Mit erster deutscher Sicherheitsstrategie weiter auf Kriegskurs | Von Wolfgang Effenberger

Mit erster deutscher Sicherheitsstrategie weiter auf Kriegskurs. Teil 1: Außenpolitik

„Russland größte Bedrohung für Frieden und Sicherheit“

Ein Kommentar von Wolfgang Effenberger. 

Erstmals seit 1978 – so lange reicht das digitale Archiv der Bundespressekonferenz zurück – nahmen am Mittwoch, dem 14. Juni 2023, der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis90/Die Grünen), Finanzminister Christian Lindner (FDP), Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und Innenministerin Nancy Faeser (SPD) am Podium in der Bundespressekonferenz Platz, um die neue 74-seitige Nationale Sicherheitsstrategie der Öffentlichkeit vorzustellen: “Wehrhaft. Resilient. Nachhaltig. Integrierte Sicherheit für Deutschland”(1)

Das mit euphemistischen und inflationär überstrapazierten Begriffen überschriebene Strategiepapier wurde vom Bundeskanzler ins Monumentale gehoben:

„Zum ersten Mal in der Geschichte haben wir eine Nationale Sicherheitsstrategie für die Bundesrepublik erarbeitet“. Es folgte der Hinweis, dass man eine solche Strategie bereits im Koalitionsvertrag – noch vor der Zeitenwende, dem Krieg in der Ukraine und den Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines – vereinbart habe. Die Bundesregierung strebe eine Integrierte Sicherheit an, denn die Sicherheit hänge nicht nur an Verteidigung und Bundeswehr, sondern daneben auch an der „ganzen Palette unserer Sicherheit“, die Diplomatie, Polizei, Feuerwehren und Technische Hilfswerke umfasst.

Nach Definition des Duden wird unter Strategie ein genauer Plan des eigenen Vorgehens verstanden, „der dazu dient, ein militärisches, politisches, psychologisches, wirtschaftliches o. ä. Ziel zu erreichen, und in dem man diejenigen Faktoren, die in die eigene Aktion hineinspielen könnten, von vornherein einzukalkulieren versucht“.(2) Wie bei einer militärischen Lagebeurteilung muss bei einer Strategieplanung eine schonungslose Ist-Analyse vorausgehen. Einseitige politische Wahrnehmung und in einem Koalitionsvertrag zu Papier gebrachtes Wunschdenken wird kaum zu einer tragfähigen Strategie führen, geschweige denn zu einer Sicherheitsstrategie. 

Unter “Zeitenwende” versteht Bundeskanzler Olaf Scholz den “völkerrechtswidrigen” Angriff der Vetomacht Russland auf die Ukraine. Eine solche Zeitenwende wurde jedoch bereits 21 Jahre zuvor, am 24.03.1999, mit dem völkerrechtswidrigen Angriff (ohne UN-Resolution) der Vetomacht USA auf Restjugoslawien eingeläutet. Seither mandatieren die USA ihre Kriege (euphemistisch „Interventionen“ genannt) weltweit ohne UN-Resolution: die UN-Charta wurde außer Kraft gesetzt und das Völkerrecht einfach durch das Faustrecht ersetzt. Die Beerdigung des Völkerrechts fand also nicht erst am 24.02.2022 statt. 

Auch der aktuelle Krieg hat seine Vorgeschichte! So geht es im Ukrainekrieg in Summe um gebrochene Versprechen, die Stationierung von Patriot Waffensystemen in Rumänien und in Polen, einen von den USA orchestrierten Staatsstreich 2014, den permanenten Artilleriebeschuss russischstämmiger Bevölkerung im Donbass durch ukrainisches Militär seit dem 2. Mai 2014 mit annähernd 14.000 Toten, die fehlende Durchsetzung der Minsker Abkommen, bei denen Deutschland als Garantiemacht fungierte, und die Weigerung der USA, über von Russland geforderte Sicherheitsgarantien zu verhandeln. Im März 2021 hatte Präsident Selenskij die “Ent-Besetzung” der Krim bereits zum militärischen Ziel erklärt. Zur Motivation der regierungstreuen ukrainischen Soldaten begab sich Selenskij als Oberbefehlshaber in Begleitung hoher NATO-Kommandeure in Kampfmontur an die Frontlinie im Osten.(3)

Insgesamt geht es um die Durchsetzung einer brutalen Geopolitik mit dem Ziel der unipolaren Weltordnung, im Klartext: um die Fortsetzung der US-amerikanischen Weltherrschaft.

Das Völkerrecht wird im deutschen Strategiepapier 21-mal erwähnt, und auf Seite 44 steigert sich die merkwürdig einseitige Wahrnehmung ins Unermessliche: 

„Die Bundesregierung wird mit jenen Staaten, die eine freie internationale Ordnung auf Grundlage der Charta der Vereinten Nationen und des Völkerrechts unterstützen, die Zusammenarbeit vertiefen und zugleich ihr Engagement zur Bekämpfung von Armut und Hunger, sozialer Ungleichheit und der Klimakrise verstärken“. 

Seit 1999 stehen die USA nicht mehr auf dem Boden der Charta der Vereinten Nationen und des Völkerrechts, während der Globale Süden – voran Russland, China und Indien – eine multipolare Friedensordnung anstreben, die auf dem Boden der Charta der Vereinten Nationen und des Völkerrechts steht. Das Angebot, als gleichberechtigte Partner in einer multipolaren Friedensordnung mitzuwirken, haben die USA strikt von sich gewiesen. So verwundert es, dass Olaf Scholz in seiner Einführung (Seite 5) lapidar feststellt: die Welt des 21. Jahrhunderts ist multipolar. Auf Seite 22 ist dann zu lesen: „Unser internationales und sicherheitspolitisches Umfeld wird multipolarer und instabiler und zunehmend geprägt von der existentiellen Bedrohung der Klimakrise“. Hier wird multipolar negativ konnektiert und damit indirekt einer Unipolarität das Wort gesprochen, obwohl der Begriff im gesamten Text nicht auftaucht. 

Begriffe werden verwischt

Gekonnt werden auch Begriffe wie Regelbasierte internationale Ordnung (insgesamt sechsmal verwendet) mit der ständig wiederholten Beteuerung der Achtung von Atlantik-Charta und Völkerrecht verwischt. So ist auf Seite 48 zu lesen: 

„Die Bundesregierung tritt ein für die Stärkung und Fortentwicklung einer freien internationalen Ordnung auf Grundlage des Völkerrechts und der Charta der Vereinten Nationen. Eine solche regelbasierte Ordnung schafft Stabilität und die Voraussetzungen für Frieden, Sicherheit und menschliche Entwicklung. Zugleich bietet sie unserem offenen und vernetzten Land Schutz und Raum zur Entfaltung.“ 

Die regelbasierte Ordnung wurde von den USA nach dem 24. März 1999 (Angriff auf Restjugoslawien ohne UN-Mandat) als Ersatz von Atlantik-Charta und Völkerrecht ins Machtspiel gebracht. USA und Großbritannien setzten sich in der Folge mit ihrer Forderung durch, NATO-Militärinterventionen künftig auch ohne UN-Mandat durchzuführen (NATO-Strategie MC 400/2 1999)(4)Einschichtiges militärisches Sicherheitsdenken strebt die Dominanz gegenüber Anderen an und kennt nur die ins Verderben führende Aufrüstungsspirale. Langfristige Sicherheit und ein für alle Seiten erträglicher Frieden kann nur über die Diplomatie erreicht werden. 

Im deutschen Strategie-Papier findet die Diplomatie im Rahmen der auch eingangs erwähnten „ganzen Palette unserer Sicherheit“ als Worthülse Erwähnung. Eine diplomatische Lösung im Ukraine-Konflikt wurde grob fahrlässig vertan, vermutlich wurde sie nie angestrebt.

Das UN-Dokument (UNSC 2022/2015) – besser bekannt als “Minsk II” oder Minsker Friedensabkommen – sah einen Maßnahmenkomplex zur friedlichen Lösung des seit Mai 2014 herrschenden Ukraine-Kriegs vor. Mit der deutsch-amerikanischen Erklärung vom 21. Juli 2021 keimte Hoffnung auf. Denn darin versicherten die USA und Deutschland Frieden in der Ukraine im Rahmen des von Deutschland und Frankreich geschaffenen (sogenannten Normandie-Format “Minsk II”) zu erreichen.(5) Doch weder die Merkel- noch die Scholz-Regierung machten Anstalten, diesen Staatsvertrag zu erfüllen. Im Interview mit der “Zeit” vom 7. Dezember 2022 gab Altkanzlerin Angelika Merkel preis:

„Und das Minsker Abkommen 2014 war der Versuch, der Ukraine Zeit zu geben. Sie hat diese Zeit auch genutzt, um stärker zu werden, wie man heute sieht“(6).

