Gedankenknoten sind kleine Texte, die philosophische Probleme erörtern, Fragestellungen aufwerfen und den Leser ins Grübeln bringen. Vom Altertum bis zur Moderne werden Begriffe besprochen, die zum Hinterfragen anregen und das philosophische Problematisieren schulen.
Das Thema heute: Naturphilosophie
Die Ortsbewegung – eine Veränderung?
Ist die Ortsbewegung, also die Bewegung eines Körpers im Raum, eine Veränderung? Das hängt davon ab, was man unter Veränderung versteht.
Wenn man wie Aristoteles sich am Lebendigen orientiert, dann ist Veränderung ein Werden und Vergehen, und zwar nicht nur in Bezug auf andere, sondern immer auch Wandel des Sichverändernden und auf ein Ziel hin. Beispiele: Wird etwa jemand beschämt, dann steigt ihm vor Scham die Röte ins Gesicht und er möchte im Boden versinken: eine Veränderung der Qualitäten, die nicht nur äußerliche, sondern auch seelische Eigenschaften wandelt. Oder das Kind, das aufwächst, wandelt sich zum Erwachsenen: eine Veränderung im Werden. Und der alternde Mensch geht dem Tod entgegen: eine Veränderung des Verfalls.
Alle lebendigen Veränderungen sind also endlich, haben einen Anfang, ein Ziel. Und sie haben eine Ursache, so in den Beispielen: den Beschämenden, die Nahrung und den Erziehenden, das genetisch vorgegebene Zellsterben.
Aristoteles behauptet nun, auch die Ortsbewegung, das Grundphänomen der physikalischen Mechanik und Kinetik, sei eine Veränderung. Damit wird auch sie einerseits als endlich, auf ein Ziel hin gerichtet und von einer Ursache bewirkt begriffen. Andererseits soll sich auch der Körper selbst, der sich von einem Ort zum anderen bewegt, in Abhängigkeit von der Bewegung verändern, denn Veränderung ist immer zugleich Selbstveränderung. So zum Beispiel der Rauch: Vom Feuer verursacht, steigt er nach oben und verändert sich dabei, er dehnt sich aus, verliert an Dichte und zerfasert, bis er dann oben sich verflüchtigt. Oder der Mensch, der, sich von einem Ort zum anderen bewegend, zunehmend ermüdet und zu schwitzen beginnt.
Auf den kräftefreien Flug einer Raumkapsel im leeren Raum allerdings trifft das alles nicht zu. Ist die Kapsel einmal auf ihre Bahn gebracht und auf eine bestimmte Geschwindigkeit beschleunigt worden, fliegt sie ohne antreibende Kraft, also ohne Ursache, geradeaus und mit konstanter Geschwindigkeit unendlich weiter. Und an und in der Kapsel selbst geschieht keinerlei Veränderung, an der der Astronaut in der Kapsel etwa erkennen könnte, dass er sich geradlinig-gleichförmig vorwärtsbewegt. Erst der Blick aus dem Fenster ließe ihn erkennen, dass sein Gefährt sich relativ zu anderen Körpern im Raum bewegt.
Im aristotelischen Sinne ist diese Ortsbewegung also keine Veränderung. Da aber Aristoteles sich Ortsbewegung immer nur als Veränderung denken kann, muss ihm eine ursachelose Bewegung eines Körpers wie der kräftefreie Flug schlicht unmöglich erscheinen. Seine Physik lässt so etwas nicht zu.
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Bildquelle: Anastasios71 / shutterstock
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