Der Antisemitismusvorwurf – eine schlagkräftige Waffe

Von Annette Groth.

Der Vorwurf des Antisemitismus hat sich zu einer schlagkräftigen Waffe entwickelt. Es wird gehetzt gegen alles, was dem herrschenden Mainstream in der Nahostfrage entgegensteht.

Seit kurzem stehen auch die NachDenkSeiten unter Antisemitismusverdacht.

Am 7.12.2018 haben Tom Uhlig und Volker Koehnen auf dem Online-Medium „Belltower News“ einen Artikel mit dem Titel „Antisemitismus von links – Die verkürzte „Neoliberalismuskritik“ der „NachDenkSeiten“ veröffentlicht. Die „Belltower News“ werden von der Amadeu Antonio Stiftung (AAS) getragen, die seit 2010 mit über 3 Millionen Euro von der Bundesregierung unterstützt wird.

Die Kritik am Neoliberalismus setzen Uhlig und Koehnen mit Antisemitismus gleich, was schon ungeheuerlich ist, aber ihre wahre Absicht zeigt: Der Neoliberalismus ist gut, jegliche Kritik daran schlecht und wenn das mit dem Antisemitismusvorwurf legitimiert wird, erhält diese Gleichsetzung mehr Schlagkraft. So wird die Kritik an „politische(n) oder gesellschaftliche(n) Missstände – mit Vorliebe: Israel oder „Finanzhaie“ auf alle Akteure ausgeweitet, egal ob links oder rechts: „Das verbindet sie alle, von AfD, PEGIDA und Erika Steinbach bis hin zu „aufstehen“ und den NachDenkSeiten: ihre auf den ersten Blick naive, in Wahrheit aber perfide Art, Antisemitismus auf die Person des Juden oder der Jüdin zu reduzieren“.

Die Redaktion der NachDenkSeiten hat dazu am 12.12. 2018 eine lesenswerte Replik verfasst, komplementiert mit einer Analyse von Jens Berger vom 13. Dezember 2018 mit dem Titel „Wenn aus dem Antisemitismusvorwurf Willkür wird“:

„Die Amadeu Antonio Stiftung unterstellt den NachDenkSeiten Antisemitismus. Das ist absurd, das ist infam. Genau so absurd und infam sind dabei die Mittel, derer die beiden verantwortlichen Autoren sich bedienen. Man instrumentalisiert den schweren Vorwurf des Antisemitismus, um sich Deutungshoheit für bestimmte Debatten zu verschaffen. Dabei stellt sich die Frage, ob am Ende des Tages die kalkulierte und vorsätzlich in Kauf genommene Relativierung des Antisemitismus durch die Amadeu Antonio Stiftung dem echten Antisemitismus nicht sogar Vorschub leistet. Denn wenn der Antisemitismusvorwurf zur Willkür wird, nutzt dies vor allem den Antisemiten.“

Das ist auch die Auffassung meiner jüdischen Freundin Judith Bernstein aus München, die einen zunehmenden Antisemitismus befürchtet, wenn aufgrund von Denunziationen Veranstaltungen abgesagt werden, die sich mit den Menschenrechtsverletzungen in Palästina und in Israel auseinandersetzen. Judith Bernstein, Mitbegründerin von Salam Shalom, einer palästinensisch-jüdischen Dialoggruppe, die sich für Frieden und Gerechtigkeit im Nahen Osten einsetzt, hat als „Strafe“ für ihr Engagement Auftrittsverbot in kommunalen Einrichtungen in München. „Ich könnte Ihnen noch viele Beispiele nennen, bei denen sowohl mein Mann und ich als auch die Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe diffamiert und regelrecht bekämpft wurden. Mittlerweile wird uns der Zugang zu städtischen und sogar zu Privaträumen untersagt“. (J. Bernstein in einem Vortrag an der Ev. Akademie Bad Boll)

