„Wir werden nicht schweigend in der Nacht untergehen!“

Norbert Fleischer von NuoViso.TV berichtet, wie es zur Ad-hoc-Löschung des YouTube-Kanals seines freien Mediums kam und bittet um Unterstützung im Kampf gegen die Zensur.

von Norbert Fleischer.

Hinweis zum Rubikon-Beitrag: Der nachfolgende Text erschien zuerst im „Rubikon – Magazin für die kritische Masse“, in dessen Beirat unter anderem Daniele Ganser und Rainer Mausfeld aktiv sind. Da die Veröffentlichung unter freier Lizenz (Creative Commons) erfolgte, übernimmt KenFM diesen Text in der Zweitverwertung und weist explizit darauf hin, dass auch der Rubikon auf Spenden angewiesen ist und Unterstützung braucht. Wir brauchen viele alternative Medien!

Der Betreiber des Internetkanals NuoViso hatte die Chance, vor den Vereinten Nationen gegen die aktive Beteiligung Deutschlands an Kriegen zu sprechen. Besonders klagte er die Waffenausfuhren an Saudi-Arabien an, die eine direkte Unterstützung des Krieges im Jemen darstellen, sowie die Mitschuld Deutschlands an den Drohnenmorden der US-Armee via Ramstein, die Deutschland durch einen Hinweis auf sein Grundgesetz sofort stoppen müsste. Nach diesem Auftritt von Norbert Fleischer bei der UN wurde sein Kanal durch YouTube umgehend ohne Angabe von Gründen gesperrt. Merke: Wer sich gegen Kriege einsetzt, wird mundtot gemacht, sobald er damit eine bestimmte Wirksamkeit erreicht.

Eine Sache gleich vorab: Dass nach all den Jahren der Mainstream-Kampagne gegen NuoViso ausgerechnet ein Video des Autors der offenbare Anlass für die Abschaltung sein würde — damit hätte dieser im Leben nicht gerechnet. Lesen Sie hier, wie es dazu kam, wie ernst die Lage ist und wie die Zukunft aussehen könnte.

Es ist Donnerstag, der 11. Juli, mittags. Für die Sendung „NuoViso News“, die über aktuelle Videos berichtet, sitze ich mit Frank Höfer vor zwei Kameras. Es ist eine Aufzeichnung wie unzählbare zuvor, doch in uns beiden regt sich fast unmerklich eine Mischung aus ehrlicher Vorfreude und unbestimmbarer Sorge. Dieses Mal geht es um was Großes. Wir haben unser Heimatland für seine verlogene Friedenspolitik auf offener Weltbühne kritisiert. Wir wissen, dass NuoViso wieder einmal zum Politikum werden könnte, wie jedes Mal zuvor. Waren es eine Preisverleihung, ein politisch unkorrektes Video oder auch nur die Teilnahme an einem Musikfestival: Immer dann, wenn in der Filterblase des Mainstreams der Name NuoViso auftaucht, gibt es hinterher Ärger. Meistens sind es Zeitungsartikel oder tagelang hektische Korrespondenz mit unseren Rechtsanwälten. Was dieses Mal passieren würde, ahnen wir nicht. Als wir uns nach dem Dreh verabschieden, scherzen wir noch darüber.

Sechs Stunden später, Frank hat erst 45 Minuten zuvor die Sendung mit meinem Auftritt bei den Vereinten Nationen hochgeladen, ploppt auf meinem Monitor plötzlich ein Skype-Fenster auf. Nur vier Worte. „Jetzt ist es passiert“, schreibt Frank um 20.52 Uhr. Um was „es“ dabei geht, braucht er nicht zu schreiben, denn ich verstehe den Satz sofort. Über „es“ haben wir bei NuoViso in den vergangenen Monaten immer wieder gesprochen. Es war unser wichtigstes Thema, in den Sendungen, im Studio, in den Büros, auf den Gängen davor.

