„Der Schmutzige Krieg gegen Syrien – Washington, Regime Change und Widerstand“

Warum dieses Buch für die deutsche Öffentlichkeit wichtig ist.

Ein Nachwort der Herausgeber dieses Buches: Jochen Mitschka und Hermann Ploppa.

„Ich möchte, wenn ich jetzt etwas schreibe, die Sachen wirklich gesehen haben. Ich war früher Richter und habe gelernt, dass wenn man nur die eine Seite hört, dass man dann immer ein Fehlurteil fällt. Und deswegen habe ich mit Assad gesprochen, aber ich wollte auch mit dem IS sprechen.“ – Jürgen Todenhöfer bei Markus Lanz https://www.youtube.com/watch?v=8jYlbv1EaYw (Minute 5:48 – 6:02)

Tim Anderson wollte nicht mit den Kopf abschneidenden Landsknechten vom IS sprechen.

Allerdings begab er sich mit einer australischen Delegation zum syrischen Staatspräsidenten Bashar al-Assad, um die Meinung jenes Mannes zu hören, der von westlichen Medien ganz schnell vom modernisierenden Hoffnungsträger zum Inbegriff alles Monströsen umgeschrieben worden war. Als Anderson sodann für den Sommer 2016 zu einem Syrien-Kongress nach Athen als Referent eingeladen wurde, fand sich rasch eine Gruppe von Personen, die auf die Konferenzleitung massiven Druck ausübte, Anderson wieder auszuladen. Vorgezeigt wurde das Bild, wie Anderson neben Assad sitzt anlässlich jener Audienz. Wie könne man einen Mann zu einer Syrienkonferenz einladen, der mit einem grausamen Monster (gemeint war Assad) spricht; mit einem Monster, das seine eigene Bevölkerung mit Giftgas massenhaft ermorden würde. Die Leiter der Konferenz bekamen es mit der Angst zu tun und luden Tim Anderson wieder aus.

Ob die perfiden Giftgasangriffe tatsächlich von den syrischen Streitkräften eingesetzt wurden, ist bis heute in keiner Weise erwiesen. Dieses Buch hat andere Deutungsmuster plausibel dargelegt. Giftgasangriffe dienen auch als hochgradig emotionalisierende Waffe im Propagandakrieg. Tim Andersons Gegner versuchten seine Reputation durch eine konstruierte Komplizenschaft mit einem angeblichen Massenmörder zu vernichten. Warum versucht man andere Erklärungsmuster als jene des westlichen Mainstreams zum Verstummen zu bringen? Wenn man seiner Sache so sicher ist, könnte man abweichende Meinungen doch zumindest anhören, und sie dann mit Logik und Fakten widerlegen.

Dieses Beispiel zeigt deutlich, auf was für ein niedriges Niveau die Diskussionskultur im angeblich so aufgeklärten „Westen“ herabgesunken ist. Ein Rückfall hinter die Grundsätze des antiken Römischen Reiches: „audiatur et altera pars“ – die andere Seite möge auch gehört werden. Es ist noch gar nicht so lange her, dass schiitische Geistliche einen Todesbann gegen den indischen Schriftsteller Salman Rushdie wegen dessen „Satanischer Verse“ ausgesprochen hatten. Die Situation war absurd: Muslimen war es verboten, die „Satanischen Verse“ zu lesen. Andererseits sollten sie sich mit Schaum vor dem Mund über dieses gemeine Buch erregen. Zu Recht haben wir damals im Westen den Kopf geschüttelt über diese Unmöglichkeit. Heute ist diese Unmöglichkeit Standard bei uns im „Westen“. Reihenweise werden Menschen überzogen mit Rufmord, die mit den neuen Monstern des Westens reden: mit Putin, mit dem venezolanischen Präsidenten Maduro, oder eben mit – Assad.

Genau das hat uns veranlasst, Andersons mutiges Buch auch dem deutschsprachigen Publikum zugänglich zu machen. Andersons Engagement für die Schwachen ist auch unsere Sache. Denn in Wirklichkeit ist Assad nämlich kein Monster, sondern ein waidwund geschossenes Opfer. Ein Mann, der keinen gut geölten und synchronisierten Propaganda-Apparat hinter sich weiß. Ein Mann, der keine flexiblen Denkfabriken als Berater auf seiner Seite weiß. Ein Mann, der bis vor einigen Jahren fest damit rechnete, sein Land in die westliche Ordnung einzubinden, und der nun noch gar nicht damit fertig werden kann, plötzlich im Fadenkreuz eben dieses Westens zu stehen, der ihn gerade eben noch gelobt und eingeladen hatte. Der beim Scheitern seiner Abwehr damit rechnen muss, wie Muammar al-Gaddafi auf der Straße erschlagen zu werden wie ein räudiger Hund.

