In seinem Buch „Meine Vertreibung“ beschreibt Boris Reitschuster, wie der Staat und ein regierungsfrommes Medienestablishment kritischen Journalisten die Hölle heiß machen.
Ein Standpunkt von Roland Rottenfußer.
Darf man in Deutschland die Regierungspolitik kritisieren? Ja, solange man nicht erwartet, dann noch unbehelligt leben und arbeiten zu können. Zumindest gilt dies für Journalisten, die als Oppositionelle einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt haben. In diesem Fall kommt es zu einem Kesseltreiben, an dem sich Behörden, eingebettete Medienvertreter, Banken, Polizei, Internetplattformen und noch viele andere Richtigdenker dienstbeflissen beteiligen. Wer aufmuckt, an dem wird ein Exempel statuiert. Sonst könnte ja jeder kommen, und aus einem glimmenden Widerstandsfeuer entstünde ein Flächenbrand. Boris Reitschusters partielle Autobiografie umfasst die Zeitspanne zwischen seiner Rückkehr aus Moskau aufs deutsche Parkett 2015 und seiner erzwungenen Umsiedelung nach Montenegro 2021. Reitschuster ist nicht der einzige „Corona-Skeptiker“ und kritische Geist, der es in Deutschland nicht mehr ausgehalten hat, der quasi rausgemobbt wurde. Die Perle des freien Westens ist zum Auswanderungsland geworden, jedenfalls für jene, die sich nicht damit abfinden wollen, dass die Parole hier mittlerweile lautet: „Mund halten und zurück ins Glied!“ Ja, Reitschuster ist auch als Kritiker von Putins Staatsapparat hervorgetreten. Sein neues Buch zeigt jedoch: Wer das Deutschland von heute kennengelernt hat, den kann Putins Russland nicht mehr schrecken.
„Ich habe den Eindruck, bei den Deutschen sind die demokratischen Sicherungen durchgebrannt“, sagte die Frau. Sie ist Russin und Ukrainerin mit jüdischen Wurzeln, war lange Zeit wohnhaft in Deutschland. „Ich kann mir richtig vorstellen, wie das in der Vergangenheit gewesen sein muss. Da wird Angst geschürt, ganz massiv, dann präsentiert sich jemand als Retter, und eine Mehrheit schaltet das Gehirn aus und läuft dem vermeintlichen Retter blind hinterher.“ Schon ihre russische Großmutter, deren Mann im Krieg gegen Hitler gekämpft hatte, hatte sie immer vor Deutschland gewarnt. Sie aber hat sich in das Land verliebt und die Bedenken in den Wind geschlagen. Bis Corona kam … Jetzt ist sie ausgewandert, nach Montenegro. Mit ihrem Mann, der vielen ein Begriff sein wird: Boris Reitschuster.
Der Wohnortwechsel glich eher einer Flucht als einem freiwilligen Umzug an einen Sehnsuchtsort. Die Reitschusters fühlten sich in Deutschland schon längere Zeit als verfolgte Dissidenten, nicht mit dem Tod bedroht vielleicht, aber von Schikanen, die unerträglich geworden waren. Das eben erinnert Frau Reitschuster, deren Vorname vielleicht von Ehemann Boris bewusst und zum Schutz verschwiegen wird, an ein anderes, ihr wohlbekanntes Land. „Ich glaube, es ist so, wie es in Russland damals war in der Revolution. Eine kleine Gruppe, die glaubt, Wahrheit und Moral gepachtet zu haben, reißt ein ganzes Land ins Elend.“ Sie sagt:
„Inzwischen beschleicht mich das Gefühl, aus dem Regen in die Traufe zu kommen. Ich habe den Zusammenbruch der UdSSR 1990 erlebt, ich habe ein Gespür für solche Zusammenbrüche, und bei mir schrillen aktuell alle Alarmglocken in Deutschland. Ich erkenne hier die Unsitten aus der Sowjetunion auf Schritt und Tritt, nur gut getarnt.“
Es ist gut, dass Frau Reitschuster im neuen Buch ihres Mannes, „Meine Vertreibung“, zu Wort kommt. Ihre Aussagen gehören zu den aufschlussreichsten und den erschreckendsten in dieser Veröffentlichung. So mancher, der aus den „alternativen Medien“ gewöhnt ist, dass keinerlei Kritik an Russland geübt wird, könnte hier stutzig werden. Steht das Ehepaar Reitschuster vielleicht unter dem Einfluss „westlicher Propaganda“? Genau hier zeigt sich die besondere Tragödie des Boris Reitschuster: Vertrieben aus Russland, weil er sich mit dem Regime angelegt hatte, dann vertrieben aus Deutschland, im Prinzip aus demselben Grund, wird er nun auch von Teilen der Freiheitsbewegung in Deutschland abgelehnt, jener Gruppe, die von ihren Gegnern gern als „Schwurbler“ oder „Querdenker“ betitelt wird.
