Ein Hauch von europäischem Geist | Von Jochen Mitschka

Ein Standpunkt von Jochen Mitschka.

Das Buch, über das ich heute berichten will, kann man auch als eine Verschriftung der Empfindungen nicht weniger Zeitzeugen, d.h. Menschen älteren Jahrgangs ansehen. Seine besondere Bedeutung resultiert aus der Tatsache, dass hier zwei angesehene Autoren es wagen, gegen den Zeitgeist zu schreiben. Aber wenn man als Mensch, der die Aufbruchstimmung beim Projekt „Europa“ miterlebt hat, den Zerfall der Ideen, Ideale und Vorsätze mit erleiden musste, erkennt in diesem Buch einen Hauch eben jenen Geistes, der seinerzeit viele Jugendliche begeistern konnten, die wie ich, mit offenem Geist durch Europa reisten.

Ulrike Guérot, Hauke Ritz – Endspiel Europa

Schon im Vorwort machen die Autoren klar, worum es Ihnen geht. Mit offenem Visier gegen Intoleranz, Kriegshysterie, Dummheit und Desinformation anschreiben zu wollen. Im ersten Kapitel dann sprechen Sie aus, was uns Ältere zum Teil einfach verständnislos den Kopf schütteln lässt, nämlich wie aus einem Friedensprojekt und „von deutschem Boden soll nie wieder Krieg ausgehen“ eine Kriegseuphorie entstehen konnte, die offen über den Einsatz von Nuklearwaffen redet. Der Vergleich zur Kriegspropaganda vor dem ersten Weltkrieg drängt sich so stark auf, dass er fast nicht hätte erwähnt werden müssen.

Messerscharf analysieren die Autoren, dass Europa, gemeint ist die EU, es sich „behaglich und geschichtsvergessen“ im warmen Bett des Westens bequem gemacht hatte, statt an seiner Emanzipation, und damit verbunden der Realisierung der ursprünglichen Ideen zu arbeiten. Und dadurch schließen sie: „Der augenblickliche Krieg in und um die Ukraine ist darum nicht nur ein weiterer blutiger Krieg. Er ist auch und vor allem die Zerstörung des politischen Europas als Idee“.

Und wenn man dann die Geschichte des Scheiterns der politischen Union und des Sieges des „trojanischen Pferdes“ Neoliberalismus liest, fügen sich in der Erinnerung die Bruchstücke wie ein Puzzle zusammen. Der weil die europäischen Bürger sich „im historischen Analphabetismus“ befinden.

Und zurückblickend konstatieren und beschreiben Ulrike Guérot und Hauke Ritz wie sich europäische Politik immer mehr in Vasallen-Transatlantizismus veränderte. Sie weisen darauf hin, dass 2004 ein Schicksalsjahr war, als Putin im Bundestag mit Beifall begrüßt wurde, und die USA wussten, dass nun Not am Mann war. Maßnahmen, die darin gipfelten, dass die Ukraine „zum Aufmarschgebiet für eurasische Pläne der USA und zur Speerspitze der NATO in Europa“ wurde. Auf Seite 30 wird dann erklärt, wo Europa ihrer Meinung nach falsch abbog. (2)

Die Autoren stellen richtigerweise fest, dass der Westen nun das Ziel verfolge, einen neuen Eisernen Vorhang, nur diesmal weiter östlich, aufzurichten. Was die Beerdigung nicht nur europäischer Souveränität, sondern auch europäisch kontinentaler Sicherheitspolitik bedeute. Aber noch sei die Geschichte nicht geschrieben, und die Entwicklung umkehrbar, wenn die Menschen begreifen, welche kolossale Selbstschädigung sie sich zufügen. Und dann zerstören die Autoren endgültig den Mythos vom „unprovozierten russischen Angriffskrieg“ indem sie feststellen, was jeder Historiker eigentlich ehrlicherweise auch sagen müsste:

„Wir leiten aus amerikanischen Quellen her, dass der russische-ukrainische Krieg ein lang vorbereiteter amerikanischer Stellvertreterkrieg ist, eine Apotheose jahrzehntelanger amerikanischer Geostrategie, deren eigentliches Ziel die Verfestigung der amerikanischen Dominanz in Europa ist.“

Weltsicht der USA und Europas

Guérot und Ritz arbeiten in Teil 1 ihres Essays heraus, wie die Vorstellungen der USA und Europas von Anfang an voneinander abwichen, ohne dass dies aber offen diskutiert worden sei. Sie weisen auf die These vom „Ende der Geschichte“ hin, welche die Kultur und Politik der USA als weltumspannendes Modell ohne Konkurrenz darstelle, und beschreiben die darin enthaltenen Fehler.