Die Causa Andreas Zumach

Einzigartig in der langen Reihe der Auftrittsverbote ist die Causa Zumach. Aufgrund einer Denunziation eines einzelnen Mitglieds der jüdischen Gemeinde in Karlsruhe hat der zuständige Stadtdekan der Ev. Kirche einen im Dezember geplanten Vortrag von Andreas Zumach, renommierter Journalist und TAZ-Korrespondent in Genf, abgesagt. Grund: der christlich-jüdische Dialog könnte durch den Vortrag zum Thema „Israels wahre Feinde und Freunde“ gestört werden. Zwar hagelte es bundesweite Kritik an dem Beschluss, aber selbst der Bischof der Badischen Landeskirche stellte sich hinter den Stadtdekan und bekräftigte die Entscheidung, Zumach nicht in einem kirchlichen Raum auftreten zu lassen. Kurzfristig wurde für Zumachs Vortrag ein anderer Veranstaltungsort gefunden, wo er seinen Vortrag halten konnte. Zumach in Verbindung mit Antisemitismus zu bringen, ist ähnlich absurd wie bei den NachDenkSeiten.

Dieser „Vorfall“ macht aber deutlich, dass der Antisemitismusvorwurf auch bei Kirchenvertretern greift und seine Wirkung entfaltet.Dieselbe Wirkung stellen wir leider auch bei Professoren oder Universitätsleitungen, bei Vertretern kommunaler Behörden und/oder Kulturzentren fest, wenn Referenten oder Musikbands auftreten, die sich kritisch zu der israelischen Besatzungspolitik äußern. Die Liste von ver- oder behinderten Veranstaltungen ist lang, die Drohungen gegen Veranstalter, die entsprechende Auftritte in ihren Räumen zulassen, ist beängstigend.

BDS und BDS Unterstützer als Parias

Bundesweit wurde die Ein- und Ausladung von den Young Fathers, einer Musikband aus Schottland, zu den Ruhrtriennale bekannt. Aufgrund ihrer Unterstützung für die BDS-Kampagne (Boykott, Desinvestment, Sanktionen) hat die Ruhrtriennale-Intendantin Stefanie Carp die Band ausgeladen: „Bedauerlicherweise haben sich die Young Fathers nicht von BDS distanziert. Wir schlussfolgern daraus ausdrücklich nicht, dass die Band antisemitisch sei und es ist mir in diesem Zusammenhang wichtig zu betonen, dass Kritik an der Politik der derzeitigen israelischen Regierung nicht per se mit Antisemitismus gleichzusetzen ist. Die Ruhrtriennale distanziert sich hingegen in aller Form von der BDS-Bewegung und möchte mit der Kampagne in keinerlei Verbindung stehen. Deshalb haben wir entschieden, das Konzert ausfallen zu lassen“.

Vermutlich hat die Kritik vieler Kulturschaffender an der Absage des Konzerts die Ruhrtriennale-Intendantin zu einer erneuten Einladung an die Band veranlasst. Aber dann schlugen die Young Fathers ihrerseits die Einladung aus.

Dass die BDS-Kampagne antisemitisch ist – seit einiger Zeit „Medien-Sprech“ – ist genauso unsinnig wie der Antisemitismusvorwurf gegen Zumach oder die NachDenkSeiten. Judith Bernstein, eine BDS-Befürworterin, kommentiert das in einem Vortrag folgendermaßen:

„Warum lernen wir nicht von den Palästinensern? Nachdem ihr jahrzehntelanges Bemühen, zu einer friedlichen Lösung mit Israel zu kommen, gescheitert ist, haben sie sich für den gewaltfreien Widerstand entschieden. Dass die BDS-Kampagne mit vielen Widerständen und vor allem mit dem Vorwurf des Antisemitismus bekämpft wird, hat sie nicht eingeschüchtert. Auch nicht die Tatsache, dass behauptet wird, diese Kampagne richte sich gegen Israel. Allein dieser Vorwurf ist absurd, denn warum sollte sie die Gleichberechtigung der palästinensischen Bevölkerung in Israel verlangen, wenn sie diesen Staat weghaben will? Es ist doch eher die israelische Regierung mit ihren neuen Gesetzen, wie das Nationalstaatsgesetz, das den eigenen Staat gefährdet. Im Übrigen, zu diesem Gesetz haben die Israelunterstützer in Deutschland bisher geschwiegen. Dieses Gesetz ist nur die Legalisierung der Praxis, die seit Gründung des Staates herrscht – die palästinensische Bevölkerung nicht als ebenbürtig zu betrachten. Es ist doch sehr perfide, wenn die Forderung nach fundamentalen Menschenrechten der Palästinenser mit Antisemitismus gleichgesetzt wird.“ (J.Bernstein in einem Vortrag an der Ev. Akademie Bad Boll)