Für Freiheit, aber gegen Putin — ist das logisch?
Reitschusters Vergehen: Er kann sich für Wladimir Putin nicht so recht erwärmen, da er dessen Politik in 16 Jahren als Auslandskorrespondent in Moskau gut beobachten konnte. Reitschuster mag bei der Einschätzung der Person Putin und des Russland-Ukraine-Konflikts Fehler machen, aber niemand kann ihm seinen Status als Russland-Experte ernstlich absprechen. Das irritiert Teile der NATO-kritischen und eher Putin-freundlichen Szene, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, den russischen Präsidenten bei jeder Gelegenheit vor Kritik abzuschirmen. In der Folge gilt Reitschuster bei vielen in der Szene als „verbrannt“, zumindest als irrelevant. In der Coronakrise hat man ihn als wackeren Aufklärer schätzen gelernt, seit Anfang 2022 stellt sich jedoch allenthalben Enttäuschung ein. Gegen Coronamaßnahmen, aber für Putin — diese Kombination ist in den „alternativen“ Medien so verbreitet, dass man meinen könnte, es bestünde ein innerer Zusammenhang zwischen der Kritik an Staatswillkür, Meinungsgleichschaltung und Unterdrückung der Opposition in Deutschland und dem Tolerieren derselben Phänomene in Russland.
Nicht Reitschuster ist es meines Erachtens, der diesbezüglich ein Logikproblem hat. Es wäre nach meiner Einschätzung gut, wenn sich mehr NATO-kritische Menschen diesbezüglich um ein vollständigeres Bild der Realität bemühen würden. Unter Einäugigen ist König, wer mit beiden Augen sehen kann und dies auch will.
Es ist natürlich nicht so, dass Boris Reitschuster nach seinem Kampf gegen Medienmanipulation in der Coronazeit, gegen die Umwandlung der Bundespressekonferenz in eine staatsfromme Propagandaveranstaltung und gegen Polizeigewalt auf Querdenker-Demos nun „plötzlich“ Anfang 2022 seine Abneigung gegen Wladimir Putin entdeckt hätte. Es ist umgekehrt: Putins Russlands ist der Hintergrund, vor dem er das Geschehen in Deutschland betrachtet, das abschreckende Beispiel dafür, was in Deutschland auf keinen Fall hätte passieren dürfen. Reitschuster lernte erst die dunklen Seiten der russischen Gesellschaft vor Ort kennen, dann erlebte er in Deutschland zu seinem Entsetzen, dass sich Ähnliches zu wiederholen schien. Ein durch russische Hitze gebranntes Kind scheut das in Deutschland entfachte Feuer.
Diktatur mit menschlichem Antlitz?