Der auf Krauthammers Essay basierender Versuch, die USA mit seinen Verbündeten als Weltpolizist und Richter zum Ersatz für die Nachkriegsordnung mit dem Sicherheitsrat zu machen, der so sehr gegen die europäische Tradition des „Westfälischen Friedens“, der Nichteinmischung, verstieß, wird beschrieben, ebenso wie die Tatsache, dass Europa die Union plante, während die USA den nächsten Krieg.

Es folgen Erklärungen zu den nach Auflösung der Sowjetunion definierten Wolfowitz Doktrin. Dessen Ziel es ist, in erster Linie

„das Wiedererstarken eines neuen Rivalen, sei es auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion oder anderswo, der eine Drohung in dem Ausmaß darstellt wie die Sowjetunion war, zu verhindern.“.

Also bereits Wochen, nachdem die Sowjetunion sich friedlich aufgelöst hatte, begann man in den USA bereits die Planung des nächsten Krieges.

Was logischerweise dazu führte, dass man die Reformpolitik Gorbatschows und Jelzins nicht als Chance für globalen Frieden ansah, sondern als Möglichkeit, den Aufstieg eines potentiellen Konkurrenten durch eine „Schocktherapie“ für lange Zeit zu verhindern und einen Wirtschaftskrieg zu beginnen, während gleichzeitig versucht wurde, Russland und andere osteuropäische Staaten zu kolonialisieren. Was ideologisch begründet wurde in Brzezinskis Buch „Die einzige Weltmacht“, das sich in weiten Teilen wie ein Drehbuch für die folgenden Jahre liest.

Die Art und Weise, wie man Russland behandelte, so die Autoren, erinnere an den Versailler-Vertrag nach dem ersten Weltkrieg. Die Amerikaner, so der Tenor des Essays, hätten nichts daraus gelernt. Oder, möchte man hinzufügen, sie wollten nichts daraus lernen, weil Krieg eben kein zu verhinderndes Übel für die USA sei.

Die Autoren untersuchen die Frage, warum die unterschiedlichen Sichtweisen europäischer und US-Politiker nicht zu einem offenen Diskurs führten. Und beantworten die Frage:

Die Antwort liegt in der schwachen Subjektivität der europäischen Politik.“ Während die Amerikaner 1989 ganz genau ihre Interessen gekannt hätten, und sie zielstrebig verfolgten, dafür auch die finanziellen Ressourcen mobilisiert hätten, und über viele transatlantische Netzwerke in Wissenschaft, Gesellschaft und Politik verfügten, habe sich in Europa niemand für die Weltordnung nach dem Kalten Krieg verantwortlich gefühlt. Und natürlich fehlt auch nicht die Beschreibung, wie die USA mit europäischen Politikern, bis zur blanken Erpressung mit Geheimdienstinformationen, umgingen und umgehen.

Als Beispiel, wie dann aus Bequemlichkeit der europäischen Politiker Unterwürfigkeit unter den US-Hegemon wurde, wird dann durch den Jugoslawienkriegen und die Arbeit von US-PR-Agenturen erklärt. Und die Grünen wurden durch die Berichte angeblicher Gräueltaten von der Friedens- zur Kriegspartei. Die UNO war übergangen worden, und die USA spielte sich weltweit als Polizist und Richter in einer Organisation auf. Und das mit Hilfe und Unterstützung Europas.

In einem geschichtlichen Rückblick zeigen die Autoren des Buches dann den Weg europäischer Politik von Ideen und Träumen in die Währungsunion und von Vertrag zu Vertrag, ohne dass wirklich eine demokratisch legitimierte Union entstand. Die größten Erfolge hinsichtlich gemeinsamen Handelns habe man noch bei der Einführung des Euros verzeichnet.

