Standpunkte

Eine Quelle kann auch irren | Von Jochen Mitschka

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Ein Standpunkt von Jochen Mitschka.

Es geht mal wieder um Hintergründe und Grundsätze, aufgehangen an aktuellen Themen. Wenn jemand zu geopolitischen Fragen eine Meinung äußert, ist die nicht immer zutreffend, egal wie oft er vorher den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Jeder Kommentator, und ich schließe mich nicht aus, machen auch Fehler, schätzen Situationen falsch ein, vertrauen falschen Quellen oder sind einfach übereifrig und machen deshalb Fehler. Das sagt nichts über die generelle Vertrauenswürdigkeit aus, sondern zeigt nur, dass niemand ohne Fehler sein kann. Ich will darüber berichten, nicht weil ich Unsicherheit verbreiten will, sondern das Gegenteil. Man sollte immer versuchen Informationen auch mit eigenen Augen zu sehen und „zweite Meinungen“ einholen. Heute will ich Beispiele bringen, in denen ich meine, dass von mir ansonsten geschätzte Analysten eben einmal falsch liegen. Weshalb ich sie aber nicht grundsätzlich als Quelle ablehne. Beginnen wir mit dem US-Amerikaner Andrew Korybko, der in Russland lebt, und die Welt stark durch die russische Brille sieht.

Äthiopien

Der Premierminister Äthiopiens, Abiy Ahmed hatte angekündigt, allerdings nur in seiner lokalen Sprache, dass er auch notfalls mit Gewalt, für sein Binnenland einen Zugang zum Meer erzwingen wolle. Dabei bevorzugte er wohl ein Gebiet in Eritrea, Asseb.

Andrew Korybko stellt nun den Plan für eine Pipeline vom Südsudan über Äthiopien bis Dschibuti als Meereszugang vor(1). Er erklärt, dass er damit den Druck von Eritrea nehmen wolle. Aber er erwähnt nicht, dass der äthiopische Ministerpräsident ganz andere Töne anschlägt. Und das, obwohl eine Gemeinschaft aus Eritrea darüber mit Videos und Übersetzungen informiert hatte. Wobei man allerdings wissen muss, dass solche Mitteilungen aus Eritrea meist sehr polemisch und erregt formuliert werden.

Korybko erklärt das aus einer russisch geopolitischen Sicht. Er schreibt, dass Ägypten und Äthiopien schon lange strategische Partnerschaften mit Russland pflegen, und sich gegenseitiges Vertrauen dadurch gebildet habe. Das eritreisch-russisch-äthiopische Dreieck sei viel heikler, da die russisch eritreischen Beziehungen erst seit kurzer Zeit einen Aufschwung erleben.

„Dies wäre kein Problem, wenn die eritreisch-äthiopischen Beziehungen auf dem positiven Weg bleiben würden, den Präsident Isaias Afwerki (PIA) und Premierminister Abiy Ahmed im Sommer 2018 gemeinsam eingeschlagen haben, aber das frühere Sicherheitsdilemma ist im vergangenen Jahr leider wieder aufgetreten. Wie in dieser Analyse erläutert, wurde das Abkommen zur Einstellung der Feindseligkeiten (Cessation of Hostilities Agreement, COHA) zwischen Premierminister Abiy und der TPLF von PIA wahrscheinlich als Verrat empfunden, nachdem er von diesem Abkommen mit dem bisherigen gemeinsamen Feind überrascht worden war.“(1)

D.h. er lässt indirekt den Eindruck entstehen, Äthiopien habe mehr oder weniger hinter dem Rücken des Nachbarn Frieden mit Rebellen in Eritrea geschlossen. Wodurch logischerweise wieder Misstrauen zwischen den Ländern aufgebaut würde. Korybko erklärt dann, dass Premierminister Abiy angeblich nur „friedliche“ Hafenpläne habe, Eritrea aber fälschlicherweise dahinter territoriale Ansprüche vermute. Während einige Äthiopier den Verdacht hegen, dass Eritrea insgeheim seine angebliche frühere Politik der Unterstützung nicht näher benannter bewaffneter regierungsfeindlicher Gruppen in ihrem Land wieder aufgenommen haben könnte. Das habe alte Wunden wieder aufgerissen.