Einen Tag später bezeichnete der russische Präsident Wladimir Putin Merkels Worte als überraschend und enttäuschend.

„Ich hatte trotzdem damit gerechnet, die anderen Teilnehmer [Anmerkung Autor: Ukraine, Frankreich] seien aufrichtig. Aber sie haben uns auch betrogen, sie bezweckten, die Ukraine mit Waffen aufzupumpen und für Kriegshandlungen vorzubereiten.“(7) 

Später erklärte der ehemalige französische Präsident Hollande gegenüber dem “Kyiv Independent”, dass Merkel recht hatte: „Die Minsker Vereinbarungen stoppten die russische Offensive für eine Weile.“(8)

Nach Hollandes Aussage erboste Putin sich in seiner Neujahrsansprache 2023: „Der Westen log vom Frieden, bereitete aber Aggression vor und gibt das heute offen und schamlos zu.“(9)

Mitte Dezember 2021 hatte die Russische Föderation den USA und der NATO Vorschläge für Sicherheitsgarantien vorgelegt. Die folgenden Verhandlungen gingen dann aus wie das Hornberger Schießen. 

Aufschlussreich ist auch der Hinweis im Strategiepapier, dass das Dokument bereits vor den Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines vereinbart wurde. In seiner Einleitung hebt Scholz hervor, dass wir uns in nur wenigen Monaten „…aus der Abhängigkeit von russischer Energie befreit und Alternativen geschaffen“ haben. Die Schnelligkeit, mit der der Ausbau deutscher Häfen für die tiefgehenden US-Gastanker erfolgte und das am Tag des Terroranschlags auf die Nordstream-Pipelines, dem 26. September 2022, die BALTIC-Pipeline zur Versorgung Polens eröffnet wurde, müsste kritisch hinterfragt werden. 

Die Fraktion Bündnis90/Die Grünen wollte die russischen Gaslieferungen schon viel früher beenden. Dazu forderten am 15. September 2020 Katrin Göring-Eckardt und Dr. Anton Hofreiter die Bundesregierung auf,

„dass sie sich umgehend von der Pipeline Nord Stream 2 distanziert und die Fertigstellung über geeignete Maßnahmen verhindert.“(10) 

Auf der Pressekonferenz im Weißen Haus beantwortete US-Präsident Biden im Beisein des deutschen Kanzlers die Frage, was passieren würde, wenn Russland mit Truppen die Grenze zur Ukraine überquert. Die lapidare Antwort von Biden: „…Es wird Nord Stream 2 nicht mehr geben“. Auf die Zusatzfrage „ Aber wie genau machen Sie das? Das Projekt ist unter der Kontrolle Deutschlands“ verstieg sich Biden zu der Aussage: „Ich verspreche Ihnen: Das werden wir schaffen“(11). Nun, Biden hat Wort gehalten.

Im Sicherheitspapier wird der Erfolg hervorgehoben: In nur wenigen Monaten haben wir uns aus der Abhängigkeit von russischer Energie befreit und Alternativen geschaffen“ und – was ausgeklammert wird – andere Abhängigkeiten in Kauf genommen. 

Im weiteren Text heißt es aber: „Diesen Weg hin zu mehr Sicherheit und weniger Abhängigkeit gehen wir konsequent weiter“. Auf Seite 52 wird hervorgehoben:  

„Die Bundesregierung unterstützt internationale Gerichte und Rechenschaftsmechanismen“. Die Realität sieht anders aus: Russlands Resolution für eine Untersuchung der Explosionen an den Ostsee-Pipelines Nord Stream 1 und 2 scheiterte am 26. März 2023 im UN-Sicherheitsrat auch, weil sich die Bundesrepublik der Stimme enthielt. Nur China, Brasilien und Russland stimmten für den Antrag.(12)

Auf Seite 47 kündigt die Bundesregierung eine weitere Strategie für den Umgang mit Desinformation an:

„Diese wird die Instrumente der Früherkennung von manipulativer Kommunikation im Informationsraum ausbauen, unsere Resilienz und Reaktionsfähigkeiten verbessern und auch auf unsere Fähigkeiten zielen, unsere demokratischen Werte und unsere Sichtweisen international überzeugend zu vertreten.“

Auch diese Aussage steht im Widerspruch zur Realität: Seit 2020 treibt die NATO eine neue Form der psychologischen Kriegsführung voran: die sogenannte „Kognitive Kriegsführung“ (engl. Cognitive Warfare), die als fortschrittlichste Form der Manipulation bezeichnet wird. Diese nimmt die  Psyche eines jeden Menschen mit einem ganz bestimmten Ziel direkt ins Visier: unseren Verstand wie einen Computer zu hacken.(13) 

Auf Seite 23 wird richtig erkannt, dass einige Staaten im Rahmen hybrider Strategien zunehmend bestrebt sind, mit  gezielten Angriffen auf deren Freiheit einzuwirken.

Sie „…versuchen, illegitimen Einfluss auf politische Prozesse, den öffentlichen Diskurs und auf Wahlen auszuüben. Diesen vielfältigen Formen hybrider Bedrohungen muss Deutschland im Rahmen verstärkter internationaler Zusammenarbeit wirksam begegnen“.

Diese hybride Strategie wir vor allem von den USA seit 1994 angewandt: Im Dokument   US-Konzept für die strategische Armee des 21. Jahrhundert vom 1. August 1994 wird eine neue Dynamische Ära, eine Welt im Übergang (Transition) beschrieben. Der Übergang vom 20. in das 21. Jahrhundert vollzieht sich über zwei Dekaden (von 1990 bis 2010) unter Anwendung der Schritte Aufruhr, Krise, Konflikt und schließlich Krieg. Dieses Drehbuch kann man vom Irak- bis zum heutigen Ukraine-Krieg beobachten. Instrumente für die provozierten Umstürze sind die Dynamischen Kräfte (Dynamik Forces at Work) mit dem Ziel der Geostrategischen Ausrichtung. Für diese Politik wurde das Werkzeug “Operations Other Than War” geschaffen:

Mit den alternativen Operationen (oberer Kreis OOTW) mündet es dann in regionale Konflikte (linker Kreis) und schließlich in einen großen Krieg (rechter Kreis). Alle drei Kreise haben eine gemeinsame Schnittmenge! Zu den Operationen, die einem Krieg vorausgehen, zählen:

  • Civil Support (Zivile Unterstützung)
  • Disaster Relief (Katastrophenhilfe)
  • Peace Operations (Friedenseinsätze)
  • Counter Insurgency (Aufstandsbekämpfung)
  • Arms Control (Rüstungskontrolle)
  • Counter Terrorism (Terrorismus-Bekämpfung)
  • Environmental Operations (Umweltbezogene Operationen) und
  • Noncombatant Evacutation (Evakuierung von Nichtkombattanten).

Die Evakuierung von Nichtkombattanten betrifft Personen, die gemäß Genfer Konvention nicht berechtigt sind, unmittelbar an Feindseligkeiten teilzunehmen.(14)

Die angeführten Kriegseintrittsoptionen sind durchaus ernst zu nehmen. In der Abbildungen 2-3 (Umfang der künftigen Maßnahmen) wird dieses Spektrum aufgezeigt:

Die Palette reicht von den Hilfsmaßnahmen in Somalia/Bosnien/Nordirland über den Kampf (gegen Infanterie) in Afghanistan bis hin zum Kampf zwischen komplexen, anpassungsfähigen Kräften und gepanzerten Mech-Kräften wie im Irak (Operation “Desert Storm”).

Im Herbst 2014 stellte der Befehlshaber des “U.S. Army Training and Doctrine Command” (TRADOC), Vier-Sterne-General David. G. Perkins, das Nachfolgepapier “TRADOC 525-3-1 Win in a Complex World 2020-2040” vor.

In diesem Papier erhielten die US-Streitkräfte den Auftrag, die von Russland und China ausgehende Bedrohung “abzubauen”. Dieser Abbau erfolgt natürlich gemäß dem Strategiepapier mit dem Einstieg über Operations Other Than War (OOTW).

General Perkins führte dazu aus, dass Win in a Complex World (Siegen in einer komplexen Welt) die Bedeutung einsatzbereiter Landstreitkräfte für den Schutz der Nation und die Sicherung der lebenswichtigen Interessen gegen entschlossene, schwer fassbare und zunehmend fähige Gegner unterstreicht und die grundlegenden Fähigkeiten hervorhebt, die das Heer zur Verhinderung von Kriegen und zur Gestaltung des Sicherheitsumfelds benötigt. TRADOC 525-3-1 soll die Feinde abschrecken, die Verbündeten beruhigen und die Neutralen beeinflussen.(15) 

Von Deutschland wird aufgrund seines politischen Gewichts, seiner wirtschaftlichen und militärischen Leistungsfähigkeit und nicht zuletzt seiner zentralen geostrategischen Lage in Europa eine verantwortungsvolle Doppelrolle abverlangt: Zum einen stellt die Bundeswehr Kampf- und Unterstützungskräfte für den Einsatz im unmittelbaren Operationsgebiet, zum anderen gewährleistet unser Land Beherbergung, Versorgung und Transit großer Truppenverbände in weite Teile Europas. Gleichzeitig werden nach wie vor die Aufgaben im Rahmen des Internationalen Krisenmanagements und des Heimatschutzes in all ihren Facetten wahrgenommen.

