Obszön, hässlich und laut

Alles zu grob hier …

Ein Meinungsbeitrag von Dirk C.Fleck. 

Der ungarische Schriftsteller Péter Nádas (82) hat fünf Jahre gebraucht, um sich nach einer Nahtoderfahrung wieder zurecht zu finden. In seinem Buch „Der eigene Tod“ beschreibt er, wie es sich anfühlt, wenn man gewaltsam ins Leben zurück geholt wird. Was die Ärzte als Erfolg verzeichneten, war für den „Geretteten“ nichts als eine kratzende Pein, als würde er wieder in eine alte, längst abgelegte rostige Rüstung gezwängt. „Es geht einen nichts mehr etwas an“, schreibt Nádas,

„weder die Dinge, noch die anderen Menschen, weder das eigene Wissen, noch die eigene Lebensgeschichte. Ich konnte nicht mehr auf die Straße gehen. Alles war obszön. Auch die Menschen waren obszön, auch die Gegenstände. Alles war unglaublich hässlich, alles hat mich gestört. Es war zu laut, zu grob. Wir geben einander keine Zeit, wir hören einander nicht zu. Ich bin nie richtig zurückgekehrt.“

Péter Nádas lebt heute fernab von Trubel und Hektik in einem kleinen Dorf im Nordwesten Ungarns. Über die jenseitige Welt, die er nach der Abnabelung vom eigenen Körper kurz betreten durfte, macht er keine Angaben. In der Dokumentation „Grenzerfahrung Nahtod“ des ORF sagt er lediglich: „Gott ist leider ein peinlicher Irrtum, seine Verkörperung ist ein Irrtum. Aber die Schöpfungskraft ist kein Irrtum.“ Weiter hinaus traut er sich nicht. Nicht mit Worten.  

Die Ohnmacht der Worte muss auch Stefan Lampe erfahren. Immer noch. Dabei ist die Sprache sein Berufswerkzeug, Lampe predigt Gottes Wort von der Kanzel. Vor zwanzig Jahren erlitt er einen Autounfall, der ihn für wenige Sekunden aus der Welt schleuderte und immer noch sprachlos macht. Aus der Welt? Welcher Welt? Wir kennen den berühmten Holzstich „Wanderer am Weltenrand“ des französischen Astronomen Flammarion, der einen Mann zeigt, der durch das mit Sternen bestückte Firmament verzückt ins NICHTS starrt. Dieses NICHTS lebt, intensiver, als wir es uns vorzustellen vermögen. Die Crux ist, dass es sich dem Verstand und damit selbst der Sprachakrobatik eines katholischen Pfarrers entzieht.  

„Ich bin als Theologe zwar ein Mann des Wortes, aber hier strecke ich meine Waffen“, gestand Stefan Lampe in einem Gespräch mit Thanatos TV. „Es ist unmöglich, mit den armen Worten des Diesseits zu beschreiben, was ich in einer völlig zeitlosen Schau erfahren habe. Nur so viel: Es war eine unbedingte Zugabe von ICH. ICH plus unendlich mehr.“ Und dann sagte er diesen Satz, den sich all jene, die ihre Nahtoderfahrung in den sozialen Netzwerken spektakulär ausschmücken und damit entzaubern, unbedingt merken sollten:

„TRAU DICH, DEM UNVERWORTBAREN RAUM ZU GEBEN. Mit dem Denken kommt man da nicht hinterher.“

Unverwortbar – großartig. Der Prediger aus der beschaulichen Gemeinde Wohldenberg bei Hildesheim fügte noch etwas hinzu, was mich persönlich sehr berührt hat: „Ich habe die Verbundenheit gesehen. Es gibt nichts, was ich tue, das nicht in Verbindung steht mit allem.“ 

Auf der ersten Seite meiner Website befindet sich ein Text, den ich „Unsere Satzung“ genannt habe. In ihm heißt es: 

Wir sind die Spiegel, die ein wechselndes Panorama von Gedanken, Empfindungen, Gesichtern und Örtlichkeiten zeigen. Wir sind in Allem.

