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Ausschluss auf Verdacht – Wahlausschüsse, die Politik machen

Ausschluss auf Verdacht – Wahlausschüsse, die Politik machen

Ein Meinungsbeitrag von Sabiene Jahn.

Der Sommer 2025 wird in Erinnerung bleiben: Es ist die Zeit einer immer zunehmend eskalierenden Polarisierung, in der demokratische Spielregeln zunehmend unter Druck gerieten. In Lage (Nordrhein-Westfalen) wurde Ende Juli 2025 einem AfD-Bürgermeisterkandidaten der Wahlantritt verweigert, in Mainz (Rheinland-Pfalz) versuchte Innenminister Michael Ebling (SPD) über eine Verfügung, AfD-Mitglieder aus dem öffentlichen Dienst fernzuhalten – ein Vorhaben, das nach massiver Kritik ins juristische Aus steuerte. In Ludwigshafen wurde nun auch dem langjährigen Landtagsabgeordneten Joachim Paul die Kandidatur für das Amt des Oberbürgermeisters verweigert. Und auch in Koblenz stand ein AfD-Kandidat unter Verdacht – doch hier entschied der Wahlausschuss anders.

Der Fall Joachim Paul – oder: Der Wahlkampf, der nicht stattfinden darf

Joachim Paul wollte erfolgreich in den Wahlkampf starten, Plakate bestellt, Auftritte geplant – doch der Wahlausschuss der Stadt Ludwigshafen entschied, ihn nicht zur Wahl zuzulassen. Begründung: „Zweifel an der Verfassungstreue“. Grundlage war ein elfseitiges Gutachten des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes, das dem Ausschuss vom SPD-geführten Innenministerium übermittelt wurde. Das Dokument enthält 16 Punkte – darunter unter anderem eine positive Rezension zu J.R.R. Tolkiens „Herr der Ringe“, in der Paul die Helden des Romans dafür lobt, „für den Erhalt ihrer Heimat“ zu kämpfen. Der Verfassungsschutz wertete das als „Anklänge an die Ideologie der konservativen Revolution“. Selbst die Tageszeitung WELT sprach von einem „absurden“ Vorgehen und bezeichnete Paul als „ausgeschalteten Kandidaten“.

Besonders brisant: Der Verfasser des Gutachtens, ein Abteilungsleiter des Verfassungsschutzes, schreibt im Original: „Vorsorglich weise ich darauf hin, dass insbesondere die den hiesigen Internet-Recherchen zugrundeliegenden Ergebnisse keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben können.“ Mit anderen Worten: Grundlage der Einschätzung waren Internet-Schnipsel, keine gerichtlichen Feststellungen, keine originären Ermittlungen. Joachim Paul sieht darin einen klar orchestrierten Vorgang: „Das war von langer Hand geplant. Die politische Auseinandersetzung wird nicht mehr im Wahlkampf geführt, sondern durch administrative Ausschlüsse.“ Er verweist auf Umfragen, die ihm bis zu 25 Prozent Zustimmung in Ludwigshafen zusprechen – deutlich vor der SPD. In einem Gespräch mit der Autorin erklärt Paul am Donnerstag:

„Die SPD ist panisch vor Machtverlust. Sie sind bereit, das Recht zu beugen."

Die Entscheidung fiel anonym im Wahlausschuss. Vorsitzende war Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck (SPD), die selbst nicht erneut kandidiert, aber nachweislich in die Beauftragung des Gutachtens involviert war. Ein klarer Interessenkonflikt? Die Frage stellt sich auch deshalb, weil der Wahlausschuss eigentlich nur über formale Kriterien zu befinden hat: Sind Fristen eingehalten? Stimmen die Unterlagen? „Es handelt sich nicht um ein politisches Gremium, sondern um ein beglaubigendes“, sagt Joachim Paul. „Ich habe selbst in Koblenz zugestimmt – obwohl mir andere Kandidaten politisch nicht zusagen. Aber das ist nicht die Aufgabe des Ausschusses.“ Tatsächlich lässt sich in Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nachlesen: Die Prüfung der Verfassungstreue obliegt im Zweifelsfall der Wählerschaft oder – nach erfolgter Wahl – den zuständigen Behörden bei der Amtsübernahme. Nicht aber einem Wahlausschuss.

