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Ist der europäische Rüstungswahn ein Papiertiger?

Ist der europäische Rüstungswahn ein Papiertiger?

Ein Meinungsbeitrag von Rob Kenius.

Das Finanzsystem hat sich schon lange von einer materiellen Bindung gelöst. Das beinhaltet die Erklärung, die US-Präsident Richard Nixon 1971 abgegeben hat: Der Dollar ist frei von der Bindung an Gold und an irgendeinen anderen Sachwert. Weil der Dollar die Leitwährung ist und an Menge das Finanzgeschäft dominiert, gilt das auch für den Euro und die anderen Währungen. Geld ist völlig abstrakt, es ist eine Zahl, die zur Verrechnung und Bewertung dient und, das ist wichtig, die von allen als Wert akzeptiert wird.

Das völlig abstrakte Geld schafft aber ein Problem: Wenn Geld nur eine Zahl ist, kann man sie bis ins Unendliche immer weiter zählen. Es gibt auch keine Obergrenze für die Zahlen, die Geld bedeuten. 

Kann die Geldmenge jetzt unbegrenzt wachsen?

Ja. Und sie wächst unbegrenzt, weil staatliche und private Banken bei der Vergabe von Krediten Geld erschaffen. Sie machen Gutschriften über Geldsummen, die sie nicht zur Verfügung haben. Das ist girale Geldschöpfung und die Summe aller Kredite geht weit über die Rücklagen der Banken hinaus. Die Banken erschaffen so Geld auf Konten, über das die Schuldner verfügen können. Und dieses Buchgeld ist von anderem Geld nicht mehr zu unterscheiden. 

Dadurch wächst die Geldmenge unbegrenzt und man kann sagen, sie geht gegen unendlich. Es gibt keine Obergrenze und es gibt keine Kontrolle, es gibt auch keine Geldbremse und zuletzt auch keine Schuldenbremse mehr. 

Bei dieser Art der Kreditvergabe entstehen Geld und Schulden in gleicher Höhe. Auf der Schuldenseite kommen noch die Zinsen hinzu, doch das Geld für diese Zinsen wird dabei nicht generiert. Im Gesamtsystem fehlt dann das Geld für die Zinsen und man muss zusätzliches Geld beschaffen, weil die Geldmenge zur Tilgung aller Schulden plus Zinsen nicht reicht. Dieses fehlende Geld wird durch weitere Kreditvergabe von den Banken generiert, worauf wieder Zinsen fällig sind.

Das Finanzsystem weitet sich dadurch aus. Es ist nicht nur unbegrenzt, sondern auch expansiv. Dieses System ist, mathematisch gesprochen, divergent, es ist weitgehend außer Kontrolle, es wird, mit der riesigen Menge an Geld und Schulden, instabil. Die Grenzenlosigkeit und die Expansion des Finanzsystems verleitet die Akteure, also Geldbesitzer und alle, die über Milliarden verfügen, zum grenzenlosen Denken. Das Finanzsystem und seine Macht verleitet sie zum Größenwahn.

Die gesamte Geldmenge ist inzwischen das vier- oder fünffache vom Geldwert aller materiellen Dinge und Leistungen, die man kaufen kann. Das Überangebot an Geld führt zur Inflation, jedoch langsam, nicht gleich auf allen Gebieten, weil die meisten Besitzer der großen Geldsummen vorsichtig sind. Sie kaufen gerne Aktien und Immobilien. Und sie wollen, dass wenig Geld bei der Masse der Menschen landet. Das würde die Macht der Finanzen schmälern. Das Volk wäre nicht mehr bereit, für Niedriglöhne hart zu arbeiten. Die Investition in die Produktion von Konsumgütern wird begrenzt durch geringe Kaufkraft der Massen, die nicht gesteigert werden soll, auch nicht durch soziale Maßnahmen.

Die Macht des Geldes und das Ego der Finanzakteure besteht selbstverständlich darin, dass man Geld bewegt und investiert.

Es wäre ideal, in die Produktion von Gütern zu investieren, die nicht auf dem Verbrauchermarkt landen, Produkte, die einfach mit einem Knall verschwinden wie ein platzender Ballon. Oder Dinge, die zwar gekauft, aber gar nicht benutzt werden.

Gibt es Wirtschaftsgüter, auf die dieses Wunschdenken zutrifft? Ja, es gibt sie. Für menschenverachtende Investoren ist es die militärische Rüstung.

Da öffnet sich ein riesiges Tor, um mit überschüssgem Geld überflüssige Güter zu produzieren, die dann auch noch mit Staatsschulden bezahlt werden. Und das Finanzsystem kann sich weiter ausdehnen, ohne dass es zusammenbricht. Rüstung ist das neue Eldorado für den Größenwahn der Finanzmacht. 

Die Staaten sollen viele Milliarden in die Rüstung stecken und dabei hohe Schulden machen. Auch Staatsschulden sind ein Gewinn für die Banken. Neues Geld wird generiert und gegen Zinsen als Staatskredit sicher angelegt. Die Milliardenkredite an wirtschaftlich solide Staaten und ihre Zinsen sind über Generationen von braven Bürgern und Steuerzahlern abgesichert. 