Da die israelische Regierung BDS als „strategische Bedrohung“ ansieht, wird mit Hass- und Rufmordkampagnen gegen Menschen und Organisationen gehetzt, die die BDS-Bewegung unterstützen oder ihr nahe stehen. In diversen Anträgen, die im Bundestag und von einigen Landesparlamenten verabschiedet wurden, wird BDS als antisemitisch bezeichnet, somit werden auch BDS-Unterstützer als antisemitisch gebrandmarkt. Mit diesem „Brandmal“ sind sie Paria, jegliche Veranstaltungen mit ihnen gehören verboten.

Im Juli 2018 verurteilten über dreißig jüdische Organisationen aus aller Welt die „gezielten Angriffe gegen Organisationen, die die Rechte der Palästinenser*innen im Allgemeinen und die gewaltfreie Boykott-, Desinvestitionen- und Sanktionsbewegung (BDS) im Besonderen unterstützen“: „Diese Angriffe erfolgen allzu oft in Form von zynischen und falschen Antisemitismusvorwürfen, die auf eine gefährliche Art und Weise den antijüdischen Rassismus mit dem Widerstand gegen die israelische Besatzungs- und Apartheidpolitik gleichsetzen….“

Auch die Holocaust-Überlebende Esther Bejarano, Mitglied im Auschwitz-Orchester, unterstützt BDS. Für ihre harsche Kritik an der israelischen Besatzungspolitik – sie brandmarkt die Regierung Nethanjahus als „faschistisch“ (“They are fascists. It is a fascist government. I have no other name for it.”) – wurde Bejanaro auch schon als Antisemitin beschimpft.

Eine beachtliche Zahl großer US-amerikanischer Kirchen unterstützen ebenfalls die BDS-Kampagne. Dazu gehören die Episcopal Church, Presbyterian Church, Quäker, Disciples of Christ, United Church of Christ (Partnerkirche vieler unierter deutscher Landeskirchen!), Mennoniten, Alliance of Baptists, Unitarier, Catholic Conference usw.

Dass Israel selbst seit langer Zeit einen akademischen und ökonomischen Boykott betreibt, wird in den Mainstream Medien verschwiegen. So wurde der Schriftstellerin Susan Abulhawa (“Während die Welt schlief”) mit ihrem US-amerikanischen Pass die Einreise nach Israel verweigert, wie auch dem jüdischen US-amerikanischen Publizisten Peter Beinart, dem Leiter einer Pax Christi-Reise gruppe aus Deutschland, Vertretern des Ökumenischen Rates der Kirchen, die an einer Umwelt-Konferenz in Bethlehem teilnehmen wollten; die Liste ist weitaus länger.

Palästinensern, die in Gaza leben, wird die Ausreise verweigert, Politikern und UN-Vertretern wurde die Einreise nach Gaza verweigert. Seit mehr als zehn Jahren praktiziert Israel einen ökonomischen Boykott gegen die Bevölkerung im Gazastreifen.

DIE LINKE im Europaparlament distanziert sich von BDS

Bitter für etliche Mitglieder der Linken, insbes. für die Mitglieder des Bundesarbeitskreises „Gerechter Frieden für Nahost“ sowie für die entsprechenden Landesarbeitskreise und für viele Solidaritätsgruppen ist die klare Distanzierung der Abgeordneten der Linken im Europaparlament von BDS. Andere Delegationen von linken Parteien, die in der GUE/NGL-Fraktion zusammengeschlossen sind, haben am 4. Dezember 2018 eine Veranstaltung „Boycott, divestment, and sanctions to Israel: achievements and challenges“ organisiert. Der Hauptredner war Omar Barghouti, Mitbegründer der BDS Kampagne. In einer Pressemitteilung erklärten die sieben deutschen Abgeordneten:

