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Wir, die "Doppelgänger": Auf dem Weg in die Dunkelheit | Von Tom J. Wellbrock

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Ein Kommentar von Tom J. Wellbrock.

Kürzlich hat der Bayerische Verfassungsschutz verschiedene Websites als Verbreiter "russischer Narrative" bezeichnet. Neben der Berliner Zeitung und den NachDenkSeiten war auch unser Blog Neulandrebellen" mit auf der Liste.

Nach dem Bericht "Doppelgänger" des Bayerischen Verfassungsschutzes gab es ungewöhnlich viel Kritik, unter anderem aus den Mainstreammedien. Also ruderte man zurück und beschwichtigte, man sei lediglich - Zitat - "missverstanden" worden. Das darf und muss mit Fug und Recht bezweifelt werden. Und so lohnt es sich, einen genaueren Blick auf diesen Vorfall zu werfen.

Wenn ein Ukrainer russische Narrative verbreitet

Der Bayerische Verfassungsschutz hat nicht einfach nur ins Blaue geschossen und einige Medien des Verdachts der russischen Nähe ausgesetzt. Er hatte auch ganz konkrete Medienstücke im Auge. Bei den NachDenkSeiten war es genau ein Artikel, der vom Verfassungsschutz gelistet wurde. Dazu schreibt Jens Berger in seinem Text:

"Der Bericht wurde mittlerweile korrigiert <0> und nun ist auch bekannt, welcher Beitrag der NachDenkSeiten den Vorwurf, 'russische Narrative zu verbreiten' ausgelöst hat – ein Gastartikel des oppositionellen linken ukrainischen Politiker Maxim Goldarb <1>. Welch bittere Ironie. Goldarb beklagt in seinen Artikeln rechtsstaatliche Defizite in der Ukraine, wurde daraufhin von den ukrainischen Behörden verfolgt und ist mittlerweile auf der Flucht. Kritik an der Rechtsstaatlichkeit ist also ein 'russisches Narrativ'?"

Um die rhetorische Frage Bergers zu beantworten: Ja, die Kritik an einem System, das sich von der Rechtsstaatlichkeit längst verabschiedet hat, ist der Bedienung des russischen Narrativs gleichzusetzen. Und zwar aus einem einfachen Grund.

In der westlichen Erzählung spielt die Geschichte der Ukraine und die Vorgeschichte des aktuellen Kriegs in der Ukraine schlicht keine Rolle mehr. Mehr noch, sie existiert einfach nicht mehr. Politik, aber insbesondere westliche Medien, die vor 2022 noch kritisch über faschistoide Tendenzen und Korruption in der Ukraine berichtet hatten, schweigen seit dem 24. Februar kollektiv still. Dieselben Medien haben sogar über die Grausamkeiten Kiews in der Ost-Ukraine seit 2014 berichtet, auch davon ist nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine 2022 nichts mehr übrig.

Und es geht um mehr als nur sogenannte russische Narrative. Ebenfalls auf den NachDenkSeiten erfahren wir:

"Goldarb <2> ist Vorsitzender der 'Union der linken Kräfte' und war vor dem Maidan-Putsch leitender Rechnungsprüfer und Kontrolleur der Finanzen des ukrainischen Verteidigungsministeriums. Die Union der linken Kräfte ist eine 2007 gegründete ukrainische Oppositionspartei, die sich am Demokratischen Sozialismus orientiert und unter anderem zum Ziel hatte, die ausufernde Privatisierung strategischer Staatsunternehmen sowie den Verkauf landwirtschaftlicher Flächen an ausländische Großkonzerne zu stoppen sowie die Ukraine geopolitisch neutral auszurichten. Zudem setzte sie sich für Russisch als zweite Amtssprache und eine Stärkung des ländlichen Raums ein."

Das Gerede von russischer Propaganda ist ohnehin Unsinn, es geht in der Ukraine um Rohstoffe und die breitflächige Ausbeutung des ganzen Landes, Privatisierung inklusive. Plappermaul Roderich Kiesewetter (CDU) hatte das vor einiger Zeit ja auch ganz offen gesagt <3>. Diese Tatsachen sind auch ein Beleg dafür, dass es beim Bericht „Doppelgänger“ um mehr als die Verbreitung angeblicher russischer Desinformation geht.

Die Medienschlinge

Beeindruckend an dem Bericht des Verfassungsschutzes ist die Tatsache, dass nicht nur sogenannte alternative Medien dort auftauchen, sondern auch solche, die eigentlich für die Mächtigen keine oder eine nur sehr geringe Gefahr darstellen. Neben der Berliner Zeitung und dem Freitag ist sogar der NDR zu finden, weil er einen Bericht über einen geflüchteten Ukrainer verfasst hatte, der nicht wieder in die Ukraine zurückkehren will.