In Teil II des Buches beschreiben dann Guérot und Ritz „Das Platzen der europäischen Träume“. Die Einführung des Euros war vielleicht die letzte Aktion europäischer Politiker, die gegen den Willen der US-Politik durchgesetzt wurde. Allerdings waren die Menschen Europas ebenso wenig davon angetan. Und ca. 10 Jahre später sollten sich in der Bankenkrise einige Bedenken bewahrheiten. Was letztlich wieder zu Spaltung Europas führte, als Griechenland internationalen Finanzhaien zum Fraß vorgeworfen wurde.

Die Autoren weisen auf einen historischen Fehler Gerhard Schröders hin, der, sie vermuten auf Druck der USA, verhinderte, das Oskar Lafontaine den Finanzmarkt regulieren konnte, und deshalb frustriert ob des historischen Fehlers, aufgab. Hätte sich die Idee europäisch durchgesetzt, mit Deutschland als Lokomotive, wäre die Bankenkrise wesentlich milder verlaufen, meinen sie.

Sie berichten über das Scheitern einer europäischen Verfassung und der zeitlich zusammenhängenden Invasion der USA des Iraks. Und wie der Streit über den Krieg zu einem Sieg der USA führten, als Schröder und Chirac als „old Europe“ vom „new Europe“ durch ihre Kriegsfreudigkeit in den Hintergrund gedrängt wurden. Wodurch zum ersten Mal das „trojanische Pferd der USA in der EU“ sichtbar wurde.

Das Essay geht dann auf die EU-Osterweiterung ein und erklärt die daraus entstandenen Probleme, wie der Lissabonner Vertrag dann die Verfassung ersetzte, die man sich nicht getraute den Menschen Europas noch einmal vorzuschlagen, und deshalb als elitaristisches Projekt realisierte wurde. Während man in einem letzten Aufbäumen versuchte, sich gegen die Kriegspolitik der USA durch eine Politik der Soft-Power versuchte abzugrenzen.

Die Neocons

Während der Jahrtausendwende, so berichten die Autoren begannen dann in den USA die Neocons die Macht zu ergreifen. „Kompromisse und Diplomatie seien für ein Imperium wie die USA immer ein Zeichen der Schwäche“. Natürlich geht das Essay auf das „Project for a new American Century“  (PNAC) ein, das die Weichen für die kommende Periode stellen sollte. Während die USA massiv aufrüsteten, habe man in Europa noch von Softpower geträumt.

Mit 9/11 begannen dann die USA die „Neuordnung des Nahen Ostens“ anzugehen. „Es ging den Neokonservativen vor allem darum, die säkularen Regime in Irak, Syrien und Libyen, die sich einst an der Sowjetunion orientiert hatten, zu entmachten.“ Während im „old Europe“ noch von einer Art Multipolarismus geträumt worden sei, hätten die USA an der New World Order von Präsident Bush gebastelt.

Dann kommt die Sprache auf die NATO-Osterweiterung. „Der NATO-Russland-Rat hatte vor allem die Funktion, den Russen und Europäern eine Zusammenarbeit mit Russland vorzugaukeln, während Russland in Washington bereits als Feind identifiziert worden war.“

Das Buch geht dann auf die Regierungsumstürze in Georgien und der Ukraine ein, wo sich das mit dem Wurm und Haken einfach nicht schnell genug umsetzen ließ. Chile und Argentinien, waren noch ganz offen gewaltsame Putsche des Militärs unter Anleitung und Unterstützung der USA gewesen. Inzwischen seien die Methoden verfeinert worden.

Heute werden ‚Farbrevolutionen‘ von PR-Agenturen systematisch geplant. Sie beginnen meist mit einem Narrativ, das die herrschende Regierung delegitimiert, etwa weil sie Wahlen gefälscht habe. Dann kommt es zu einer Abfolge an gewaltfreien, aber symbolischen Handlungen.“ So beginnt die Erklärung der modernen Art des Regime-Changes. Und fast immer forderten dann die USA auf, osteuropäische Länder in die EU aufzunehmen. Wollen kann das nur jemand, der keine Absichten hat, aus der EU eine politische Union zu machen, meinen die Autoren. Und so wurde die EU schon seit 2004 „überdehnt“.

Das Buch beschreibt dann, wie die Militärdoktrin der USA die Welt beunruhigte, wie seine nuklearen Erstschlagmöglichkeiten zunahmen, während es intensiv an einer Militarisierung des Weltraums und einem Raketenschirm, der einen Zweitschlag verhindern sollte, arbeitete.