Nun aber zum Hauptinhalt von Boris Reitschusters Buch „Meine Vertreibung“, das dem sich totalitär verdunkelnden Deutschland ein verheerendes Zeugnis ausstellt. Als Leser und Rezensent der ausgezeichneten Bücher „Wie ich meine Uni verlor“ von Michael Meyen und „The Great WeSet“ von Walter van Rossum sehe ich in den drei Büchern gerade eine Trilogie des Grauens, in der sich die Fratze des neunormalen Deutschlands am abstoßendsten zeigt. Universitätsbetrieb und Medien beleuchtete Michael Meyens Buch; bei Walter van Rossum ging es um Justiz und Medien; Boris Reitschuster schließlich konzentriert sich hauptsächlich auf sein eigenes Metier: Journalismus in seiner Wechselwirkung mit einer politischen Klasse, die sich zunehmend übergriffig gebärdet.
Eines der ersten Kapitel heißt: „Wie ich zum Nazi wurde“. Aus eigener Erfahrung wissen die meisten von uns vermutlich spontan, wie das gemeint ist. Gerade diejenigen, die die Lehren aus dem Dritten Reich am gründlichsten gezogen haben, die also im Grunde weniger naziartig sind als die allermeisten ihrer Mitmenschen, werden hierzulande sehr schnell als „rechts“ diffamiert, wenn sie Kritik am Regierungshandeln äußern. Umgekehrt: Die Tatsache, dass das heutige Deutschland mit dem von 1933 bis 1945 zwar nicht zur Deckung gekommen ist, sich ihm aber immer weiter annähert, zeigt sich am deutlichsten darin, wie leicht mittlerweile jemand zum Nazi erklärt werden kann.
„Das Ganze geht so weit, dass es sogar schon als ‚Rechtspopulismus‘ gilt, wenn man die Einschränkung der Meinungsfreiheit auch nur als solche benennt“,
schreibt Reitschuster. Er sieht einen „rot-grünen Staudamm gegen die Realität“, der eines Tages brechen werde. Je später der Dammbruch erfolgt, umso größer die Gefahr, dass das Pendel nach rechts ausschlägt. Reitschuster plädiert nicht für eine AfD-Regierung, er fürchtet aber, dass eine solche in der Logik der derzeitigen, vor allem von den Regierungsparteien zu verantwortenden Fehlentwicklungen liegen könnte.
Boris Reitschuster sieht einen wichtigen Grund für das verbreitete „Schweigen der Lämmer“ angesichts von empörenden Einschränkungen der Meinungsfreiheit in einem grundlegenden Missverständnis über die Natur von Diktaturen. In diesen ist es nämlich nicht unbedingt so, dass ein falsches Wort für Andersdenkende gleich Verhaftung, Gefängnis und Tod bedeutet. Umgekehrt ist das Fehlen dieser Merkmale keine Garantie dafür, dass in einem demokratischen Gemeinwesen alles gut läuft. „Vor allem im Westen ist das vielen nicht bewusst, weil sie nicht verstehen, dass man selbst in Staaten wie der DDR oder der Sowjetunion seine Meinung frei äußern konnte — insbesondere privat oder dann, wenn man massive negative Folgen in Kauf nahm.“ Auch im neunormalen Deutschland „darf“ man alles sagen — sofern man nicht erwartet, dafür eine breite Öffentlichkeit zu bekommen, seinen Freundeskreis zu behalten und auch beruflich im Sattel zu bleiben. Das Ausmaß an Naivität, gerade im Westen sei erschreckend, so Reitschuster.