Diesem veränderten, überaus komplexen und im anspruchsvollsten Fall gleichzeitig zu bewältigenden Aufgabenspektrum der deutschen Streitkräfte wird seit 2014 wieder verstärkt Rechnung getragen. Insbesondere wurden die Anforderungen an die Streitkräftebasis perspektivisch deutlich erweitert.

Darauf wies Generalinspekteur Eberhard Zorn Ende September 2020 in der FAZ hin: „Wir beteiligen uns wesentlich am zentralen Abschreckungsinstrument, der NATO-Speerspitze, die wir 2023 wieder anführen. Unsere Heeresbrigaden führen multinationale Verbände zur Unterstützung Litauens. Und unsere Marine ist in allen NATO-Einsatzverbänden in Mittelmeer, Nord- und Ostsee aktiv. … Durch unsere Lage mitten im europäischen NATO-Gebiet sind wir Drehscheibe alliierter Truppenbewegungen und rückwärtiger Operationsraum, damit aber auch potentielles Angriffsziel. Wir befinden uns nach wie vor in Reichweite konventioneller und nuklearer Waffen.“(16) Ein Mann, der einmal geschworen hat, das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, erklärt dieses Land ungerührt zum Spielfeld eines Dritten Weltkriegs. Wenige Wochen später griff General Martin Schelleis, Inspekteur der Streitkräftebasis, in seinem Vortrag am 21.12.2020 das Thema auf.

Vor diesem Hintergrund schreibt die Bundesregierung 2023, dass Deutschland diesen vielfältigen Formen hybrider Bedrohungen im Rahmen verstärkter internationaler Zusammenarbeit wirksam begegnen muss. Dazu will die Bundesregierung die bestehenden Mechanismen und Strukturen zur Abwehr hybrider Bedrohungen in EU und NATO, in G7 und OSZE gezielt nutzen und weiterentwickeln: „…dazu zählen die weitere Ausgestaltung der im Strategischen Kompass der EU vereinbarten Hybrid Toolbox und der Ausbau der NATO-EU- Zusammenarbeit in diesem Bereich“ (Seite 47). Fast 30 Jahre hat Deutschland die von den USA ausgehenden hybriden Bedrohungen unreflektiert unterstützt. Der restlichen Welt sind diese Zusammenhänge bekannt.

In seiner Einleitung betont Bundeskanzler Olaf Scholz: „Wir sind ein Land mit einer gefestigten Demokratie, mit einer lebendigen Zivilgesellschaft und einer leistungsfähigen Wirtschaft. Wir haben Freunde, Partner und Verbündete in der Welt, die unsere Werte und Interessen teilen. Daraus erwächst unsere Stärke“. 

Wer sind die Freunde, Partner und Verbündete in der Welt? Wer sollte mit Deutschland die Freundschaft suchen, einem Land, das ausschließlich die Wünsche Washingtons umsetzt und das über die Völkerrechtsverletzungen der USA wohlwollend hinwegsieht oder sogar daran teilnimmt?

Im neuen Nationalen Verteidigungspapier der USA vom 27.Oktober 2022 werden die in TRADOC 525-3-1 vom September 2014 noch einmal aufgezählt:

Abbau der wachsenden multidisziplinären Bedrohung durch China sowie Abschreckung der von Russland ausgehenden Herausforderung in Europa.

Es folgt in der Überprüfung des nuklearen Dispositivs der Hinweis, dass die USA explizit jeden Verzicht auf einen nuklearen Erstschlag ausschließen. Zur Umsetzung dieser Prioritäten gehören:

    • Integrierte Abschreckung, 
    • Kampagnenführung (Propaganda) und der 
    • Aufbau eines dauerhaften Vorteils.

Allein die Forderung nach einem Aufbau eines dauerhaften Vorteils schließt jeglichen Respekt vor anderen Ländern nachhaltig aus und sichert die permanente Konfrontation. 

In den Handreichungen des US-Kongresses vom 15. November 2022 wird aus der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie vom 27. Oktober 2022 zitiert:

„Die Vereinigten Staaten sind eine globale Macht mit globalen Interessen. Wir sind in jeder Region stärker, weil wir uns auch in den anderen Regionen engagieren.“ 

Weiter heißt es im Kongresspapier:

„…Die politischen Entscheidungsträger der USA verfolgen das Ziel, das Entstehen regionaler Hegemonen in Eurasien zu verhindern. Die militärischen Operationen der USA im Ersten und Zweiten Weltkrieg sowie die zahlreichen militärischen Operationen der USA und die alltäglichen Operationen seit dem Zweiten Weltkrieg haben offenbar zu einem nicht geringen Teil zur Unterstützung dieses Ziels beigetragen.“(18)

Besonders aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Anhörung von General Keith Kellogg durch US-Senator Rick Scott im „Congress Senate Armed Services Committee“ zur Situation in der Ukraine vom 28. Februar 2023.(19) 

Der Wortwechsel wurde sorgfältig im Detail wiedergegeben:

Scott:

„General, warum – ich meine, wir müssen uns Sorgen machen – ich denke, wir müssen meiner Meinung sicherstellen, dass Russland verliert. Wir müssen sicherstellen, dass die Ukrainer gewinnen. Warum hat… Warum hat Deutschland nicht eingegriffen? Ich meine, das ist nicht –

wissen Sie, ich weiß nicht, wie nah die ukrainische Grenze zu Deutschland ist. Aber warum hat Deutschland nicht seinen Teil zur tödlichen Hilfe beigetragen? Ich meine, es scheint mir, dass Sie eine größere Sorge haben sollten als wir.

Kellogg:

Ich glaube, Deutschland spielt in Europa im Moment keine Rolle. Ich danke Ihnen Herr Senator… ich glaube, wenn man einen strategischen Gegner besiegen kann und keine US-Truppen einsetzt, ist man auf dem Gipfel der Professionalität, denn wenn man die Ukrainer siegen lässt, ist ein strategischer Gegner vom Tisch und wir können uns auf das konzentrieren, was wir gegen unseren Hauptgegner tun sollten, und das ist im Moment China. Und wenn wir dabei scheitern, müssen wir vielleicht einen weiteren europäischen Krieg führen, das wäre dann das dritte Mal.“(20) 

So lapidar wird vor den Augen und Ohren der Weltöffentlichkeit ein Dritter Weltkrieg angedacht.

„Weder Deutschland noch die NATO suchen Gegnerschaft oder Konfrontation mit Russland“ (Seite 22). Ein Blick auf die Karte mit den weltweit verstreuten 867 US-Militärbasen lässt einen anderen Schluss zu:

Die US-Basen im Ausland unterstützen immer wieder undemokratische Regime, dienen daneben auch als Rekrutierungsinstrument für militante Gruppen, helfen bei der Umsetzung von sogenannten “Farbigen Revolutionen” und Vorgaben von “Operation Other Than War” und erhöhen dadurch die geopolitischen Spannungen in der Welt. In vielen Fällen haben es ausländische Stützpunkte den Vereinigten Staaten erleichtert, völkerrechtswidrige katastrophale Kriege zu beginnen und durchzuführen, einschließlich derjenigen in Afghanistan, Irak, Jemen, Somalia und Libyen.(21) 

Auf Seite 23 wird darauf hingewiesen, dass Russland im Angriffskrieg gegen die Ukraine immer wieder die nukleare Drohung auch gegen Europa einsetzt.  Nun, im aktuellen Strategiepapier vom 27. Oktober 2022 haben die USA explizit den Verzicht auf den atomaren Erstschlag ausgeschlossen. Welche Reaktion ist da aus dem Kreml zu erwarten?

Bereits am 17. Juni 2022 hatte sich Luftwaffen-Chef Ingo Gerhartz (57) auf dem Kiel International Seapowers Symposium folgendermaßen geäußert:

„Für eine glaubhafte Abschreckung brauchen wir sowohl die Mittel als auch den politischen Willen, die nukleare Abschreckung nötigenfalls umzusetzen“.(22)

Auf Seite 19 wird das in der Präambel des Grundgesetzes formulierte Ziel deutscher Außen- und Sicherheitspolitik, in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, definiert: 

„Auf dieser Grundlage wollen wir eine freie internationale Ordnung mitgestalten, die dem Völkerrecht und der Charta der Vereinten Nationen, der souveränen Gleichheit der Staaten und der Gewaltfreiheit, dem Selbstbestimmungsrecht der Völker und den universellen Menschenrechten verpflichtet ist – für ein nachhaltiges Leben in Sicherheit und Freiheit.“ Das muss vielen Opfern und Kritikern wie Hohn in den Ohren klingen. Deutschland hat im Gefolge der USA seit dem Jugoslawien-Krieg 1999 das Völkerrecht und die Charta der Vereinten Nationen mit Füßen getreten (Teilnahme an Kriegen ohne UN-Resolution) und sich nicht gegen die Menschenrechtsverletzungen durch die USA erhoben (Geheimgefängnisse, Folter in Abu Ghraib und Guantanamo, Freiheitsentzug ohne rechtliches Gehör, Drohnenmorde etc.)