Weil die Zahlen im Geldsystem schnell steigen, müssen es jetzt schon viele hundert Milliarden und schließlich Billionen sein. Den tausendfachen Unterschied zwischen den Zahlen Million, Milliarde und Billion sehen die meisten Menschen nicht, aber wer diese Zahlen auf seinem Konto hat, kann die Ziffern vor dem Komma in Dreiergruppen ordnen und zählen.

Die Geldvermehrung für Rüstung und Krieg ist jetzt das große Ding. Dabei muss der Krieg nicht unbedingt stattfinden, aber für die Bedrohung und Angstmache ist der Krieg unverzichtbar. Keine Rüstung ohne die Angst und die Bedrohung durch einen Feind. 

Der Größenwahn, der im unbegrenzten und expansiven Finanzsystem steckt, führt so zum Rüstungswahn.

Die Initiative und der Druck gehen selbstverständlich von den USA aus, wo die extremste Finanzmacht und der weltgrößte Militärisch-Industrielle Komplex zu Hause sind. 

Die USA liefern Billionen Dollars und sündhaft teure Waffen. Die Waffensysteme kommen aus privaten Rüstungsbetrieben. Die USA liefern auch das Feindbild: Der Feind heißt Russland.

Vor siebzig Jahren sah man in den USA die Sowjetunion als großen ideologischen Feind und man befürchtete eine Weltrevolution, die auch in den Köpfen vieler Menschen herumgeisterte. China und Kuba schienen der Anfang zu sein. 

Dass die Sowjetunion unter Michail Gorbatschow sich friedlich aufgelöst hat, haben anscheinend viele in den USA nicht mitbekommen, sie haben ihr Feindbild Sowjetunion einfach durch Russland ersetzt. Bei der räumlichen Entfernung ist dies kein Wunder.

Zwischen Amerika und Europa erstreckt sich der Atlantische Ozean. Aber die sogenannten Atlantiker ignorieren diesen Ozean, sie sehen ihn als einen Bach oder Tümpel an und konstruieren aus Ideologie und Rhetorik, eine Atlantik-Brücke. Über diese Atlantik-Brücke gelangt das US-amerikanische Denken in die Köpfe europäischer Follower. 

Das Feindbild Russland in Europa zu übernehmen, ist unhistorisch, erst recht hier in Deutschland, wo man die Wiedervereinigung erlebt hat und den völligen Abzug russischer Truppen aus der DDR. Auch die Rede von Wladimir Putin 2001 im Bundestag ist immer noch abrufbar. Er hat sie in deutscher Sprache gehalten. Seine freundlichen Angebote sind vielleicht deshalb in den USA nicht angekommen.

Jetzt, im Jahr 2025 dämmert es: „Russland ist ein Papiertiger“, sagte Donald Trump. Man muss diesen Spruch präzisieren: Mit dem Papiertiger meint Trump wohl die Vorstellung, die Joe Biden und die Demokraten von Russland hatten. Und heute müsste man statt Papiertiger, besser „Medientiger“ sagen; denn Papier ist nicht mehr das entscheidende Medium. Das war zur Zeit von Mao, der den Ausdruck Papiertiger geprägt hat.

Mit seinem Spruch „Russland ist ein Papiertiger“ hat Trump wohl etwas ausdrücken wollen, das in den USA eine wichtige Erkenntnis ist: Russland ist kein ernst zu nehmender Rivale. Es hat weder die Stärke noch den Willen, den Westen oder die Welt zu erobern.

Der Rüstungswahn hat als Antrieb, im Hintergrund, den Größenwahn im Geldsystem. Diesen Wahn kann man mit Tatsachen widerlegen und mit Einsicht bekämpfen: Geld ist in großem Überfluss vorhanden. Zu viel Geld macht Dinge kaputt: Geld hat Profisport kaputt gemacht, die Popmusik, Diskussionen im Internet. Zu viel Geld macht die Regierenden verrückt. Es treibt sie, wie die Finanzleute, in den Größenwahn, wenn der Größenwahn nicht vorher schon vorhanden war.

Zu den Regierenden gehören jetzt auch Maulhelden in hohen Ämtern und in Schlüsselpositionen der EU, die von einem nahenden Krieg schwadronieren. Unsere staatstreuen Medien übernehmen diese Meinungsäußerungen wie Fakten und verbreiten sie jeden Tag.

Der Rüstungswahn, der aus den USA über die Atlantik-Brücke kommt, hat, zusammen mit der Expansion der Nato, unsere friedliche Koexistenz in Europa, kaputt gemacht. Dieser Wahn ist ein Medientiger. 

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Rob Kenius betreibt die systemkritische Webseite https://kritlit.de und hat mehrere Bücher über das Finanzsystem geschrieben.

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bild: Tiger-Origami
Bildquelle: Burhan Bunardi / shutterstock


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