„Statt aus dem Nationalsozialismus die Lehre gezogen zu haben, dass man immer ein gewisses Grundmisstrauen dem Staat gegenüber an den Tag legen sollte, haben viele das Gegenteil verinnerlicht: ein blindes Vertrauen in alles, was vom Staat kommt.“
Wie in Russland oder schlimmer
Boris Reitschuster, der über 16 Jahre Moskau-Korrespondent des Focus gewesen war und seit 2015 wieder in Deutschland lebte, erkannte in den politischen Entwicklungen in seiner Heimat seit 2020 Muster, die ihm auf gespenstische Weise bekannt vorkamen: aus Russland. Vergleiche zwischen beiden Ländern tauchen in seinem Buch immer wieder auf, als eine Art Leitmotiv:
„Mir stach hier sofort ins Auge, was ich auch in Moskau immer wieder erlebt habe: dass Gegendemonstranten gegen Anti-Regierungskundgebungen auf eine erstaunlich synchrone Art und Weise auftreten.“
Deren Plakate und Parolen „framen“ Regierungsgegner auf eine bestimmte, stereotype Weise: als „rechts“, „Nazis“ oder „Demokratiefeinde“.
So wurde Boris Reitschuster vielen seit 2020 vor allem als Berichterstatter auf Anti-Coronamaßnahmen-Demos bekannt. Er erlebte dabei Fälle erschreckender Polizeigewalt und auch ein ruppiges Vorgehen gegen ihn selbst, das dem Recht auf eine freie Berichterstattung Hohn sprach. „Beamte stellten sich mir schon mal in den Weg, damit ich sie bei brutalen Festnahmen nicht filmen konnte, oder schubsten und schoben mich weg.“ Nun aber, im ersten Coronajahr „gingen sie mich frontal an, rissen mir mit Fausteinsatz die Kamera aus der Hand, schüchterten mich massiv ein und setzten mich fest“. Reitschusters Vertrauen in die deutsche Demokratie „hat seit 2020 enormen Schaden erlitten“. Zwar waren auch seine Erfahrungen mit der russischen Polizei nicht immer angenehm gewesen, aber
„russische Polizisten würden wohl kaum kontrollieren, wie lang Menschen Äpfel essen und ihren Kaffee trinken, wie das in Deutschland mittlerweile passiert. Dieses Ausführen und Übererfüllen von Befehlen bis zum Exzess hat für mich etwas zutiefst Beängstigendes. Bei meinen jüdischen Freunden hier in Deutschland weckt es teilweise Urängste — in Kombination mit einem Corona- und Impf-Hurra-Patriotismus, den sie noch vor Kurzem in so fanatischer, totalitärer Form für unmöglich gehalten hätten.“
Eine Zensur findet statt
Reitschuster erlebte auf seinem Kanal „reitschuster.de“ auf YouTube erste Zensurmaßnahmen, Löschungen, ein Werbeverbot, das die Wirkung hatte, ihm die Finanzierung seiner Arbeit zu erschweren. Immer erlebte er diese Entwicklungen mit der noch frischen Entrüstung eines Menschen, dem dies alles neu war, der es nicht für möglich gehalten hatte, weil er bis zum Beweis des Gegenteils noch lange annahm, man müsse den Gegnern nur gut erklären, wie ungerecht ihr Verhalten war. Scharfsinnig analysiert Reitschuster, wie dieses Vorgehen der großen Internetplattformen auch ihn teilweise zu präventiver Selbstzensur zwangen.
„Man fragt sich beinahe vor jedem brisanten Satz, ob man das so formulieren kann. (…) Faktisch war es ein Spießrutenlauf. Ich hatte über solche Probleme von Journalisten in meiner Ausbildung und im Geschichtsunterricht gelesen und gehört. Aber hätte mir irgendjemand erzählt, dsss ich im 21. Jahrhundert selbst, mitten in Deutschland, damit konfrontiert werden würde am eigenen Leib — ich hätte ihn für verrückt erklärt. (…) Faktisch hat die Regierung die Zensur — auch in Form von wirtschaftlichem Druck — geschickt auf private Monopolisten ausgelagert.“
Das Herzstück von Boris Reitschusters neuem Buch ist die ausführliche Schilderung seiner Erfahrungen auf der Bundespressekonferenz. Für viele war es quasi das Markenzeichen des Journalisten gewesen: dieses tapfere Ankämpfen gegen mauernde Regierungssprecher und devote Medienvertreter — allein gegen alle. Reitschuster erwies sich hier wirklich als Stehaufmännchen. Immer wieder fragte er bohrend, immer wieder bekam er nichtssagende Antworten, wurde ausgebremst, diffamiert, rausgeekelt. Manche dieser Auftritte wurden mit Frage und Antwort durch Reitschuster-Filme dokumentiert. Das ganze Großkapitel zeichnet ein desaströses Bild des zeitgenössischen Journalismus. Sie dachten, es stehe schlimm um die deutschen Medien? Nach der Lektüre von Reitschusters Buch wissen Sie: Es ist alles noch viel schlimmer.
