Ulrike Guérots scharfsinnige Analyse der gegenwärtigen Metakrise
Eine Rezension von Eugen Zentner.
Wir leben in einer Zeit multipler Krisen. Die sozialen Systeme sind ins Wanken geraten. Weder Politik noch Justiz noch Medien üben die Funktion aus, die ihnen in Demokratien zukommt. Aber genau hier liegt das Problem. Demokratische Verhältnisse existieren mittlerweile nur in der Vorstellung, jedoch nicht in der Realität. Insofern handelt es sich um eine Metakrise, auf die alle Systemstörungen der Gegenwart zurückzuführen sind. Das polit-mediale Establishment kaschiert das eigene Versagen mit der „Gefahr von rechts“. In der Partei der AfD hat man für dieses Ablenkungsmanöver einen probaten Sündenbock gefunden. Doch die Strategie ist so billig wie durchschaubar. Gerade die Unzufriedenen fallen darauf nicht rein und wählen erst recht die AfD, weil sie in der Partei momentan die einzige Möglichkeit für Veränderung sehen. Steht ihr Erfolg also in einem Zusammenhang mit der Metakrise?
Um diese und andere um sie gruppierende Fragen geht es in dem neuen Buch «Der Ausverkauf der Republik» aus dem Phänomen Verlag. Das schmale Bändchen basiert auf einem Gespräch zwischen dem Online-Magazin Parallax-Media.com und der Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot. Letztere hat sich seit der Corona-Krise als kritische, intellektuelle Kommentatorin einen Namen gemacht. Sie scheut nicht davor zurück, öffentlich unangenehme Wahrheiten auszusprechen, selbst wenn sie dafür im Mainstream an den Pranger gestellt wird. Ihre Argumente gehen ans Eingemachte und wirken nicht selten entwaffnend. So auch in diesem Buch, das als Interview-Transkription mit wenigen Überarbeitungen daherkommt.
Wer eine geschliffene Prosa erwartet, muss zurückstecken. Die Knapp 80 Seiten lesen sich wie ein mündlicher Vortrag, der festgehalten wurde, mit all seinen Unebenheiten. Das macht die Lektüre so authentisch. Ihr Mehrwert liegt weniger in der Darstellungsform als im Inhalt. Was Guérot hier erörtert, bewegt sich auf einem hohen intellektuellen Niveau. Wenn sie auf jenen Zusammenhang zwischen dem Erfolg der AfD und der Metakrise eingeht, sind es vor allem die Details, die den Beitrag interessant wie tiefsinnig machen. Das fängt bereits bei der Frage an, inwiefern die AfD rechts ist. Als solche wird die Partei in dem vorherrschenden Diskurs dargestellt. Aber lässt sich das so pauschal sagen? Guérot verneint und erinnert daran, dass Parteien keine monolithischen Blöcke sind. In ihnen gibt es immer Personen, die ein breites Meinungsspektrum abbilden. Guérot veranschaulicht das anhand der SPD und der CDU. Die gleichen Parteien vergessen das jedoch, wenn sie über die AfD sprechen. Dann wird pauschalisiert und dämonisiert. Selbst die Wähler werden mit der Partei gleichgesetzt.
Während Guérot sich über diesen Zusammenhang auslässt, geht sie unter anderem auf den Vergleich mit der Zeit der NSDAP ein. Auf den sogenannten Demonstrationen gegen rechts werden Parallelen gezogen mit Slogans wie „Nie wieder“. Die Politikwissenschaftlerin bezeichnet dies als „plakativ“ und als „Phantombekämpfung“. Zwar könne man Vergleiche anstellen, müsse jedoch nach strukturellen Kategorien und Dimensionen unterscheiden. Wie das geht, demonstriert sie anschließend selbst und spricht dabei einen Punkt an, der zum Wesentlichen führt: Die derzeitigen Demonstrationen gegen rechts, so die Quintessenz, sind ein Indiz dafür, dass wir mittlerweile nicht mehr in einem demokratischen, sondern in einem autoritären Staat leben. Denn es handle sich um einen „Protest für die Regierung und gegen die Opposition“, so Guérot.