Dies stelle eine Herausforderung für Russlands vorsichtigen Balanceakt zwischen Eritrea und Äthiopien dar, da damit gerechnet werden müsse, dass Eritrea auf die friedliche Zusammenarbeit des Kremls mit Äthiopien überreagieren werde. Korybko versucht die Situation mit einem „Sicherheitsdilemma“ zu begründen. Ein solches liegt normalerweise vor, wenn ein Land auf Grund von Sicherheitsbedenken Maßnahmen zur Verstärkung der eigenen Sicherheit ergreift, die wiederum vom anderen Land die eigenen Sicherheitsbedenken erhöhen, was zu einer Eskalation führt. Ein typisches Beispiel für ein solches Sicherheitsdilemma ist die Politik der NATO-Erweiterung, zuletzt bis zur versuchten Aufnahme der Ukraine in die NATO.

Aus dem Verhalten Korybkos resultiert nun der Vorwurf, dass Korybko einseitig die Interessen Äthiopiens vertrete, und zweitrangig, die Russlands, zulasten Eritreas. In diesem Zusammenhang ist ein Artikel(2) in Africainterest.org erschienen, der ein sehr hartes Urteil fällt und Korybko als „bezahlten Agenten Äthiopiens“ bezeichnet.

Der Artikel behauptet, dass es Korybko darum gehe, ethnische Zwietracht in Äthiopien zu schüren und Eritrea zum Sündenbock für die innenpolitischen Krisen in Äthiopien zu machen. Eine Behauptung, die aus der aufgeheizten Situation und der Art der aggressiven Kommunikation bei Fragen, das Horn von Afrika betreffend, resultiert. Was den ganzen Artikel wie einen roten Faden durchzieht. Versuchen wir die Fakten zu analysieren.

Korybko behauptet zum Beispiel, dass die russisch-eritreischen Beziehungen erst vor kurzem „zu blühen begonnen haben“ und ihnen die tiefe Basis fehle. Wenn Russland die Wahl zwischen Äthiopien und Eritrea hätte, würde es sich für Äthiopien entscheiden, was in dem Artikel als „zu einseitig“ angesehen wird.

„Der Rest der Erörterung des so genannten Sicherheitsdilemmas in dem Artikel konzentriert sich ausschließlich auf Eritreas angebliche Fehlinterpretation des russischen Vorgehens und spielt die Rolle Äthiopiens herunter. Diese eklatante Voreingenommenheit offenbart nicht nur Andrew Korybkos Absicht, Eritrea als den wahrscheinlichen Verlierer in einem solchen Ausgleichsszenario darzustellen, sondern passt auch in sein persönliches Weltbild der Großmächte.“(2)

Die Sichtweise Korybkos beruhe auf der Vorstellung, dass "große Nationen" wie Russland und die USA die Welt über diejenigen anführen, die er für weniger bedeutend hält, wie Eritrea. Das gehe so weit, dass er in Äthiopien eine "große Nation" sehe, die von den USA und/oder Russland als regionaler Hegemon am Horn von Afrika bevormundet werden könne. So die Interpretation der Aussagen Korybkos.

Korybkos Annahme, Russland würde seine für beide Seiten vorteilhaften Beziehungen zu Eritrea - seine strategischste bilaterale Beziehung in Afrika in der geopolitischen Optik der entstehenden multipolaren Welt - opfern, weil "Eritrea ein nicht-traditioneller Partner ist, mit dem die Beziehungen erst im vergangenen Jahr zu blühen begonnen haben", entbehre jeder akademischen Logik, erklärt der Artikel.

Nicht zuletzt ignoriere Korybko die sich entwickelnde Realität der internationalen Beziehungen und die entscheidende Rolle des Führungsprinzips, bei dem der eritreische Führer, Präsident Isaias Afwerki, von allen afrikanischen Führern den größten Respekt und die größte Bewunderung aus Russland erhalten habe.

Korybko wiederholte Behauptungen äthiopischer Führer, die provokative Ansprüche auf den Besitz von Seehäfen erheben, die Nachbarländern gehören, und stelle diese Äußerungen als „friedliche Hafenpläne“ dar. Außerdem, so der Artikel weiter, versuche er die Hafenfrage zu internationalisieren, indem er eine russische Vermittlerrolle vorschlägt: "Jeder Versuch Russlands, die Hafendimension des Sicherheitsdilemmas am Horn von Afrika friedlich zu lösen, um einen künftigen Konflikt in dieser heiklen Frage zu vermeiden, könnte von Eritrea als Mittel missverstanden werden, um Äthiopien auf seine Kosten einen Vorteil zu verschaffen."

