Es kommt auf Wien an! Nahost und die Hoffnung | Von Willy Wimmer

Ein Kommentar von Willy Wimmer.

Man sollte sich nichts vormachen. Das ist jedenfalls eine Konsequenz aus dem, was sich seit langer Zeit um Nahost abspielt. Man weiß nicht, wo man anfangen soll, wenn es daraum geht, den Konflikt zu verstehen oder gar Lösungsansätze zu formulieren.

Das fängt schon damit an, nachdenkliche Worte zu den Möglichkeiten zu finden, die mit dem Namen des derzeitigen israelischen Miniterpräsidenten verbunden sein könnten. Wer das unternimmt, wird in Europa von denjenigen in die Zange genommen, die zu den erklärten Gegnern des israelischen Ministerpräsidenten nicht nur die besten Verbindungen haben.

Ein Blick auf die einflußreichen Nichtregierungsorganisationen macht hinlänglich klar, wie die Steuerungselemente für den Einfluss auf die Politik in den Staaten der Europäischen Union aussehen. Mit einem Blick hat man alle auf dem Schirm, wenn man nur die Namen derjenigen nennt, die es gut miteinander können: Victor Orban und Benjamin Netanjahu. Dann tauchen gewichtige andere Namen auf, die natürlich all ihren Einfluss nutzen, ihre Vorstellungen von der künftigen Entwicklung der Welt, ohne die bisher vorherrschende Dominanz der Nationalstaaten deutlich zu machen.

Das trifft in Westeuropa auf einen weiteren Umstand, der die Lage brandgefährlich macht. Diejenigen, deren parteipolitische Prägekraft schmerzlich nachgelassen hat, greifen zu einem verhängnisvollen Mittel. Sie versuchen, ihre Machtmöglichkeiten dadurch gegen das Wählervotum aufrecht zu erhalten, dass sie die Bilder der Vergangenheit nutzen. So versuchen sie, mit denen fertig zu werden, die in die politische Lücke so stoßen, wie es die jeweiligen Verfassungen auch erlauben. Seit einer Reihe von Jahren ist Spaltung in der Gesellschaft angesagt, um die Abkehr der Regierenden von den eigenen Verfassungen zu kaschieren, wie sich bei den völkerrechtswidrigen Kriegen ebenso zeigt wie bei dem, was ein ehemaliger Bundesminister als “fortdauernden Verfassungsbruch” in Zusammenhang mit dem ausbleibenden Schutz der Staatsgrenzen wieder und wieder anmahnt.

Man reibt sich die Hände, wenn schlimme Vorwürfe an die Anschrift politischer Konkurrenten geäußert werden. Man findet in der ehemals politischen Mitte nichts dabei, wenn sich andere politische Kräfte gegenseitig versuchen hochzuschaukeln. Der politische Verstand hätte es der politischen Mitte aufgeben müssen, selbst den Kampf um die grundlegenden Werte unseres Staates zu führen. Das Dilemma ist und war dabei, in zentralen Fragen die eigene Verfassung aus Bündnis-und sonstigen Gründen mit Füßen zu treten.

Die daraus resultierende Bedeutungslosigkeit bekam die Bundesregierung in der gleichen Weise zu spüren, wie das für die anderen westeuropäischen Regierungen und die EU in Brüssel gilt. Es gibt einen etablierten internationalen Mechanismus, wenn in Nahost wieder alles aus dem Ruder läuft.

Die internationale Staatengemeinschaft hatte vor Jahren das “Nahost-Quartett” geschaffen, um im Brandfall die Feuerwehr darstellen zu können. Neben den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates, Vereinigte Staaten und Russland, sind dies die Vereinten Nationen und die Europäische Union. Es fiel geradezu dröhnend auf, dass keinem deutschen politischen Vertreter bei den Vorgängen in Nahost einfiel, an die eigene Institution in Brüssel zu appellieren, Einsatz zu einer Beilegung des Brandherdes zu zeigen. Es wurde so getan, als gäbe es Brüssel überhaupt nicht.

So werden Armutszeugnisse ausgestellt. Es rächt sich eben, die Zeit von US-Präsident Trump nicht für die Festigung eigener europäischer Handlungsmöglichkeiten genutzt zu haben. Stattdessen hat man über Trump gejammert. Alles nur, um jetzt feststellen zu müssen, dass eine andere Form von Bedeutungslosgkeit innerhalb von Wochen durch seinen Nachfolger, Präsident Joe Biden, vermittelt werden kann. Fast flehentlich wurden aus dem deutschen außenpolitischen Establishment Rufe danach laut, Washington möge eingreifen. Diese Möglichkeit hat man sich in Washington nicht entgehen lassen, unbeschadet des europäischen und deutschen Gequengels.

Dabei gibt es für die EU-Europäer eine Menge festzustellen. Dazu zählt vor allem der Umstand, dass der vielgeschmähte US-Präsident Trump etwas geschaffen hat, das in der derzeitigen extem krisenhaften Entwicklung bis zu diesem Angenblick eine ungeahnte Tragfähigkeit an den Tag legt. Die normalen zwischenstaatlichen Beziehungen, die verschiedene Golf-Staaten und Israel in den letzten Monaten miteinander vereinbart hatten, halten sichtbar diesen Stresstest der blutigsten Art aus.