Schwarzes Schaf in der Journalistenherde
Was zunächst auffällt und befremdet, ist: Bei der Bundespressekonferenz zugelassene Journalisten halten es für eine Gnade der anwesenden Politiker, ihnen Auskunft zu geben. Daher ist dies für sie mit einer besonderen Dankesschuld verbunden. Nur durch besondere Fügsamkeit und den völligen Verzicht auf kritische Fragen kann diese offenbar abgebüßt werden. „Man müsse als Journalist der Bundesregierung und ihren Sprechern dankbar sei, dass sie, gerade jetzt, in so schweren Zeiten, bereit seien, zu den Veranstaltungen zu kommen. Deswegen dürfe man sie nicht provozieren.“ Und an anderer Stelle:
„Es wurde mir klar, dass sich die Bundespressekonferenz längst in eine Karikatur ihrer selbst verwandelt hatte“.
Sogar an eine Castingshow nach dem Motto „Deutschland sucht den nächsten Regierungssprecher“ fühlte sich Reitschuster erinnert. Wer will schon bei mächtigen Menschen in Ungnade fallen, die noch dazu potenzielle künftige Arbeitgeber sind? Im journalistischen Establishment hatte sich eine Haltung etabliert, die auf einem völligen Missverständnis der Rolle der Medien als Kontrollorgane der Regierung beruht. Durch Rudelbildung und das Kultivieren eines ungerechtfertigten Selbstbewusstseins versuchten die journalistischen Höflinge zu überdecken, was im Grunde nichts anderes war als Verrat an den Bürgern, die Anspruch darauf haben, unabhängig informiert zu werden.
Wer sich mit Journalisten anlegt, das musste Boris Reitschuster erfahren, macht sich mächtige Gegner, die die ihnen zur Verfügung stehenden Plattformen ungehemmt für Vernichtungsfeldzüge gegen Abweichler nutzen. Der Deutsche Journalistenverband begann, Reitschuster zu schikanieren, jener Verein also, der eher zum Schutz der Meinungsfreiheit gegründet worden war als dafür, gegen die letzten wirklich „Freien“ zu hetzen. Ebenso erntete Reitschuster eine Kampagne der Süddeutschen Zeitung (SZ) gegen ihn — jene papierene Version der öffentlich-rechtlichen Medien, die schon gegen Michael Meyen und Hubert Aiwanger Kampagnen gefahren hatte. Ein Journalist, Daniel Brössler, mit dem sich Reitschuster befreundet fühlte, der sogar seine Tochter beim ihm zu Hause auf den Armen getragen hatte, fragte, ob er bei einem Artikel über seine Rolle bei den Pressekonferenzen behilflich sein könne. Ob der Bericht auch fair sein würde, fragte Reitschuster. Klar, sagt Brössler.
Männchen machen vor den Mächtigen
Am Ende glich der Artikel, Freundschaft hin oder her, einer „medialen Hinrichtung“. Das war bitter, jedoch keinesfalls das einzige Beispiel für auch persönlichen Verrat, von dem Reitschuster erzählt. Dabei hatte ihn ein erfahrener Kollege gewarnt: „Die sind im Glaubenskrieg gegen solche wie uns, die nicht mit dem Zeitgeist schwimmen, die sind zu jedem Foulspiel bereit, du darfst dem nicht trauen.“ In der gleichen Ausgabe der SZ, in der Reitschuster niedergemacht wurde, prangte übrigens eine Impf-Anzeige der Bundesregierung.