Man müsse in den Äußerungen von Korybko den Versuch erkennen, die Hafenfrage als eine ernste Angelegenheit darzustellen, die zur so genannten "Dimension des Sicherheitsdilemmas am Horn" gehöre. Korybkos Unterstellung, das Eigentum am eritreischen Hafen sei verhandelbar und Äthiopiens Ansprüche darauf stünden im Einklang mit dem Völkerrecht, werfe jedoch „die Frage auf, aus welcher Müllgrube die äthiopischen Zahlmeister diesen akademischen Narren geholt haben“. Um einmal die grobe Sprache des Artikels aufzuzeigen.

Korybko gehe von der ziemlich naiven Annahme aus, dass Russland, das derzeit eine Militäroperation zur präventiven Neutralisierung von Risiken für die territoriale Integrität Russlands durchführe, irgendetwas in Erwägung ziehen würde, das die territoriale Integrität Eritreas in Frage stellt. Dies sei eine Annahme, die, um es vorsichtiger als der Artikel zu formulieren, unhaltbar sei.

Der Autor geht dann weiter und behauptet, Korybko würde die Diskussion über das so genannte russische Dilemma als Fassade benutzen, um gezielte Propaganda zu verbreiten, die darauf abziele, ethnische Gefühle in Äthiopien zu schüren und Eritrea zum Sündenbock zu machen. Damit würde eine ethnische Spaltung und Benachteiligung der Amhara in Äthiopien gefördert.

Andrew Korybko argumentiere stillschweigend, Eritrea sei an der Destabilisierung Äthiopiens beteiligt. Obwohl er den anhaltenden Bürgerkrieg in der Amhara-Region nicht ausdrücklich erwähne, sei klar, was er meint, wenn er sagt: "Einige Äthiopier haben begonnen zu vermuten, dass Eritrea insgeheim seine frühere Politik der Unterstützung bewaffneter regierungsfeindlicher Gruppen in ihrem Land wieder aufgenommen haben könnte.“ Welche "frühere Politik" sei das? Wie wahr sei die Behauptung? Korybko füge nahtlos eine Behauptung als feststehende Tatsache ein.

Außerdem falle auf, dass er im gleichen Atemzug von "bewaffneten Antiregierungsgruppen" spricht. Dies sei eindeutig eine Anspielung auf die FANO-Kräfte, die Widerstandskräfte der Amhara-Region. Andrew Korybko versuche hier, sie mit Eritrea in Verbindung zu bringen, um den Amhara-Konflikt zu internationalisieren und weiter von den legitimen Forderungen des Amhara-Volkes abzulenken, die im Mittelpunkt seines Widerstandskampfes stehen.

Im gleichen Atemzug, so die Kritik an Korybko weiter, schreibe er über das Abkommen zur Beendigung der Feindseligkeiten (Cessation of Hostilities Agreement, COHA), und zwar in einer Art und Weise, die den falschen Eindruck erweckt, Eritrea habe Probleme mit dem Abkommen. Dies sei eine offensichtliche Verdrehung der Tatsachen, denn jeder, der den Verlauf des Krieges verfolgt habe, wisse, welche Schlüsselrolle Eritrea dabei gespielt hat, die kriegführende TPLF an den Verhandlungstisch zu zwingen, was zum COHA führte.

Der Artikel fragt dann, ob Korybko das nicht wisse, und beantwortet es mit der Behauptung, er würde bezahlt werden dafür, die Unwahrheit zu verbreiten. Der Autor erklärt, dass Korybko, sicher noch viele Male die Behauptungen über die Amhara wiederholten werde, weil das sein Auftrag sei.

Abschließend lässt sich der Autor noch einmal darüber aus, wie Nicht-Afrikaner sich einmischen in die afrikanischen Angelegenheiten, und dabei versuchen, Glaubwürdigkeit zu verbreiten.