Der außenpolitische Teil dieser deutschen Sicherheits-Strategie führt leider nur zur Ausweitung des ständig gesteigerten Bellizismus von Regierung und Medien und erhöht die Gefahr einer aktiven Kriegsteilnahme gegen Russland. Inzwischen wird die deutsche Bevölkerung auf Blut, Schweiß und Tränen eingestimmt. Robert Habeck prognostizierte: “Wir werden alle ärmer”(23). Und Christian Lindner erklärte schon am 22. Juni 2022, dass er mit “drei bis fünf Engpass-Jahren” rechne(24). Es gehe nun darum, “die Substanz der deutschen Wirtschaft in diesen Zeiten der Unsicherheit” zu verteidigen.

Deutschland ist nun festgezurrt im Kriegsgeschirr. Obwohl das Wort Frieden 21mal im Text auftaucht, scheint der Weg zum Frieden nachhaltig verschüttet zu sein. Der Wille, diesen Sachverhalt zu ändern, scheint nicht vorhanden zu sein. 

„Schon wieder Krieg! Der Kluge hörts nicht gern.“(25)

Quellen und Anmerkungen:

Wolfgang Effenberger, Jahrgang 1946, erhielt als Pionierhauptmann bei der Bundeswehr tiefere Einblicke in das von den USA vorbereitete „atomare Gefechtsfeld“ in Europa. Nach zwölfjähriger Dienstzeit studierte er in München Politikwissenschaft sowie Höheres Lehramt (Bauwesen/Mathematik) und unterrichtete bis 2000 an der Fachschule für Bautechnik. Seitdem publiziert er zur jüngeren deutschen Geschichte und zur US-Geopolitik. Zuletzt erschienen vom ihm

1) https://dserver.bundestag.de/btd/20/072/2007220.pdf

2) https://www.duden.de/rechtschreibung/Strategie

3) https://www.kyivpost.com/multimedia/photo/zelensky-visits-front-line-amid-russian-escalation-in-donbas-photos

4) http://www.ag-friedensforschung.de/themen/NATO/strategie.html

5) https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/gemeinsame-erklaerung-usa-und-deutschland/2472074

6) https://www.tagesspiegel.de/politik/absolut-unerwartet-putin-zeigt-sich-enttauscht-von-merkel-wegen-ausserungen-zur-ukraine-9006844.html

7) https://www.fr.de/politik/von-putins-luegen-und-merkels-unwahrheiten-92037711.html

8) Ebda.

9) Ebda.

10) https://dserver.bundestag.de/btd/19/224/1922499.pdf

11) https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/pressekonferenz-von-bundeskanzler-scholz-und-dem-praesidenten-der-vereinigten-staaten-von-amerika-biden-am-7-februar-2022-in-washington-2003648; siehe auch https://www.youtube.com/watch?v=UY0itL4VR0Y

12) https://www.zdf.de/nachrichten/politik/nord-stream-resolution-russland-un-100.html

13) Vgl. Jonas Tögel: Kognitive Kriegsführung Neueste Manipulationstechniken als Waffengattung der NATO, Frankfurt a.M. 2023, S.183-191

14) Kombattanten sind nach Art. 43 Nr. 2 des 1. Zusatzprotokolls zur Genfer Konvention von 1949 die Angehörigen der Streitkräfte einer am Konflikt beteiligten Partei und berechtigt, unmittelbar an Feindseligkeiten teilzunehmen

15) https://www.kobo.com/ww/en/ebook/2020-2040-u-s-army-operating-concept-aoc-win-in-a-complex-world-how-future-army-forces-prevent-conflict-win-wars-shape-security-environments-tenets-and-core-competencies

16) https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/generalinspekteur-zorn-fuer-praesente-bundeswehr-im-alltag-16977307.html

17) https://www.blauer-bund.de/die-streitkraeftebasis-zukunftsorientierte-logistikprojekte-als-fundament-der-befaehigung-zur-landes-und-buendnisverteidigung/?doing_wp_cron=1690445968.8964700698852539062500

18) https://sgp.fas.org/crs/natsec/IF10485.pdf

19) https://www.youtube.com/watch?v=tmmPHvlbdwI

20) https://www.youtube.com/watch?v=tmmPHvlbdwI

21) https://www.pressenza.com/de/2022/11/neues-online-tool-zeigt-867-militaerbasen/;die jährlichen Kosten durch die ausländischen Militärbasen belaufen sich für die USA nach Schätzungen auf 100 bis 250 Milliarden Dollar.

22) https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/top-general-appelliert-an-nato-muessen-bereit-sein-notfalls-atomwaffen-zu-nutzen-80444834.bild.html

23) https://www.fr.de/meinung/kolumnen/ein-einziger-satz-91456992.html

24) https://www.n-tv.de/mediathek/videos/wirtschaft/Lindner-warnt-vor-drei-bis-fuenf-Jahren-der-Knappheit-article23414488.html

25) Johann Wolfgang von Goethe: Faust Der Tragödie erster und zweiter Teil, vierter Akt des II. Teils Nr. 10235, Stuttgart 2017, S. 164

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle:  ralphmeiling/ shutterstock

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Kommentare (18)

18 Kommentare zu: “Mit erster deutscher Sicherheitsstrategie weiter auf Kriegskurs | Von Wolfgang Effenberger

  1. Gorbunov sagt:

    „Wenn die Politik über Krieg spricht, schweigt die Justiz“. Die von Deutschland angekündigte Sicherheitsstrategie ist ein Beispiel dafür. Es ist auch kein Zufall, dass die rechtlichen Fragen des Krieges die hitzigsten Debatten in apolut auslösen.

    In Bezug auf die „Berechtigung“ des Krieges nach der UN-Charta-Resolution stellen die apolut- Kommentatoren beispielsweise folgende Fragen: Macht etwa eine solche Resolution einen Krieg begründbar oder gar entschuldbar? Ist dadurch ein Krieg „berechtigt“ und legitim? Und wie könnte dann einen Krieg begonnen: mit oder ohne UN-Mandat?

    Das wirft neue Fragen auf: Ist der UN-Sicherheitsrat eben nicht dafür zuständig, einen Krieg zu legitimieren? Erfüllt die UN-Charta überhaupt ihre Hauptaufgabe, militärische Konflikte und Kriege zu beenden?

    Ich möchte noch einmal auf Carl Schmitts Argument zu Krieg und Frieden zurückkommen. Er hat die Problematik des gerechten und ungerechten Krieges in seinem Werk „Der Nomos der Erde“ (1950) klar und deutlich dargelegt. Er machte das, indem er das mittelalterliche Völkerrecht Republica Christiana, das europäische zwischenstaatliche Völkerrecht Jus Publicum Europaeum und die moderne Lehre des gerechten Krieges analysierte, aber seine Argumentation über die Gerechtigkeit des Krieges sind weitgehend aktuell.

    1. Elemente des gerechten Krieges: justus hostis und justa causa

    Nach Schmitt spielen zwei Rechtsbegriffe, justus hostis und justa causa, eine grundlegende Bedeutung bei der Erklärung, welcher Krieg gerecht oder ungerecht ist. Beim justus hostis geht es um einem rechtlich anerkannten, vom Verbrecher und vom Unmenschen unterschiedenen Feind. Die Fähigkeit, einen justus hostis anzuerkennen, ist für Schmitt der Anfang allen Völkerrechts. Die Frage ist, wer eigentlich ein gerechter oder ungerechter Feind in einem Krieg ist, während die Kriege selbst sehr unterschiedlich sind: von Bürger- und Religionskrieg bis Welt- und Stellvertreterkrieg. Gerechte oder ungerechte Feinde können Kombattanten, Räubern, Partisanen, Separatisten oder Aufständischen sein, aber auch die ganzen Staaten oder barbarische, unzivilisierte Völker im Allgemeinen, je nach Zeitpunkt, Art des Krieges oder geltenden Rechtslagen.

    Bei justa causa geht es um der Frage der Kriegsursache, die eine Erklärung von vielen anderen, bei jedem Krieg entstehenden Fragen verlangt, etwa: Was ist Tatbestand des Verbrechens? Wer ist Aggressor und wer ist Verteidiger? Wer ist Ankläger und wer ist Angeklagter? Usw. Besonders die Kriegsschuldfrage war in allen Zeiten ein schwer gelostes Problem, bei dem große Skepsis herrscht, ob es überhaupt möglich ist, den Aggressor vom Verteidiger zu unterscheiden. Zumindest das Recht auf Selbstverteidigung ist immer gegeben, sogar mit einem bekannten Satz, dass der Angriff die beste Verteidigung ist.