Koblenz: Die Kopie, die keine wurde

Auch in Koblenz gab es Versuche, den AfD-Kandidaten Markus Meixner in Misskredit zu bringen. Eine linke Gruppe erhob Vorwürfe wegen eines „OK“-Zeichens auf einem Urlaubsfoto – angeblich ein „White-Power“-Signal. Meixner reagierte gelassen:

„Das war in China, nach einem langen Aufstieg auf einen Aussichtspunkt. Ich habe einfach mit der Geste signalisiert, dass es mir gut geht. Das ist dort ganz üblich.“

Auch ein angeblich anwesender Musiker mit rechter Musikbiografie sei ihm unbekannt: „Es war eine offene Veranstaltung. Ich kann doch nicht jeden Teilnehmer kontrollieren.“ Die Argumentationsweise erinnert an die „Kontaktschuld“-Rhetorik der sogenannten Antifa- und Antideutschen Szene, die in Koblenz bereits früher aktiv war. Ich erinnere mich: Auch ich wurde als parteiunabhängige Veranstalterin öffentlich diffamiert, weil ich vor etlichen Jahren einen „parteiübergreifenden Bürgerdialog“ für alle Menschen der Stadt Koblenz organisierte. Der damalige Rädelsführer: Sebastian Beuth, der als Clown in die Kommunalpolitik einzog – gewählt über die Spaßpartei DIE PARTEI, dann aber sein Mandat ohne Rücksprache zur Partei DIE GRÜNEN überführte. Ein Schritt, der ihm viel Hohn, aber offenbar auch strategischen Einfluss sicherte.

Stadtrat Fabian Becker berichtet von einer hitzigen Wahlausschusssitzung am vergangenen Donnerstag, „Die Linke stimmte gegen Meixner, die SPD enthielt sich.“ Die Sitzung des Wahlausschusses in Koblenz endete knapp - mit drei Ja-Stimmen, einer Enthaltung und einer Gegenstimme – letztere kam von Oliver Zwiernick-Antpöhler (Die Linke), der sich offenkundig weniger von juristischen Maßstäben als von politischem Furor leiten ließ.

Markus Meixner, der seit 2013 in Koblenz lebt, bringt eine solide berufliche und akademische Vita mit: Nach seiner Ausbildung zum Zerspanungsmechaniker im Jahr 2009 absolvierte er drei berufsbegleitende Fernstudiengänge – zum Maschinenbautechniker, in Psychologie (Grundkurs) sowie als geprüfter Technischer Betriebswirt. Seit über 16 Jahren ist Meixner durchgehend berufstätig. Unterstützt wird er im Wahlkampf von Familie und Freunden. Seine Kampagne – mit Plakaten, Flyern, Kurzvideos und Social Media – startet am Freitag, unmittelbar nach der Entscheidung des Wahlausschusses. Zur Bestätigung seiner Kandidatur im Koblenzer Rathaus äußerte sich Meixner erfreut, aber gefasst: „Ich habe mit dieser Entscheidung gerechnet – es war schlicht die einzige rechtlich korrekte Möglichkeit.“ Mit Blick auf die Neinstimme von Antpöhler erklärt er:

„Ich denke, auch in Koblenz haben manche das Prinzip des Wahlausschusses nicht verstanden. Dort geht es nicht um Gesinnung, sondern um formale Kriterien. Dass meine Urlaubsfotos aus Asien zum Thema gemacht werden, sagt mehr über meine Kritiker aus als über mich.“ Und weiter: „Es gibt keine Kontaktschuld. Als Politiker ist es meine Aufgabe, mit allen Menschen zu sprechen und zu debattieren. Ich stehe mit beiden Füßen auf dem Boden des Grundgesetzes.“

