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Paris' nukleare Ambitionen

Paris' nukleare Ambitionen

Ein Meinungsbeitrag von Uwe Müller.

Kann ein gallischer Hahn so hoch fliegen wie ein US-Adler? Sicher ist das nicht, aber sicher ist, dass er es will. Frankreich drängt darauf, die aktuelle Situation zu nutzen, um sein Monopol auf strategische Waffen in Europa zu festigen. Deutschland und anderen Ländern wird nur angeboten, die Rechnung für die Modernisierung der französischen Atomstreitkräfte zu bezahlen.

Die neue Realität

«Aber als Antwort auf den historischen Aufruf des zukünftigen deutschen Kanzlers habe ich beschlossen, die strategische Debatte über den Schutz unserer Verbündeten auf dem europäischen Kontinent durch unsere Abschreckung zu eröffnen»

Mit diesen Worten hat Macron ein neues Kapitel in der Europapolitik aufgeschlagen. Und Friedrich Merz will mit Paris und London über eine europäische nukleare Abschreckung verhandeln.

Indessen unternimmt Frankreich einen zweiten Versuch, die Ängste der Europäer auszunutzen, um seine militärische und technologische Dominanz im EU-Raum langfristig zu festigen. Paris hatte dies bereits 1988 versucht, konnte aber London nicht für seine Pläne gewinnen. Die Geschichte kehrt in einer Spirale zurück, nur scheint diesmal die Machtelite in Deutschland entschlossen zu sein, den Appetit der Franzosen zu stillen. 

Frankreich als US-Ersatz in Europa 

Paris schickt sich an, die Rolle der USA in Europa zu übernehmen, zumindest in Fragen der strategischen Sicherheit. Bekanntlich haben Frankreich, Deutschland, Polen und die Tschechische Republik die Initiative zur Entwicklung eines neuen landgestützten Marschflugkörpers mit einer Reichweite von über 500 Kilometern ergriffen. Diese Initiative folgt fast unmittelbar auf die Ankündigung der USA und Deutschlands, ab 2026 amerikanische Mittelstreckenraketen in Deutschland zu stationieren. Die Waffen sollen ein starkes Abschreckungsmittel gegen Russland werden. Eine aus militärischer Sicht zweifelhafte Überlegung, aber überlassen wir die Details den Politikern, die hoffentlich wissen, wovon sie reden. 

Fast unmittelbar nach Bekanntwerden dieser Initiative schlug der französische Verteidigungsminister S. Lecornu vor, als Basis des künftigen Komplexes den schiffsgestützten Marschflugkörper MdCN Scalp Naval zu nehmen, der bereits im Dienst der Marine seines Landes im Einsatz ist. Die Franzosen argumentieren, dass diese Option die Kosten und den Zeitaufwand für die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten erheblich reduzieren würde. In diesem Fall könnte die Planung des neuen Komplexes wie geplant bis Ende dieses Jahres abgeschlossen werden. Aber es gibt auch eine versteckte Agenda: Paris ermöglicht die schnelle Umrüstung solcher Marschflugkörper zu Atomwaffenträgern.

Der Teufel steckt im Detail

Der Marschflugkörper MdCN hat eine Masse von 1400 kg, eine Länge von 6,5 m, einen Rumpfdurchmesser von 0,85 m, eine Spannweite von 2,85 m und kann einen 300 kg schweren Sprengkopf tragen. Nach schwächeren Modifikationen kann er mit Atomsprengköpfen vom Typ ASMP oder ASMP-A (Sprengkopfgewicht bis 200 kg) mit einer Sprengkraft von bis zu 300 Kilotonnen bestückt werden.

Des Weiteren wurde im Rahmen der Entwicklung eines neuen TN-75-Wiedereintrittsfahrzeugs für U-Boot-ballistische Raketen in den Jahren 1995–1996 die Betriebsfähigkeit der Gruben und ihrer Hauptsubsysteme zur Herstellung kleiner thermonuklearer Sprengköpfe in einer Reihe von Nukleartests bestätigt. Kurz gesagt: die französischen Entwickler haben die erforderlichen Komponenten bereitgestellt, sodass taktische Atomsprengköpfe nach den gewünschten Eigenschaften zusammengestellt werden können. Wie LEGO-Steine und -Teile. Das haben sie schon bei den TNA-Marschflugkörpern ASMP-A gemacht, die 2010 auf der Liste der atomaren Abschreckungswaffen aufgeführt wurden.

Was Frankreich Europa in Sachen Sicherheit zu bieten hat

Hinter den Kulissen wird bereits an der Stationierung von Teilen der französischen Nuklearstreitkräfte (Force de Frappe) mit Rafale-Kampfflugzeugen gearbeitet, die ASMP- oder ASMP-A-Raketen mit Nuklearsprengköpfen tragen können. Macron versucht, diese Frage bilateral voranzutreiben, ohne befürchten zu müssen, dass die Russen diese Marschflugkörper und ihre Trägersysteme sofort auf die Vernichtungsprioritätenliste setzen.