„Ziel [von Full Spektrum Dominance] war es, die Armee, die Marine, die Luftwaffe, die elektromagnetische Kriegsführung, die Weltraumkriegsführung und schließlich die Informationskriegsführung (zu der auch die Inszenierung von Farbenrevolutionen gehört) so miteinander zu verschränken, dass eine totale Überlegenheit über jeden potenziellen Gegner gewährleistet wäre“.

Russlands Warnung 2007

Das Buch beschreibt dann Details aus Putins Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2007, mit der Putin darlegte, dass eine unipolare Weltordnung im 21. Jahrhundert nicht möglich sein werde, weil dem „kein moralisches Fundament für die moderne Zivilisation zugrunde liege“.  Es kann ganz einfach nicht sein, dass an einem Ort die Entscheidungen für die ganze Welt getroffen werden.

Es folgte bekannterweise der Georgienkrieg 2008, in dem Russland noch einmal seine roten Linien deutlich machte, nachdem georgische Truppen russische Soldaten einer Friedenstruppe getötet hatten, als Georgien versuchte, gewaltsam Territorien wieder einzugliedern, die sich abgespalten hatten.

Nach der Beschreibung der tatsächlichen Begebenheiten im Georgien-Krieg, wie sie übrigens auch durch eine EU-Untersuchungskommission festgestellt worden waren, erklären die Autoren: „Kriege fangen in der Presse an“.

Gerhard Schröder habe richtigerweise versucht, eine Versöhnung zwischen Deutschen und Russen zu betreiben, aber die europäische Komponente dabei außer Acht gelassen. Obwohl Polen „kochte“ wurde die deutsch-russische Zusammenarbeit intensiviert, was die Wirtschaft hoch erfreute. Derweil die Sympathiewerte für die USA sanken, was logischerweise Washington missfiel. Und hier beginnt das Buch den Informationskrieg über die Medien zu erklären. Diese Politik war so offensichtlich, dass man sie in den Überschriften verfolgen konnte. Es folgt eine ausführliche Beschreibung dieses Informationskrieges und seiner Auswirkungen.

Geschichtlich, kulturell und politisch gesehen war Russland über Jahrhunderte eng mit Europa und Deutschland verbunden gewesen. Aber in den Medien wurde das Bild erschaffen, dass die Normalität die sei, dass Europa mit den USA verbündet ist.

Der europäische Abstieg

Europas Niedergang wird durch die Autoren mit der Bankenkrise in Verbindung gebracht. Mit der so genannten Griechenland-Rettung begann demnach endgültig die Spaltung der EU.

„Zugleich füllte Deutschland durch die Negativzinsen auf seine Staatsanleihen noch während der Bankenkrise sein Staatssäckel, während die deutsche Boulevard-Prsse- und nicht nur die – mit Schaum vor dem Mund verkündete: Keine Transferunion.“

Es wurde zwar die deutsche Lohndumping-Politik erwähnt, aber nicht die Tatsache, dass der Staat dann die Risiken der Banken abdeckte, als diese drohten, die für den Export erteilten Kredite nicht eintreiben zu können. Allerdings wird richtig festgestellt, dass der Exportüberschuss auch nur mit Hilfe des billigen Gases aus Russland möglich war, was die USA zunehmend störte.

Die Autoren finden dann, dass Deutschland in die Jahre des „Germany goes global alone“ kam, als Europa „nicht mehr wahr“. „Deutschland versäumte vor allem, seine Russland-Politik (etwa die Pipeline North Stream 1) zu europäisieren“. Als ob das gegen New Europe noch möglich gewesen wäre.  Und die Autoren sehen es als Fehler an, dass bei der Bankenkrise als Ergebnis nicht eine gemeinsame Fiskal- und politische Union herausgekommen sei. Allerdings erwähnen sie zur Entschuldigung europäischer und deutscher Politiker, dass die USA spätestens ab 2014 alles taten, um eine eigenständische Politik zu verhindern.