„Der für den 4. Dezember 2018 durch die von der GUE/NGL-Fraktion im Europaparlament geplanten Veranstaltung „Boycott, divestment, and sanctions to Israel: achievements and challenges“ stimmen wir nicht zu. Unsere ablehnende Haltung zu dieser Veranstaltung haben wir deutlich in den Fraktionsgremien vertreten. Die Abgeordneten der DIE LINKE im Europäischen Parlament werden sich nicht an der Veranstaltung beteiligen. Die Kampagne Boycott, Divestment, and Sanctions (BDS) distanziert sich nicht von antisemitischen Argumentationen, Methoden und Organisationen sowie der Infragestellung des Existenzrechts Israels. Wir lehnen daher jegliche Zusammenarbeit mit der BDS-Kampagne ab. Wir halten es darüber hinaus für inakzeptabel, dass mit Omar Barghouti ein BDS-Vertreter auf dieser Veranstaltung das Wort ergreifen wird, der öffentlich das Existenzrecht Israels in Frage stellt. Dies entspricht in keiner Weise der Position unserer Partei, die eine friedliche Lösung des Nahostkonflikts auf Grundlage einer Zwei-Staaten-Lösung befürwortet.“

Im allgemeinen ist zu beobachten, dass Die Linke das Thema Nahost und Antisemitismus am liebsten totschweigt, um die großen Differenzen, die es innerhalb der Partei dazu gibt, nicht offen auszutragen. Damit macht sich die Partei stillschweigend zur Komplizin Antideutscher Kräfte, die auch schon mal Israel Fahnen auf Parteitagen tragen. Es ist dann nicht überraschend, dass auf dem letzten Parteitag der Linken in Bayern im November 2018 ein Antrag der Linksjugend Solid „Solidarität mit Israel“ eingebracht wurde. Nun muss sich der Landesvorstand damit befassen.

Erfolg vor dem Oldenburger Verwaltungsgericht

Zum 70. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hat das Verwaltungsgericht Oldenburg ein bedeutendes Urteil gefällt: Das Grundrecht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit schützt die Menschenrechtsarbeit der BDS-Bewegung. Der Grund für dieses bahnbrechende Urteil war eine für Mai 2016 geplante Veranstaltung der BDS-Initiative Oldenburg zum Thema „BDS – die palästinensische Menschenrechtskampagne stellt sich vor”, die von der Stadt Oldenburg durch Raumentzug verhindert worden ist. Am 27. September 2018 urteilte das Verwaltungsgericht Oldenburg, dass die Aufhebung des Überlassungsvertrages im städtischen Veranstaltungszentrum PFL seitens der Stadt rechtswidrig war (Aktenzeichen 3 A 3012/16).

Knapp zwei Monate später legte das Verwaltungsgericht die schriftliche Urteilsbegründung im Umfang von 20 Seiten vor. Das Gericht stellt fest, dass die Stadt Oldenburg das Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit schwerwiegend verletzt habe. Hetze und Fehlinformationen durch Dritte hätten zur Kündigung der Räumlichkeiten im städtischen PFL Veranstaltungszentrum geführt (siehe Urteilsbegründung S. 11-14). Bei zukünftigen Vermietungen muss die Stadt Oldenburg das Grundrecht auf Versammlungs-, Meinungs- sowie der Allgemeinen Gleichbehandlung der BDS-Initiative schützen, warnte das Gericht ausdrücklich im Schluss des Urteilstextes.

Entfernung des Eintrags der Palästinensischen Gemeinde e.V. und des Palästinakomitees Stuttgart von der offiziellen Webseite mit ca. 7.400 Einträgen der Landeshauptstadt Stuttgart

Dieser Vorfall ist bisher in Deutschland einmalig und schafft einen Präzedenzfall. Darum wird alles versucht, diese Streichung rückgängig zu machen. Wir befürchten, dass andere dem Beispiel der Stadt Stuttgart folgend ebenso die Streichung irgendwelcher kurdischen Vereine, denen Nähe zur PKK oder anderen Organisationen vorgeworfen wird oder anderen missliebigen politischen Gruppierungen verlangen könnte.

Was hat die weltoffene Landeshauptstadt Stuttgart zu diesem hanebüchenen Schritt bewogen?