 

Nichts ist vom Anderen so weit entfernt, das es nicht Verbindung mit ihm hätte.

Schön, dass die Kernsätze meiner Satzung auf diese Weise bestätigt werden. Aber zurück zu dem eingangs erwähnten Péter Nádas und seiner neu gewonnenen groben Weltsicht. Obszön, hässlich, laut und grob, das ist in der Tat der Sud, der übrig bleibt, wenn man die gesellschaftspolitische Debatte unserer Tage und den Umgang der Menschen miteinander einmal kräftig durchsiebt. Es bleibt immer beim Grobschnitt unseres Alltagsstreifens, der voller Sprachverwirrungen und Missverständnisse ist, in dem die manipulativen Kräfte aus Medien und Politik ein ganzes Volk „kriegsverwendungsfähig“ impfen, in dem das Denunziantentum per Gesetz hoffähig wird und die niedrigste Intelligenzstufe für höchste Ämter qualifiziert, gepaart mit Skrupellosigkeit und Korruptionsbereitschaft. Unser Wertekanon ist unter einer Flut obszöner politischer Statements begraben. Frieden ist Igitt und ebenso wenig vorstellbar wie der Atomkrieg, den die losgetretene Lawine aus menschlicher Dummheit geradezu herbeizwingt. Und die Liebe, die unser Leben laut Einstein doch im Innersten zusammenhält? Die Liebe wurde von der Unterhaltungsindustrie gemeuchelt, bis sie sich nur noch als pornografische Hülle mit affigem Augenausschlag darzustellen vermochte. Wir erleben einen geschlechtslosen Faschismus im rosa Kleidchen – wo man hinschaut und hinhört. Ekelhaft und grob. 

Ich könnte Tausende von Beispielen nennen, die den Eindruck des ungarischen Schriftstellers, der an einer anderen Welt schnuppern durfte, bestätigen. Fast jede Information, die mich von draußen erreicht, ist dazu geeignet, mich in den Wahnsinn zu treiben. Dabei habe ich die Informationsstränge schon weitgehend gekappt. Dies hier kam noch durch: Am 6. Juni wurde in Oldenburg der Carl-von-Ossietzky-Preis an die Historikerin Anne Applebaum verliehen. Die Preisträgerin hat sich seit Beginn des Krieges in der Ukraine stets für die Lieferung schwerer Waffen, für die Ausweitung der NATO, gegen Verhandlungen und einen Siegfrieden über Russland ausgesprochen, sowie das Zögern von Bundeskanzler Scholz als Schwäche kritisiert.

Den Ossietzky-Preis an diese Frau zu vergeben macht mich sprachlos. Vor zwei Jahren war ich zu Besuch im Emsland. Ich nahm die Gelegenheit wahr, die Gedenkstätte Esterwegen zu besuchen. Das KZ Esterwegen diente ab 1933 als Strafgefangenenlager. Bis zum Kriegsende mussten die Häftlinge schwere Zwangsarbeit in der Moorkultivierung, in der Torf- und Rüstungsindustrie und auch in Bomben-Räumungskommandos leisten. Hier waren insgesamt über 70.000 Strafgefangene interniert. Mehr als 20.000 Menschen verhungerten oder starben an Erschöpfung. Einer der politischen Häftlinge von Esterwegen war der Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky.

Im Herbst 1935 besuchte der Schweizer Diplomat Carl Jacob Burckhardt als Mitglied des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz das KZ Esterwegen. Dabei gelang es ihm, Ossietzky zu treffen, den er anschließend als ein „zitterndes, totenblasses Etwas, ein Wesen, das gefühllos zu sein schien, ein Auge verschwollen, die Zähne anscheinend eingeschlagen“ beschrieb. Ossietzky bat Burckhardt um Folgendes:

„Sagen Sie den Freunden, ich sei am Ende, es ist bald vorüber, bald aus, das ist gut.