Sie erkennen in der Politik auf dem Maidan 2014 richtigerweise das Herzstück der Politik der USA, die EU von Russland endgültig abzuspalten. Die EU (von den Autoren Europa genannt), gerieten den Autoren zufolge unter den Problemen des westlichen Turbo-Kapitalismus in einen umgekehrten Totalitarismus, „in dem das System zwar formal demokratische bleibt, aber zum Beispiel über eine freiwillige Gleichschaltung der Medien die Meinungskorridore eingeengt…“. D.h. während Russland offen autoritär sei, täte man das gleiche im Westen versteckt. Eine weitere Folge sei die Zerstörung der europäischen Sozialdemokratie gewesen.

Herzstück Ukraine

Die Autoren weisen darauf hin, dass 2014 bereits im Jahr 2004 durch die von den USA organisierte Orangene Revolution begann. Die Geschichte bis 2014 wird noch einmal aufgerollt, was Vielen vermutlich gar nicht mehr bewusst ist. Bis das Essay zu der möglichen Mitgliedschaft der Ukraine in der EU kommt, während das Land bereits Teil der Freihandelszone von GUS war. Was natürlich Probleme beinhaltete, die einfach vom Westen vom Tisch gewischt worden waren. Was folgte war der Maidan. Und entscheidenden Einfluss auf die Vorgänge hatten westliche NGOs und Politik.

Es wurde noch einmal erklärt, wie die, ganz offensichtlich von Seiten der „Demonstranten“ ausgehenden Schüsse eine Inszenierung waren, welche den Putsch schließlich legitimieren sollten. Kurz davor waren noch Verträge für die friedliche Machtübergabe durch Wahlen vereinbart worden, welche auch vom deutschen Außenminister garantiert wurden. Der dann aber schwieg, als nur zwei Tage später der Putsch stattfand.

Das Essay weist darauf hin, dass die sich auflösende Sowjetunion die Wiedervereinigung Deutschlands ermöglichte, welche die USA nur unter der Bedingung zulassen wollte, dass Gesamtdeutschland in der NATO blieb und nicht neutral wurde. Ein Entgegenkommen der Sowjetunion und Russlands, welches die Autoren der kulturellen Verflechtung Russlands mit Deutschland zuschreiben.

„Doch Deutschland, dem Russland trotz der Gräuel der SS und der Wehrmacht die Einheit geschenkt hat, hatte 2014, also genau 25 Jahre später, als es selbst mit Pomp den 25. Jahrestag der Wiedervereinigung mit Bush und Gorbatschow als Gästen unter dem Brandenburger Tor feierte, nichts Besseres zu tun, als das Geschenk der deutschen Wiedervereinigung mit einer Teilung des russischen Kulturraums zu beantworten“.

Guérot und Ritz weisen dann darauf hin, wie die radikalen rechtsextremen Gruppierungen in der Ukraine durch die USA bewusst einbezogen wurden, um die Schwächen der ersten „Orangenen Revolution“ nicht zu wiederholen.

„Durch die Kriegsbedingungen kam es zur Konservierung der von den Nazis übernommenen Rassenideologie, was zumindest zum Teil die Renaissance rechten Gedankenguts in der heutigen Ukraine erklärt.“ Eine Feststellung, die dann nicht nur durch Links unterlegt wird.

Das Essay geht dann auf die Bedingungen der Verträge von Minsk ein, und erklärt, wie diese vom ersten Tag an von den USA und Großbritannien unterminiert wurden. Was für Russland das Erlebnis der Wiederholung von Vertragsbrüchen gewesen sei, da sich der Westen schon in der Vergangenheit immer nur so lange an Verträge gehalten habe, wie sie ihm genutzt hatten.

USA und die Spaltung Europas

Die Autoren weisen dann auf die historischen Aussagen von Georg Friedmann im Jahr 2015 hin, der erklärte, wie US-Geostrategen versuchten, Russland von Europa durch einen Gürtel von feindlich eingestellten Staaten zu trennen. Hauptziel eines neuen „Cordon Sanitaire“ sei, Deutschland mit seiner fortschrittlichen Technologie von den Ressourcen Russlands abzuschneiden.

Ein entscheidender Hebel war die bewusste Vorbereitung der Ukraine auf einen Krieg gegen Russland. Eine Raketenbasis wurde in Rumänien und eine in Polen 2021 in Betrieb genommen, ebenso wie eine Vielzahl von seegestützten Abschussanlagen für Abfangraketen. Allerdings hatte Russland gelernt und ebenfalls erhebliche Fortschritte in der Waffentechnologie gemacht. Dadurch, so die Autoren, blieb die wechselseitig garantierte Zerstörungsmöglichkeit doch in Kraft. Was, das sollte man hinzufügen, einen geplanten Erstschlag der USA bisher erfolgreich verhinderte.