Auch hier war BDS der Grund. Auf der Webseite des Palästinakomitees Stuttgart gibt es einen Link zu BDS, der allerdings schon vor dem Eintrag 2013 in die offizielle Webseite der Stadt Stuttgart vorhanden war. Damals spielte das keine Rolle. Anträge auf Neuaufnahme werden auf „rassistische, sexistische, religiöse und politische Inhalte“ geprüft und aus den Angaben des gemeinnützigen Vereins habe sich kein Verdacht ergeben, so ein Vertreter der Stadt.

Die Kampagne gegen das Palästinakomitee initiierte Benjamin Weinthal, Europakorrespondent der israelischen Zeitung Jerusalem Post, gemeinsam mit Vertretern der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) in der Region Stuttgart. Weinthal behauptet, dass das Palästinakomitee Boykott-Maßnahmen gegen Israel vertrete. Zuerst wurde die Forderung nach Streichung abgewiesen, weil eine Nachfrage bei der Polizei ergab, dass das Stuttgarter Palästinakomitee bisher „nicht durch strafrechtlich relevante Aktionen in Erscheinung getreten sei“. Aber Weinthal ließ nicht locker und verstärkte seine Kampagne im Netz.

Daraufhin prüfte die Stadt nochmals die Homepage des Palästinakomitees und kam zu folgendem Ergebnis: „Der Verein stellt auf seiner Webseite Material zu Boykott-Maßnahmen gegenüber Israel bereit“, so der Stadtsprecher Matis . Das Palästinakomitee sei „selbst presserechtlich verantwortlich für ein Flugblatt, das über BDS informiert. Deshalb hat die Stadt den Eintrag entfernt.“

Es ist ein absolutes Armutszeugnis, dass eine weltoffene Stadt den Drohungen eines Journalisten nachgibt, der auch Mitarbeiter der Foundation for Defense of Democracies ist, ein neokonservativer US-amerikanischen Think Tank und offensichtlich in die israelische Lobbyarbeit eingebunden ist.

Benjamin Weinthal ist für seine denunziatorischen Artikel bekannt. Er startete eine aggressive Pressekampagne, als der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann dem lutherischen Pfarrer von Bethlehem Mitri Raheb im April 2017 30.000 € für die Förderung von Solar-Energie übergab.

Sogar der Antisemitismusbeauftragten des Landes Baden-Württemberg, Dr. Michael Blume, sieht sich dem Druck von Weinthal ausgesetzt, wie Blume auf seinem Blog öffentlich machte. Es ist völlig unverständlich, dass Weinthal so bei der Stadt Stuttgart so viel Gehör findet und das Palästinakomitee mit samt der Palästinensischen Gemeinde e.V. von der Webseite entfernt.

Brief Nethanjahus an die Bundesregierung

Der bisherige Höhepunkt der Einmischung der israelischen Regierung in innerdeutsche Angelegenheiten ist ein Brief Nethanjahus an die Bundesregierung. So meldete die TAZ am 5.12.: „Die Bundesregierung ist aus Israel aufgefordert worden, die Unterstützung für Dutzende Menschenrechtsorganisationen in Israel und den palästinensischen Gebieten grundsätzlich zu überdenken. Die Bundesregierung müsse „eine Überprüfung ihrer Finanzierungsrichtlinien” vornehmen, heißt es in einem Schreiben an die Regierung, das der TAZ vorliegt.”

„Die deutsche Förderung von Nichtregierungsorganisationen, die in die inneren Angelegenheiten Israels eingreifen oder Anti-Israel-Aktivitäten fördern, ist einzigartig“, heißt es in dem siebenseitigen Schreiben. So widerspreche etwa die Förderung des Magazins +972 durch die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung israelischen Interessen. Denn „die Autoren beschuldigen Israel regelmäßig der Apartheid“.

Das evangelische Hilfswerk Brot für die Welt fördere Initiativen wie Coalition of Women for Peace, die Boykottkampagnen gegen Israel unterstützten. Auch die Linken-nahe Rosa-Luxemburg-Stiftung, das katholische Hilfswerk Misereor sowie die Hilfsorganisationen Medico International und Kurve Wustrow sind von der Beschwerde betroffen. Aufgelistet sind auch Förderprogramme des Entwicklungsministeriums und des Auswärtigen Amts.

