Der Krieg in der Ukraine verschärft die Widersprüche im Wertewesten. Die demonstrierte Einigkeit und Geschlossenheit zerfallen unter dem Druck der unterschiedlichen Interessen. Besonders die EU muss sich immer mehr amerikanischem Vormachtstreben unterordnen.
Ein Kommentar von Rüdiger Rauls.
Mangelnde Konkurrenzfähigkeit
Trump will Amerika in alter Größe wiedererstehen lassen. In seiner ersten Amtszeit hatte er exportorientierten Staaten, die auf den riesigen US-Markt drängten, neue Handelsbedingungen abgepresst. Die Abkommen mit Mexiko und Kanada, aber auch mit anderen Staaten wie Südkorea waren zugunsten der US-Wirtschaft verändert worden. Auch die Europäer hatten sich besonders im Bereich der Auto- und Stahlindustrie neuen Bedingungen und Zöllen unterwerfen müssen, um weiterhin auf dem US-Markt vertreten sein zu können. Gegen chinesische Waren wurden Handelsschranken in Form von Zöllen errichtet, zum Teil wurde ihnen aus sogar aus Gründen der nationalen Sicherheit der Zugang zum US-Markt verweigert.
Was unter Trumps Präsidentschaft begonnen worden war, war von Biden nicht rückgängig gemacht worden. Auch er hielt die Zölle weitgehend aufrecht, weitete sogar die Sanktionen noch mehr aus. Trotz der unverbrüchlichen Freundschaft zwischen den USA und den Europäern wie auch den anderen Partnern im Rahmen der westlichen Wertegemeinschaft blieben auch die Zölle gegenüber diesen weiter bestehen. Warum sollte Biden auch die Vorteile, die sein Vorgänger gegenüber den Konkurrenten der US-Wirtschaft bereits erzielt hatte, grundlos aufgeben? Da geht es um materielle Werte, sonstige Werte wiegen da nicht so schwer.
An der internationalen Konkurrenzfähigkeit amerikanischer Produkte änderte sich aber wenig, sie ging weiterhin zurück, wie die Handelsbilanzen zeigen. Bereits unter der Trump’schen Zollpolitik waren die Verbraucherpreise in den USA ständig gestiegen. Unter Bidens Präsidentschaft kamen zu den Zöllen nun noch die Sanktionen gegen Russland hinzu. Die Sanktionsorgie der USA blieb nicht auf Russland beschränkt. Immer mehr Staaten und Geschäftszweige wie das internationale Bankenwesen gerieten in den Sog der anti-russischen Sanktionen.
Besonders die europäische und damit auch die deutsche Wirtschaft unterwarfen sich erheblichen Einschränkungen. Die gesamte Führung des politischen Westens fühlte sich im Sinne der gemeinsamen Werteorientierung im Kampf gegen Russland zu solchen Selbstbeschränkungen verpflichtet. Selbst die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines und die starke Verteuerung fossiler Energieträger, nicht zuletzt auch durch den Wertepartner USA, führten in Europa nicht zu einem Umdenken im Interesse der eigenen Wirtschaft und Bevölkerung.
Teure Sanktionen
Ganz anders die USA: Neben dem Bestreben, Russland eine strategische Niederlage beizubringen, zwangen sie die sogenannten Wertepartner, sich im Konflikt mit China immer stärker an die Seite der USA zu stellen und ihre Lieferketten neu zu gestalten. Unter dem Vorwand der nationalen Bedrohung wurden immer öfter chinesische Unternehmen mit Sanktionen belegt. Diese Sanktionen aber trafen nicht nur die Chinesen. Sie zwingen auch Unternehmen aus dem politischen Westen, ihre Geschäftsbeziehungen zum Land der Mitte einzuschränken.
Besonders Unternehmen der Chipindustrie drohen Sekundärsanktionen, wenn sie sich nicht an die US-Auflagen halten. Diese Umsatzausfälle der Unternehmen konnten nur selten durch neue Märkte wettgemacht werden. Umsätze, die in China ausfallen, fehlen in den Bilanzen der Unternehmen, denn kein anderes Land der Welt hat einen solch hohen Bedarf an Chips. Die tatsächlichen Umsätze der westlichen Unternehmen hinken den Möglichkeiten, die die Nachfrage bieten könnte, hinterher.