„In Demokratien geht normalerweise eine Opposition gegen die Regierung auf die Straße und man mobilisiert keine Mehrheiten, um die Regierung zu stützen. Es ist ja umgekehrt ein Phänomen von autoritären Gesellschaften, dass die Regierung Claqueure auf die Straße ruft und die Bürger um Gefolgschaft bittet oder sie eben zwingt.“
Wer sich an die staatlich verordneten Demonstrationen in der DDR erinnert, dürfte erkennen, wie zielsicher die Politikwissenschaftlerin ins Schwarze trifft. Es ist nicht das einzige Mal, dass sie derart leichtfüßig Esprit zeigt. Während der Lektüre fällt es einem oftmals wie Schuppen von den Augen, zum Beispiel dann, wenn Guérot weitere historische Parallelen zieht und gewisse Gesetzmäßigkeiten formuliert. Dass sich der rechte Rand und der linke Rand heute genauso im Protest gegen die Regierung berühren wie in den 1930er Jahren, erklärt sie so:
„Wenn man die Arbeiter oder die unteren Klassen, die Kleinbourgeoisie, an die Faschisten oder Populisten verliert, dann ist natürlich die politische Linke dafür verantwortlich, denn eigentlich wäre das ja linkes Protestpotenzial. Leute, die sich gegen eine soziale Krise wehren, würden normalerweise links wählen, also für mehr soziale Gerechtigkeit. Aber es ist immer wieder im historischen Prozess vorgekommen, dass die Straße eben nach rechts kippt, weil die Linke sich politisch nicht durchsetzen konnte.“
Solche geistvollen Passagen finden sich in dem Buch immer wieder, weshalb es bisweilen wie ein Seminar in der Politik- und Geschichtswissenschaft anmutet, aus dem sich viel lernen lässt. Zumal Guérot sich gelegentlich von der AfD ab- und anderen Themen zuwendet, um sie nicht weniger scharfsinnig zu durchleuchten. Besonders interessant lesen sich ihre Ausführungen zum Faschismus-Begriff, den sie über den Rückgriff auf dessen etymologische Bedeutung auf die gegenwärtige Situation anwendet. Sie erklärt mit Roland Barthes’ Unterscheidung zwischen Boxen und Catchen den politischen Stil des früheren und vielleicht nächsten US-Präsidenten Donald Trump und benennt neue Phänomene, die sich beispielsweise darin zeigen, dass die Konservativen heute anders als früher nicht mehr einen moralischen Herrschaftszugriff per Gesetz anstreben, sondern stark libertäre Züge aufweisen, also die Herrschaft ablehnen:
„Weg mit dem Staat, keine Übergriffigkeit des Staates, Dezentralisierung, libertäre Selbstverwaltung, freie Städte, Selbstregierung, Volksentscheide.“
Diese Verschiebung ist so gut beobachtet wie treffend wiedergegeben. Guérot warnt jedoch zugleich vor den Konsequenzen dieser Forderungen: Wenn die Staatlichkeit erst einmal abgeräumt sei, lautet ihr Argument, verliere man die Republik als politische Organisationsform. Diese beruht laut Guérot auf dem „Streben nach einem gemeinsamen, öffentlichen Wohl oder Guten“. In dem Moment, wo man die Republik abräume, so die Politikwissenschaftlerin weiter, „nicht den Staat, sondern die Republik, (…) die ja eigentlich ein rechtlicher und sozialer Schutzraum für Bürger ist, lässt man das Kapital durchmarschieren“. Guérot befürchtet eine „Vermittelalterlichung unserer gesellschaftlichen Prozesse“ und eine „Refeudalisierung“. Das Pendel könnte aufgrund des Ressentiments gegen die staatliche Gängelung in die andere Richtung ausschlagen, gibt sie zu bedenken. Zu Reflexionen und Überlegungen verleiten ihre Ausführungen tatsächlich. Sie sind inspirierend, voller Überraschungen und zeugen von einer Klarsicht, die geradezu verblüfft.
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bildquelle: apolut
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Zunächst zum Allgemeinverständnis bzw. Missverständnis:
Real existierende "Demokratie" – "Versagen der Institutionen"?
1 Apr. 2024 09:43 Uhr
Das Volk regiert, heißt es im Grundgesetz. Unsere westlichen Gesellschaften sind demokratisch. Medien, Bildung und Wissenschaft, Justiz, Kunst und Kultur sind frei und unabhängig. Höchste Stellen rufen zur Verteidigung "unserer Demokratie" auf. Kritiker sprechen vom "Versagen der Institutionen". Stimmt das?