Doch es geht über dieses Thema hinaus. Das zeigt ein im Bericht aufgelisteter Text aus dem Merkur <4>, in dem es heißt:

"Wirtschaftsminister Robert Habeck steht seit Monaten in der Kritik. Der Glaube, dass er die richtigen Ideen für die kriselnde deutsche Wirtschaft hat, schwindet. Eine Unternehmerin wird nun sehr deutlich."

In dem Artikel wird die Wirtschaftspolitik von Robert Habeck (die Grünen) kritisch unter die Lupe genommen, unter anderem kommt eine Unternehmerin zu Wort, die kein gutes Haar am Wirtschaftsminister Deutschlands lässt. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Ein Artikel über die desaströse Wirtschaftspolitik eines vom Kopf bis zu den Füßen inkompetenten Ministers schafft es bis in die Büros des Verfassungsschutzes.

Der Aufschrei der Medien war nach dem Bericht des Verfassungsschutzes sicher auch deshalb so laut, weil sich die Schlinge langsam zuzieht. Man muss unweigerlich an Martin Niemöller und dessen berühmte Worte denken:

"Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Gewerkschaftler holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschaftler. Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Jude. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte."

Blumig formuliert könnte man sagen, dass einigen Journalisten inzwischen womöglich "der Arsch auf Grundeis geht", denn wenn der Schutz der Mächtigen (volkstümlich Verfassungsschutz genannt) jetzt schon auf die losgeht, die ihn doch brav und treu unterstützen, kann das beunruhigend wirken. Medienstücke über die deutsche Wirtschaftspolitik, aber auch solche, die sich kritisch mit der US-amerikanischen Rüstungsindustrie befassen, waren für den Bayerischen Verfassungsschutz Grund genug, in seinen Bericht aufgenommen zu werden. Das bringt Journalisten in eine unbequeme Lage.

Denn sowohl bei Corona als auch beim Ukraine-Krieg gab es eine unausgesprochene Verabredung unter den Mainstream-Journalisten, dass nur eine Erzählung erlaubt ist. Die überwiegende Mehrheit hielt sich artig daran, das Ergebnis sind totalitäre Entwicklungen, die durch eben jene befeuert werden, deren Auftrag das genaue Gegenteil wäre, nämlich mit kritischer Präzision auf diese gefährlichen Auswüchse des Machtmissbrauchs zu schauen.

Doch abseits der großen Narrative, zu denen sich alle verabredet hatten, gab es Nischen, in denen sich Journalisten häuslich einrichten und so tun konnten, als seien sie kritische Geister. Dort konnten sie sich frei bewegen und auch mal etwas schreiben, das den Anschein des Progressiven erweckte. Man tat niemandem weh, trug zu keinerlei Veränderung bei (was durchaus früher einmal in der Macht des Journalismus lag) und blieb schön auf Linie, für die Konsumenten aber trug man den Schein des kritischen Journalismus.

Der Bericht des Bayerischen Verfassungsschutzes zeigt nun aber auf, dass auch diese Nischen nach und nach preisgegeben werden müssen. Es ist nicht mehr das sogenannte russische Narrativ, das bekämpft werden muss, sondern das westliche Narrativ, das nicht mehr kritisch begleitet und kommentiert werden darf. Somit wird die Möglichkeit, etwas zu schreiben, das von der Regierungslinie abweicht, um einen weiteren Faktor beschnitten. Wohin das führen kann und vermutlich wird, ist keine Frage für Raketenwissenschaftler, sondern für den gesunden Menschenverstand.

Auch kleine Lichter werden ausgeknipst

Die Tatsache, dass unser Blog "Neulandrebellen <5>" ebenfalls ins Visier des Verfassungsschutzes geraten ist, kann kaum etwas mit unserer Reichweite zu tun haben, die ist zwar nicht ganz schlecht, aber weit davon entfernt, bundesweit oder sogar grenzübergreifend einen wie auch immer gearteten Einfluss zu nehmen. Es liegt wohl eher daran, dass mein Blogpartner in Moskau lebt und ich selbst zum Zeitpunkt des Erstellens des Berichtes ebenfalls in Russland gearbeitet habe.

Zwei Journalisten, die direkt aus Moskau für den Feindsender RT Artikel schreiben und dann in Deutschland publizieren? Das muss zu viel gewesen sein. Mein Blogpartner ist nach wie vor in Russland, er wird dort aller Wahrscheinlichkeit nach auch bleiben, musste er in Deutschland doch seinerzeit mit Morddrohungen und massiven Beleidigungen leben. Es ist dort schlicht sicherer für ihn, denn der Hass in Deutschland, der allem Russischen und jeder Sympathie für die russische Sichtweise entgegenschlägt, hat zutiefst abscheuliche Züge angenommen.

