Kabul

Von Willy Wimmer.

Mitte der neunziger Jahre äußerte sich aus der Spitze des State Departments jemand über die Taliban. Es war die Vize-Außenministerin, Frau Robin Rafael. Die Worte sind in die Geschichte eingegangen; “Taliban are our boys” und “Afghanen kann man nur mieten, nicht kaufen”. Bis zum Beweis des Gegenteils sollte man die Erinnerung an die letzte Herrschaft der Taliban immer in Rechnung stellen. Der einzig verlässliche Umstand ist der Ehrenkodex der Paschtunen, wenn sie jemanden in ihren vier Wänden aufnehmen.

Daneben gab es ein ehernes Herrschaftsgesetz in Afghanistan. Jeder Stamm von Bedeutung hatte seine Stadt und von dieser Stadt gab es einen Weg nach Kabul. Solange man als Fremder auf diesem Weg blieb, war man unter allen Umständen sicher. Wich man von diesem Weg ab, musste das mit dem jeweiligen Stamm geklärt werden oder man musste über Waffen verfügen, die die Feuerkraft des jeweiligen Stammes überstiegen. Unser BND Resident in Kabul hat mir beim letzten Besuch 2008 in Kabul gesagt, dass er mit seinem Fahrer in ganz Afghanistan unterwegs gewesen ist, in der Beachtung dieser Regeln. Das war alles ohne Probleme möglich. Die EU hat die rotierenden Truppen der internationalen Koalition über diese Gesetzmäßigkeiten regelmäßig und ohne jedes Ergebnis in Kenntnis gesetzt. Die NATO und die internationale Koalition haben gemacht, was sie wollten. Die afghanischen Regeln wurden ebenso wenig beachtet wie die Erkenntnisse aus dem sowjetischen Einmarsch nach Afghanistan. Nachdem der EU-Repräsentant mir das 2008 gesagt hatte, hat Präsident Karzai ihn ausgewiesen.

Wie Russland diese jetzige Entwicklung einschätzt, kann man seit Monaten an der tadschikisch/afghanischen Grenze feststellen. Die Grenze ist jetzt schwer befestigt und wird von russischen Kräften, u. a. die berühmte 102. Division, geschützt. Südlich davon befindet sich das Herrschaftsgebiet der afghanischen Tadschiken unter Führung des Sohnes von Shah Masood. Nach der Ermordung seines Vaters im Vorfeld der amerikanischen Besatzung 2001 hat dieser als zwölfjähriger Junge in einem mit über 10 000 Anwesenden vollbesetzten Fußballstadion eine Rede gehalten, die phänomenal gewesen sein muss. Der junge Mann hat später in den USA studiert und ist wieder vor Ort. Er soll blitzgescheit sein, wie sein belesener Vater. Ein hoher Offizier des deutschen Heeres war damals im Stadion anwesend und hat mich jetzt wieder an seinen damaligen Bericht erinnert. Heute, Freitag den 19. August 2021, hat Shah Masood in der Washington Post den Taliban als Tadschiken-Führer den Krieg erklärt. Er benötige Waffen und Munition, um den Kampf mit ihnen aufzunehmen. Am Vater haben sich die Sowjets und die Taliban die Zähne ausgebissen. Die Sowjets waren, auch bei den Tadschiken und den Usbeken, beim Abzug klug genug, den im Norden siedelnden Volksstämmen ihr Territorium sicher zu hinterlassen. Shah Masood hat den Salang Pass und das Pandschir-Tal zu einer Hürde gemacht, die niemand überwinden konnte.

Der Zugang nach Herat im Nordwesten Afghanistans war seinerzeit aus Turkmenistan möglich. Stundenlange Autofahrten von Aschgabat zur afghanischen Grenze mussten in Kauf genommen werden, weil der Zugang von Süden in Richtung Herat nicht möglich war. An diesen Dingen wird man die heutige Intention der Taliban feststellen können. Werden die Taliban Zugang zu den von ihnen kontrollierten Gebieten einräumen? Die Gegend verfügt über Öl- und Gasvorkommen, über die die USA und Taliban in Doha in den letzten Jahren intensiv verhandelt haben. Verhandlungsführer auf amerikanischer Seite war und ist Herr Khalisad, der bei einer der Pipeline-Gesellschaften als Berater angefangen hatte. Werden die Taliban Kontrolle ausüben und werden sie mit anderen die Erlöse teilen? Ist diese Pipeline nur geplant, um den Iran mit seiner Pipeline Iran-Indien auszustechen? Da kommt Geostrategie ins Spiel.

Mit dem “teilen” scheint es die bsherige afghanische Führung nicht zu haben. Man denkt an sich. Beispiel ist der bisherige Präsident Ghani. Zu dem Zeitpunkt, als bei uns die Nachrichten von einer Flucht nach Usbekistan ausgingen, war Herr Ghani angeblich schon auf seiner 2014 erworbenen Farm in Kanada.