Der nächste Schritt wird darin bestehen, Berlin vorzuschlagen, ähnliche Praktiken auf den Einsatz französischer Nuklearwaffen auszudehnen, analog zu den ausgeklügelten Szenarien für die Nukleare Teilhabe in der NATO. Dazu wird den Franzosen angeboten, entweder Rafale-Kampfflugzeuge zu kaufen oder die deutschen Eurofighter-Flugzeuge auf ASMP-A-Trägersysteme umzurüsten. 

Frankreich wird damit in die Lage versetzt, den EU-Staaten "zusätzlich", "zu einem akzeptablen Preis" und unter seiner Führung Leistungen für die Organisation und praktische Umsetzung einer gemeinsamen europäischen nuklearen Abschreckung anzubieten. Dies erfolgt analog zu den aktuellen gemeinsamen NATO-Missionen.

Macron gibt auch offen zu, dass Paris bestrebt ist, schrittweise die Kontrolle zu übernehmen und Schlüsselentwicklungen im Verteidigungsbereich für die Bedürfnisse der Europäischen Union umzusetzen. Die Präsenz des militärisch-industriellen Komplexes und der wissenschaftlich-technischen Reserven in den entsprechenden Industrien wird dabei ein entscheidendes Argument sein. Frankreich übernimmt damit die Rolle eines Großstaates, der die militärische Unabhängigkeit der EU von den USA gewährleisten kann. Für die deutsche High-Tech-Industrie ist in diesem Szenario kein Platz.

Europa und seine Zukunft 

Die Politik des neuen US-Präsidenten Trump deutet immer mehr auf die Unvermeidlichkeit eines „strategischen US-Rückzugs" aus Europa hin. Für den neuen Führer im Oval Office steht die Konfrontation mit China im Vordergrund, auf die er die amerikanische Außenpolitik zu Lasten Europas neu ausrichten will. 

Hier kommt Frankreich ins Spiel. Paris hat Kiew luftgestützte Marschflugkörper vom Typ Scalp-EG geliefert, deren Einsatz nicht eingeschränkt ist. Die Ukraine setzt diese Raketen sehr aktiv ein. Macron scheint bereit, die Rolle der USA in diesem Konflikt zu übernehmen. Er hat sich als einer der größten Kriegstreiber in der EU präsentiert, die Entsendung französischer Truppen in die Ukraine angekündigt und versucht, in diesem Fall "päpstlicher als der Papst" zu sein. Allerdings mangelt es ihm an Mitteln und Unterstützung durch die französische Bevölkerung, die nicht gewillt ist, Verluste zu akzeptieren.

Doch nach dem Ukraine-Gipfel in London distanziert sich Großbritannien von Macron. Details eines Friedensplans des französischen Präsidenten bleiben unklar. Macron ist es nicht gelungen, seinen Führungsanspruch deutlich zu machen.

Auch die französischen Generäle sind eine versteckte Opposition gegen ihn. Die militärische Führung der Fünften Republik versteht, dass die Finanzierung des Krieges in der Ukraine durch Frankreich den größten Teil des Militärbudgets in Anspruch nehmen wird. Das bedeutet, dass die Aufrüstungsprogramme der französischen Armee vergessen werden können. Deshalb muss Macron wenigstens die Kosten für die technische Modernisierung seiner Armee und die „Risikozahlung" auf die anderen Europäer, allen voran Deutschland, abwälzen.

Es besteht jedoch kaum ein Zweifel daran, dass die französische Initiative sofern sie implementiert wird, eine neue Runde des Wettrüstens auf dem Kontinent zur Folge haben könnte. Die Stationierung neuer landgestützter europäischer Mittelstreckenraketen, die Atomsprengköpfe (natürlich französische) tragen können, birgt das Risiko einer Verschärfung der Konfrontation mit Russland. Der Kreml hat sich zwar aus dem INF-Vertrag zurückgezogen, hält sich aber bislang de facto an dessen Regeln. Moskau hält ein freiwilliges Moratorium für die Stationierung dieser Waffenklasse ein. Gleichzeitig könnte das französische Vorgehen den ohnehin fragilen Status quo in dieser Frage verletzen und ein Problem für die Sicherung der strategischen Stabilität auf dem Kontinent für die nächsten zehn Jahre schaffen

Pax Frankreich 2.0

Paris ist sich wohl bewusst, dass Frankreich und Deutschland seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht in der Lage sind, einen für beide Seiten vorteilhaften Konsens über ihre gemeinsamen Rüstungsprogramme zu erzielen. Nun bietet Macron an, einfach die Rechnung für die Aufrüstung der französischen Nuklearstreitkräfte zu bezahlen.  

Mit Blick auf die Umsetzung der französischen Pläne für eine neue europäische Sicherheitsarchitektur ist davon auszugehen, dass Paris auf lange Zeit Aufträge, Profite und die regionale Führung erhalten wird. Für Berlin bleibt dagegen nur die Möglichkeit, technologisch zurückzufallen, mit fragwürdigen Sicherheitsgarantien und der Aussicht, wieder ein bevorzugtes Ziel für russische Raketen in Europa zu werden.

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bildquelle: Dancing_Man / shutterstock


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