476bce9c22e3d619051208933096276340bd5adb4b9bdb249106601c618bb4d

(2) R. K. Massie, Nikolaus und Alexandra, S. 489f.; Elisabeth Heresch, Nikolaus II. „Feigheit, Lüge und Verrat“: Leben und Ende des letzten russischen Zaren, München 1992, S. 285

(3) https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Grigori_Rasputin_1916.jpg (Bild gemeinfrei)

(4) Zitiert wie Wolfgang Effenberger/ Willy Wimmer: Wiederkehr der Hasardeure Schattenstrategen, Kriegstreiber, stille Profiteure 1914 und heute. S. 166f.

(5) Zitiert wie Wolfgang Effenberger: Schwarzbuch EU & NATO Warum die Welt keinen Frieden findet.Höhr-Grenzhausen 2020, S. 35

(6) Frank N. Stein: Rasputin. S. 218

(7) Frank N. Stein: Rasputin – Teufel im Mönchsgewand? Ehrenwirth, München 1997, S. 216

(8) British spy ‘fired the shot that finished off Rasputin’

https://www.telegraph.co.uk/education/3344528/British-spy-fired-the-shot-that-finished-off-Rasputin.html

(9) Zitiert wie Wolfgang Effenberger/ Willy Wimmer: Wiederkehr der Hasardeure Schattenstrategen, Kriegstreiber, stille Profiteure 1914 und heute. Höhr-Grenzhausen 2016, S. 262

(10) Michael Hughes: Inside the Enigma: British Officials in Russia 1900–1939. Hambledon, London 1997, ISBN 1-85285-160-0, S. 83–117.

(11) https://www.sueddeutsche.de/politik/ermordung-der-zarenfamilie-mord-nach-mitternacht-1.382115

(12) https://www.welt.de/geschichte/article160151081/Als-das-Deutsche-Reich-der-Welt-den-Frieden-anbot.html

(13) https://www.sueddeutsche.de/politik/ermordung-der-zarenfamilie-mord-nach-mitternacht-1.382115

(14) Die Entwürfe stammen von dem Architekten A. L. Bulygin und dem Vorsitzenden der Häftlingsassoziation, A. A. Kriwonogow

(15) https://www.kommunismusgeschichte.de/lernen/gedenken/article/detail/gedenkstaette-fuer-die-opfer-politischer-repressionen-1930-1950-jekaterinburg-russland

(16) https://navigator.web.de/mail?sid=7e350d506550e9b296f48f831186a8a1b476bce9c22e3d619051208933096276340bd5adb4b9bdb249106601c618bb4d

(17) https://eeo.aau.at/eeo.aau.at/indexbd45.html?title=Lend-Lease-Act

(18) Tuyll H. P. van 1989: Feeding the Bear. American Aid to the Soviet Union, 1941–1945. New York. Weeks Albert L. 2004: Russia’s Life-Saver. Lend-Lease Aid to the U.S.S.R. in World War II. Lanham.

(19) https://globalbridge.ch/danny-haiphong-und-scott-ritter-eine-reise-nach-russland/

(20) Heute kämpft Chodorkowski schreibend in der Foreign Affairs und aktiv in diversen von ihm gegründeten Organisationen (Open Russia, Group Menatep Limited, Antikriegskomitee Russlands, Russian Action Committee) gegen Putin.

(21) Dasha Korsunskaya: Der russische Staat verkauft sein Tafelsilber https://www.welt.de/wirtschaft/article8621032/Der-russische-Staat-verkauft-sein-Tafelsilber.html

(22) https://www.lichtwerke.com/jelzin-predidental-center-jekaterinburg/

(23) https://www.welt.de/politik/ausland/article157759619/Neues-Museum-soll-Boris-Jelzins-Image-aufpolieren.html

(24) https://www.dw.com/de/moskau-1993-mit-panzern-gegen-das-parlament/a-45730095

(25) https://www.welt.de/politik/ausland/article157759619/Neues-Museum-soll-Boris-Jelzins-Image-aufpolieren.html

(26) Barbara Kerneck: Die Geldwäscher vom Roten Platz unter https://taz.de/!1273545/

(27) https://www.deutschlandfunk.de/jelzin-zentrum-in-jekaterinburg-eine-insel-der-freiheit-100.html

(28) https://www.welt.de/politik/ausland/article157759619/Neues-Museum-soll-Boris-Jelzins-Image-aufpolieren.html

(29) https://globalbridge.ch/danny-haiphong-und-scott-ritter-eine-reise-nach-russland/

(30) Ebda.

(31) Siehe Kriegsplan DROPSHOT vom 19. Dezember 1949 und Strategiepapier TRADOC 525-3-1 „Win in a Complex World 2020-2040“ vom September 2014

(32) https://globalbridge.ch/danny-haiphong-und-scott-ritter-eine-reise-nach-russland

(33) Ebda.

(34) https://www.whitehouse.gov/wp-content/uploads/2022/10/Biden-Harris-Administrations-National-Security-Strategy-10.2022.pdf

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle: Dark_Side / shutterstock

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Kommentare (1)

Ein Kommentar zu: “Reise nach Russland in unsicheren Zeiten – Teil 2 Jekaterinburg | Von Wolfgang Effenberger

  1. Wichtel sagt:

    Ein interessanter Beitrag über Jekaterinburg und die Geschichte.
    Wir waren Anfang September zwei Wochen in St. Petersburg. Die Stadt ist auch der Hammer.
    Es gibt so viel zu sehen und zu erleben, dass man gar nicht mehr woanders hinreisen kann, obwohl das Land so riesig ist und man noch viel mehr sehen könnte/möchte.
    Die Kultur und Geschichte ist grossartig. In St. Petersburg haben so viele italienische Baumeister gewirkt und die Stadt in das Newadelta gebaut, was immer weiter fortgesetzt wurde. Zar Peter der Große wollte so eine schöne Stadt (was sie bis heute ist). Das Venedig des Nordens.
    Bescheuert eigentlich immer, dass sich die Europäer und dann Amerikaner mit Kriegen oder Kriegstreiberei an dem Land "vergriffen" haben oder die Zaren, dass Land, die Präsidenten in die Ecke getrieben haben.
    Heute geht es den Kriegstreibern nur um die Rohstoffe Russlands.
    Seelenlose Städte im Westen produzieren auch seelenlose Menschen.

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