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China mit anderen Augen (Teil 2) | Von Wolfgang Effenberger

China mit anderen Augen (Teil 2) | Von Wolfgang Effenberger

Kraftvolle Vergangenheit und beeindruckende Gegenwart: Faszination und Beklommenheit angesichts atemberaubender Entwicklungen

Ein Meinungsbeitrag von Wolfgang Effenberger.

Drei-Schluchten-Staudamm in Shandouping, Provinz Hubei, China: Wunderwerk moderner Baukunst

Ein zentraler Höhepunkt auf der Reise durch das moderne China war der Besuch des Drei-Schluchten-Staudamms in Sandouping an Chinas größtem Fluss, dem Jangtse. Dieses technische Monument ist nicht nur eine der größten Staumauern der Welt, sondern auch das leistungsstärkste Wasserkraftwerk auf dem Planeten. Mit einer Länge von etwa 2.309 Metern und einer Höhe von 181 Metern erhebt sich die Betonmauer majestätisch über den Fluss – ihre Breite variiert von 126 Metern am Fuß bis zu 40 Metern an der Krone. Der Bau des Staudamms erfolgte in drei Etappen:

Nach Infrastrukturmaßnahmen und dem eigentlichen Bau 1993 bis 1997 folgten zwischen 1998 und 2003 der Bau der Kraftwerksanlagen am Nordufer sowie erste Flutungen, und zuletzt von 2004 bis 2009 die fertigstellenden Arbeiten am Südufer inklusive Schiffshebewerk.

Die gewaltigen Mengen an Baumaterial lassen ahnen, wie gigantisch das Projekt ist: Über 102 Millionen Kubikmeter Erde und Felsen wurden bewegt, dazu rund 28 Millionen Kubikmeter Beton und mehrere Hunderttausend Tonnen Stahl. Das Kraftwerk verfügt über 26 Turbinen mit jeweils 700.000 Kilowatt Leistung. Insgesamt erzeugt der Damm rund 84,7 Milliarden Kilowattstunden Strom jährlich. Diese Energie ersetzt den Verbrauch von etwa 40 Millionen Tonnen Kohle und leistet einen erheblichen Beitrag zur Reduktion von CO2-Emissionen.

Ein mechanisches Wunderwerk sind die fünfstufigen Doppelschleusen für Schiffe bis 10.000 Tonnen, welche eine flüssige Auf- und Abfahrt auf dem Jangtse ermöglichen. Im Notfall können alle 45 Abflussöffnungen geöffnet werden, und der Staudamm ist so konstruiert, dass er auch Erdbeben bis Stärke 7 aushält.

Der Bau des Drei-Schluchten-Staudamms hat die Landschaft und das Leben der Menschen tiefgreifend verändert. Über 1.200 Dörfer mit insgesamt 1,3 Millionen Menschen mussten verlegt werden, und eine Fläche von 1.084 Quadratkilometern wurde überflutet. Dies führte unter anderem zu einem Anstieg der regionalen Luftfeuchtigkeit und zu verstärkter Nebelbildung. Entlang einer 600 Kilometer langen Strecke wurde gleichzeitig eine umfassende Infrastruktur neu geschaffen: über 100 Meter höher gelegene Siedlungen, Straßen, Brücken und Tunnel, um die veränderten Bedingungen zu kompensieren. Der Drei-Schluchten-Staudamm ist weit mehr als Beton und Stahl – er ist Symbol für den technologischen Fortschritt Chinas und das Bestreben, sich nicht allein als Weltmacht, sondern auch als Innovationsführer in der nachhaltigen Energieversorgung zu positionieren.

Die Vision, die bereits im frühen 20. Jahrhundert von chinesischen Führern wie Sun Yatsen formuliert wurde, fand so ihre technische und politische Umsetzung. Tausende Wissenschaftler und Tausende Ingenieure haben seit den 1950er Jahren an der Planung und Umsetzung gearbeitet, bis 2008 die Anlage nach 15 Jahren Bauzeit ihren regulären Betrieb aufnahm.

Zum Zeitpunkt unseres Besuchs erreichte der Stausee 175 Meter Höhe – ein Meisterwerk menschlichen Planens und Tüftelns, dessen Energie nicht nur die industrielle Entwicklung Chinas antreibt, sondern auch aufzeigt, wie technische Größe mit gesellschaftlicher Verantwortung einhergehen muss.

Neues Staudammprojekt im Sommer 2025 am Yarlung Tsangpo (Brahmaputra)

China hat im Sommer 2025 den Bau eines neuen Staudammprojekts in Tibet begonnen, das in seiner Dimension den Drei-Schluchten-Staudamm deutlich übertreffen und der größte Staudamm der Welt werden soll. Der geplante Damm am Yarlung Tsangpo soll nach offiziellen Angaben dreimal so viel Strom erzeugen wie der Drei-Schluchten-Staudamm: Prognostiziert werden rund 60–70 Gigawatt Kapazität und bis zu 300 Milliarden Kilowattstunden Strom jährlich.