Besonders grotesk war eine Szene, die sich in der Bundespressekonferenz zu Zeiten des großen Corona-Maskenballs abspielte. Reitschuster hatte seine Maske während einer Frage abgesetzt, woraufhin er von Kristina Dunz vom Redaktionsnetzwerk Deutschland — „fast schreiend im Tonfall“ — brüsk unterbrochen wurde. Sie befürchtete Ansteckungsgefahr, obwohl Reitschuster nicht näher bei ihr stand als die Politiker und Pressesprecher auf dem Podium der Konferenz. Diese nämlich hatten sich selbst eine Ausnahme von der Maskenpflicht genehmigt, saßen nacktgesichtig vor einem Saal voller Journalisten mit weißer, maskenbedingt vorgewölbter Mundpartie.
Auf Nachfrage Reitschusters erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert diese Regelung zu einer Frage von Befehl und Gehorsam:
„Wenn die Bundespressekonferenz sagt, jetzt ist das hier auch notwendig, dann mache ich das. Aber sofort.“
Unabhängig von gesundheitlichen Erwägungen und unbeeinflusst von jeglicher eigenen Denkleistung gab Seibert also zu Protokoll, er sitze hier nur deshalb ohne Maske da, weil diese nicht befohlen sei. Mit Leuten mit solcher Mentalität lässt sich natürlich gut Staat machen. Auch nach Aufhebung der Maskenpflicht im August 2022 konnten sich die meisten Journalisten übrigens nicht von dem liebgewordenen Accessoire trennen. Reitschuster deutet dies „als Korpsgeist oder als Unterwerfungsgeste“. Das Bild, das die Bundespressekonferenz damals abgab, hat sich ihm unauslöschlich eingeprägt.
„Die Symbolik dieser Szene ist durchschlagend: die Gleichtaktung der großen Medien, die Selbstkastration der Journalisten, die brav Männchen (oder muss man jetzt auch sagen: Frauchen) machen vor den Mächtigen. Die vermeintlichen Kämpfer für Buntheit und Vielfalt, völlig eintönig, synchron, auf fast schon militärische Art und Weise.“
Der, dessen Name nicht genannt werden darf
Das war schlimm genug, wurde aber in der Folge noch schlimmer. Am Tag der Pressefreiheit, Anfang Mai 2021, schlossen sich 58 Journalisten zusammen, um „gegen kritische Journalisten wie mich zu hetzen und zwischen den Zeilen zu fordern, mich mundtot zu machen“. Das Schreiben wirke „wie von einer kommunistischen Journalisten-Organisation entworfen“ und wende sich „gegen Verschwörungsmythen und Desinformation“. Immer wieder führt Boris Reitschuster DDR- und Russland-Vergleiche an, um deutlich zu machen, wie weit sich wertewestliche Verhältnisse gerade in puncto Pressefreiheit inzwischen von ihren ursprünglichen Idealen entfernt haben, von jedem Wesen der europäischen Demokratien, an dem — geht es nach den Politikern dieser Länder — noch immer die Welt genesen soll. Reitschuster fühlt sich an den Fall seines russischen Freundes und Kollegen Wladimir Woinowitsch erinnert, „gegen den in der Sowjetunion eine massive Kampagne losgetreten wurde mit dem Ziel, ihn aus dem Schriftstellerverband auszuschließen“.