Das Wort Verfassung meint normativ eine Vorschrift und real einen Zustand. Tatsächlich erleben wir hierzulande Dinge wie das Robert Koch-Institut (RKI) zur Corona-Zeit ("RKI-Protokolle") und die Correctiv-Kampagne mit der politischen Instrumentalisierung von Wissenschaft beziehungsweise Geheimdiensten und Medien. Das hat Methode, auch in anderen real existierenden "Demokratien" des Westens. Pablo Iglesias, 2019 Spitzenkandidat der Partei Podemos, sagte dazu im Fernsehen zur besten Sendezeit vor der spanischen Parlamentswahl:
"Das Problem mit der Korruption ist, dass es sich um eine Regierungsform handelt, die manchmal legal und manchmal illegal ist. Es ist legal, dass ehemalige Minister und ehemalige Präsidenten in Vorständen von Energieunternehmen landen, aber das ist Korruption. Diese Unternehmen kaufen Politiker. Was wir mit den 'Kloaken des Staates' [vergleichbar dem 'Tiefen Staat' im Deutschen – Anm. Em Ell] gesehen haben, sind machtvolle Wirtschaftsinteressen, die Medien benutzen, die mit Geld gekauft werden und falsche Beweise fabrizieren, um eine Regierung zu verhindern, an der Podemos beteiligt ist."
Korruption als Regierungsform, das ist nichts Neues, sondern für alle Demokratien des Westens Essenzielles. Angeblich wusste schon Aristoteles vor über 2.000 Jahren, dass man kaum die Mehrheit der Besitzlosen über das Gemeinwesen und damit das Wohl der Minderheit der Besitzenden entscheiden lassen kann. Also steckt dort, wo Demokratie draufsteht, nur eingeschränkt Demokratie drin. Im antiken Griechenland wie im modernen Westen. Das System ist daher von Anfang an und von Grund auf korrumpiert – durch diejenigen, denen es gehört und die damit und dafür über die nötigen Mittel und Wege verfügen. "Unsere Demokratie" war und ist nicht unsere, sondern die reicher und parasitärer Eliten. Darauf weist unter anderem der Kognitionsforscher Rainer Mausfeld immer wieder hin. Und auf die tatsächlichen Regierungsformen über die Manipulation der Massen – ihrer Wahrnehmungen und Meinungsbildungen – in diesem "Theater der Demokratie".
Die Funktion der Institutionen
Andere wiederum reden hier vom "Versagen der Institutionen". Wie beispielsweise die Politologin Ulrike Guérot im Gespräch mit dem Journalisten Walter van Rossum. Beide bleiben dabei leider zu verklärend und zu oberflächlich, obwohl später grundsätzlich der Gedanke aufkommt, dass die Institutionen – etwa die Wissenschaft – auch zuvor schon "kaputt" waren.
Realistisch betrachtet, und soziologisch gut untersucht, gilt:
Die angeblich unabhängigen und freien Institutionen, wie Medien, Bildung und Wissenschaft, Justiz, Kunst und Kultur sind nicht "kaputt", sondern sie sind als solche Teil der real existierenden Regierungsform. Eines Machtgefüges, das – wie Guérot und van Rossum es dann selbst ansprechen – plutokratisch-oligarchisch organisiert ist.
Diese Institutionen funktionieren – objektiv, in ihren tatsächlichen Wirkungen – als Machtinstrumente dieser Machtinteressen. Ansonsten wären all diese Entwicklungen zum "Kaputten" gar nicht möglich. Dass es vorher "besser" lief, war von oben zugestanden. Das ist etwas völlig anderes als von unten echt demokratisch beziehungsweise republikanisch organisiert. Zugeständnisse können schließlich von dem kassiert werden, der sie macht. Das ist es, was geschieht.
Die Institutionen zu verbrämen, ist zu oberflächlich und Teil des Problems, das sich darin zeigt: Die Wirkung eben dieser Manipulationen von Wahrnehmungen und Meinungsbildungen – in einem "Theater der Institutionen" –, deren Resultat und Mittel solches Verbrämen der Institutionen selbst ist.
Was zunehmend "kaputt" ist, ist der "Glaube an die Institutionen". So, wie es Guérot und van Rossum in ihrem Gespräch erkennen lassen. Zum Glauben an die Institutionen gehört, dass sie tatsächlich in einem ausreichenden Maße so – autonom – funktionieren, wie es von ihnen behauptet wird: dass in der Wissenschaft Wissenschaft betrieben wird, in den Medien Journalismus, in der Justiz Recht etc., dass diese Institutionen autonom sind, frei und unabhängig von Machtinteressen, also unpolitisch. Das war und ist nicht der Fall, beziehungsweise immer nur in einem kontrollierten, begrenzten Ausmaß. Maßgebliche Bereiche dieser Institutionen waren und sind politisch – etwa über die Verfügung der Mittel.