    2. Lehre des gerechten Krieges

    Im europäischen Mittelalter, unter dem Einfluss des Christentums, fanden die Fragen des gerechten Krieges, justus hostis und justa causa, ihren Ausdruck in der sogenannten Lehre des gerechten Krieges, die in der Folge der christlichen Missionierung von nicht-christlichen Völkern entstand und die spanische und portugiesische Conquista rechtfertigen sollte. Nach Schmitt war der Boden nicht christlicher, heidnischer Völker ein christliches Missionsgebiet, er konnte einem christlichen Fürsten durch den päpstlichen Auftrag zur christlichen Mission zugewiesen werden. Der Boden islamischer Reiche galt als feindliches Gebiet, das durch Kreuzzüge erobert und annektiert werden konnte. Solche Kriege, wenn sie vom Papst erklärt wurden, waren sogar heilige Kriege. Schon damals galt das Prinzip: Was im Krieg gegen nichtchristlichen Fürsten und Völker erlaubt ist, ist im Krieg zwischen Christen verboten.

    In der Republica Christiana waren also alle christlichen Fürsten rechtlich anerkannte justus hostis, die gerechte Krieger, die sich von den Gedanken über die Schuldfrage abstrahieren könnten, weil alle formale Fragen der justa causa auf sich die Autorität der Kirsche übernahm. Der vom Papst gegebenen Missionsauftrag gab ihnen die Rechtsgrundlage, um in nichtchristlichen Gebieten zu missionieren und diese im Zuge ihrer Mission auch zu okkupieren.

    2. Jus Publicum Europaeum

    Das zwischenstaatliche europäische Völkerrecht der Zeit vom 16. zum 20. Jahrhundert, genannt als Jus Publicum Europaeum, hat alle mittelalterlichen Rechtstitel des Papstes und des Kaisers abgeschafft und löste die Fragen des justus hostis und der justa causa auf ganz andere Weise: durch die Gleichberechtigung von souveränen europäischen Staaten. Für Schmitt war das Jus Publicum Europaeum ein einzigartiges Beispiel des Völkerrechtes, dem gelungen hatte, die vernichtende Religions- und Bürgerkriege des Mittelalters zu beenden und die effektiven rechtlichen Instrumente für die Hegung den Kriegen in Europa zu schaffen. Seine tragende Größe war ein souveräner Staat. Die Kriegsgegner, also die souveränen Staaten, wurden von europäischer Gemeinschaft als justus hostis anerkannt und vom Rebellen, Verbrecher und Piraten unterschieden. Der Krieg verwandelte sich in eine Beziehung zwischen beiderseitig gleichberechtigten souveränen Staaten: Die Gegner, auf beiden Seiten in gleicher Weise als justus hostis anerkannt, standen einander auf gleicher Ebene gegenüber.

    Die Gerechtigkeit des Krieges bestimmte nicht mehr die völkerrechtliche Autorität der Kirche, sondern die gleichberechtigte Souveränität der Staaten. Die Ordnung des europäischen Völkerrechtes ging, statt von der justa causa, vom justus hostis aus und bezeichnete jeden zwischenstaatlichen Krieg zwischen gleichberechtigten Souveränen als rechtmäßigen Krieg. Dieser Krieg war keinen Verbrechen im kriminellen Sinne des Wortes und das Wort „Kriegsverbrechen“ hatte nicht den Sinn, den Krieg selbst als Verbrechen zu kennzeichnen. Unter Kriegsverbrechen wurden nur bestimmte, während des Krieges begangene Handlungen gemeint, etwa Verstöße gegen das sogenannte Recht im Kriege. Auf dieser Weise verlor der Krieg den Strafcharakter und eine Tendenz zur Diskriminierung des Gegners. Der Feind hört auf, etwas zu sein, das vernichtet werden muss. Dadurch wird die Beseitigung oder Vermeidung des Vernichtungskrieges möglich. So ist, nach Schmitt, dem europäischen Völkerrecht die Hegung des Krieges mithilfe des Staatsbegriffes gelungen.

    3. Hegung des Krieges und Gleichgewichts-System

    Nach Schmitt war die Hegung des Krieges das Wesen des europäischen Völkerrechts. Die Kriege waren nicht illegal und so lange gerecht, bis sie die gesamte Ordnung und das Gleichgewicht in Europa nicht störten, wie es zum Beispiel bei Napoleon-Kriegen war. Schmitt spricht um Gleichgewichts-System, das im Grunde der eurozentristischen Raumordnung und der Hegung des Krieges lag. Dabei handelt es sich nicht um einer politisch-propagandistischen Gleichgewichtspolitik, sondern um großer praktischer Überlegenheit der Gleichgewichts-Vorstellung, in derer die Fähigkeit lag, eine Hegung des Krieges zu bewirken. Solches als gemeinsam empfundenes Gleichgewichts-System war für Schmitt sogar wichtiger als die Souveränität und Nicht-Intervention. Die europäischen Großmächte spielte dabei die führende Rolle, weil sie sich in erster Linie über Bewahrung und Pflegen des Gleichgewichtes interessierten, um die Zerstörung der bestehenden Weltordnung zu vermeiden.

    4. Epoche der Unordnung und Sinnwandel des Krieges

    Zum Ende des Ersten Weltkrieges löst sich das Jus Publicum Europaeum. Der Erste Weltkrieg hat als ein europäischer „Staatenkrieg alten Stils“ begonnen, beendete sich aber als ein geopolitischer Streit zwischen Seemacht England und Landmacht Deutschland. Im Friedensvertrag von Versailles 1919 versuchten die Siegermächte Frankreich und Großbritannien, dem besiegten Deutschen Reich die alleinige Schuld am Krieg zuzuschreiben. Die Kollektivschuld, die im Jus Publicum Europaeum sicherlich alle Kriegsbeteiligten tragen müssten, wurde durch Identifizierung eines bestimmten Kriegsverbrechens ersetzt, unbeachtet von Kriegsschuldfrage, von Protesten Deutschlands und von verbreiteter Meinung, unter anderem von amerikanischer Präsident W. Wilson, dass die Schuld am Ersten Weltkriege das ganze Europa tragen muss. Leider ist heute das Bewusstsein der kollektiven politischen Verantwortung wieder zum Defizit geworden.

    Nicht mehr die Gleichberechtigung der souveränen Staaten als der formale Anhaltspunkt für die Bestimmung des gerechten Krieges, sondern die Autorität der Siegermächte, als Analog zur alten Autorität der Kirche, übernimmt nun das Recht zu entscheiden, was eine Gerechtigkeit im Krieg bedeutet und wer einen Kriegsverbrecher ist. Schmitt beschreibt diesen Prozess als Sinnwandel des nicht-diskriminierten zwischen-staatlichen Krieges des Jus Publicum Europaeum in einen neuen – diskriminierten – Typus des Krieges, der die wichtigsten Grundsätze des europäischen Friedens zerstörte, aber ein neues System der Hütung des Krieges nicht schaffte.

    Den größten Beitrag zum Sinnwandel des Krieges haben nach Schmitts Ansicht die Vereinigten Staaten geleistet, mit dem Versuch, den Krieg als solchen abzuschaffen, rein in der amerikanischen Tradition outlawry of war, die alle Kriege als solche ächtet und verurteilt. Die Abschaffung des Krieges, die ursprünglich als Ideal der Freiheit und des Friedens auf den amerikanischen Kontinent entstanden hat, sollte nun die im Jus Publicum Europaeum gut funktionierte Methode der Kriegsverhütung, also die Hegung des Krieges, ersetzten.

    5. Moderne Lehre des gerechten Krieges

    Im Laufe des Ersten Weltkrieges taucht die mittelalterliche Lehre des gerechten Krieges wieder auf, allerdings in einer völlig anderen Form. Nach Schmitt war das aber keine Rückkehr, sondern einen fundamentalen Wandel der in der mittelalterlichen Lehre vorausgesetzten Begriffe von Feind, von Krieg und von Gerechtigkeit. Die mittelalterliche Lehre erkannte doch in den nicht-christlichen Gegnern den justus hostis und hebe den Kriegsbegriff als solchen nicht auf. Dagegen erstrebt die moderne Theorie des gerechten Krieges gerade die Diskriminierung des Gegners, der den ungerechten Krieg führt. Der Gegner wird nicht mehr als justus hostis, also als ein gerechter Feind behandeln, sondern als kriminelle Verbrecher. Gegen solchen Verbrecher wird keinen Krieg geführt, sondern eine Strafmaßnahme. Der Krieg selbst wird zum Verbrechen in der kriminellen Bedeutung des Wortes.

