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Die Macht der kritischen Masse | Von Tom J. Wellbrock

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Der Ton im politischen Deutschland wird zunehmend rauer. Absurde Konstrukte wie das "Demokratiefördergesetz" bedeuten tiefe Einschnitte in die Gesellschaft. Bekommen die Mächtigen womöglich Angst vor der kritischen Masse?

Ein Kommentar von Tom J. Wellbrock.

Die neue Dimension des staatlichen Hasses begann mit der Corona-Episode. Die Beleidigungen, Diffamierungen, Existenzvernichtungen nahmen in dieser Zeit in der Breite ein Maß an, das selbst für Deutschland bemerkenswert war. Die Verunglimpfung von Menschen als "Covidioten" war damals schon menschenverachtend, doch sie hält bis heute an, bis in eine Zeit hinein, die längst bewiesen hat, dass die Kritiker von damals in fast allen Fällen richtig lagen.

Was ist die "kritische Masse"?

Die kritische Masse wird in unterschiedlichen Zusammenhängen als Beschreibung verwendet. Sie kommt in der Chemie vor, populär und populistisch wird sie beim Klimawandel verwendet ("Kipppunkte"), aber auch in der Soziologie und als Bestandteil der Spieltheorie kommt sie zum Einsatz.

Hier soll es um die kritische Masse gehen, die gesellschaftlich und politisch relevant ist. Weitgehend wissenschaftlich anerkannt ist die Annahme, dass innerhalb einer Gruppe 10 Prozent ausreichen können, um Veränderungen zu erwirken, die dann auch Bestand haben. Die Frage lautet nun also: Kann diese kritische Masse erreicht werden oder wurde sie bereits erreicht?

Corona in Österreich, Wiedervereinigung in Deutschland

In einem Aufsatz über die kritische Masse geht der Autor Dr. Konrad Breit davon aus, dass während der Corona-Zeit in Österreich ca. 100.000 Menschen die Maßnahmen der Regierung abgelehnt haben. Das entspricht ungefähr 1,5 Prozent der Bevölkerung und ist weit entfernt von den angestrebten 10 Prozent, die für die Einflussnahme auf politische Entscheidungen und Entwicklungen notwendig wären.

Breit beschreibt aber auch, wie aus 100.000 Menschen Hunderttausende werden können, die ihrem Unmut auf der Straße freien Lauf lassen. Für den Autor sind dafür zwei Gründe ausschlaggebend. Zum einen die verheerende Kommunikation und Politik der Bundesregierung, die taumelnd von einem Fehler zum nächsten wankte und die Bevölkerung verunsicherte und verärgerte. Zum anderen gab die diskutierte und dann beschlossene Impfpflicht in Österreich den Ausschlag für großen Widerstand. Dieser war so groß, dass die Impfpflicht faktisch nie umgesetzt und durchgesetzt wurde.

Die 1,5 Prozent Widerstand reichten also aus, um letztlich die 10 Prozent der kritischen Masse zu erreichen, die die Impfpflicht verhindern konnten.

Auseinander gehen die Meinungen bei der Frage, ob die deutsche "Wiedervereinigung" das Ergebnis der kritischen Masse war. Auf der einen Seite scheinen die Menschen damals allein durch ihre Anzahl und die Konsequenz ihrer Forderungen den Umsturz der DDR-Führung erreicht zu haben. Das spricht für die Unterstellung einer kritischen Masse.

Auf der anderen Seite wäre diese Form des Umsturzes ohne die Unterstützung der Sowjetunion nicht möglich gewesen. Es gibt durchaus kluge Stimmen, die behaupten, dass die DDR-Führung die Proteste niederschmettern wollte und somit gewaltsam die Demonstrationen hätte beenden können. Doch die Führung in Moskau verhinderte das. Weiterhin schwierig für die Einordnung als kritische Masse ist die Tatsache, dass längst nicht alle Demonstrierenden tatsächlich einen vollständigen Umsturz wollten. Vielen ging es lediglich um Reformen, die ihnen mehr Freiheiten ermöglichen sollten.

Es wird deutlich, dass sich die kritische Masse nicht einfach zählen oder durch Ereignisse als solche bezeichnen lässt.