Als Reaktion darauf stiegen die USA aus dem Rüstungsbegrenzungsvertrag INF aus, berichten die Autoren, und weisen darauf hin, dass der Vertrag einmal ein Meilenstein in der Friedenssicherung gewesen war. Was durch die damit verbundene drastische Verkürzung der Vorwarnzeiten das Risiko eines unbeabsichtigten Atomkrieges drastisch erhöht.

Die Aufrüstung der Ukraine, die Nichterfüllung der Minsker Verträge, die Biowaffenforschung in dutzenden von Laboren in der Ukraine, die massive Anhäufung von kernwaffenfähigem, spaltbaren  Material und viele andere Tatsachen, lassen es seltsam erscheinen, so die Autoren, dass Russland so lange stillgehalten habe. Alles war ganz offensichtlich und auch bekennend von US-Politikern erklärt als Versuch,

„die Russische Föderation auf mehreren Ebenen so weit zu schwächen, dass das Land sein Gleichgewicht verlieren und innere Konflikte zum Sturz der Regierung führen würde“.

Es lohnt sich, das Buch auszuleihen oder zu kaufen, um die weitere Geschichtsaufarbeitung zu lesen, und am Ende die Vorschläge kennen zu lernen, um Europa doch noch zu retten.

Fazit:

Das Buch wurde aus einer elitaristischen, eurozentrierten Weltsicht geschrieben, mit den besten Vorsätzen, aber nicht aus der Sicht der einfachen Menschen Europas. Es gipfelt in der Idee eines europäischen Staates und übersieht die neuen Möglichkeiten der Zusammenarbeit, wie sie in den BRICS-Grundsätzen sichtbar werden. Obwohl die BRICS- Ideen keineswegs im Widerspruch Aussagen in dem Essay stehen (1).

Ich stehe inzwischen einem EU-Staat aus Gründen mangelnder Demokratierealität skeptisch gegenüber. Möglicherweise wird die alte Vision des Multipolarismus von De Gaulle und vielleicht auch Adenauer, aber im Rahmen der sich souverän erklärenden Länder des Ostens und Afrikas, vielleicht in BRICS+ eine bessere Lösung sein. Allerdings nur, falls das Imperium auf den lange geplanten großen Krieg verzichtet. Die Entscheidung darüber wird in Washington gefällt, nicht in Europa. Höchstens Russland hat da ein Wörtchen mitzureden, indem es klarmacht, dass ein großer Krieg den amerikanischen Kontinent diesmal nicht verschonen wird.

Anmerkungen und Quellen:

Ulrika Guérot, Hauke Fritz, Endspiel Europa, Warum das politische Projekt Europa Gescheitert ist – und wie wir wieder davon träumen können. Westend-Verlag 2022, ISBN: 978-3-86489-390-2.

(1) „Sondern Souveränität heißt heute vor allem die Wiederinbesitznahme des eigenen Landes, die Sicherung lokaler Nahrung und Energie, die regionale Gestaltung von Autonomie, die Durchbrechung von Globalisierung und Abhängigkeitsstrukturen, die Herausnahme aus globalen Konzentrationsbewegungen, die kooperative Gestaltung im überschaubaren Eigenen.“

(2)„Eine europäische Friedensordnung unter Einschluss von Paris und Moskau wurde im 20. Jahrhundert von Willy Brandt und Egon Bahr angestrebt, von Helmut Kohl und Horst Teltschik als realistische Option behandelt, und von Gerhard Schröder ein letztes Mal versucht. Dieser Traum hätte – wenn realisiert – das Potenzial gehabt, den europäischen und kontinentalen Frieden und Wohlstand für Generationen zu sichern.“ Stattdessen habe „Europa seine Emanzipation verspielt“.

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle: shutterstock / vladm

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Kommentare (10)

10 Kommentare zu: “Ein Hauch von europäischem Geist | Von Jochen Mitschka

  1. HarteEier2 sagt:

    "Höchstens Russland hat da ein Wörtchen mitzureden, indem es klarmacht, dass ein großer Krieg den amerikanischen Kontinent diesmal nicht verschonen wird."