Wenig später wurde Reitschuster dann — analog zu Erzbösewicht Lord Voldemort bei „Harry Potter“ — zu dem, „dessen Name nicht genannt werden darf“. Nachdem der Journalist wegen der damals herrschenden 2G-Regel nicht mehr physisch bei der Bundespressekonferenz anwesend sein durfte, wurde ihm das Recht eingeräumt, Fragen schriftlich einzureichen. Diese wurden dann im Kreise der Corona-Korrekten auch tatsächlich verlesen — jedoch ohne Nennung seines Namens. „Mich erinnert das heute fast schon ein wenig an den Kreml-Kritiker Alexei Nawalnij in Moskau — dessen Name in Russland nicht genannt werden darf.“ Später wurde Boris Reitschuster, was schon vorhersehbar gewesen war, ganz von der Konferenz ausgeschlossen. Die fadenscheinige Begründung: Er habe seinen Hauptwohnsitz nicht in Berlin beziehungsweise sei zu selten dort. „Nicht einmal Putins Außenministerium“ hatte ihm seine Akkreditierung entzogen, als er seinen Hauptwohnsitz nicht mehr in Moskau, sondern in Deutschland hatte.
Aus Deutschland rausgemobbt
Redewendungen der Art „Das ist ja sogar schlimmer als in Russland“ finden sich im Buch „Meine Vertreibung“ nun öfter.
„Faktisch vertreibt man mit Schikanen und Psychoterror bis hin zu Polizeiaktionen kritische Journalisten und nutzt dann ihren notgedrungenen Wegzug, um sie auszuschließen.“
Zu den Schikanen, von denen hier die Rede ist, gehören auch die Kündigung mehrerer Bankkonten ohne plausible Begründung sowie die Kündigung seines PayPal-Kontos. Dadurch war der auf Spenden angewiesene Video-Blogger von finanzieller Austrocknung bedroht. Weiter fand er lange Zeit für seinen Webauftritt keinen Administrator und keinen Provider. Gesperrt wurde er auch für Google News, die Treibjagd erfolgte also im internationalen Stil. Manche der von ihm Angesprochenen machten nicht einmal einen Hehl daraus, dass dies an Reitschusters „negativem“ Image lag, mit dem sie als anständige Vertreter ihrer Zunft nicht in Verbindung gebracht werden wollten:
„Wir können mit Ihnen keinen Vertrag abschließen. Sie verstehen schon, warum.“
Sehr viel Zeit und Nervenkraft ging verloren, um die durch pure Schikanen rückgratloser oder feindselig gesinnter Zeitgenossen verursachten Probleme zu lösen. Das zermürbt mit der Zeit, und diese Zermürbungsstrategie ist Absicht.
Schließlich hatte Boris Reitschuster in den letzten Monaten vor seiner Ausreise nach Montenegro verstärkt Ärger mit Behörden. Die hatten eigentlich gar nichts gegen ihn in der Hand, was sie jedoch nicht davon abhielt, ihn zu schikanieren. So wurde er am Flughafen festgehalten, weil angeblich „etwas gegen ihn vorlag“. Man fragte Verwandte nach ihm aus. All dies schien, da Reitschuster kein Gesetz gebrochen hatte, einzig dem Zweck zu dienen, in ihm unbehagliche Gefühle zu erzeugen, seine Zeit und Energie zu binden, ihn — so kann man vielleicht mutmaßen — letztlich zum Aufgeben zu bewegen, da in Deutschland offenbar für alle, die sich noch frei zu atmen trauten, die Luft dünn wurde.
Zusätzlich bekam es Reitschuster noch mit der Angst zu tun, dass eine Hausdurchsuchung bevorstehen könnte. Beispiele wie das von Rudolph Bauer und Paul Brandenburg beweisen, dass diese Befürchtung nicht weit hergeholt ist.