Neben politischen Stiftungen, kirchlichen Hilfsorganisationen und ihren Partnern in Israel und Palästina betrifft die Beschwerde auch „Anti-Israel-Aktivitäten” des Jüdischen Museums in Berlin sowie die deutsche Förderung von Filmen von vermeintlichen Unterstützern der Boykottbewegung BDS. Daraufhin erklärte eine Sprecherin des Jüdische Museum: „Wir sind der Überzeugung, dass eine offene Diskussion unter Einbeziehung teils auch kontroverser Sichtweisen unabdinglich ist, um unseren Besucher*innen zu ermöglichen, sich ein eigenes, differenziertes Urteil zu bilden.“ (siehe zu diesem Thema auch)

Man kann gespannt sein, wie die Bundesregierung auf diese haltlosen Vorwürfe reagieren wird und ob die beschuldigten Organisationen ihren Partner in Palästina und in Israel nun die Mittel kürzen. Dies käme einer absoluten Bankrotterklärung gleich und würde sicherlich die Sektkorken bei den israelischen Regierungsvertretern knallen lassen.

Es bedeutete allerdings aber auch einen Sieg reaktionärer Lobbyisten eines Staates, der seit Jahrzehnten die Menschenrechte und das Völkerrecht mit Füßen tritt. Andersherum wäre das auch für alle eine Niederlage, die gegen die Besatzung und für Menschenrechte und Gerechtigkeit kämpfen.

Es ist höchste Zeit, dass der Antisemitismusvorwurf als „Herrschaftsinstrument“, wie Moshe Zuckermann es nennt, entlarvt wird. Es darf nicht sein, dass Kirchenvertreter, Uniprofessoren, Vertreter kommunaler Behörden und Kulturzentren etc. vor der Antisemitismus-Keule einknicken, die doch auf etwas ganz anderes abzielt: die Bekämpfung aller progressiven Diskurse. Der Kampf gegen den wahren Antisemitismus muss anders geführt werden.

Der Dämmerschlaf der Linken und die Lückenpresse

Die Meldung vom 11.2018 dass Elbit, eines der größten israelischen Rüstungsunternehmen, den Auftrag zur Überwachung der europäischen Küsten erhielt, habe ich nur bei Russian Today gelesen. Auch in der erhitzten Debatte innerhalb der Linken über „Offene Grenzen“ gab es nicht einen Hinweis auf diese skandalöse Entscheidung.

Das israelische Unternehmen Elbit Systems Ltd. hat einen Zweijahresvertrag von der Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) erhalten, um mit Drohnen die europäischen Küsten vor “illegalen Migranten” zu beschützen. Aufgrund der israelischen Totalüberwachung des Gazastreifens scheint ELBIT, das dafür 59 Millionen Euro erhält, sich für diese Aufgabe qualifiziert zu haben.

„Laut Vertrag soll das Rüstungsunternehmen mit dem “Langstreckenüberwachungssystem” Hermes 900 Maritime Patrol das Mittelmeer und europäische Küsten im Auftrag von EMSA überwachen. Natürlich sind die “illegalen Migranten” das Ziel dieser Überwachung, die von Afrika aus über das Meer nach Europa gelangen. Ausgestattet mit modernstem elektronischen Equipment, sollen die Hermes-Drohnen Boote mit Migranten aufspüren und die Daten an EMSA übermitteln, welche diese wiederum an die in dem betreffenden Gebiet patrouillierenden Marineschiffe weiterleitet. So sollen die Menschen darin gehindert werden, europäischen Boden zu erreichen und den mühsamen Asylprozess anzutreten.“ (siehe dazu auch)

Geplantes “Sicherheitscamp” der “International Security Academy – Israel” in Österreich

Analog zu der „Sicherheitsdoktrin“, die sich bei uns u.a. in verschärften Polizeigesetzen manifestiert, will der private Sicherheitsdienst “International Security Academy – Israel” (kurz ISA – Israel) in der südsteirischen Stadtgemeinde Mureck ein „Sicherheitscamp” eröffnen.