    Der Krieg könnte also abgeschafft werden, aber nur, weil die Feinde nicht mehr auf der gleichen moralischen und rechtlichen Ebene anerkannt sind: Sie sind Kriminelle und müssen mit allen verfügbaren Mitteln vernichtet werden.

    6. Hegemoniales Gleichgewicht

    Nach der Auflösung des Jus Publicum Europaeum bracht auch das europäische und planetarische Gleichgewichts-System zusammen. Die Vereinigten Staaten von Amerika als neue Supermacht versuchten, das zerstörte System durch eine andere Grundlage der Weltordnung zu ersetzen, die den global gewordenen amerikanischen Interessen gerecht werden konnte. Schmitt verwendet der Begriff „hegemoniales Gleichgewicht“, um die amerikanischer Erfahrung beim Aufbau des neuen Systems zu beschreiben. Es ist der Fall, wenn die Hegemonie des Stärkeren für Ordnung in den Reihen der Schwächeren sorgt. Es waren zuerst die amerikanischen Staaten wie Kuba, Haiti, San Domingo, Panama und Nicaragua, die formal souverän, aber in der Wirklichkeit von Vereinigten Staaten wirtschaftlich und militärisch abhängig waren. Es führte zum modernen Typus der Intervention, wenn das amerikanische Interventionsrecht nicht nur durch Stützpunkte, militärische Besetzungen oder in anderen Formen der Gewalt gesichert wurde, sondern auch durch Verträge und Vereinbarungen mit den gelenkten Staaten, so dass es möglich ist, zu behaupten, im rein juristischen Sinne liege hier überhaupt keine Intervention mehr vor.

    Das gleiche Prinzip ermöglichte es den USA, die notwendigen Resolutionen im Völkerbund durchzusetzen. Amerika konnte sich immer auf die Unterstützung formal souveräner, aber faktisch abhängiger Staaten des amerikanischen Kontinents verlassen.

    7. Scheitern des Völkerbundes

    Die zwei Völkerrechte – das Völkerrecht der Republica Christiana und das Jus Publicum Europaeum – haben die entscheidenden Fragen des gerechten Krieges, justus hostis und justa causa, prinzipiell unterschiedlich behandelt, aber beide haben auf diesem Weg bestimmte Erfolge erreicht. Seit der Auflösung des Jus Publicum Europaeum sind diese Fragen des gerechten Krieges in Ungnade gefallen.

    Im Völkerbund wurden viele Versuche und Vorschläge gemacht, um das Kriegsverhütungs-System zu schaffen und zu stärken. Doch es wurde zu keiner Vereinbarung gekommen, was ein Angriff, Angriffskrieg und insbesondere, was ein mit Strafe bedrohtes internationales Verbrechen sein soll. Nach Schmitt sind die Bemühungen des Völkerbundes daran gescheitert, weil er die sachlichen Zusammenhänge der Frage des gerechten Krieges nicht beantwortete und nicht einmal beantworten wollte.

    8. Bipolare Weltordnung, UN-Charta und UN-Sicherheitsrat

    Die UNO als Nachfolger des Völkerbundes hat das Schicksal ihrer Vorgänger nur dadurch vermeidet, weil, neben das Mehrheitsprinzip bei der Erfassung von ihren Beschlüssen, auch das Vetorecht im UN-Sicherheitsrat eingeführt hatte. Man kann sagen, dass das Vetorecht im Kalten Krieg zum wichtigsten Instrument nicht der Abschaffung, sondern der Hegung des Krieges geworden war. Um sich davon zu überzeugen, reich es einen Blick auf die Veto-Liste von 1946 bis 2017 zu werfen. Ab 1946 bis 1969 hat am meisten die UdSSR das Vetorecht benutzt, aber von 1970 bis 1991, wenn die Sowjetunion in UNO die mehrheitliche Unterstützung bekam, verwendeten das Vetorecht vorwiegend die USA, Frankreich und Großbritannien. Als Garant der Hegung des Krieges trat das militärischen und insbesondere atomaren Gleichgewicht zwischen zwei Supermächten. Sie waren gleichberechtigte Souveräne und bestimmten die Rechtmäßigkeit des Krieges, der über einen Stellvertreterkrieg nicht hinausging.

    Es ist logisch, dass nach dem Zerfall der Sowjetunion das Vetorecht vorwiegend von Russland und China benutzt wird. Seit 1989/90, wenn der Westen als Sieger im Kalten Krieg nach neuer Formel des Weltfriedens zu suchen begann (ähnlich wie es nach dem Ersten Weltkrieg war), sind für ihn die schon bestehende Methode der Kriegsverhütung und insbesondere das Vetorecht zum Problem geworden. Die militärischen Interventionen der NATO ohne UN-Mandat, Drohnenkriege und flächendeckenden Bombardierungen sind ein direkter Beweis dafür. Es ist auch nicht zufällig, dass von den westlichen Staaten die Forderung, das Vetorecht abzuschaffen und den UN-Sicherheitsrat zu reformieren, lauter geworden ist – mit aktivem Widerstand aus Russland und China.

    Der Sicherheitsrat mit Vetorecht steht also auf die Seite der Hegung des Krieges und Realisierung der UN-Charta. Er ist verpflichtet, die Konflikte und Angriffe (nicht zu verwechseln mit den Angriffskriegen, die nach dem Völkerrecht eine völlig andere Bedeutung haben) möglichst schnell zu beenden, um die neuen vernichtenden Weltkrieg, also Atomkrieg zu vermeiden. Im Gegensatz dazu mobilisieren die USA und ihre Verbündeten über die von ihnen gelenkten Staaten Mehrheiten in UN-Versammlungen und internationalen Gremien, um ihre Interessen durchzusetzen.

    9. Zwei Vektoren der Weltentwicklung

    Das militärische und vor allem das nukleare Gleichgewicht zwischen den beiden Supermächten gelten im Kalten Krieg als Garant für Hegung des Krieges. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hatten die Vereinigten Staaten die Hoffnung, ihr Ideal der Abschaffung des Krieges im Rahmen der unipolaren Weltordnung zu verwirklichen.

    Europäisches Gleichgewichts-System und amerikanisches System des hegemonialen Gleichgewichtes sind seitdem zu zwei konkurrierenden Grundlagen für den Aufbau einer Weltordnung geworden. Das europäische Gleichgewichts-System hat sicherlich einen Vorteil: Es hat schon zwei Mal beweist, dass es fähig ist, eine Hegung des Krieges zu bewirken, nämlich in Europa vom 16. bis zum 20. Jahrhundert im Rahmen des Jus Publicum Europaeum und im Rahmen der bipolaren Welt des Kalten Krieges. Das amerikanische hegemoniale Gleichgewicht-System sollte man seine praktische Überlegenheit doch noch beweisen. Nach dem Ersten Weltkrieg, unter der Führung des Völkerbundes, hat es keine Erfolge gezeigt: Ein neuer Vernichtungskrieg von noch schrecklicherem Ausmaß brach in der Welt aus. Aber auch heute bewirkt es sich noch nicht überzeugend, obwohl nach dem Ende des Kalten Krieges die USA eine universelle Chance bekam, die Welt in allen ihren Formen (von Ökonomik bis Sport und Kultur) und in allen ihren Instituten (von NGO bis UNO) zu lenken. Ein Gespenst geht um in der Welt – das Gespenst der multipolaren Ordnung.

    Wende zur multipolaren Weltordnung

    Heute, wenn die Konflikte und die Kriege in der Welt kein Ende finden, wächst wider die Bedeutung der Hegung des Krieges mit ihrem erfolgreichen Gleichgewichts-System als Garantie des Weltfriedens. Dabei handelt es sich nicht um eine Konstruktion der als Westfälischer Friede bekannten europäischen zwischenstaatlichen Weltordnung, sondern um ein Modell der Hegung des Krieges in einer multipolar gewordenen Welt. Die Konfliktlinien verlaufen heute, wenn man von der Logik einer multipolaren Welt ausgeht, nicht so sehr zwischen Staaten, sondern zwischen Großräumen oder großen Kulturkreisen, wenn wir von der Terminologie des berühmten amerikanischen Politikwissenschaftlers Samuel Huntington ausgehen. Wir können auch von neuen großen Weltmächten wie China, Russland oder Indien sprechen.

    Die Kriege und Konflikte zwischen Großräumen werden dann nicht illegal, aber sie werden, soweit sie unvermeidlich sind, umhegen, um neue, wahrscheinlich schlimmere Arten des Krieges zu vermeiden. Die neuen Akteure des Friedens, die Großräume, bekommen die Anerkennung als justus hostis und werden zum Garanten der neuen Weltordnung. Diese Ordnung geht, statt von der justa causa, vom justus hostis aus und bezeichnet jeden Krieg oder Konflikt zwischen gleichberechtigten Souveränen als rechtmäßigen Krieg. Nur dadurch wird die Beseitigung oder Vermeidung des Vernichtungskrieges möglich. Auch die andere Rechtsinstitute, Regeln und Methoden des Jus Publicum Europaeum, die vierhundert Jahren dem Frieden aufrichtig und in gutem Glauben dienten, wären dann wichtig, etwa Neutralität als Rechtsinstitut und die Festhaltung den großen Politikern ihren Worten.