Man kann nur hoffen, dass dies auch so bleibt, um andere als kriegerische Optionen umsetzen zu können. Dazu zählt auch, dass Saudi-Arabien und Iran miteinander reden, unbeschadet der Sonderverbindungen, die beide Staaten zu anderen Kräften in der Region unterhalten. Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass sich die Ereignisse in Nahost genau gegen diese Entwicklungen richten. Bislang wäre dann allerdings ein Erfolg ausgeblieben. Jeder vernünftig denkende Mensch kann nur hoffen, dass dies auch so bleibt.

Zu dem, was man sich in Brüssel und nicht nur dort merken sollte, zählt auch der Umstand, dass sich die amerikanische Bemühung um Nahost in ungewohnter Geräuschlosigkeit abspielt. Das verhndert, dass Lösungsmöglichkeiten in dem Augenblick schon zerschossen werden, in dem sie an die Öffentlichkeit durchgestochen werden. Die USA halten das Pulver trocken und alleine das gibt Hoffnung, bei aller Unsicherheit.

Hinzu kommt bei den intensiven Bemühungen des ehemaligen Präsidenten Trump um Israel, dass die republikanische Minderheit im amerikanischen Kongress kaum in der Lage sein dürfte, Oppostion gegen zielführende Vorgehensweisen des derzeitigen Präsidenten zu betreiben. Bei nüchterner Betrachtung der Gemengelage in Washington hätte Präsident Joe Biden deshalb eine breite Unterstützungsformation an seiner Seite, alleine schon wegen der Vorarbeit durch Präsident Trump in der Verbindung zwischen der Republikanischen Partei und denen, auf die Israel immer in den USA zählen kann. Das heißt nicht, dass er bestimmte Kräfte in der eigenen Partei außer Betracht lassen könnte oder sollte. Aber diese Bandbreite könnte von besonderer Bedeutung werden. Es ist vielleicht für die USA nötig, sich mit allem Einsatz zu bemügen, weil in Nah- und Mittelost eine Frage immer drängender wird: Wer kann miteinander nicht nur reden sondern Lösungen präsentieren, bevor in dieser Region China mit die Tagesordnung bestimmt? Ein China, das sich dadurch auszeichnet, zu allen Akteuren vor Ort in dieser Region tragfähige Beziehungen zu unterhalten.

Alles das, was wir derzeit erleben, ruft nach einer besonderen Möglichkeit und diese könnte sich in wenigen Wochen in Wien und vielleicht auch in Moskau ergeben. Das war nicht absehbar, als die Hamas inner-israelische Auseinandersetzungen dazu benutzte, ein Land im Frieden mit einem Raketenhagel zu überfallen. Jedem in der Hamas-Führung muss klar gewesen sein, dass das gestellte Ultimatum zum Abzug von Polizeieinheiten zu nichts anderem als einer Illusion führen musste. Das wäre in keinem Land der Welt anders gewesen.

Die Charta der Vereinten Nationen sagt klar und eindeutig, was die Folgen eines derartigen Überfalls sind, auch für den Einsatz eigener militärischer Möglichkeiten des angegriffenen Staates, in dem Fall von Israel. Die Zahl der Opfer vor Ort steigt, aber es sollte jedem zu denken geben, dass bei dieser Verteidigung gegen die Raketenangriffe Versuche unterblieben sind, Waffenruhe zu vereinbaren. Da diese Entwicklung nicht ohne die globale öffentliche Meinung gedacht werden muss, drängt sich eine Frage auf: Wer kann und wird das Ende des Blutvergießens dekretieren können?

Es ist so, als wäre die Idee eines Gipfeltreffens zwischen den Präsidenten Putin und Biden passgenau für den Fall einer derartigen Auseinandersetzung mit der Chance zum Weltenbrand in die Welt gesetzt worden. Schon zur Zeit von US-Präsident Trump war augenfällig, wie sich die Gesprächsmöglichkeiten geradezu angeboten haben würden, wenn man es in den USA Präsident Trump gestattet haben würde, nach seinen Wahlkampfankündigungen agieren zu dürfen.

Niemand hat allerdings in Frage gestellt, dass zwischen diesen drei Persönlichkeiten zumindest die Gesprächschemie gestimmt hätte. Präsident Putin und Ministerpräsident Netanjahu können es miteinander – und das seit langer Zeit. Präsident Trump konnte es mit Präsident Putin, wie das Treffen der beiden Präsidenten in Helsinki zeigte, als Präsident Putin aus seiner Sicht namentlich ein Hindernis für die beiderseitigen Gesprächsmöglichkeiten ansprach. Für Wien verfügt Präsident Joe Biden über so viele inneramerikanische Trümpfe in seinen Händen, dass selbst jüngste Interview-Äußerungen kein Hindernis für eine ertragreiche Begegnung mit Präsident Putin darstellen dürften.

Alleine schon die Möglichkeit eines Treffens in Wien gibt Hoffnung. Vor allem dann, wenn man sieht, dass die Entwicklung in Nahost auf das Wiener Treffen abgestimmt zu sein scheint. Alles andere bedeutet, auf Krieg zu spekulieren, einen Krieg, der über kurz oder lang die Region Nahost hinter sich lassen würde.

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle: SKahraman / shutterstock

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