ISA –Israel wurde 1987 von Mirca David, einem hohen Offizier des israelischen Geheimdienst gegründet und unterhält bereits “Sicherheitscamps” in der Schweiz und Spanien.(1) (2) (3)

In diesen Camps werden Zivilpersonen in einem eigenen “First Responder-Ausbildungsprogramm” in Selbstschutztechniken trainiert, wozu auch der Umgang mit Kleinwaffen und Schießtrainings gehören. Als ideologische Basis des Geschäftsmodells wird angegeben, dass “die Welt von Tag zu Tag gefährlicher wird” und daher “primär die Zivilbevölkerung Europas besser auf die ‘modernen’ Katastrophen der Jetztzeit vorbereitet werden soll”. „Ganz offensichtlich geht es darum, in der Bevölkerung vorhandene diffuse Ängste aufzugreifen, zu verstärken und profitabel zu bewirtschaften. Mureck wurde wohl auch nicht zufällig als Standort des Ausbildungscamps gewählt. Anscheinend glaubt man, im steirisch-slowenischen Grenzraum besonders gute psychosoziale Voraussetzungen zur Perfektionierung privater Rambo-Mentalitäten ansprechen und viele Kunden gewinnen zu können“.

Repressiver Sicherheitsstaat

In diesem Zusammenhang möchte ich auf die warnenden Worte von Jeff Halper, Vorsitzender des israelischen Komitees gegen Häuserzerstörungen und Autor des wichtigen Buches „War against the People: Israel, the Palestinians and Global Pacification (London 2015), hinweisen: „Israel exportiert mehr als nur Waffen, Sicherheits- und Überwachungssysteme, Aufstandsbekämpfungs- und Antiterrorinstrumente, Modelle der Bevölkerungskontrolle oder Polizeitaktiken. Israel verkauft und wirbt für etwas, was viel weiter geht und viel gefährlicher ist: einen Sicherheitsstaat, der Sicherheit über alles andere stellt und der Demokratie und Menschenrechte in einer Welt des Terrors als „liberalen Luxus” betrachtet (und dabei wird jeder Widerstand, ganz gleich, ob er sich gegen Unterdrückung oder gegen kapitalistische Ausbeutung richtet, schnell unter der Rubrik „Terrorismus” eingeordnet).“ (4)

Das bayrische Polizeigesetz illustriert den Totalitarismus, der hinter dem Begriff der „Sicherheit“ steht. Mit dem Begriff der „psychologischen Unterstützung“ bei Demonstrationen, den möglichen ausländerrechtlichen Maßnahmen, die bei Protest- und Mahnwachen z.B. gegen die menschenverachtende Politik der israelischen Regierung ergriffen werden können, wird das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit mit Füßen getreten bzw. außer Kraft gesetzt. Die Kriminalisierung von BDS und der Antisemitismusvorwurf sind komplementär zu diesen Gesetzesinitiativen zu sehen.

Statt das Leasen von israelischen Drohnen, die Lieferung von U-Booten an Israel, die enge Kooperation beider Länder auf dem Gebiet der Überwachungs- und Sicherheitstechnologie, der zivil-militärischen Forschung, das Europol-Abkommen mit Israel anzuprangern, schweigen die Friedensbewegung, die Linken, die Gewerkschaften und andere progressive Organisationen, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Es scheint, dass Israel Immunität genießt. Das ist ein großer politischer Fehler.

Zuletzt möchte ich an den Appell von 34 jüdischen Gelehrten erinnern, die am 28.11.2018 die Europäer aufforderten: „Vermischt Kritik an Israel nicht mit Antisemitismus“. Hintergrund dieses Appells war eine hochrangig besetzte Konferenz unter dem Titel „Europa jenseits von Antisemitismus und Antizionismus – Sicherung jüdischen Lebens in Europa“ am 21.11. in Wien

„Wir unterstützen voll und ganz den kompromisslosen Kampf der EU gegen Antisemitismus. Das Erstarken des Antisemitismus erfüllt uns mit Sorge. Aus der Geschichte wissen wir, dass es oft Vorbote von Katastrophen für die gesamte Menschheit war. Das Erstarken des Antisemitismus ist eine reelle Gefahr und sollte der gegenwärtigen europäischen Politik ernsthaft zu denken geben.