    Die atomare Abschreckung im Konflikt in der Ukraine spielt dabei die entscheidende Rolle. Die russische Wiederherstellung des atomaren Gleichgewichtes mit den USA schließt eine direkte Einmischung von NATO und Amerika in den Ukraine-Konflikt aus. Der Ukraine-Konflikt wird zum Stellvertreterkrieg, ähnlich wie es im Kalten Krieg war, wenn die atomaren Großmächte, die USA und die UdSSR, die weltweite Konflikte auflöste, ohne sich in eine direkte – atomare – Konfrontation zu ziehen. Die Tatsache, dass der kollektive Westen, angeführt von Amerika, immer mehr in einen Stellvertreterkrieg in der Ukraine gezwungen wird, ist ein Beweis dafür, dass Russland für den Westen immer mehr zu einem anerkannten Feind wird, der nicht mehr durch polizeiliche Maßnahmen im Kampf gegen diskreditierte Kriminelle besiegt werden kann.

    In diesem Sinne könnte man 24. Februar 2022 als einen Wendepunkt des Überganges zur neuen Weltordnung bezeichnet werden: von einer unipolaren zur multipolaren Welt.

    Mehr über Schmitts Argumentation zu Krieg und Frieden mit Quellen S. hier: https://v-gorbunov.net/de/carl-schmitt-ueber-krieg-demokratie-und-weltordnung/carl-schmitts-formel-des-friedens/

    • Observator sagt:

      "Das wirft neue Fragen auf: Ist der UN-Sicherheitsrat eben nicht dafür zuständig, einen Krieg zu legitimieren? Erfüllt die UN-Charta überhaupt ihre Hauptaufgabe, militärische Konflikte und Kriege zu beenden?"

      Ja, Herr (?) Gorbunov; da ich mir selbst und dann auch hier im Forum die Frage stellte, fühle ich mich angesprochen.🤗
      Im Übrigen, sehr ausführlicher und sehr guter Beitrag.
      Eben darum ging es ja. Wäre der Serbien-Krieg durch die "Freigabe" des UN-Mandats dann "legal" gewesen?
      Also aus deren Sicht, legal schon, aber "berechtigt"?
      Das war eigentlich ein "lokaler" Konflikt. Man hätte als "Mediator" auftreten können oder sonstwie versuchen die Konfliktparteien zu einer beiderseits akzeptablen Lösung zu bringen. Das wäre eine Aufgabe der UN gewesen, zum Friedenserhalt und überhaupt zur Befriedung der Situation zu führen.
      Aber nein, die USA und ein Teil der NATO (inklusive Deutschland) greifen militärisch ein. Mit welchem Recht? War das ein "Verteidigungskrieg" der USA? Hat die jemand angegriffen? Danach entsteht hier auch der größte Militärstützpunkt der USA in Europa, wenn nicht sogar weltweit.

      "Die Tatsache, dass der kollektive Westen, angeführt von Amerika, immer mehr in einen Stellvertreterkrieg in der Ukraine gezwungen wird, ist ein Beweis dafür, dass Russland für den Westen immer mehr zu einem anerkannten Feind wird,…"

      Ein Stellvertreterkrieg war er doch von Anfang an und Russland ist für den Westen schon seit Jahrhunderten "der Feind". Zumindest vor allem für die USA.

      Die Vermeidung der Ukraine-Krise wäre ein Einfaches gewesen. War aber nicht gewollt und von den USA nicht nur beabsichtigt sondern seit 2008 "geduldig" vorbereitet worden. Mit dem ersten Höhepunkt 2014 und den Rest kennt man ja…

  2. Schramm sagt:

    Der Krieg der USA und NATO in Europa.

    Es geht den Finanz- und Wirtschaftsmonopolisten, den multinationalen Konzernen der USA und Großbritanniens, der NATO-Bündnisstaaten und Europäischen Union, den Haupt- und Großaktionären der Aktiengesellschaften der Rohstoff- und Rüstungsindustrien, nicht um die sozialen Lebensinteressen der Bevölkerung der Ukraine. Sie dienen allenfalls zur Durchsetzung und Realisierung der ökonomischen und vorrangig westlichen Interessen, der Liquidierung der politischen Administration der Russischen Föderation und deren wirtschaftlichen und geopolitischen Übernahme Eurasiens. Nur für diesen Zweck wird vorrangig die männliche Bevölkerung der Ukraine militärisch eingesetzt und auf dem Menschenschlachtfeld verheizt.

    • Observator sagt:

      War nie anders. Seit wann kümmert "die" die Bevölkerung oder deren Gesundheit u. ä.?
      Mit der "geopolitischen Übernahme Eurasiens"
      werden sie ein ziemliches Problem haben.
      Es ist mir nicht bekannt, dass es im Laufe der Geschichte irgendjemandem gelungen ist, Russland zu besiegen.
      Wenn man sich diesen Konflikt ansieht, ist er doch, im Verhältnis, ein eher "lokaler" Konflikt. Und er hat trotzdem hunderttausende von Leben und Abermilliarden gekostet und der Wertewesten ist eher pleite als er sich der "Übernahme" auch nur minimal genähert hat.

  3. Andreas I. sagt:

    Hallo,
    ich habe das mal so gelernt: Strategie ist der langfristige Plan, Taktik ist der mittelfristige Plan und operativ ist kurzfristiges Handeln.
    Inwiefern dieses "Strategie"papier der Bundesregierung auf irgendwelchen langfristigen Gedanken beruht, kann ich nicht erkennen. Höchstens, dass es im Prinzip nichts weiter sagt, als dass die BRD weiterhin langfristig der USA dienen soll. Das bekommt der deutschen Volkswirtschaft aber schon jetzt schlecht.
    Naja.
    Aber Hauptsache, das neue Modewort der Transatlantiker ist dabei; Resilienz. Na da muss es ja ein guuutes Papier sein. ;-)

  4. Querdenker sagt:

    »Macht etwa eine solche Resolution einen Krieg begründbar oder gar entschuldbar? Ist dadurch ein Krieg dann "berechtigt"?«

    @Observator: Begründbar? Ja, entsprechend der UN-Carta. Entschuldbar? Na ja, es geht in der UN-Carta ja eigentlich nicht um Krieg. Das ist ein Strohmann-Argument? Es geht in der UN-Carta gerade darum einen militärischen Konflikt resp. Krieg beenden zu können. Falls nicht diplomatische, dann eben dadurch, dass die Konfliktparteien physisch getrennt werden.
    Es geht hier nicht um die "Berechtigung" eines Krieges, das ist schon wieder ein Strohmann-Argument. Es geht um die Beendigung eines Krieges! Soweit zumindest zur UN-Carta.

    Dass das in der Vergangenheit nicht alles optimal gelaufen ist, ist offensichtlich. Sollte man deshalb aber auf den Versuch verzichten eines gedeihlichen Zusammenlebens der Völker? Denn nichts anderes ist der Spirit der UN-Carta …

    • Observator sagt:

      "Es geht hier nicht um die "Berechtigung" eines Krieges, das ist schon wieder ein Strohmann-Argument. Es geht um die Beendigung eines Krieges! Soweit zumindest zur UN-Carta."

      Hmm.
      Um einen Krieg zu beenden, muss er erstmal begonnen haben. Und wie hat er denn begonnen?
      Mit oder ohne UN-Mandat?
      Und da schließt sich der Teufelskreis.

      "Sollte man deshalb aber auf den Versuch verzichten eines gedeihlichen Zusammenlebens der Völker?"

      Ganz im Gegenteil. Und wie soll das dann denn laufen, wenn man die Charta selbst nicht einhält?

      War das in Serbien, um nur ein Beispiel zu nennen, wirklich ein solcher Versuch?
      Wenn ja, na dann ist er kläglich gescheitert und hat viele Leben gekostet und ein großes Gebiet radioaktiv für Jahrzehnte verseucht.

      Würde ich nicht nochmal "versuchen". Obwohl; genau das machen die so "hilfsbereiten" Amerikaner in der Ukraine jetzt wieder.

      Was denken Sie?… Wirklich nur "Strohmann-Argumente"? Der Meinung bin ich nicht gerade.