„Polizeiaktionen bei ‚Unbotmäßigen‘ sind im ‚besten Deutschland aller Zeiten‘ regelrecht Standard. Die Angst geht um bei denen, deren Verbrechen darin besteht, dass sie nicht auf Linie sind. Selbst wegen eher geringfügigen Beleidigungen im Internet kann die Polizei Familien mit kleinen Kindern im Morgengrauen die Tür einrammen. Wenn solche Aktionen im Nachhinein wie im Hamburger ‚Pimmelgate‘-Fall oder bei dem AfD-Abgeordneten Petr Bystron für rechtswidrig erklärt werden, sind die Traumata der Kinder dadurch nicht verschwunden.“
Kurz: In Deutschland spekulieren Behörden möglicherweise darauf, dass Regierungskritiker, selbst wenn sie eigene Schwierigkeiten in Kauf zu nehmen bereit sind, klein beigeben — aus Angst vor einer möglichen Traumatisierung ihrer Kinder. „Ich kann nicht den Helden spielen, wenn ich damit das Wohlergehen meiner Familie riskiere.“
Ein beängstigendes Land
Im August 2021 verlegten Boris Reitschuster und seine Familie ihren Hauptwohnsitz nach Montenegro. Das Land zeichne sich durch eine Mischung aus südländischer Lockerheit und einer spezifisch osteuropäischen Stärke aus: „Nach vielen Jahrzehnten Kommunismus verfügen die Menschen hier über eine Art Immunität gegen sozialistische Umtriebe, wie wir sie in Westeuropa erleben.“ Natürlich ist „sozialistisch“ für ein Land, dessen Geschicke seit vielen Jahren hauptsächlich von SPD, Grünen und Union gelenkt werden, ein etwas fragwürdiger Begriff. Sicherlich sind hiermit aber vor allem auch staatliche Übergriffigkeit, Wirtschafts- und Meinungslenkung gemeint. Ein Zurück gibt es für Familie Reitschuster bis auf Weiteres nicht.
„Wenn ich inzwischen von Besuchen in Deutschland nach Montenegro zurückkomme, ist das wie eine Rückkehr aus dem Sozialismus in ein freies Land.“
Wenn er doch einmal wieder für kurze Zeit nach Deutschland einreisen musste, tat Boris Reitschuster dies mit einem Gefühl, wie es sich bei Kindern wohl bei der Einfahrt in eine Geisterbahn einstellt:
„Nie im Leben werde ich das mulmige Gefühl vergessen, als plötzlich vor mir am Straßenrand das Schild stand, das anzeigte, dass ich in die Bundesrepublik gereist war.“
Nicht vergessen werden darf auch, dass der Journalist bald nach seinem Umzug nach Montenegro beinahe an einer schweren Blinddarmentzündung gestorben wäre. Er betrachtet dieses Ereignis als „zweite Geburt“ und will nun erst einmal kürzer treten. Er deutet an, dass in jüngster Zeit auch andere prominente Oppositionelle gesundheitliche Probleme bekommen hätten. Stress aufgrund diverser Anfeindungen könnte einer der Gründe gewesen sein — auch wenn solche Zusammenhänge nie klar beweisbar sind. Reitschuster nennt drei Namen: Clemens Arvay, Raphael Bonelli und Gunnar Kaiser. Zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung war Letzterer noch am Leben.
Quellen und Anmerkungen
Roland Rottenfußer, Jahrgang 1963, war nach dem Germanistikstudium als Buchlektor und Journalist für verschiedene Verlage tätig. Von 2001 bis 2005 war er Redakteur beim spirituellen Magazin connection, später für den Zeitpunkt. Er arbeitete als Lektor, Buch-Werbetexter und Autorenscout für den Goldmann Verlag. Seit 2006 ist er Chefredakteur von Hinter den Schlagzeilen. Von 2020 bis 2023 war er Chefredakteur vom Rubikon, seit April 2022 ist er Mitherausgeber und Chefredakteur von Manova.
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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Dieser Beitrag erschien zuerst am 08. November 2023 bei manova.news +++ Bildquelle: BublikHaus / shutterstock
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