Es ist für uns Westeuropäer zweifellos schwer, zu erkennen, ob der Artikel, der Korybkos Analysen und Vorschläge zur Krise am Horn von Afrika kritisiert, berechtigt ist oder nicht. Aber wenn man Menschen fragt, die enge Verbindungen zu der Region haben und die sich tiefer mit der Materie beschäftigen, herrscht dort die Meinung vor, dass der Artikel vom Inhalt her, wenn auch nicht vom Ton her, berechtigt sei. Und so haben wir hier den ersten Fall in diesem PodCast, den ich als „Fehler einer Quelle“ bezeichnen möchte.

Kommen wir nun zu einem etwas schwierigeren Fall.

Ukraine Verhandlungen

Seymour Hersh veröffentlichte am 1. Dezember einen Artikel (3), in dem er schrieb, dass Geheimverhandlungen zwischen dem Oberbefehlshaber der Ukraine, Waleri Saluschni und dem Befehlshaber der russischen Streitkräfte in der Ukraine, Valery Gerassimow, stattfinden. Nun muss man diese Nachricht im Gesamtkontext des Konfliktes, insbesondere der politischen Situation in der Ukraine sehen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj scheint bei seinen westlichen Unterstützern in Ungnade gefallen zu sein, weil die Gegenoffensive ganz offensichtlich erfolglos war, und im Gegenteil die russischen Truppen auf breiter Front, wenn auch sehr langsam vorrücken, während eine weitere Mobilisierung von Truppen in der Ukraine sehr schwierig zu realisieren scheint.

Selenskyj hatte versucht, die hohen Verluste und die Ergebnislosigkeit der Offensive auf den Armeechef zu schieben, obwohl bekannt war, dass er maßgeblich für die selbstmörderischen Angriffe ukrainischer Truppen die Verantwortung trägt, damit die Hilfszahlungen aus dem Westen nicht versiegten. Die einzigen Unterstützer im Land, scheinen noch die Ultranationalisten zu sein, welche neben der Armee die wichtigste bewaffnete Kraft im Land sind, und welche neben den westlichen Mächten, von welchen die Ukraine vollkommen abhängig geworden ist, Selenskyj ausreichend eingeschüchtert hatten, um Verhandlungen mit Russland bisher zu verhindern.

Die einzige Kraft, welche diesen Ultranationalisten gefährlich werden könnte ist der Armeechef. Aber ausgerechnet der hatte im November 2021 einen der radikalsten Ultranationalsten der Ukraine, Dmytro Yarosh, der von 2013 bis 2015 den „Rechten Sektor“ geleitet hatte, und der versprach, die Ukraine zu „Entrussifizieren“ zu seinem Berater gemacht. Was vermuten lässt, dass er keineswegs in Opposition zu den von Russland „Nazis“ genannten Gruppen steht.

Nun waren Gerüchte im Umlauf, die von ihm nicht bestätigt, aber auch nicht abgestritten worden waren, dass er bei der eigentlich im nächsten Jahr stattfindenden Präsidentenwahl, als Kandidat antreten würde. Wäre er dann der Kandidat der Rechtsextremen? Jedenfalls würde es für Selenskyj das Ende bedeuten, vielleicht sogar ein Ende, ähnlich wie das von Saddam Hussein, der über viele Jahre einer der engsten Verbündeten der USA war.

Kommen wir zurück zu Seymore Hersh. Der erklärt jetzt also implizit, dass der ukrainische Armeechef Hochverrat begeht. Denn es gibt ein Dekret des Präsidenten Selenskyj, dass Verhandlungen mit Russland ausgeschlossen sind, ein Dekret, das bisher nicht zurückgezogen wurde. Sollten die Quellen von Hersh Recht haben, würden durch diese Veröffentlichung beide Akteure, Saluschni und Selenskyj in eine prekäre Situation geraten. Entweder haben sie beide gegen das gesetzliche Verbot, zu verhandeln verstoßen, oder nur Saluschni. Wenn die Staatsanwaltschaft keine Ermittlungen gegen Saluschni unternimmt, evtl. auf Druck durch die USA, ist das Image von Selenskyj endgültig zerstört. Und da der mächtige Geheimdienst der Ukraine gegen alles mögliche offiziell ermittelt, und auch den Armeechef schon als Zeugen für einen früheren Rückzug der ukrainischen Armee vorgeladen hatte, sollte er eigentlich längst aktiv geworden sein.