Wesentlich dürfte jetzt die Frage danach sein, wie es mit der Heroinherstellung und dem Transport nach St. Petersburg und Rotterdam/Hamburg über das usbekische Fergana-Tal und die tadschikisch-afghanische Grenze weitergeht. Nach dem Modell “Sizilien/Invasion 1943” hatten vor der Invasion 2001 die US-Streitkräfte die profitablen Deals mit den Drogenbaronen geschlossen, um die Invasion zu ermöglichen. Die Bundesregierung hatte zur NATO-Zeit in Afghanistan die Erlöse aus dem Drogenhandel als wesentlich für den Aufbau Afghanistans bezeichnet.

Es ist wie mit den Nazis in der Ukraine. Wenn etwas nützlich ist, greift die NATO zu.

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle: Farin Sadiq / shutterstock

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Kommentare (3)

3 Kommentare zu: “Kabul

  1. Kitty17 sagt:

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  2. Schramm sagt:

    Afghanistan-Kriegskosten der USA

    Quelle: Neue Zürcher Zeitung am 23.08.2021

    »Wo die Billion Dollar geblieben ist, welche die USA in den Afghanistan-Krieg gesteckt haben. Viel Geld floss direkt in den Krieg, relativ wenig in den Aufbau des Landes. Milliarden wurden verschwendet. Entsprechend wenig bleibt nach dem Abzug der Amerikaner.«
    Von Nikolai Thelitz und Alexandra Kohler

    »Laut Zahlen des Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (Sigar) kostete der Krieg die Amerikaner bisher knapp 1 Billion Dollar. Davon floss die grosse Mehrheit (837 Milliarden) in Ausgaben für den Krieg, 133 Milliarden werden als Aufbaukosten ausgewiesen.
    {…}
    Aus den Kampfeinsätzen im Nahen Osten dürften für die Amerikaner hohe Folgekosten entstehen. So schätzt die amerikanische Brown-Universität in einer Studie die Gesamtkosten der Post-9/11-Kriege (also inklusive des Irak-Kriegs und der Anti-Terror-Einsätze in anderen Ländern) für den Steuerzahler auf insgesamt rund 6,4 Billionen Dollar.

    Teuer (geschätzte Kosten: 925 Milliarden) werden etwa die Zinszahlungen für die Billionen, die für die Kampfhandlungen aufgewendet wurden. Auch die medizinische Versorgung der Veteranen wird künftig noch mindestens eine Billion Dollar kosten.
    {…}
    Die teuer ausgebildeten afghanischen Streitkräfte mussten sich in Rekordzeit geschlagen geben. Korruption, Misswirtschaft und mangelnde Kampfmoral sind nur einige der Gründe, warum die investierten Gelder nicht den erhofften Erfolg brachten. Doch auch viele der Aufbauprojekte in Afghanistan haben sich nicht ausgezahlt. Der Effekt der US-Präsenz in Afghanistan dürfte vielerorts nicht nachhaltig gewesen sein.« Vgl. NZZ *

    * Vgl. Afghanistan-Krieg: Was die Billionen-Investition gebracht hat (nzz.ch)
    https://www.nzz.ch/international/afghanistsan-krieg-was-die-billion-investition-gebracht-hat-ld.1640697

    • Schramm sagt:

      Afghanische Fachkräfte werden in Afghanistan gebraucht!

      Oder: davonlaufen und sozialstaatliches Asyl im Konsumparadies der EU ist keine Lösung.

      «Nicht die Taliban, sondern wir haben den afghanischen Staat zerstört»

      »Der Triumph der Taliban und der Kollaps des afghanischen Staates haben den Afghanistan-Experten Gilles Dorronsoro nicht überrascht. Im Interview erklärt er, warum das State-Building-Projekt des Westens von Anbeginn zum Scheitern verurteilt war.«

      Vgl. Neue Zürcher Zeitung *

      Kommentar

      Fachkräfte werden in Afghanistan gebraucht!

      Jetzt sollten sich alle afghanischen Migranten in Deutschland und EU-Europa am Aufbau einer von Korruption befreiten Wirtschaft und Gesellschaft unmittelbar vor Ort in Afghanistan beteiligen.

      Beruflich qualifizierte afghanische Frauen und Männer werden auch in Afghanistan gebraucht. Nach der Befreiung von westlichen Besatzern und deren korrupten Regierenden und falschen Eliten sollten afghanische Migranten nun ihr Land nachhaltig wirtschaftlich und sozial aufbauen. Damit auch auf ihren weiteren sozialstaatlich alimentierten Verbleib im westlichen Konsumparadies Deutschlands und Österreichs, Frankreichs und Großbritanniens freiwillig verzichten.

      Spätestens mit einer für den Aufbau und die Entwicklung Afghanistans benötigten schulischen Bildung und beruflichen Ausbildung sollten sich afghanische Migranten nicht nur aus Deutschland auf den Weg in ihre Heimat machen. Nur hier, in Afghanistan, gibt es eine gemeinsame Zukunft für alle afghanischen Frauen und Männer.

      PS: Nur gemeinsam können Frauen und Männer die kulturelle und traditionelle, die feudal-religiöse Gefangenschaft im Patriarchat des Islam und Islamismus im 21. Jahrhundert überwinden.

      * Vgl. Afghanistan: Interview mit dem Konfliktforscher Gilles Dorronsoro (nzz.ch)

      25.08.2021, R.S.

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