Wer auf offenen Veranstaltungen auftaucht, auf denen auch andere Meinungen präsent sind, gerät schnell ins Fadenkreuz – nicht wegen Taten, sondern wegen Deutungen. Dass Meixner bei einer offenen Vorfeldmesse fotografiert wurde, bei der auch eine andere, als rechtsradikal eingeordnete Person anwesend war, reichte einigen Akteuren offenbar für den Versuch, eine Kandidatur zu delegitimieren. Meixner kontert gelassen: „Ich spreche mit vielen – aber daraus wird nicht automatisch Überzeugung.“ Der Satz erinnert an einen Grundpfeiler liberaler Demokratie: Diskurs ist kein Delikt. Auch hier wurde im Wahlausschuss sichtbar: Ideologie beginnt, sachliche Verfahren zu durchdringen. Der Unterschied zu Ludwigshafen: In Koblenz gab es keine parteiische Bürgermeisterin im Ausschuss, und die formalen Kriterien wurden korrekt von Ulrike Mohrs gewürdigt.

„Ausgrenzung durch die Hintertür“

Ein Wahlausschuss ist kein politisches Entscheidungsgremium, sondern ein formal beglaubigendes Organ. Laut Kommunalwahlgesetz RLP (§ 25, § 27) sind nur Formalien wie Fristwahrung, gültige Unterstützerunterschriften oder korrekte Parteibezeichnungen zu prüfen. Eine Bewertung der Verfassungstreue ist nicht vorgesehen. Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel erklärte in einem Interview mit NIUS:

„Ein Wahlausschuss darf nicht über das passive Wahlrecht urteilen. Diese Kompetenz steht ihm nicht zu.“

Auch der Verfassungsrechtler Prof. Dr. Dr. Volker Boehme-Neßler (Uni Oldenburg) äußerte sich kritisch: „Die Ausgrenzung einzelner Parteien darf nicht durch die Hintertür erfolgen.“ In Thüringen wurde ein AfD-Bürgermeisterkandidat trotz Kritik zugelassen – die Prüfung seiner Eignung als Wahlbeamter folgte erst nach der Wahl. Dieses Modell wahrt das Wahlrecht. In Ludwigshafen hingegen wurde der Wähler ausgeschlossen – bevor er entscheiden durfte.

Das Ebling-Papier – Ein Radikalenerlass 2.0?

Innenminister Michael Ebling (SPD) hatte im Juli 2025 eine Verwaltungsvorschrift angekündigt, nach der Bewerber im öffentlichen Dienst eine Erklärung über ihre politische Unbedenklichkeit abgeben müssen. Die AfD wurde dabei pauschal auf einer „Liste extremistischer Organisationen“ geführt. Auch hier: Keine Verurteilungen, keine individuelle Prüfung – stattdessen Kollektivverdacht. Die Kritik kam sogar aus der eigenen Partei: SPD-Innensenator Ulrich Mäurer (Bremen) distanzierte sich öffentlich. Und Sebastian Münzenmaier (AfD) sprach von einem „durchschaubaren Manöver“, das dem Ansehen des Landes Rheinland-Pfalz schade. Zwar wurde der Vorstoß noch nicht wirksam – doch das Signal war klar: Die Regierung will „unerwünschte“ Bewerber aussieben. Eine Neuauflage des Radikalenerlasses von 1972? Historisch führte dieser zu massiver gesellschaftlicher Spaltung – und zu verlorenen Karrieren unschuldiger Menschen. Die Parallelen zum Ebling-Papier liegen offen. Und erneut steht die Frage: Warum wird eine demokratisch zugelassene Partei – die nicht verboten ist – faktisch aus dem institutionellen Leben gedrängt?