Die "1/3 – 1/3 – 1/3 Regel"

Bezogen auf die Zusammensetzung von Gruppen, aus denen sich eine kritische Masse ergeben kann, kann man von drei Ebenen sprechen:

  1. Die Detraktoren (die Beharrenden): Sie stehen für eine Abneigung gegenüber Veränderungen. Diese Gruppe von Menschen neigt dazu, sich die Lage schönzureden, es läuft doch alles ganz gut, ist ihr Tenor. Die Notwendigkeit für Veränderungen können sie nicht sehen. Sie verhalten sich defensiv, vorsichtig und sind oft auch ängstlich.
  2. Die Ambivalenten (die Indifferenten): Sie sind flexibel und schauen sich Entwicklungen genau an. Dabei orientieren sie sich an den Entscheidern und warten erst einmal ab, wohin die Reise geht. Gegenüber Veränderungen sind sie zwar skeptisch, bleiben aber offen, wenn die aufgezeigten Lösungen ihrer Meinung nach erfolgversprechend sind und für sie individuelle Vorteile bringen könnten. Für die Ambivalenten gilt zudem, dass sie sich an der folgenden Gruppe orientieren und genau darauf achten, wie diese sich verhält.
  3. Die Promotoren: Diese Gruppe ist nicht nur offen für Veränderung, sie fordert sie aktiv und ist sich sicher, dass sie notwendig ist. Zwar schaut auch sie kritisch und mit einer gewissen Skepsis auf die Veränderungsziele und die damit zusammenhängende Kommunikation. Doch wenn die Promotoren überzeugt sind, gehen sie den Weg der Veränderung nicht nur mit, sondern wollen ihn aktiv gestalten. Sie zeigen ein großes Maß an Selbstreflexionsfähigkeit und Mut.

Milchmädchenrechnung?

Laut einer aktuellen Umfrage könnten AfD und BSW zusammen auf ca. 50 Prozent der Stimmen bei den Wahlen im September in Thüringen kommen. Das ist aber kein Grund zum Frohlocken und nun die erfolgreiche kritische Masse auszurufen. Denn hinter dieser Zahl, die zudem aus Umfragen, nicht aus Wahlergebnissen hervorgeht, kann tatsächlich eine ganz andere stecken. Sie ist also eine Tendenz, mehr aber auch nicht.

Zudem ist die große Frage immer die nach der tatsächlichen Überzeugung. Im Anschluss an die Europa-Wahl wurde in den Medien oft kommentiert, das Ergebnis sei als ein Denkzettel zu verstehen. Diese Verharmlosung des Wählerprotestes greift sicher zu kurz, geht aber nicht völlig an der Realität vorbei. Denn wie auch die kommenden Landtagswahlen ausgehen werden (insbesondere im Osten Deutschlands ist das Widerstandspotenzial historisch höher), bei der nächsten Bundestagswahl im nächsten Jahr läuft es wohl auf eine Bundesregierung unter Führung der CDU hinaus. Diese wird mit einer anderen der heute in Verantwortung stehenden Parteien koalieren, und alles bleibt beim Alten oder wird sogar schlimmer. Hier zeichnet sich also eine weitere Tendenz ab, und die sieht nicht nach der Macht der kritischen Masse aus.

Die Wahrscheinlichkeit, dass die 50 Prozent der Umfragen zu einer Zusammenarbeit von AfD und BSW führen, kann zudem als gering eingeschätzt werden. Mohamed Ali vom BSW schloss eine solche ziemlich kategorisch aus, was argumentativ verwundert, denn sie sagte klar, dass sie sich mit den anderen Parteien durchaus Kooperationen vorstellen könne, wenn das Thema es hergebe. Derlei Pragmatismus ausschließlich bei der AfD auszuschließen, ist wenig schlüssig und zeigt, dass der politische Aufbau von Feindbildern und einer Art Kontaktverbot beim BSW greift.

Alis Andienen an die etablierten Parteien und die vehemente Ablehnung der AfD ist demzufolge das Ergebnis eines politischen Systems, das längst totalitäre Züge aufweist und mit Feinden militant umgeht. Der Grund könnte ein gewisser Respekt vor einer kritischen Masse sein. Es ist ja kein Zufall, dass insbesondere die AfD mit allen Mitteln bekämpft wird. Der Vorwurf, die Partei sei faschistisch, ist das schärfste Schwert, das die alten Parteien zu bieten haben, und auch wenn es nicht verfängt, wird es doch weiterverwendet.

Damit ist die Grenze zur Wählerbeschimpfung fürs Erste überschritten, doch es wird vermutlich noch schlimmer kommen. Keine kritische Masse ohne die entsprechende Anzahl von Leuten, und wenn die Wähler durch die Diffamierung der AfD nicht von ihrer Entscheidung abgehalten werden können, müssen sie selbst eben bekämpft werden. Vermutlich wird auf dem Weg zur Bundestagswahl, der über die Landtagswahlen führt, gegenüber AfD-Wählern noch mächtig Druck ausgeübt werden, und es wird abzuwarten sein, wie viele sich einschüchtern oder durch Erzählungen blenden lassen.