Diese Megabaustelle ist mit Baukosten von umgerechnet 140–145 Milliarden Euro (Ein Bruchteil der EU-weiten Ausgaben für den Krieg in der Ukraine) eines der teuersten Infrastrukturprojekte der chinesischen Geschichte. Ziel ist sowohl die Sicherung der nationalen Energieversorgung als auch die Einhaltung der chinesischen Klimaziele durch den massiven Ausbau erneuerbarer Energie. Der Staudamm ist Teil des aktuellen Fünf-Jahres-Plans und symbolisiert den Anspruch Chinas auf eine führende globale Rolle in der Wasserkraft.

Das Projekt ist extrem umstritten: Umweltgruppen warnen vor gravierenden ökologischen Risiken im Himalaja und vor den Folgen für Flussläufe und Landwirtschaft in Indien und Bangladesch, da Millionen Menschen am Unterlauf des Brahmaputra vom Wasser aus Tibet abhängig sind. Kritisiert werden außerdem Erdbebenrisiken, Umsiedlungen und Eingriffe in sensible Ökosysteme des Hochlands. Auch diplomatisch sorgt der Mega-Damm international für erhebliche Spannungen, insbesondere mit Indien.

Mit überragender Energieversorgung und bahnbrechender Technologie beschreitet China den Weg in Richtung Nachhaltigkeit und Klimaschutz. So hat das Land 2025 als erstes weltweit die Schwelle von über 1.000 Gigawatt installierter Solarleistung überschritten – ein Meilenstein, der den globalen Übergang in das Zeitalter der erneuerbaren Energien prägt.

Changsha – Guillin – Shanghai

In Changsha, einer der innovativsten Städte im Süden, erwartete mich die avantgardistische Museumsarchitektur der britisch-irakischen Stararchitektin Zaha Hadid neben futuristischen Wohnquartieren. Die Stadt gilt als Zukunftslabor für urbanes Leben: automatisierte U-Bahnen, intelligente Verkehrssteuerung, energieeffiziente Gebäude – vieles davon ist Musterbeispiel für die Smart Cities von morgen.

Nächtliche Freilichtbühnenschow „Liu Santje“ vor den Zuckerhüten bei Guillin - Bildquelle: Wolfgang Effenberger

Der nächste Hochgeschwindigkeitszug brachte mich nach Guilin – wieder beeindruckte die Ästhetik, die absolute Pünktlichkeit, das leise Gleiten. Abends tauchte ich ein in die Monumentalshow „Liu Sanjie“: 600 Statisten, Licht und Wasser verwoben zu einem Spektakel, das Mensch, Natur und Moderne fusioniert.

Die letzte Etappe schließlich: Vom hochmodernen Flughafen Guilin – sauber, lichtdurchflutet, digital durchgesteuert – hob die Maschine ab Richtung Shanghai. Im Stadtteil Pudong, wo der Blick vom Shanghai Tower in schwindelerregende Höhen reicht, reihen sich die Wolkenkratzer aneinander wie Kathedralen eines neuen Zeitalters. Hier manifestiert sich der technische Aufstieg Chinas in Glas, Stahl und Licht. Kabinenaufzüge mit Schallgeschwindigkeit, intelligente Gebäudesysteme und digitale Stadtsteuerung prägen die Skyline.

Henry Wilson sah Anfang des 20. Jahrhunderts in China ein schlafendes Kraftzentrum. Die Gegenwart hat diesen Traum weit übertroffen: Ob erneuerbare Energien, Hochleistungs-Schienennetze, digitale Städte oder monumentale Bauprojekte – Chinas technisches Selbstbewusstsein formt eine Zukunft, die nicht nur das eigene Land, sondern zunehmend die gesamte Welt beeinflusst. Wer heute durch China reist, begegnet der Dynamik einer Nation, die mit friedlicher Innovationswucht das Versprechen von Modernität und Technik einlöst – und so, ganz im Sinne Wilsons, das Schicksal der Welt entscheidend mitbestimmt.