Auch vier Tage später aber wird die „Enthüllung“ von Hersh in den deutschen Massenmedien weitgehend ignoriert. Statt dass Staatsanwälte in der Ukraine ermitteln, stellen sich mehrere wichtige Akteure in dem Konflikt hinter Saluschni. Nicht nur die NATO verteidigt seine Militärführung, sondern auch der durch die CDU bzw. die Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützte Bürgermeister von Kiew, Klitschko, machten in den letzten Tagen deutlich, dass sie auf der Seite von Saluschni stehen.

Die Asiatimes, in Bezug auf den Ukraine-Konflikt ziemlich neutral, veröffentlichte einen Beitrag von Stephen Bryen am 2. Dezember(4), in dem dieser erklärt, dass die Hersh-Enthüllungen wahrscheinlich nicht der Realität entsprechen, wenn man die Äußerungen des russischen Außenministers Lawrow einerseits, und den Status von General Saluschni andererseits analysiert.

„Der Gedanke, dass Russland eine NATO-Präsenz in der Ukraine als Teil eines Abkommens akzeptieren würde, würde ziemlich politische Vereinbarungen erfordern, die die NATO in jedes Abkommen einbeziehen müssten. Die NATO äußert sich nicht in einer Weise, die darauf schließen lässt, dass jemand versucht hat, das NATO-Sicherheitsbündnis in einen Dialog einzubinden.“

Bryen weist darauf hin, dass der russische Außenminister Sergej Lawrow auf dem hochrangigen Treffen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in Nordmazedonien einen kühlen Empfang erhalten habe. Es gebe mehrere Bemerkungen zu diesem Treffen.

Zunächst einmal sei dies das erste Mal seit Beginn der russischen "militärischen Sonderoperation", dass der russische Außenminister in ein NATO-Land reist (ein Besuch bei den Vereinten Nationen in New York ist technisch gesehen kein Besuch in den Vereinigten Staaten). Um dorthin zu gelangen, sei Lawrows Flugzeug von Bulgarien die Überfluggenehmigung verweigert worden, so dass seine Maschine stattdessen über die Türkei und Griechenland fliegen musste. Diese Brüskierung lasse kaum auf einen Friedensprozess schließen.

Zweitens sei die OSZE sowohl 2014 als auch 2015 Teil des Minsker Abkommens gewesen, das die Krise in der Ukraine beenden sollte. Die OSZE hatte die Aufgabe, das Abkommen zu überwachen, gegen Verstöße vorzugehen und bei der Umsetzung zu helfen. Das Treffen in Nordmazedonien habe jedoch die Glaubwürdigkeit der OSZE als Friedenspartner zerstört, was für eine endgültige Einigung wichtig gewesen wäre.

Drittens habe Lawrow Gerüchte über ein Friedensabkommen mit dem folgenden Zitat als unwahrscheinlich erscheinen lassen:

"Wir sehen keine Signale von Kiew oder seinen Machthabern, dass sie bereit sind, irgendeine Art von politischer Lösung anzustreben. Wir sehen keinen Grund, unsere Ziele zu überdenken."

In meinen Augen glaubt Hersh, die Wahrheit zu berichten, vermutlich ebenso wie seine Quellen. Aber diese „Wahrheit“ passt überhaupt nicht zu der aktuellen politischen Situation. Die Verluste Russlands waren einfach zu groß, als dass man sich vorstellen kann, dass ein Politiker nun doch den Beitritt der Ukraine zur NATO absegnen könnte. Zu groß ist die Wahrscheinlichkeit in den russischen Augen, dass die Zusage, kein NATO-Personal und keine Raketen zu stationieren, wieder nur eines dieser vielen falschen Versprechungen ist, wie sie Russland seit der Zusage, keine NATO-Ost-Erweiterung durchzuführen bis zum Minsk2-Vertrag zu oft beklagten. In Russland kursiert der Ausdruck:

„Gibt man der NATO den kleinen Finger, reißen Sie einem den Arm aus“.

Und ebenso wenig spiegelt es die Fakten an der Front wider. In vielen Bereichen hatte die russische Armee bewusst kleine Taschen durch die Ukraine besetzen lassen, in denen dann systematisch hunderte, manchmal tausende von Soldaten durch FTP-Drohnen, Selbstlenkende Bomben und Artillerie „vernichtet“ wurden, wie es beschönigend im militärischen Sprachgebrauch heißt. Und über Monate hat die ukrainische Armeeführung immer wieder Menschen in diese Fallen geworfen, oder ließ dutzende von Male frische Kräfte gegen russische Verteidigungslinien anrennen.