In Wikipedia findet man folgenden Eintrag, den die Jury des Ossietzky-Preises doch sicher gelesen hat: „Als Herausgeber der Zeitschrift DIE WELTBÜHNE musste sich Ossietzky mehrfach wegen Artikeln, die illegale Zustände in der Weimarer Republik zum Thema hatten, vor Gericht verantworten. Im Weltbühne-Prozess wurde er 1931 wegen Spionage verurteilt, weil seine Zeitschrift auf die verbotene Aufrüstung der Reichswehr aufmerksam gemacht hatte. Kurz nach seiner Entlassung kamen die Nazis an die Macht. Ossietzky wurde am 28. Februar 1933 in die sogenannte Schutzhaft genommen. Als einer der prominentesten politischen Häftlinge wurde Ossietzky unter anderem im KZ Esterwegen besonderes Opfer nationalsozialistischer Willkür. Er wurde häufig misshandelt und gefoltert. 1936 erhielt Ossietzky in einer internationalen Hilfskampagne den Friedensnobelpreis. Im gleichen Jahr wurde er, durch die Torturen schwer erkrankt, unter Polizeiüberwachung in ein Berliner Krankenhaus verlegt. Dort starb er unter Bewachung zwei Jahre später.“

Zum Schluss einige tröstliche Worte von Hermann Hesse, die er vor über hundert Jahren formulierte:

“Der ganze Weltzustand ist so morbid und drohend, dass man darüber wohl den Glauben an die Menschheit und die Lust an der Mitarbeit verlieren kann. Aber gerade aus dieser Depression heraus kommt mir auch immer wieder der Eigensinn und trotzige Wille, das scheinbar Unnütze weiter zu tun.”

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Dirk C. Fleck ist ein deutscher Journalist und Buchautor. Er wurde zweimal mit dem Deutschen Science-Fiction-Preis ausgezeichnet. Sein Roman “Go! Die Ökodiktatur” ist eine beklemmend dystoptische Zukunftsvision. 2023 erschien sein aktuelles Buch „HEROES. Mut, Rückgrat, Visionen“.

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle: Romolo Tavani / shutterstock

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Kommentare (5)

5 Kommentare zu: “Obszön, hässlich und laut

  1. marinasil sagt:

    Lieber Dirk. Ein wunderbar gelungener Artikel, der das Metaphysische in die materielle Welt der Schatten bringt.
    Für die Absurditäten, die es immer gab, sich heute aber sehr viel konkreter in allen Lebensbereichen abzeichnen, fällt mir folgender Vers aus Jesaja 5, 20 ein: Wehe denen, die das Böse gut nennen und das Gute böse; die Finsternis zu Licht machen und Licht zu Finsternis. Ich beneide sie nicht.

  2. Nevyn sagt:

    „Du siehst die Welt nicht, wie sie ist. Du siehst die Welt, wie du bist.“

    Ich profitiere im Moment sehr von den Beschreibungen in „Law of One“. Üblicherweise interessieren mich Channel-Geschichten nicht. Aber wie eigentlich immer im Leben, erscheint es mir dumm, Dinge rundweg abzulehnen, nur weil die Erfahrungen damit bisher nicht hilfreich erschienen, was im tieferen Sinn auch nicht stimmt. Jede Erfahrung hat ihren Wert.