Als Folge des Lieferverbots geht nun China dazu über, immer mehr eigene fortschrittliche Produkte zu entwickeln. Der Abstand in der Entwicklung zwischen den westlichen und den chinesischen Unternehmen schmilzt. All diese Maßnahmen konnten trotzdem nicht verhindern, dass China in vielen Bereichen der modernen Industrie mittlerweile führend ist. Die Abhängigkeit des Westens von China wächst anstatt zu schrumpfen.
Um dieser zunehmenden Abhängigkeit entgegen zu treten, beschlossen die EU und auch die USA den Aufbau eigener Zukunftsindustrien zu fördern. Das taten sie aber nicht gemeinsam, wie man es von einem politischen Block mit gemeinsamen Werten hätte erwarten können. Sie förderten ihre Aufbaupläne getrennt von einander und in Konkurrenz zueinander. Mit Subventionen in Höhe von Hunderten von Milliarden versuchen sowohl die USA als auch die EU, Unternehmen in den eigenen Wirtschaftsräumen Investitionen schmackhaft zu machen. Dieser Subventionswettlauf führt zu einer neuerlichen Ausweitung der Verschuldung in den Staaten des politischen Westens.
Dabei liegt der Vorteil bei den USA. Sie verfügen über den größeren Markt und die höhere Finanzkraft Die Folge ist eine Deindustrialisierung Europas. Andererseits führt die Abwanderung europäischer Unternehmen nicht zu einer wesentlichen Verbesserung der amerikanischen Konkurrenzfähigkeit. Die chinesische Wirtschaft exportiert immer mehr. Die Handelsbilanz der westlichen Staaten gegenüber China rutscht immer tiefer in die Miesen, was bedeutet, dass die Exporterlöse der westlichen Unternehmen schwinden. Die Staaten des politischen Westens werden ärmer und China reicher.
Widersprüchlicher Trump
Nun will Donald Trump als neu gewählter Präsident der USA das Ruder herumreißen. Amerika soll wieder groß werden. Das hat aber schon in seiner ersten Amtszeit nicht so richtig geklappt trotz höherer Zölle auf die Importe der Konkurrenten der US-Unternehmen. Sie haben Amerika nicht größer gemacht, nur das Leben teurer. Denn in der Folge der Importzölle steigen die Verbraucherpreise, in der Sprache der Medien und sogenannten Experten als Inflation bezeichnet.
Trotzdem hat Trump den meisten amerikanischen Handelspartnern schon mit neuen oder höheren Zöllen gedroht, noch bevor er sein Amt angetreten hat. Richtig ist, dass Zölle theoretisch auch die Staatseinnahmen steigen lassen, worüber der chronisch unterfinanzierte US-Staatshaushalt mit seinen derzeit 2 Billionen Dollar Defizit saniert werden könnte. Gleichzeitig aber will er auch die Steuern senken, was wieder eine Verringerung der Staatseinnahmen bedeutet. Was also will Trump? Entlastung des Staatshaushalts oder Entlastung der amerikanischen Steuerzahler? Ob er sich über diesen Widerspruch selbst im Klaren ist?
Vermutlich erkennt er das Problem der defizitären Haushalte, die die Handlungsfähigkeit der amerikanischen Politik einschränken. Vielleicht erkennt er sogar auch, dass die amerikanische Staatsführung zunehmend am Tropf von geliehenem Geld hängt. Derzeit müssen für zehnjährige Staatsanleihen schon 4,8% Zinsen gezahlte werden. Wenn die Investoren an den Finanzmärkten diese nicht mehr kaufen, ist es schnell vorbei mit der amerikanischen Herrlichkeit.
Dann ist in den USA vieles nicht mehr im bisher gekannten Maße finanzierbar, und noch mehr Geld aus dem Haushalt müsste für die Bedienung der Schulden bereitgestellt werden, die sich derzeit auf bereits auf 36 Billionen Dollar belaufen. Das dürfte dann vermutlich auch Auswirkungen auf den amerikanischen Rüstungshaushalt haben oder aber die Absenkung des Lebensstandards in den USA bedeuten. Beide jedoch sind Säulen der amerikanischen Vorherrschaft.
Die Defizite müssen runter, will die USA nicht an Attraktivität verlieren bei den Käufern von amerikanischen Staatsanleihen. Ob Trump das erkennt, muss bezweifelt werden, wenn er einer unbegrenzten Aufnahme von Schulden das Wort redet. So schlug er noch kurz nach seiner Wiederwahl im Streit um die Anhebung der Verschuldungsgrenze vor, diese Beschränkungen vollkommen fallen zu lassen. Damit redete er einer unbegrenzten Kreditaufnahme das Wort. Wie ernst das zu nehmen ist, wird sich zeigen, wenn er im Amt ist. Aber auf jeden Fall deuten diese in sich sehr widersprüchlichen Aussagen auf ein hohes Maß an politischer Verwirrung oder aber Unverständnis über die wirtschaftlichen Zusammenhänge hin.