Nachdem die Ukraine die fähigsten ihrer Soldaten in diesem sinnlosen Anrennen „verbrannt“ hat, beginnt nun Russland, langsam aber unaufhaltsam in die Gegen-Gegen-Offensive zu gehen, die jedoch nicht als solche benannt wird, um keine Erwartungen auf schnelle Erfolge aufkommen zu lassen. Der Druck wurde aber schon jetzt so groß, dass Selenskyj ankündigte, die Front auf besser zu verteidigende neue militärische Sperren zurück zu verlegen. Mit anderen Worten: ein begrenzter Rückzug.

Der dritte Grund, warum die von Hersh beschriebenen Verhandlungen unwahrscheinlich sind, ist die Tatsache, dass Russland keine Lust mehr hat, mit einem Vasallen zu verhandeln. Im April 2022 war ein Friedensvertrag bereits kodifiziert, als der „Westen“ in der Person von Boris Johnsons, aber anscheinend auch anderen westlichen Politikern Einspruch erhoben, und Kiew „überzeugten“ den totalen Krieg gegen Russland auszurufen, statt hunderttausenden von Soldaten den Tod zu ersparen, und den Menschen die Entscheidung welchem Land sie angehören wollen, selbst zu überlassen.

Daher sollte man, um es mit einer englischen Redewendung zu beschreiben, die Aussage von Seymore Hersh „mit einem Löffel Salz“ zu sich nehmen. Wird er dadurch unglaubwürdig, oder diskreditiert er sich dadurch als Informationsquelle? Nein. Denn wie immer gelten zwei Dinge: a) die Absicht, b) die Art der Informationsweitergabe. Seine Absicht war sicher nicht, durch die Veröffentlichung die eine oder andere Seite des Konfliktes zu bevorzugen, wie es klassische Desinformationsagenten der einschlägigen Dienste gerne tun. Und die Art seiner Mitteilung war nicht die eines Tatsachenberichtes mit gefälschten Beweisen.

Aber letztlich kann sich auch meine Kritik am Ende als falsch herausstellen, die bisher auch nur auf Indizien und Meinungen basiert, wenn auch aus meiner Sicht aus schlüssigeren.

Fazit

Niemand ist unfehlbar. Aber natürlich können sich Menschen auch ändern. Aber das darf nicht dazu führen, dass man in Zynismus oder Destruktivismus verfällt, zum Beispiel indem man denkt: „Die lügen doch alle“. Gefordert ist die eigene Recherche und Schlussfolgerung statt „Glauben“. Denn „Glauben“ ist, was die modernen Protagonisten der Propaganda heute so perfekt beeinflussen wie einst die Kirchenführer.

Aus diesem Beitrag, sollte sich aber noch etwas klären. Seine Meinung zu ändern, ist keine Häresie, kein Abtrünnigwerden von einem heiligen Glauben.

Sondern seine Meinung zu ändern ist die natürliche Evolution des Wissens.

Wer sich einer Veränderung seiner Meinung verweigert, beharrt auf einem quasi religiösen Glauben und beweist, dass der Mensch sich sozial und gesellschaftlich noch nicht vom Denken des Mittelalters befreit hat.

Quellen und Hinweise

  Der Autor twittert zu tagesaktuellen Themen unter https://twitter.com/jochen_mitschka

(1) https://eestieest.com/russias-balancing-act-in-the-horn-of-africa-is-challenged-by-the-regions-security-dilemma/

(2) https://africainterest.org/andrew-korybko-american-on-ethiopian-payroll-stokes-ethnic-sentiments/

(3) https://seymourhersh.substack.com/p/general-to-general

https://www.anti-spiegel.ru/2023/laut-seymour-hersh-fuehren-russland-und-die-ukraine-geheime-friedensgespraeche/ https://weltwoche.ch/daily/us-journalist-seymour-hersh-enthuellt-spitzenmilitaers-russlands-und-der-ukraine-fuehren-geheime-waffenstillstandsverhandlungen-eine-friedensloesung-gaebe-moskau-die-eroberten-gebiete-und-kiew-die-n/

(4) https://asiatimes.com/2023/12/is-hersh-story-on-secret-ukraine-peace-talks-true/

+++ Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags. +++ Bildquelle: mpaniti /shutterstock


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