    Ja, diesmal gehen auch die USSA unter und obwohl ich sicher nicht gerne sterbe, beruhigt es mich sehr, dass der geschichtlich und gegenwärtig größte Terrorstaat aller Zeiten mit untergehen wird. Das könnte dann tatsächlich das von den USSA herbeigesehnte Ende der Geschichte sein, allerdings nicht im von den USSA gewünschten Sinne. 👍👏🙂

  2. Andreas I. sagt:

    Hallo,
    "ohne dass wirklich eine demokratisch legitimierte Union entstand."

    Entweder man will Demokratie, oder man will Macht.
    Das kommt allerdings nicht nur elitär von oben, sondern die Mehrheit der EU-Bevölkerung unternimmt auch nichts, um sich demokratische Mitsprache zu verschaffen.
    Oder kommt mir das nur so vor, weil aus deutscher Sicht, wo man den Film "Der Untertan" im Kern genauso wieder drehen könnte?

  3. Zivilist sagt:

    Westfälischer Frieden ?

    Da waren alle englischen 'Handelshäuser' (also Familienclans wie Rockefeller, Warburg, Rotschild, Sasson . . .) noch Teil der EIC und hatten sich gerade dumm und dämlich verdient mit dem Verkauf von Salpeter, auf der anderen Seite wurden die Spanier damit nicht reich. Ohne Salpeter kein Schwarzpulver. Es gibt wenig Quellen dazu, nach dem Napoleonischen Kriegen jedenfalls jammern die jetzt britischen Kaufleute jener Häuser vorm britischen Parlament, daß mit Salpeter kein Geld mehr zu machen sei, nur als Dünger ließe er sich noch verkaufen. Sie betteln um einen neuen Krieg !

    • Zivilist sagt:

      Ach so, ich vergaß, 1648 zur Zeit des westfälischen Friedens, war Russland laut Grimmelshausen noch gar nicht so 'fortschrittlich', Schwarzpulver zu verwenden, 1854 beim ersten Krimkrieg – das Betteln der EIC wurde erhört – aber dann schon.

  4. wolfcgn sagt:

    mich erfreute der Hinweis auf den Multilateralismus von De Gaulle und "vielleicht" Adenauer aber ich vermisse die Auseinandersetzung mit dem Budapester Memorandum!

  5. Civilian sagt:

    Außer Putin redet niemand über Nuklearwaffen. Die Ukrainer haben keine. Und Biowaffenlabore? Ernsthaft?

    • Nevyn sagt:

      Biowaffenlabore sind natürlich Quatsch. Es ist ja längst erwiesen, dass Fledermäuse viel besser Furinspalten herstellen und Viren für menschliches Eiweiß als Kombination von Corona mit ein bisschen Ebola und ein bissen HIV optimieren können. Da fangen selbst Nobelpreisträger an zu schwurbeln, gell?
      Über Nuklearwaffen redet vor allem fortlaufend der Mainstream, dass Putin darüber redet.
      Und der Mockingbird schreit wieder, dass die Wände wackeln.
      Same procedure as every day.
      Gähn.

    • Civilian sagt:

      Ich meinte insbesondere US-Biowaffenlabore in der Ukraine.
      Ihr Post ist Wortsalat.

    • Zivilist sagt:

      Eben, die Ukrainer haben keine Biowaffenlabore, die USA hat Biowaffenlabore in der Ukraine, manchmal verrecken auch Ukrainer am den US Experimenten.

      Und die USA und das UK als 'niemand' zu bezeichnen, ist ja wohl doch etwas vermessen.

    • Andreas I. sagt:

      Hallo,
      der böse Russe – wem dieses Feindbild nicht bekannt vorkommt, der kann ja nochmal nachschlagen, WK I, WK II …

      Aber naja, auch wenn m.E. unter den westlichen Politikern keiner das Format hat, dem bösen Russen das Wasser reichen zu können, trotzdem sind die westlichen Politiker nicht "niemand", sondern Personen, also immerhin "jemand", okay "irgendjemand", unbedeutende Marionetten, aber nicht "niemand", sondern die Puppen reden, was die Puppenspieler vorgeben.

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