    Nach den recht einleuchtenden Beschreibungen von RA, der Quelle von „Law of One“, stellen die von uns beobachteten Phänomene eine typische Problemstellung der Entwicklung in der dritten Dichte, wie er es nennt, dar. Dabei ist der Begriff der Dichte, manchmal auch Dimension irreführend, denn es handelt sich offenbar um eine Schwingungsebene und Dichte meint eine dichtere also höherfrequente Schwingung des Bewusstseins.
    Was für eine Schwingung? Ich finde eine gute Äquivalenz im EEG und schlage folgende Zuordnungen vor, wobei die Dichte und ihre Bedeutung von RA beschrieben werden und ich die Ebene im kabbalistischen Lebensbaum und das EEG-Frequenzband ergänze. Die Zuordnung bleibt nach oben offen:
    1. Dichte, Bewusstsein, Malkuth, Theta-Wellen, Delta-Wellen? (0,1 bis ca. 7,5 Hz)
    2. Dichte, Wachstum, Jesod, Alpha-Wellen (8 bis 13 Hz)
    3. Dichte, Selbstbewusstsein, Hod/Netzach, Beta-Wellen (14 bis 30 Hz)
    4. Dichte, Liebe, Tipheret, Gamma-Wellen (30 bis 100 Hz)

    Die Angriffe auf das menschliche Gehirn dienen offenbar dem Zweck, die Entwicklung der Individuation des Menschen zu behindern oder zu zerstören, ihn also an der unteren Kante der dritten Dichte festzuhalten, um so den Aufstieg in die vierte Dichte zu verhindern, was einem Entkommen aus der Sklaverei gleichzusetzen wäre. Befreien kann sich nur jeder selbst, denn wer nicht an seiner Schwingungserhöhung arbeitet, dem bleibt der Auf- und Ausstieg versperrt.
    Es gibt keinen Grund zur Depression über den Zustand der Welt, höchstens ein Erschrecken über den Zustand der eigenen Unbewusstheit am Anfang dieses Prozesses.
    Wer an seiner Bewusstseinsentwicklung arbeitet, arbeitet an der Erlösung der (eigentlich seiner) Welt, denn jeder lebt in seiner eigenen.
    Das ist die gute Nachricht hinter der schlechten.
    Im Übrigen gibt es keinen Grund mit den Kräften zu hadern, die uns daran hindern wollen. Das ist schlicht ihr Job!

    • Quin Igitur sagt:

      Natürlich ist es ihr Job (Ijob): „Des Menschen Tätigkeit kann allzu leicht erschlaffen, er liebt sich bald die unbedingte Ruh…“

      Die Crux: Das theoretische Wissen um die Funktion der „Dunkelkräfte“ in einem größeren Kontext bedeutet beileibe nicht, dass die Auseinandersetzung mit ihnen dadurch einfacher wird. Eher im Gegenteil, schließt dieses Verständnis doch die Möglichkeit aus, in Rechtfertigungen zu flüchten – „Da waren halt dunkle Kräfte am Werk und die sind schuld!“. So zumindest meine bisherigen Erfahrungen.

      Anders ausgedrückt: Auch nachdem man aufgegeben hat, mit dem roten Schwert in der Außenwelt herumzufuchteln (Da ist der Feind – Auf ihn!!!), ist man nicht etwa frei vom Kämpfen und sofort zum Heilen bereit – die Kämpfe haben sich lediglich ins Innere verlagert und kosten dadurch noch viel mehr Energie, weil man – anders als bei äußeren Kampflinien, die sehr zur Rudelbildung neigen, wo man sich sehr „gut aufgehoben“ und „bestätigt“ fühlen kann – mehr oder weniger auf sich (und sein Gottvertrauen) allein gestellt ist.

      Man fühlt sich buchstäblich wie im dunklen Wand, den die kleine, in der Hand getragene Laterne nicht einmal ansatzweise auszuleuchten imstande ist. Klar, es gibt oben viele Sterne und ab und an vernimmt man sogar einen rufenden Ton – blöd nur, wenn man ohne Himmelskarte und bei ungeübten Ohren nicht weiß, ob das, was man hört und als so wohltuend wahrnimmt das Lied des Flötenspielers oder doch nur der betörende Gesang von der Sireneninsel ist?