„Es“, das ist für uns der Tag X, von Youtube’s immer schärfer werdenden Nutzungsbestimmungen akribisch vorbereitet, vorgeblich, um dem Markt der Werbekunden weiter zu gefallen. „Es“ ist der Zeitpunkt, an dem wir beginnen müssen, um unser wirtschaftliches Überleben zu kämpfen. Sofort versuche ich, den NuoViso-Kanal bei dem Portal aufzurufen. „Dieser Kanal ist nicht vorhanden“, teilt mir YouTube lakonisch mit. Die Gewissheit fühlt sich an, als wäre ich mit einem riesigen Boxhandschuh K.O. geschlagen worden. So müssen Hinterbliebene sich fühlen, wenn plötzlich die Polizei vor der Tür steht und eine Todesnachricht überbringt.

Für eine Viertelstunde sind wir wie gelähmt. Kein Gedanke über das „Was nun?“ oder „Wie weiter?“ dringt zu mir durch. Ich bin handlungsunfähig, in meinem Kopf gibt es nur noch Entsetzen. „Es“ ist zur Realität geworden. Im betriebsinternen Gruppenchat setzt hektische Betriebsamkeit ein: Die Frage nach dem „Warum?“ wird gestellt. Frank weiß es nicht. „In der Mail steht, wir hätten gegen die Nutzungsbestimmungen verstoßen“, schreibt er. Welche genau, wann, wie und wo, darüber schweigt sich die E-Mail aus. „Dicht gemacht wegen Weiß nicht“, lautet im Prinzip die Botschaft. Bis spät in die Nacht spekulieren wir über die Gründe. Wir wollen einfach nicht glauben, dass die Löschung im Zusammenhang mit dem zuletzt hochgeladenen Video — dem UN-Video — stehen könnte. Denn das wäre ja glasklare Zensur. Würde der Mutterkonzern Google sich tatsächlich so einen Lapsus erlauben? Doch: Wenn es das UN-Video nicht war, was war dann der Grund für die Löschung? Keiner der Kollegen hat eine Idee.

Aufgrund der zunehmenden Schärfe der Nutzungsbestimmungen hatten sich unsere Jungs in den vergangenen anderthalb Jahren besonders bemüht, keine Videos mit Sätzen zu veröffentlichen, die einfach nicht stimmten oder die sich als irgend eine Aufforderung zu einer Straftat auslegen ließen. Mit dem gemeinsamen Gefühl, das eigene Kind sei entführt worden und man wisse nicht, ob man es je wieder zurückbekäme, verabschieden wir uns ratlos in die Nacht. Schlafen werden die wenigsten von uns.

Freitagmorgen, 12. Juli. Krisensitzung. Übermüdet sitzen wir in Franks Büro. Die Diskussion will nicht so recht in Gang kommen. Linderung verschafft uns ein Blick auf hunderte Solidaritätsbekundungen, die schon kurz nach der Löschung des Kanals eingesetzt hatten. Unsere Zuschauer sind schockiert, gleichzeitig auch überwiegend nicht überrascht — denn, dass dieser Tag kommen würde, das wussten alle.

Die Reaktionen reichen von Schockstarre über Trotz, bis hin zu „unbeschreiblicher Wut im Bauch“. „Ich habe jetzt alles bei YouTube und Google an Abos gekündigt, solch eine Plattform werde ich nicht mehr unterstützen!“, schreibt uns jemand aus der Schweiz. „Wie wird es eurer Meinung nach für euch und andere freie beziehungsweise alternative Medien wohl in Zukunft laufen?“, fragt Alex aus Bielefeld. Regina aus Schleswig-Holstein schickt uns ein Foto ihres Wagens, an dem sie gerade, und zwar jetzt erst recht, einen NuoViso-Aufkleber angebracht hat. Insgesamt dominieren Begriffe wie „unfassbar“, „Hexenjagd“ und „Solidarität“ die Wortmeldungen.