Die anderen zahlen
Klar scheint zu sein, dass Trump alles daran setzt, den Niedergang der amerikanischen Wirtschaft und Weltherrschaft aufzuhalten. Biden hatte dies versucht über die Steigerung der Ertragskraft des amerikanischen Wirtschaftsraums. Durch Subventionen veranlasste er amerikanische Unternehmen, vermehrt in den USA zu investieren statt in Übersee. Dazu dienten Förderprogramme wie der Chips-Act oder der Inflation Reduction Act (IRA), die auch ausländische Unternehmen zur Investition in den USA veranlassen sollten. Dabei hatte er es in erster Linie auf solche modernen Industrien abgesehen, in denen die Chinesen mittlerweile führend sind.
Trump scheint, einen anderen Weg einschlagen zu wollen und die Wiederauferstehung Amerikas zu alter Größe mit territorialer Ausdehnung in Verbindung zu bringen. Darauf deuten seine Pläne hin zur Vereinnahmung von Kanada, Grönland und dem Panamakanal. Welche Überlegungen dahinter stecken und wie ausgereift diese sind, ist schwer zu erkennen. Was er sich dabei denkt, ist derzeit noch vollkommen unklar. Dass ihn Partner und Verbündete dabei wenig interessieren, ist aber offensichtlich.
Vielleicht ist es aber auch seine Vorstellung von Größe, rücksichtslos handeln zu können, ohne sich durch die Interessen anderer behindern zu lassen. Jedenfalls wird immer deutlicher, dass das Erstarken der USA auf Kosten anderer gehen soll. Wen Trump nicht in das US-Staatsgebiet und damit unter die Kontrolle der amerikanischen Regierung bringen kann wie die Werte-Partner in Übersee oder sein Hauptfeind China, soll mehr zahlen, wenn er mit der „wunderbaren Wirtschaft“ der USA Geschäfte machen will, also höhere Zölle auf Importe.
Kanada und Grönland mit ihren Bodenschätzen und ihrer Wirtschaftskraft sollen Teil der USA werden und damit zum Wiederaufstieg des Landes beitragen, wohl aber auch im Interesse und zum Schutz der sogenannten freien Welt, wie Trump es darstellt. Panama soll auf Einnahmen verzichten zugunsten der amerikanischen Wirtschaft durch die Senkung der Gebühren für den Transport zwischen der Ost- und Westküste der USA. So kann man diese Ideen Trumps deuten, so lange nicht klarere Vorstellungen darüber geäußert werden oder das Handeln der neuen Regierung darüber Aufschluss geben, welche Pläne der neue Präsident hat und wie er sie umsetzen will.
Trumps Maßnahmen zielen gegen China, wie aus seinen Erklärungen immer wieder zu entnehmen ist. Die Kontrolle über Kanada, Grönland und den Panamakanal beinhalten auch die Kontrolle über Chinas Handelswege und damit dessen Warenströme. Zur Durchsetzung dieser Vorhaben hat er die Anwendung von Gewalt nicht ausgeschlossen. Das gilt sowohl für Gewalt in Form von Sanktionen als auch für den Einsatz von Militär. Nach anfänglicher Empörung der westlichen Wertepartner nehmen die Hinweise zu, dass man sich mal wieder trotz Groll im Bauch den USA unterwerfen wird.
Dänemark zeigt schon Bereitschaft, über Grönland mit den USA zu sprechen und die Europäer wollen mit ihm verhandeln, aber auch Stärke zeigen. Das kennt man schon im Verhältnis zu Russland. Auch in den Mainstreammedien wächst das Verständnis für Trumps Forderungen. Denn ehe man sich Russland und China unterwirft und damit die eigene Freiheit aufs Spiel setzt, unterwirft man sich lieber den USA, so das Denken des westlichen Führungspersonals. Aber Spannungen und Konflikte unter den Führungskräften wachsen trotzdem eben so wie das Unbehagen in Teilen der Bevölkerung.
Anmerkungen
Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Rüdiger Rauls ist Reprofotograf und Buchautor. Er betreibt den Blog Politische Analyse.
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Bildquelle: Jonah Elkowitz/ shutterstock
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