Der Glaube an die Institutionen geht in dem Maße kaputt, in dem dieser begrenzte Umfang ihrer autonomen Funktion – mit echter Wissenschaft, echtem Journalismus etc. – so sehr politisch beeinträchtigt wird, dass es zur Aufrechterhaltung und Vermittlung dieses Glaubens nicht mehr reicht. Dann wird von mehr Unabhängigkeit geredet – wie aktuell angesichts der RKI-Protokolle.
Nicht die Institutionen als solche beziehungsweise als Ganzes sind kaputt. Sondern ihr schon immer nur begrenzter Teil, in dem tatsächlich so gearbeitet wird, wie es von den Institutionen als solche beziehungsweise als Ganzes behauptet wird. Im Ergebnis versagt irgendwann auch das Theater der Institutionen und damit ihre eigentliche Funktion, die Machtausübung durch die Teile der echten Arbeit in Medien, Wissenschaft, Justiz etc. zu legitimieren und zu optimieren. Erst dann sind diese Institutionen wirklich kaputt.
Diese Differenzierung und Unterscheidung ist wesentlich.
Man kann sich immerhin auf dieses Theater der Institutionen mit der Behauptung, dass sie autonom funktionieren sollen, berufen – und man muss es auch. Allerdings muss man dabei berücksichtigen, dass diese Behauptung eine Behauptung ist, die immer auch im Sinne der realen Machtinteressen ist. Denn die Akzeptanz und Wirkung ihrer Machtausübung durch "ihre Institutionen" in "ihrer Demokratie" lebt vom Glauben an diese Behauptung über diese Institutionen – dass sie von politischen, also Machtinteressen frei und unabhängig sind beziehungsweise funktionieren.
https://de.rt.com/meinung/201174-real-existierende-demokratie-versagen-institutionen/
Gesondert hervorzuheben sind folgende fehlerbehaftete Sätze. Zitat:
"In der Partei der AfD hat man für dieses Ablenkungsmanöver einen probaten Sündenbock gefunden. Doch die Strategie ist so billig wie durchschaubar. Gerade die Unzufriedenen fallen darauf nicht rein und wählen erst recht die AfD, weil sie in der Partei momentan die einzige Möglichkeit für Veränderung sehen. Steht ihr Erfolg also in einem Zusammenhang mit der Metakrise?"
Dazu ist zu sagen, die Wähler der AfD haben aufgrund der ihnen genehmen Fetzen die sie aufnehmen, einzig den gewechselt, auf den sie hereinfallen mögen. Und gehen dabei von der Annahme aus, daß eine Wahl innerhalb der vorgegebenen Rahmenbedingungen etwas an der vorgegebenen Neuausrichtung der Gesellschaft zu ändern vermag. Und gehen weiters ebenso von der Annahme aus, daß die aufgenommenen genehmen Fetzen in irgendeiner Form nach der Wahl noch Gültigkeit besitzen.
Auch zu, Zitat:
"Das fängt bereits bei der Frage an, inwiefern die AfD rechts ist. Als solche wird die Partei in dem vorherrschenden Diskurs dargestellt. Aber lässt sich das so pauschal sagen? Guérot verneint und erinnert daran, dass Parteien keine monolithischen Blöcke sind. In ihnen gibt es immer Personen, die ein breites Meinungsspektrum abbilden. Guérot veranschaulicht das anhand der SPD und der CDU. Die gleichen Parteien vergessen das jedoch, wenn sie über die AfD sprechen."
Die Pauschalisierung daß in allen Parteien Strömungen von links bis rechts vorhanden sind, ist In dieser Form profan wie es undifferenziert ist. Denn natürlich ist das so, doch mit wesentlichen unterschiedlichen Gewichtungen:
Die AfD ist eine Partei am rechten Rand des Parteienspektrums, repräsentiert also vor allem ein Wählerpotenzial mit autoritären, betont nationalistischen und tendenziell kulturrassistischen Neigungen. Ihr Wählerspektrum ist jedoch sehr viel breiter und reicht vom bürgerlichen Konservatismus über den Rechtskonservatismus, den Rechtspopulismus bis zum Rechtsextremismus.