Die EU steht aber auch für Menschenrechte ein und muss diese genauso energisch schützen wie sie den Antisemitismus bekämpft. Die Bekämpfung des Antisemitismus sollte nicht dafür instrumentalisiert werden, legitime Kritik an der israelischen Besatzungen und an schweren Verletzungen palästinensischer Menschenrechte zu unterdrücken. …
Zu unserer tiefen Besorgnis sehen wir diese Vermischung auch in der offiziellen Ankündigung der Konferenz durch die österreichische Regierung. Dort heißt es: „Antisemitismus findet seinen Ausdruck sehr oft in übertriebener und unverhältnismäßiger Kritik am Staat Israel.“

Diese Worte geben die Antisemitismusdefinition der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken (IHRA) wieder. Mehrere Beispiele für zeitgenössischen Antisemitismus, die sich der Definition anschließen, beziehen sich auf harsche Kritik an Israel. Im Ergebnis kann die Definition gefährlich instrumentalisiert werden, um Israel Immunität gegen Kritik an schwerwiegenden und verbreiteten Menschen- und Völkerrechtsverletzungen zu verschaffen – Kritik, die für legitim erachtet wird, wenn sie sich gegen andere Länder richtet. Das schreckt jedwede Kritik an Israel ab.

Die Ankündigung setzt außerdem Antizionismus mit Antisemitismus gleich. Wie allen modernen jüdischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts widersetzten sich jedoch auch dem Zionismus viele Jüdinnen und Juden heftig, ebenso wie nicht-Juden, die nicht antisemitisch waren. Zahlreiche Opfer des Holocaust waren gegen den Zionismus. Es ist unsinnig und unangemessen, Antizionismus automatisch mit Antisemitismus gleichzusetzen.

Wir dürfen auch nicht vergessen, dass der Staat Israel seit über 50 Jahren eine Besatzungsmacht ist. Millionen von Palästinenserinnen und Palästinensern unter Besatzung entbehren ihrer Grundrechte, Freiheit und Würde. Gerade in Zeiten, in denen die israelische Besatzung sich in Annexion verwandelt, ist es notwendiger denn je, dass Europa alle Versuche entschieden ablehnt, die freie Meinungsäußerung anzugreifen oder Kritik an Israel durch die falsche Gleichsetzung mit Antisemitismus zum Schweigen zu bringen.

Europa muss dies auch für die eigene Glaubwürdigkeit und die Wirksamkeit ihrer Bekämpfung des Antisemitismus tun. Die Ausweitung dieses Kampfes zum Schutz des israelischen Staates vor Kritik trägt zu der Fehlwahrnehmung bei, dass Jüdinnen und Juden mit Israel gleichzusetzen seien und deshalb verantwortlich für die Handlungen dieses Staates wären.

Als israelische Gelehrte, deren Mehrheit jüdische Geschichte erforscht und lehrt, sagen wir zu Europa:

Bekämpft den Antisemitismus unnachgiebig, um jüdisches Leben in Europa zu schützen, und ermöglichet, dass es zur Blüte gelangt. Erhaltet dabei die klare Unterscheidung zwischen Kritik am Staat Israel, so harsch sie auch sein möge, und Antisemitismus aufrecht. Vermischt nicht Antizionismus mit Antisemitismus. Und schützt die Rede- und Meinungsfreiheit derjenigen, die die israelische Besatzung ablehnen und darauf bestehen, dass sie endet“.

Dieser Appell darf nicht ungehört bleiben. Die jüdischen Gelehrten fordern uns zur klaren Stellungnahme auf. Sie betonen, dass der Staat Israel nicht mit dem Judentum gleichgesetzt werden darf, was bei uns permanent geschieht.

Quellen:

  1. https://securityacademy.com/training-center-switzerland
  2. https://www.facebook.com/isaisraeltrainingcenterswitzerland/
  3. https://securityacademy.com/about-us/
  4. Jeff Halper: „Hier wird mehr exportiert als Waffen“, in „Palästina – Vertreibung, Krieg und Besatzung – Wie der Konflikt die Demokratie untergräbt“, Hrsg. A.Groth, N.Paech, R.Falk, PapyRossa 2017

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