Kampf der Welten

Es liegt nahe, dass das Entstehen einer kritischen Masse von den Mächtigen nicht ohne Gegenwehr zur Kenntnis genommen wird. Und wir erleben ja schon seit Corona (davor in etwas abgeschwächter Form), dass der Kampf gegen Kritiker immer aggressiver und brutaler geführt wird. Zum Einsatz kommen Framing, Informationsüberflutung, Labeling, Stereotypisierung, Spaltung, Atomisierung der Gesellschaft, Diffamierung, Angst, Dämonisierung, Infantilisierung, Ausgrenzung, Stigmatisierung, Wiederholung und einseitige Perspektiven, und das alles, um das bestehende Machtgefüge zu erhalten.

Besonders perfide ist das sogenannte „Demokratiefördergesetz", das das genaue Gegenteil dessen verfolgt, was es vorgibt zu schützen. Denn gefördert werden durch die Bundesregierung im Zuge dieses Gesetzes NGOs, die vermeintlich rechtsextremes Gedankengut ausmachen und melden sollen. Man denke an das sich selbst als Recherchenetzwerk bezeichnende "Correctiv", das nicht nur sämtliche journalistischen Standards konsequent ignoriert, sondern mit Lügen und großflächig angelegten und staatlich unterstützten Kampagnen arbeitet. Die Zeit formuliert die aktuelle politische Praxis so:

"Dass das Recherchenetzwerk Correctiv, dessen Berichterstattung über das Potsdamer 'Geheimtreffen' nun als Grund für die Überfälligkeit des Demokratiefördergesetzes angeführt wird, selbst Empfänger von Geldern aus dem Bundestopf 'Demokratie leben' ist, scheint dabei Methode zu haben. Lisa Paus erklärte auf ihrer Pressekonferenz, eine aktuelle Studie einer anderen NGO, nämlich des Kompetenznetzwerks gegen Hass im Netz, habe ihr eindringlich vor Augen geführt, wie sehr diese Form von Hass zugenommen habe. Und siehe: Auch das Kompetenznetzwerk wird vom Familienministerium gefördert.

Das sieht nach einem weltanschaulich geschlossenen System aus, in dem NGOs und Regierung wie ein eingespieltes Team zusammenarbeiten."

Das Problem an diesem geschlossenen System ist nicht nur die Logistik und die Organisation, das eigentliche Übel sitzt beim Inhaltlichen. Denn inzwischen ist nicht mehr strafbar, was als justiziabel gilt, sondern das, was als falsch und rechtsextrem bezeichnet wird. Vergleichbar mit den "westlichen Werten", die niemals konkret ausbuchstabiert und schriftlich fixiert wurden, wird nach Machtgefüge und dem gerade aktuell größten Problem entschieden, wer was sagen oder nicht sagen oder tun darf. Der Autor der Zeit dazu:

"Hass ist hässlich, keine Frage – und die sozialen Medien haben ihn sichtbarer und hörbarer gemacht. Wer wäre nicht gegen Hass. Trotzdem ist Hass ein zu vager Begriff, um juristisch operationabel zu sein. Jeder politische Akteur empfindet die Anwürfe aus dem gegnerischen Lager als tendenziell hassgetrieben. Entsprechend hat jede NGO ihre eigenen Kriterien, was Hass, was Sexismus und was Rassismus ist. Ein skeptischer Blick auf die Migrationsströme wird vielerorts bereits als Rassismus, ein freundliches Wort über das Glück der Mutterschaft als Sexismus gewertet. Was wiederum vollkommen in Ordnung ist für eine Nichtregierungsorganisation, nicht jedoch für staatliche Organe. Der Staat soll das Recht durchsetzen, nicht über Einstellungen wachen."

Sind die 10 Prozent nur Fantasie?

Weite Teile der Wissenschaft sind sich einig, dass 10 Prozent einer Gruppe ausreichen können, um Veränderungen zu erreichen und dauerhaft zu installieren. Jeder Wert, der darunter liegt, macht Veränderungen zu einer zähen und wenig Erfolg versprechenden Angelegenheit.

Die oben genannten Beispiele der Wiedervereinigung und der Verhinderung der Impfpflicht können aber durchaus hoffen lassen. Wie man die Ereignisse unterm Strich auch bewerten mag, kann man doch davon ausgehen, dass die Gegenwehr der Menschen etwas bewirkt hat. Andere Aspekte mögen hinzugekommen sein, doch es scheint eine kritische Masse gegeben zu haben.

Letztlich wird der Kampf gegen den Totalitarismus noch viel härter werden in der nächsten Zeit. Und man wird sehen, ob die zunehmende Brutalität der Obrigkeit gegen die Menschen zu Einschüchterung und Resignation führen wird. Oder ob der Leidensdruck irgendwann ein Niveau erreichen wird, das den Widerstand einer kritischen Masse unausweichlich macht. Sollte Letzteres der Fall sein, wird ein Umsturz nicht zu verhindern sein. In der heutigen politischen Realität mag das Szenario unwahrscheinlich erscheinen, doch vielleicht belehrt uns die Zukunft eines Besseren.

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Bildquelle: jindo / shutterstock


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