Die Entmenschlichung des Kriegsgegners ist schon lange fester Bestandteil des westlichen Arsenals der Kriegspropaganda. Wer den Rang eines Mitmenschen abgesprochen bekommt, kann ohne moralische Bedenken erlegt werden. Und mit diesem entmenschten Individuum zu reden ist Todsünde. Wir dürfen uns niemals in dieser Weise auf die Dehumanisierung unserer Mitmenschen einlassen.

Und weil Assad seine Position nicht durch clevere Public-Relations-Agenturen in die westliche Öffentlichkeit einbringen kann, verbleiben nur eine Handvoll mutiger Einzelpersonen im Westen, die wenigstens Bröckchen einer anderen Sicht auf den Syrienkrieg einzubringen versuchen.
Das ist die Situation.

Es ist ja auch nicht so, dass Anderson oder wir davon ausgehen, dass es sich beim Assad-System um eine lupenreine Demokratie handelt. Es gibt in Syrien eine gespenstische Geheimpolizei, und es wird gefoltert. Nur: was richtet denn der Westen jetzt gerade in Syrien an? Die Zerstörung eines Gemeinwesens, Vernichtung des mühsam erarbeiteten Landfriedens, Vernichtung und Vertreibung der Intelligenz und Kultur, Rückfall in atavistische Stammeskriege. Zumindest uns fällt es nicht schwer zu erkennen, welches das kleinere Übel ist.

Hätte der Westen den Arabischen Frühling nicht so massiv durch gedungene Landsknechte beiseite gedrückt und niedergeschlagen, hätte sich das System Assad wahrscheinlich von selber für die Transformation geöffnet. Anderson beschreibt auch dieses Stadium der Umwandlung und die zerstörten Potentiale. Assad hatte quasi die Macht in Syrien von seinem Vater „geerbt“ und wusste zunächst nicht damit umzugehen, dass immer mehr seiner Bürger mitreden und mitentscheiden wollten. Dabei war genau dieser Wunsch nach Partizipation ein Ergebnis der Politik Syriens über Jahrzehnte. Das Bildungssystem in Syrien ist vorbildlich, wie aktuell das industrienahe Institut der Wirtschaft zu betonen weiß. Wie in vielen anderen Schwellenländern auch, ist in Syrien ein neuer gebildeter und relativ wohlhabender Mittelstand herangereift, und die Jugend hat wesentlich mehr Bildung genossen als frühere heranreifende Generationen. Das sind die klassischen Transformationsprobleme dieser Schwellenländer. Diese neuen Mitbürger lassen sich eben nicht mehr abspeisen mit Gehorsam und Kritiklosigkeit.

In dieser Situation wurde Syrien ein Opfer seines eigenen Erfolges. Syrien ist nämlich eines der letzten Exemplare der einstmals so zahlreichen postkolonialen Nationalstaaten. Diese konnten sich nach ihrer Unabhängigkeitserklärung in den meisten Fällen nicht durch eine ethnische Homogenität definieren, denn sie lebten in jenen Grenzen, die die Kolonialherren dereinst zu ziehen geruhten. Das Bindemittel wurde der Glaube an die Nation. Das beinhaltete: absolute Gleichberechtigung aller Völker, Kulturen und Religionen innerhalb der Staatsgrenzen. Der Staat ist in Glaubensfragen neutral: er ist säkular. Der Glaube an die Nation sollte bei diesen Staaten belohnt werden durch einen kontinuierlichen Anstieg der Lebensqualität und durch ein hohes Ansehen des Nationalstaats in der ganzen Welt. Das beinhaltete, dass die Kräfte der Nation mit durchaus autoritären Mitteln gebündelt wurden, zum Wohle aller, wie man sagte. Die Mittel des Staates gingen in Bildung, Gesundheit, öffentliche Versorgung und in die Importsubstitution. Das heißt: teure Importgüter sollten durch einheimische Produkte ersetzt werden. Man wollte unabhängig werden von ausländischen Mächten und Konzernen.

Bereits in den 1960er Jahren begann durch den an der Universität von Chicago entwickelten Marktradikalismus der Friedman-Schule ein äußerst brutaler Angriff auf die Versuche der Drittweltländer, selber ihr Schicksal zu bestimmen. In Indonesien, Ghana, Brasilien, Chile, Argentinien und Uruguay wurden die rechtmäßigen Regierungen gestürzt und faschistische Schock-Regime eingesetzt, die diese Länder zu enthaupteten Werkbänken, Schuldnern und Konsumenten der globalen Konzerne degradierten. Naomi Klein hat diese Vorgänge in ihrem leider immer noch skandalös unbekannten Grundlagenwerk „Die Schock-Strategie“ akribisch belegt.