Die AfD lässt sich grob unter zwei Aspekten betrachten. Zum einen bildet sie den Organisationskern einer gut organisierten und hochgradig vernetzten Neuen Rechten, die eher im rechtsextremen Bereich verwurzelt ist und gleichzeitig vielfältige Verbindungen zum konservativen Spektrum hat. Sie ruft also ein faschistoides Wählerpotenzial ab, das latent oder auch manifest immer schon da war. Durch die AfD verselbständigt sich gleichsam parteipolitisch dieses Potenzial, das früher überwiegend im Konservatismus gebunden war.
Zum anderen bildet die AfD bei Wahlen ein Auffangbecken für Protestwähler sowie bisherige Nichtwähler und nutzt dabei über das Thema Zuwanderung sehr geschickt und wirksam soziale Verunsicherungen und gesellschaftliche Ängste zum eigenen Vorteil. Insgesamt kann man sagen, dass der — angesichts der neoliberalen und sozialdarwinistischen Ausrichtung der AfD in gewisser Weise paradoxe — Erfolg dieser Partei wesentlich auf einer Ethnisierung gesellschaftlicher Probleme beruht. Und damit auf rassistischen und kulturrassistischen Ressentiments, die oft als „Fremdenfeindlichkeit“ verharmlost werden.
Aus:
Samstag, 21. März 2020, 15:57 Uhr
~22 Minuten Lesezeit
Der Wahnsinn der Normalität
Die Debatte um die „böse“ AfD ist zwar berechtigt, lenkt jedoch vom Wesentlichen ab, erklärt Elitenkritiker Rainer Mausfeld im Rubikon-Interview.
von Rainer Mausfeld, Jens Wernicke
https://www.rubikon.news/artikel/der-wahnsinn-der-normalitat-3
Und die klassisch faschistische Option wird augenscheinlich, wesentlich medial befördert, immer attraktiver:
Bürgerlichkeit kann auch völkisch sein, nur nicht proletarisch
Voigt fiel dazu aber nichts Besseres ein als "Herr Höcke, Sie sind nicht bürgerlich, Sie sind völkisch." Beides ist nur dann zwingend ein Widerspruch, wenn es um den Unterschied zwischen Großbürgertum und einfachem Volk geht. Auf das Völkische im ethnisch-rassistischen Sinn und die "Volksgemeinschaft" haben 1933 durchaus relevante Teile des Groß- und Kleinbürgertums gesetzt – sonst hätten sich die Nazis nicht zwölf Jahre an der Macht halten können.
"Ich bin demokratisch, Sie sind autoritär", schob Voigt dann noch nach. Außerhalb der CDU war wohl kaum jemand ernsthaft der Meinung, dass er den Schlagabtausch gewonnen habe.
Auch Kommentatoren, die der AfD eindeutig ablehnend gegenüber stehen, sahen Höcke danach als klaren Sieger. Viele sprachen – wie etwa Pitt von Bebenburg in der Frankfurter Rundschau – von einer "Bühne für den Faschisten".
Das Dilemma der CDU: Zwischen Abgrenzung und AfD-Politik light
Jens-Christian Wagner, Historiker und Direktor der Stiftung KZ-Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, hatte schon vorab dem Duell dem MDR Thüringen gesagt: "Dass mit diesem TV-Duell einem Rechtsextremen ein Podium geboten wird, ist ein Erfolg für die AfD."
Voigt war nicht in der Lage, das zu widerlegen und Höcke argumentativ alt aussehen zu lassen. Das Dilemma, sich von der AfD abgrenzen und zugleich denselben Standort-Deutschland-Egoismus auf Kosten Schwächerer bedienen zu wollen, konnte der CDU-Mann nicht auflösen.
Am meisten unterschieden sich die Positionen beider Diskutanten in der Außen- und Europapolitik und dadurch, dass Höcke ein positiveres Russland-Bild zeichnet und sich ganz als Friedenspolitiker gibt.
Aber wer wünscht sich ernsthaft, dass einer wie Höcke sich auch noch stark genug fühlt, um nach historischem Vorbild in Russland einzumarschieren? Auf ihn trifft wohl eher zu, was Churchill generell über die Deutschen sagte: Man hat sie entweder an der Gurgel oder zu Füßen.