Ich selbst habe Russland <6> inzwischen wieder verlassen, doch mein Weg führte mich nicht nach Deutschland, wo ich mehr als 50 Jahre meines Lebens verbracht habe. In Anbetracht der Tatsache, dass ich es "geschafft" habe, Aufmerksamkeit beim Verfassungsschutz zu erzeugen, wäre es womöglich keine gute Idee, wieder nach Deutschland zu gehen. Russen sind in Deutschland von Politik und Medien nicht mehr erwünscht, Deutschen, die in Russland gearbeitet haben, wird vermutlich auch nicht gerade ein Willkommensgeschenk zur Rückkehr gemacht, und falls doch, bin ich nicht sicher, es haben zu wollen.

Dass mein Weg mich von der ersten Politisierung im zarten Jugendalter bis heute zu seinem vorläufigen tragischen Höhepunkt auf der Liste des Bayerischen Verfassungsschutzes führt, hätte ich nicht gedacht, bei aller Kritik, die ich schon immer in mir trug, war da doch ein gewisses Urvertrauen in das Funktionieren der Demokratie, wie angeschlagen sie auch ist und schon länger gewesen sein mag.

In die Dunkelheit

Doch jetzt stehe ich etwas Großem gegenüber, und mein eigenes Schicksal ist in diesem Komplex nur eine Randerscheinung. Ich könnte mich beklagen, weil ich als Journalist beobachtet werde, ich könnte es als "Ritterschlag" umdeuten, wie es viele meiner Leser mir empfohlen haben. Doch das spielt hier keine Rolle, es geht nicht um mich oder meine Befindlichkeiten. Vielmehr wird die deutsche Medienlandschaft und mit ihr die gesamte Gesellschaft nach und nach zerpflückt, zerrissen, aufgebohrt und neu versiegelt. Dieser Vorgang scheint unaufhaltsam zu sein, denn wer zu Recht "Die Ampel muss weg!" fordert, verkennt, dass die Alternative nicht besser ist. Diese Form des Totalitarismus auf den Weg gebracht haben die Grünen mit ihrer ideologischen Politik. Doch sowohl die Regierungsparteien als auch die Unions-Opposition folgen dem Ruf des grünen Totalitarismus nur allzu gern. Waren schon vor der letzten Bundestagswahl Wahlen nur ein Leckerlie für die Bürger, um den Anschein von Einfluss zu vermitteln, ist das, was wir jetzt erleben und erleben werden, nichts weiter als eine surreale Konstruktion eines demokratieähnlichen Breis, der stinkt und qualmt. Die nächste Bundesregierung wird nicht "Ampel" heißen, aber sie wird "Ampel" machen.

Der Verfassungsschutz - und mit ihm all die NGOs, die dem Demokratiefördergesetz entsprungen sind – wird weiterhin mit Argusaugen auf die Kritiker schauen, und sind sie ausgemacht, werden sie verfolgt, verboten, verklagt. Rechtsstaatlichkeit wird in Deutschland künftig ähnlich pulverisiert werden wie in der Ukraine, die schon jetzt als leuchtendes Vorbild für die deutsche Politik gilt. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet die Ukraine in Deutschland so verehrt wird. Sie ist die Blaupause für ein System, das aus Totalitärem, Russophobem, Neoliberalem und Bellizistischem zusammengesetzt ist.

Und der Aufschrei aus dem Mainstream nach dem "Doppelgänger"-Bericht? Er wird nicht nachhaltig sein, er wird sich nicht wiederholen, denn der Verfassungsschutz hat ausgelotet, wie er vorgehen muss, er hat getestet, wie radikal er sein kann, bis er auf Gegenwehr stößt. Von nun an werden die Methoden subtiler, der Druck nicht schwächer, sondern unauffälliger, doch an der Richtung hat sich nichts geändert. Künftig werden die Maßnahmen des Verfassungsschutzes und seiner Komplizen nicht mehr "missverstanden" werden. Der Weg in die Dunkelheit wird jedoch unmissverständlich fortgesetzt.

Quellen

<0> https://www.verfassungsschutz.bayern.de/ueberuns/medien/pressemitteilungen/klarstellung-desinformationskampagne-doppelgaenger/

<1> https://www.nachdenkseiten.de/?p=107473

<2> https://www.nachdenkseiten.de/?gastautor=maxim-goldarb <3> https://weltwoche.ch/daily/europa-braucht-lithium-in-der-ukraine-ginge-es-um-westliche-werte-wurde-uns-immer-gesagt-cdu-kiesewetter-verraet-nun-es-gebe-noch-ganz-andere-ziele/ <4> https://www.merkur.de/wirtschaft/schon-sprachlos-unternehmerin-zerlegt-robert-habeck-gruene-minister-ampel-da-bist-du-92923201.html <5> https://www.neulandrebellen.de/ <6> https://www.neulandrebellen.de/2024/09/einmal-russland-und-zurueck-ein-erlebnisbericht/

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Dieser Beitrag erschien zuerst am 24. September 2024 bei anderweltonline.com

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Bildquelle: Raland / shutterstock


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