Viele Zuschauer bieten ihre Hilfe an, spenden oder erteilen uns Daueraufträge. Prominente aus dem gesamten Spektrum der Alternativen Medien schicken uns Videos, in denen sie gegen die Schließung protestieren. Für taz-Mitgründer und Bestsellerautor Mathias Bröckers weist das Verhalten Youtube als Teil des militärisch-industriellen Komplexes aus. Dirk Pohlmann, TV-Journalist und Medienprofi, der wohl weiß, wie böswillig man ihm einen Vergleich mit der Nazi-Diktatur auslegen könnte, bezieht sich in seiner mutigen Stellungnahme auf das berühmte Zitat des NS-Opfers Martin Niemöller:

„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“

Kurzum: Das „Who is who“ der deutschen Alternativ-Szene zieht zum ersten Mal in der Geschichte an einem Strang. Daniele Ganser, Ken Jebsen, Mathias Bröckers, Oliver Janich und Dirk Pohlmann, wer hätte das gedacht? — gemeinsam mit vielen Weiteren kämpfen sie um das Überleben von NuoViso. Nicht, weil sie alle Fans wären (teilweise ganz im Gegenteil) sondern, weil sie wissen, dass es in diesem Fall ganz konkret auch um ihre eigene Zukunft geht. Hier geht es um ein heiliges Prinzip: Nichts Geringeres als die Meinungsfreiheit steht auf dem Spiel.

Wir sind von der anrollenden Welle der Anteilnahme überwältigt. Sie erfüllt uns mit Stolz und macht Mut. Doch wir wissen: Trotz sofort eingelegter Beschwerde bei YouTube ist die Lage äußerst kritisch. Wir wissen nicht, wie lange der monatliche Geldeingang, durch Dauerabos und Spenden, noch anhalten wird, der es NuoViso erlaubt, seinen Mitarbeitern ein kleines Gehalt zu zahlen und ein gemietetes Studio samt Technik zu unterhalten — denn der größte Teil der 170.000 Youtube-Abonnenten, der von unserer Schließung noch nichts weiß, dürfte sich irgendwann beim Lesen des Kontoauszugs überlegen, ob er weiterhin einen Kanal mit Spenden unterstützen soll, von dem er in den zurückliegenden Wochen auf der Plattform nichts mehr anschauen konnte. Die Werbeeinnahmen sind auch weg.

Samstag, 13. Juli. Unser Video mit dem Titel „#saveMeinungsfreiheit — unser gemeinsamer Nenner“ ist auf dem übergangsweise eingerichteten Ausweichkanal auf Youtube rund 70.000 mal angeklickt worden, mehr als 26.000 haben ihn abonniert. Aus der ehemals zweitgrößten deutschen alternativen Nachrichtenplattform ist über Nacht eine von vielen kleinen geworden. Wir freuen uns über mehr als 1.700 Kommentare und fast 10.000 Likes. Doch wie lange wird es dauern, bis der Betreiber der Plattform auch diesen Kanal löschen wird? Die wiederum neu eingegangenen Zuschauermails zeigen, dass wir mit dieser Sorge nicht allein sind. Zwar gibt es andere Videoplattformen, zum Beispiel dtube, rutube oder Vimeo, doch die Erfahrungen haben gezeigt, dass die jeweiligen Seiten, im Gegensatz zur Google-Tochterfirma, allenfalls einen Bruchteil der Menschen erreichen.

Wie auch immer Youtube über die Beschwerde von NuoViso gegen die Löschung entscheiden mag — eine Sache steht für uns alle fest: Selbst, wenn der Kanal wiederhergestellt werden würde, wäre NuoViso nicht mehr das Alte. Die emotionale Ausnahmesituation, die Existenzängste, die die Belegschaft in den vergangenen Tagen durchgemacht hat, ließ uns alle noch entschlossener werden, beim Kampf um das Recht auf freie Meinungsäußerung. Wir sind noch wütender geworden. An der überwältigenden Welle der Solidarität, die uns erreicht hat, sehen wir aber auch, zum ersten Mal, dass die wichtigsten Politik-Youtuber der Alternativen Medien an einem Strang ziehen können, wenn es um ein für Alle überlebensnotwendiges Gut wie die Meinungsfreiheit geht. Wir sind so entschlossen wie nie, dieses Grundrecht auch im Internet zu verteidigen.