Aus:
Höcke gegen Voigt: Warum der CDU-Mann das TV-Duell nicht gewinnen konnte
12. April 2024 Claudia Wangerin
https://www.telepolis.de/features/Hoecke-gegen-Voigt-Warum-der-CDU-Mann-das-TV-Duell-nicht-gewinnen-konnte-9682793.html
Nummer zwei:
ARD-Sommerinterview mit Alice Weidel – Geschichtsrevisionismus ist offenbar wieder salonfähig
Jens Berger
12. September 2023 um 11:00 Ein Artikel von: Jens Berger
Aus Sicht der AfD-Vorsitzenden war der 8. Mai 1945 nicht etwa ein Tag der Befreiung, sondern eine Niederlage. Dass ihr Parteifreund Tino Chrupalla zu dieser Gelegenheit an einem Empfang der „ehemaligen Besatzungsmacht“ Russland teilgenommen hat, ist für sie reine Symbolik. Sie würde nie die „Niederlage des eigenen Landes befeiern“ – schon gar nicht mit den „ehemaligen Besatzern“. Das ist starker Tobak und zeigt einmal mehr, dass Geschichtsrevisionismus in der AfD allgegenwärtig ist. Doch anders als z.B. bei Gaulands „Vogelschiss-Rede“ blieb der Sturm der Entrüstung bei Politik und Medien diesmal aus. Offenbar ist es wieder salonfähig, die Niederlage des Deutschen Reichs im Zweiten Weltkrieg als „unsere“ Niederlage zu deuten – zumindest dann, wenn es um den Krieg im Osten geht. Nicht die nicht sonderlich überraschende Identifikation Weidels mit dem Dritten Reich, sondern die ausbleibende Kritik daran ist ein mahnendes Zeichen für die Verfasstheit des politischen Diskurses. Da waren wir schon mal weiter. Von Jens Berger.
https://www.nachdenkseiten.de/?p=103700
Und vlt. noch den, um zu verdeutlichen daß das verordnet ist:
Ifo-Präsident: "Kanonen und Butter, das geht nicht" – Aufrüstung versus Sozialstaat
28 Mär. 2024 21:58 Uhr
In Deutschland wird Aufrüstung gegen den Sozialstaat ausgespielt. Der Behauptung vom ausufernden Sozialstaat steht die gesellschaftliche Realität immer weiter auseinander driftender Lebensverhältnisse gegenüber. Mittels Aufrüstung soll massiv von unten nach oben umverteilt werden.
Die Rhetorik, die von Deutschland Besitz ergriffen hat, ist erstaunlich nah am Jargon, den man in Nazi-Deutschland pflegte. So meinte der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts ifo, Clemens Fuest, in einer Sendung der Talkshow Maybrit Illner, "Kanonen und Butter – es wäre schön, wenn das ginge. Aber das ist Schlaraffenland, das geht nicht."
Mit diesem Zitat bezieht sich Fuest auf eine Aussage des Stellvertreters Hitlers, Rudolf Heß, von 1936. Man müsse an Fett, Fleisch und Eiern sparen, denn "wir wissen, dass die Devisen, die wir dadurch sparen, der Aufrüstung zugutekommen. Auch heute gilt die Parole: Kanonen statt Butter." Deutschland ist wieder da angelangt, wo es eigentlich nie wieder hin wollte.
Obwohl inzwischen einige Tage seit der Sendung vergangen sind, blieb der Aufschrei des sonst sehr auf politisch korrekte Wortwahl bedachten linksliberalen Milieus aus. Dem ehemaligen Linken-Politiker Oskar Lafontaine wurde dereinst für die Verwendung des Wortes "Fremdarbeiter" Nähe zum Faschismus und das Betreiben von Querfrontpolitik unterstellt. Mit einem Heß-Zitat im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zur Beschreibung dessen, was auf die sozial Schwachen in Deutschland zukommt, entlockt man dem urbanen Großstädter inzwischen jedoch keine moralische Empörung mehr. Deutsche Zustände 2024.
https://de.rt.com/inland/200930-ifo-praesident-kanonen-und-butter/
Die Verschiebung der Gesellschaft insgesamt nach rechts geschieht vorsätzlich, wie es in allen Krisenzeiten zu beobachten ist. Und viele "Aufklärer" gefallen sich darin neuen (alten) Hirten dienstbar zu sein, während man dem Herdenbesitzer gegenüber ignorant bleibt. Der Aufbruch zu neuen Weiden bleibt völlig außen vor.