Architekturhighlights in Changsha: Knotenglücksbrücke und Meixihu Kunstzentrum

Das Meixihu Kulturzentrum wurde von der berühmten Archtitektin Zaha Hadid entworfen und umfasst ein Museum für zeitgenössische Kunst (MICA) mit acht Galerien, ein Theater mit 1.800 Sitzplätzen und eine multifunktionale Halle, wobei seine organisch geformte Architektur durch geschwungene, weiße Fliesen-Panele geprägt ist und einen fließenden Bezug zur angrenzenden Parklandschaft und dem Meixi-See herstellt. (1)

Die Geschichte Shanghais reicht bis in die Qing-Dynastie (1644–1911) zurück, als die Stadt als Hafen am Yangtze-Delta aufstieg und geprägt wurde von intensiven Handelsbeziehungen. Es begann Anfang des 19. Jahrhunderts mit dem Versuch der Briten, in China indischen Tee zu verkaufen. Als der nicht angenommen wurde, verkauften sie erfolgreich Opium. Nachdem der Kaiser Tonnen von Opium verbrennen ließ, kam es 1839-1842 zum ersten Opiumkrieg, in dem die Chinesen hoffnungslos untergingen. Sie mussten den ungleichen Vertrag von Nanking unterzeichnen, der den ausländischen Mächten wie Frankreich, Großbritannien und den USA extraterritoriale Rechte und Einfluss verschafften. (2)

Der Zweite Opiumkrieg fand von 1856 bis 1860 statt. In diesem Konflikt standen das Kaiserreich China auf der einen Seite und Großbritannien und Frankreich auf der anderen Seite. Ziel der westlichen Mächte war es, weitere Handelsprivilegien und Zugeständnisse zu erzwingen, was zur Öffnung zusätzlicher Häfen und zu erneuten ungleichen Verträgen führte. Durch diese Verträge erhielten internationale Händler privilegierte Rechte, wie z.B. das Recht auf extraterritoriales Handeln und den Besitz von eigenen Konzessionen, die außerhalb der chinesischen Gesetzgebung lagen. Diese Sonderzonen förderten eine rasche Expansion und Modernisierung des Hafens von Shanghai, da ausländische Investitionen und technologische Expertise einflossen.

Rivalisierende Ansprüche auf den Einfluss in Korea führten 1894 zum ersten Japanisch-Chinesischen Krieg (1894–1895). Vorher hatte Japan Seoul besetzt und eine pro-japanische Regierung installiert. In mehreren Schlachten auf koreanischem und chinesischem Boden – etwa bei Pjöngjang, Lüshunkou (Port Arthur), Yalu und Weihaiwei – erzielte Japan deutlich militärische Vorteile. Die moderne japanische Flotte schlug die chinesische Beiyang-Flotte; Japan besetzte schließlich Taiwan und die Pescadores-Inseln. Der Krieg endete mit dem Vertrag von Shimonoseki, in dem China Taiwan und andere Gebiete abtrat, Korea als unabhängig anerkannte und wirtschaftliche Zugeständnisse machte. (3) Der Vertrag von Shimonoseki (1895) beendete den Ersten Chinesisch-Japanischen Krieg und markierte den Beginn einer verstärkten japanischen Präsenz in China.

Die Vereinbarungen ermöglichten Japan, seine Einflusssphäre in Ostasien erheblich auszubauen, besonders durch den Ausbau von Industrie, Infrastruktur und Militärpräsenz in den neu erworbenen Gebieten und durch den Zugriff auf chinesische Häfen sowie Handelswege. Als Folge spielte Japan neben den westlichen Mächten eine bedeutende Rolle in der wirtschaftlichen und politischen Kontrolle Chinas, die sich im Laufe des 20. Jahrhunderts weiter verstärkte. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich Shanghai allmählich zu einem Zentrum für internationalen Handel und kulturellen Austausch. Heute gilt Shanghai als Stadt der Zukunft, die mit modernster Technologie und urbaner Dynamik eine Vorreiterrolle in China und global einnimmt. (4)

Der 632 Meter hohe Shanghai-Tower: ein überwältigender Rundblick - Bildquelle: Wolfgang Effenberger

Anmerkungen und Quellen

Wolfgang Effenberger, Jahrgang 1946, erhielt als Pionierhauptmann bei der Bundeswehr tiefere Einblicke in das von den USA vorbereitete "atomare Gefechtsfeld" in Europa. Nach zwölfjähriger Dienstzeit studierte er in München Politikwissenschaft sowie Höheres Lehramt (Bauwesen/Mathematik) und unterrichtete bis 2000 an der Fachschule für Bautechnik. Seitdem publiziert er zur jüngeren deutschen Geschichte und zur US-Geopolitik. Zuletzt erschienen vom ihm: „Schwarzbuch EU & NATO“ (2020) sowie "Die unterschätzte Macht" (2022)

1) https://www.aalborgwhite.com/sites/default/files/documents/2020-05/Changsha Meixihu International Culture & Arts Centre_OpusC_German Version.pdf

2) https://www.bpb.de/themen/asien/china/552198/das-jahrhundert-der-demuetigung/ | https://www.lpb-bw.de/china-geschichte

3) https://www.animepro.de/lifestyle/history/der-erste-japanisch-chinesische-krieg-wissenswertes

4) https://www.bpb.de/themen/asien/china/508602/china-vom-sturz-der-qing-dynastie-bis-zur-gegenwart/

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bild: Drei-Schluchten-Staudamm (China)
Bildquelle: Claudine Van Massenhove / shutterstock


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