    • Querdenker sagt:

      "Um einen Krieg zu beenden, muss er erstmal begonnen haben. …"

      @Observator: Ja, das ist richtig! Und der UN-Sicherheitsrat ist eben nicht dafür da einen Krieg zu legetimieren. Sinn und Zweck dieses Rates ist u.a. kriegerische Konflikte zu befrieden. Dass das nicht immer so gelaufen ist in der Vergangenheit ist klar. Muss man nur mal an die Flugverbotszone in Libyin denken (Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrates). Oh, toll sagte sich da das Norwegische Parlament! wir schicken mal ein paar von unseren Jungs in ihren Kampfjets rüber, da können die auch mal etwas Krieg spielen …

      Aber den Fehler haben Russland und China auch nie wieder gemacht, man lernt halt. Aber den Sicherheitsrat als ein Instrument zur Legitimierung von Krieg zu bezeichnen führt dennoch fehl.

      »Ganz im Gegenteil. Und wie soll das dann denn laufen, wenn man die Charta selbst nicht einhält?«
      Wen meinen Sie damit. Aber das ist eigentlich auch egal. Es ist zwar eine Binse, aber muss es hier wohl noch mal erwähnen: Es handelt sich bei allen Akteuren um Menschen ;-) Da ist nichts perfekt und schon gar nicht die UNO oder der Sicherheitsrat. Aber nochmal, soll man deswegen die Hände in den Schoß legen. Oder nicht besser versuchen das Zusammenleben lebenswerter zu gestalten? Und es gibt nun einmal nur diese Welt und die Akteure darauf. Und entweder man versucht mit den Gegebenheiten umzugehen und zu einem Besseren entwickeln oder man überlässt alles den Stärkeren, Skupelloseren …

      »War das in Serbien, um nur ein Beispiel zu nennen, wirklich ein solcher Versuch?«
      Was meinen Sie? März 199, als die NATO ihren 50ten in Jugoslawien "feierte"? Dafür gab es _kein_ Mandat des UN-Sicherheitsrates!

      »Was denken Sie?… Wirklich nur "Strohmann-Argumente"?«
      Ja, definitiv! Die US-Amerikaner in der Ukraine haben nichts aber auch rein gar nichts mit dem UN-Sicherheitsrat zu tun. Das ist eine reine NATO-Aktion. Die Aktionen der NATO dort sind keinsterweise legetimiert. Übrigens ein recht Gutes Buch zur Rolle der NATO, also der USA, ist z.B. dieses hier "Die Ukraine Kriese":
      https://www.j-k-fischer-verlag.de/J-K-Fischer-Verlag/Die-Ukraine-Krise-2014-bis-zur-Eskalation–8636.html

    • Observator sagt:

      "Aber den Sicherheitsrat als ein Instrument zur Legitimierung von Krieg zu bezeichnen führt dennoch fehl."

      In dem Moment, in dem man behauptet, dass die "Intervention" der NATO in Serbien illegal war, da ohne UN-Mandat erfolgt ist, heißt das im Umkehrschluss, dass dieselbe, mit UN-Mandat, "legal" gewesen wäre also "völlig OK" und legitimiert.

      Mit Libyen war es auch etwas anderes. Die Amerikaner, Briten und Kanadier waren dabei mit der Flugverbotszone. Natürlich zum "Schutz" der Zivilbevölkerung. Den lagen ihnen die Libyer sehr am Herzen. Da haben sich die Amis gesagt
      – wenn wir schon mal hier sind, machen wir Gaddafi weg. Viele der NATO-Mitglieder wollten sich nicht daran beteiligen. Außer Norwegen. Als "Belohnung" wurde dann Stoltenberg NATO Generalsekretär. Dass der sich selbst mehr als General wahrnimmt als Sekretär, ist eine andere Geschichte.

      Was meinen Sie mit Russland und China? Welchen Fehler?

      Eine "reine NATO-Aktion" braucht auf jeden Fall ein UN-Mandat, wenn sie irgendwo, beispielsweise in Serbien, eine "Aktion" vor hat. So sagt es die Charta.
      Schröder und Fischer haben paar zehn tausende Tote später den "Fehler" auch zugegeben.

      An dieser Stelle würde ich Ihnen, meinerseits, die Bücher und Vorträge Daniele Gansers zu diesem Thema empfehlen.

    • Observator sagt:

      "Die UN -Charta sieht für die Friedenssicherung ein breites Spektrum an Maßnahmen vor. Sie reichen von Aufbauhilfen und Vermittlungsaktivitäten über Sanktionen und Boykottmaßnahmen bis hin zum Einsatz militärischer Gewalt. Militärische Operationen erfordern in jedem Fall ein Mandat des Sicherheitsrates."

      https://www.bmvg.de/de/themen/verteidigung/multinationale-zusammenarbeit/un

    • Querdenker sagt:

      »In dem Moment, in dem man behauptet, dass die "Intervention" der NATO in Serbien illegal war, da ohne UN-Mandat erfolgt ist, heißt das im Umkehrschluss, dass dieselbe, mit UN-Mandat, "legal" gewesen wäre also "völlig OK" und legitimiert.«
      Ja, natürlich! Zwar nicht im Umkehrschluss, aber ja. Wenn der Sicherheitsrat eine ensprechende Resolution verabschiedet hätte, wäre es Völkerechtsmäßig konform gewesen. Und genau daher haben China und Russland _nicht_ zugestimmt. Wo ist da das Problem?

      »Was meinen Sie mit Russland und China? Welchen Fehler?«
      Na ja, eben diesen, dass Russland und China einer Flugverbotszone in Libyen im Sicherheitsrat zugestimmt haben (Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrates). Und es waren nicht nur die USA, Briten und Kanada, sondern auch Norwegen, abgesegnet durch das eigene Parlament, was mich immer noch sehr wütend macht.

      »Eine "reine NATO-Aktion" braucht auf jeden Fall ein UN-Mandat, …«
      Nein, natürlich nicht! Denn eine "reine NATO-Aktion" ist ja keine reine NATO-Aktion, wenn diese ein UN-Mandat hat, da beißt sich was ;-)

    • Querdenker sagt:

      "Die UN -Charta sieht für die Friedenssicherung …"

      @Observator: Wenn Sie schon die UN-Charta zitieren, sollten Sie jetzt mal Farbe bekennen und sagen, ob Sie dafür oder dagegen sind ;-)
      Ich jedenfalls bin sehr dafür, auch wenn es keinesfalls perfekt ist. Aber, wie gesagt, es sind alles Menschen, die da handeln, und diese sind nun mal nicht perfekt …

    • Observator sagt:

      "Und es waren nicht nur die USA, Briten und Kanada, sondern auch Norwegen,…"

      Habe ich ja auch geschrieben.
      Lesen Sie bitte meinen Post nochmal…

    • Observator sagt:

      "…sollten Sie jetzt mal Farbe bekennen und sagen, ob Sie dafür oder dagegen sind ;-)"

      Mache ich ja.
      Ich bekenne Farbe und sage, dass
      ich mit FAST allem dafür bin. Bis auf die "Friedenssicherung bis hin zum Einsatz militärischer Gewalt." Widersinnige Formulierung und ein Widerspruch in sich.
      Wozu, verdammt noch mal, wurde die Diplomatie erfunden? Man kann doch miteinander reden. Es sei denn, irgendeiner verweigert das Gespräch. Und da sind die Amis sehr erfahren damit. Leider.

      Boykottmaßnahmen finde ich auch nicht besonders prickelnd.

  5. Querdenker sagt:

    "Die Beerdigung des Völkerrechts fand also nicht erst am 24.02.2022 statt."

    Da gibt es durchaus unterschiedliche Standpunkte in Bezug auf das Völkerrecht, Herr Effenberger! Möchte in diesem Zusammenhang mal nur Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen. Die Unterstellung Russland hat das Völkerrecht gebrochen, indem es nach 8 Jahren Krieg durch "Kiew" die Donbass Republiken militärisch unterstützte, ist eine recht einseitige Darstellung. Zumal noch hinzukommt, dass Russland 8 Jahre intensiv versucht hat, den militärischen Terror gegen die eigene Bevölkerung in der Ukraine, zu befrieden.

  6. Observator sagt:

    "Es folgte der Hinweis, dass man eine solche Strategie bereits im Koalitionsvertrag – noch vor der Zeitenwende, dem Krieg in der Ukraine und den Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines – vereinbart habe."

    Hat ja auch super funktioniert. Gel?

    Übrigens:
    Man hört immer wieder und wieder
    "ohne UN -Resolution".

    Macht etwa eine solche Resolution einen Krieg begründbar oder gar entschuldbar? Ist dadurch ein Krieg dann "berechtigt"?

    Krieg ist Krieg und eine ständige Aufrüstung und "Abschreckung" dient keineswegs dem Friedenserhalt.
    Aber das wollen die USA auch gar nicht. Haben sie doch klip und klar mehrfach öffentlich gesagt.

    74 Seiten "Nationale Sicherheitsstrategie"…
    Schade ums Papier…

  7. Nevyn sagt:

    Sagt ein Mafiosi zum anderen: "Ich fühle mich heute so unsicher. Überall Polizei."

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