Der Friedensaktivist Owe Schattauer hat in seinem Video-Statement eine entscheidende Frage gestellt: „Leben wir in einer Diktokratie, oder in einer Demokratur?“ Die ehemalige Tagesschau-Sprecherin Eva Hermann und ihr Lebensgefährte Andreas Popp sehen in der Abschaltung des Kanals „die ersten, ganz klaren Anzeichen von Totalitarismus“, einer Gesellschaft, in der nicht mehr auf der Sachebene diskutiert werden dürfe, sondern nur noch auf der emotionalen. Das Fehlen einer medialen Debatte über ganz grundsätzliche Fragen, wie Krieg oder Frieden, lässt diese Gesellschaft immer dümmer werden.

Die alltägliche Gefahr, aufgrund einer unbedachten Äußerung oder wegen einer außerhalb des schmalen, zulässigen Meinungsspektrums liegenden Ansicht zum Geächteten zu werden, wächst mit jedem Tag. Diesem mit Moralin vergifteten Diskussionsklima werden wir uns verstärkt überall dort entgegenstellen, wo konkrete Beschneidungen der Meinungsfreiheit drohen. Die breite Front unserer Unterstützer, die sich in diesen Tagen zu Tausenden mit NuoViso solidarisieren, haben uns dazu gebracht, dass wir einen neuen Anlauf starten wollen, für alle alternativen Medien endlich eine gemeinsame Plattform zu schaffen, auf der grundsätzlich Jeder das berichten darf, was er will, solange es nicht gegen deutsche Gesetze verstößt. Eine Plattform mit eigenen Werbekunden, die es zweifellos gibt und zudem eine, die es mit YouTube aufnehmen kann.

Die Bundesrepublik hat es in der vergangenen Dekade versäumt, eine eigene Infrastruktur Sozialer Medien auf die Beine zu stellen, in denen die politische Willensbildung heutzutage nun einmal stattfindet — und dieses Versäumnis rächt sich jetzt. Eine dauerhafte Zusammenarbeit mit einem amerikanischen Medienkonzern, der sich im Zweifel als Gehilfe des militärisch-industriellen Komplexes herausstellt, ist für uns nicht mehr vorstellbar, und bis wir diese gemeinsame Plattform fertig aufgebaut haben, werden wir jedem Betreiber sozialer Medien in Zukunft laut entgegenrufen:

„Wir pfeifen auf Eure marktfundamentalistischen Nutzungsbedingungen! Wir verteidigen unsere Redefreiheit! Wir kämpfen dabei gemeinsam bis zum letzten Abonnenten, mit allen gesetzlichen Mitteln und allen verfügbaren Leuten!“ Unser Erfolg ist ungewiss, doch unser größtes Versprechen, das Gebot der Stunde, lautet: Wir werden nicht schweigend in der Nacht untergehen.“

Norbert Fleischer, Jahrgang 1978, aufgewachsen in Karl-Marx-Stadt, kennt sich gut mit der Anatomie der Mainstream-Meinung aus. Zu DDR-Zeiten Jung- und Thälmannpionier, erlebte er seine späte Kindheit und die Jugend unter den wechselhaften Eindrücken von Sozialismus, Friedlicher Revolution, Wiedervereinigung, Kapitalismus sowie den Irak- und Jugoslawienkriegen, was seine friedenspolitische Einstellung sehr geprägt hat. An der Hochschule Mittweida studierte er von 1998 bis 2004 Medienmanagement. Heute lebt und arbeitet er freiberuflich als Journalist in Leipzig und arbeitet für NuoViso.TV.

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Dieser Beitrag erschien am 15.07.2019 bei Rubikon – Magazin für die kritische Masse.

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