      Als wäre das alles nicht schwierig genug, kommt noch ein weiteres Problem hinzu: Denn wer den Radius und die Helligkeit seiner Taschenlampe erhöht, also mehr Licht erzeugt, zieht mit diesem stärker werdenden Licht auch immer mehr Wesen an. Und zwar alle möglichen Wesen, von denen sich die „Dunklen“ gern die „Masken“ der Hellen anziehen und umgekehrt.

      Hört sich verwirrend an? Ist es auch, wirklich. Und Erfahrungsberichte von jenen, die das Ganze schon hinter sich gebracht und vom Leidbild zum Leitbild gefunden haben, wirken dann an wie der Schützen-de Jupiter hoch oben: wunderbar, inspirierend, aber unendlich weit weg.

      Kein Wunder, dass viele lieber Zwerghamsterbefreiungsbewegungen gründen.

    • Nevyn sagt:

      Weise Worte, Quin Igitur.
      Das sind und einmal die Beschwerlichkeiten der sogenannten dritten Dichte, in der wir leben. Hier soll Individuation stattfinden, was ja nichts anderes bedeutet, als die Herauslösung aus der Herde, die die zweite Dichte ausmacht und eine absolute und totale Vereinzelung, in der Folge, dass zunächst alle Anbindungen brechen, brechen müssen. Das führt zu Chaos, denn der einzelne Mensch ohne Anbindung wird zunächst wie ein Blatt im Wind und muss sich an sein kleines Ego klammern, das er vor lauter Angst oft auf Gottesgröße aufzublasen versucht.

      Aber das ist nun einmal der Preis. Dieser Entwicklung. Und wie Parzival nach der Begegnung mit Kundrie, der Gralsbotin am Hofe des Arthus sich von Gott lossagt und sein frömmendes Gottesbild verliert, so wird jeder Mensch in der Vereinzelung zunächst geradezu zwangsläufig zum Atheisten.
      Warum? Na ja, damit der dann Gott auf einer erwachsenen, Ebene wieder finden kann. Als gereifte Seelenpersönlichkeit. Parzival trifft in seiner größten Not und seinem Umherirren im dunklen Wald der Unbewusstheit auf Trevrizent, den Baumheiligen. Er kommt nach der Begegnung mit Kundrie im Skorpion und der Abtötung oder Devastatio seiner weltlichen Begierden im Schützen an und ist reif für echte Einweihung, die er auch erhält. Niemandem, der einen echten Weg geht, bleibt das erspart, auch wenn die Formen und das persönliche Leben sich dabei sehr unterscheiden.

      Warum eigentlich das ganze Theater? Weil Einweihung eine echte Seelenpersönlichkeit braucht, keinen astralen Haufen aus einer astralen Suppe. Was ein geeinter Mensch ist, findet sich u. a. bei Dominique Viseux in seiner Synopse, also zusammenfassenden Übersicht der Totenbücher. Demnach gehen keineswegs alle Menschen nach dem Tod den gleichen Weg. Es wird dort nach ihrer seelisch-geistigen Beschaffenheit verfahren.
      Warum wohl spricht sogar die Bibel vom zweiten Tod? Und was könnte damit gemeint sein?

      Ja, es ist anstrengend und ja, es ist auch verwirrend.
      Doch von jemandem, der Gott von Angesicht gegenüber treten will, kann man wohl auch verlangen, etwas mehr zu leisten und zu leiden, als seine Herdengenossen.

  3. Steinbock sagt:

    Danke , lieber Dirk , für die klaren , treffenden Worte zum aktuellen Zustand unserer Gesellschaft !
    Der Vorgang "Preisverleihung" für diese Person ist an Absurdität nicht mehr zu übertreffen und macht auch uns sprachlos…. jedoch macht das Zitat von Hermann Hesse am Ende Deines Artikels wieder Mut weiter gegen den Strom zu schwimmen.
    Herzlichst Rewi und Simone

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