Blieben bei dieser ersten Schockwelle zumindest die Nationalstaaten in ihrem rudimentären Gefüge noch erhalten, so brachte nun die nächste Schockwelle die vollständige Zerstörung jeder staatlichen Struktur. Afghanistan ist nach nun fast vier Jahrzehnten Dauerkrieg zerbrochen in Einflusszonen in den Händen von Warlords. Beispielhaft für viele dieser von außen zerstörten Nationalstaaten seien der Kürze halber noch genannt: Kongo, Mali, Sudan, Irak, Libyen oder Jemen.

Und jetzt ist Syrien an der Reihe. Syrien war in vielerlei Hinsicht ein Musterland: nicht nur Bildung und Gesundheit, öffentliche Versorgung und öffentlicher Wohnungsbau sind vorbildlich organisiert. Und: Syrien hatte keinerlei Auslandsschulden!

Wenn wir im Westen so hochnäsig den „Menschen da unten“ Lektionen erteilen wollen darüber, was Demokratie ausmacht: darüber können jene Mitmenschen nur müde lächeln. Ist es denn ein Zeichen von Mitbestimmung, wenn man alle vier Jahre sein Kreuz in einer Multiple-Choice-Befragung darüber macht, wer uns regieren soll? Was ist das für eine Demokratie, in der die Menschen auf vorbereitete Optionsmenüs nur mit „ja“ oder „nein“ antworten dürfen? Es gab durchaus, bevor der Westen so richtig blutrünstig den anderen Völkern ihre Sicht der Dinge beizuprügeln begann, funktionierende Modelle einer echten Demokratie. Genannt sei hier nur das Konzept der dörflichen Basisdemokratie des Ujamaa in Tansania, wie es dessen Staatspräsident Dr. Julius Nyerere systematisiert hatte. Oder das Genossenschaftsmodell in Jugoslawien.

Durch diese Brille sehen die Dinge schon ganz anders aus. Der Angriff auf Syrien ist ein Angriff auf einen der letzten klassischen Nationalstaaten. Der Staat droht zu zerbrechen. Die Menschen sind nach fünf Jahren Nervenstress, Verletzung und Unsicherheit am Ende. Viele schicken ihre Männer nach Deutschland, damit diese dort schon einmal Fuß fassen und dann ihre Lieben auch ins gelobte Deutschland holen.

Das ist keine Lösung. Das ist eine Katastrophe. In Syrien wird jede Hand und jedes Hirn gebraucht für einen raschen Wiederaufbau des Landes. Ein Wiederaufbau, den nicht die Zerstörer aus dem Westen bestimmen dürfen.

Wir müssen konstruktiv nach vorne denken. Wie könnte ein Wiederaufbau vonstattengehen? Der erste Schritt ist logisch: Verbot der Waffenexporte. Hier sind auch wir in Deutschland in der Pflicht, denn wie Jürgen Grässlin immer wieder deutlich macht: die schlimmsten Verwundungen in der Dritten Welt werden mit Kleinwaffen angerichtet. Und die stammen oftmals von Heckler & Koch aus Deutschland. Der zweite Schritt, nach einer politischen Befriedung besteht darin, eine Art von Marshallplan auf den Weg zu bringen. Diesmal nicht paternalistisch angeleitet von den Westmächten, sondern von blockfreien Staaten, die in der Region keine handfesten Interessen haben. Das erforderliche Geld wird herangezogen aus Wiedergutmachungsleistungen der Rüstungskonzerne, die so wunderbar an dem Schlamassel verdient haben. Das Geld wird treuhänderisch von der Entwicklungsbank der BRICS-Staaten kontrolliert.

Und Assad? Die Schlüsselfrage ist nicht, ob für eine erfolgreiche Transformation und Modernisierung des syrischen Nationalstaats die Ablösung Assads unverzichtbar notwendig sei. Bislang hat sich das syrische Volk in freien Wahlen dafür ausgesprochen, dass Assad ihr Präsident sein soll. Das hat ja auch etwas zu tun mit dem Wunsch des Volkes nach Kontinuität. Es ist wahrscheinlich gar nicht so verkehrt, wenn nicht westliche Konsortien bestimmen, wer Syrien fürderhin regieren soll, sondern vielleicht sogar am Ende das syrische Volk?

Kontakt: Hermann Ploppa. liepsenverlag@gmail.com

 

 

Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Artikels.

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