Der schmale Grat zwischen Demokratieverteidigung und Demokratieverlust

Wer sich auf den Verfassungsschutz beruft, muss selbst verfassungstreu handeln. Die Entziehung des passiven Wahlrechts ohne rechtskräftige Grundlage ist ein schwerwiegender Eingriff – und im Fall Joachim Paul ein Rückgriff auf Machtinstrumente, die mehr an autoritäre Systeme erinnern als an einen liberalen Rechtsstaat. Wenn Bürgermeisterin Steinruck ein Gutachten initiiert, das dann ihre eigene Kandidatenkonkurrenz ausschaltet, handelt sie nicht neutral. Wenn ein Wahlausschuss seine Aufgabe als bloße Beglaubigungsinstanz nicht wahrnimmt, sondern politische Wertungen trifft, missbraucht er seine Rolle. Wenn eine Verwaltung „durch Internetrecherche“ politische Unbedenklichkeit bewertet, ist der demokratische Grundkonsens gefährdet.

Was wäre, wenn diese Methoden gegen politische Gegner aus dem linken Lager angewendet würden? Wer heute schweigt, weil es die „Richtigen“ trifft, wird sich morgen fragen, warum es niemanden mehr gibt, der sich wehrt. Demokratie ist kein Lagerkampf, sondern ein Verfahren.

Joachim Paul hat bereits Klage über einen Eilantrag eingereicht. Seine Chancen stehen gut – sowohl politisch als auch juristisch. Wenn Gerichte das „Gutachten“ kippen, steht nicht nur der Verfassungsschutz, sondern auch Innenminister Ebling unter Druck. Die Frage lautet dann: Wer schützt die Demokratie vor ihren selbsternannten Verteidigern? Markus Meixner wird am 21. September in Koblenz antreten. Sein Fall zeigt: Noch gibt es Orte, an denen rechtsstaatliche Verfahren gelten. Doch die politische Stimmung bleibt aufgeladen. Sollte das Gericht Joachim Pauls Kandidatur erst nachträglich bestätigen, müsste die Wahl möglicherweise wiederholt werden.

2026 und 2027 folgen neue Kommunal- und Landtagswahlen – vielleicht wird Meixner dann zum Testfall für eine Wende im Umgang mit oppositionellen Kandidaten. Die politische Instrumentalisierung von Wahlausschüssen erinnert dabei fatal an die Endphase der Weimarer Republik, als die Abwehr gegen Extremismus zunehmend selbst undemokratische Züge annahm. Der Sommer 2025 ist ein Lehrstück. Für Wähler, für Juristen, für Journalisten – und für den Zustand unserer Demokratie.

Quellen und Anmerkungen

1. Das vollständige Gutachten des Verfassungsschutzes Rheinland-Pfalz wurde von NIUS veröffentlicht: https://api.nius.de/api/assets/office-hr/f9bd16d6-add3-465b-8fde-9c589405a79c/20250729-wahl-ludwigshafen-geschw.pdf?version=0

2. „Der ausgeschaltete Kandidat“ von Andreas Rosenfelder, WELT+: https://www.welt.de/debatte/plus6893240525b84e6d4210c36f/AfD-Politiker-Joachim-Paul-Der-ausgeschaltete-Kandidat.html

3. https://www.nius.de/politik/news/ausschluss-aus-dem-staatsdienst-in-rheinland-pfalz-moegliche-berufsverbote-fuer-afd-mitglieder-bleiben/394f03f7-3c70-4820-9a28-8bd8d4dbcbb4

4. www.youtube.com/live/6Fr5r4vraqc

5. https://www1.wdr.de/nachrichten/westfalen-lippe/afd-buergermeisterkandidat-uwe-detert-darf-nicht-antreten-100.html

6. https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/afd-rechtsextrem-verfassungsschutz-beamte-parteimitglieder-100.html

7. https://www.nius.de/politik/news/nius-geheimes-gutachten-afd-politiker-Joachim-Paul-oberbuergermeister-wahl/ff923a22-b143-4703-9e7e-bba6cac82b96

8. https://www.nius.de/politik/news/verfassungsrechtler-volker-boehme-nessler-ausschluss-afd-kandidat-buergermeisterwahl/b67a6e56-bc9c-4661-9ea5-88bab484b205

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bild: Wahlzettel als Deutschlandflagge wird in Wahlurne gesteckt
Bildquelle: Igor Link / shutterstock


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Sabiene Jahn Joachim Paul Bürgermeisterwahl Ludwigshafen Markus Meixner Koblenz AfD