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Wie kommt man in vier Tagen von Hamburg nach Bremen?

Wie kommt man in vier Tagen von Hamburg nach Bremen?


Ein Meinungsbeitrag von Dirk C. Fleck.

Sind nur knapp hundert Kilometer. Sollte doch machbar sein für die Deutsche Bahn. Weit gefehlt, mein Freund. Nicht wenn gigantisches Unvermögen von diabolischen Kräften unterfüttert wird. Aber der Reihe nach: hier der nüchterne Bericht eines kleinen, kaum erwähnenswerten Ausflugs in Deutschland des Jahres 2024.

TAG 1: Taxi ist pünktlich. 18 Euro zum Dammtor Bahnhof. Kenn ich, habe ich abgezählt dabei. Der ICE, oh Wunder, wird ebenfalls pünktlich erwartet. Das ist nicht selbstverständlich auf den 8 Kilometern von Hamburg-Altona hierher. Jetzt müsste er kommen. Was kommt, ist eine kaum verständliche Lautsprecherdurchsage, die scheppernd darüber informiert, dass der Zug ausfällt, oder so ähnlich. Ich stecke in einer Kolonne von Fahrgästen fest, die ihre Koffer in Richtung des gläsernen Kiosks rollen, in dem für gewöhnlich Auskunft erteilt wird. Der Kiosk ist leer, es sitzt niemand vor dem Bildschirm. Ein Mann rüttelt an der Tür. Abgeschlossen. Aus der hinteren Reihe ruft jemand: „Heute fährt kein Zug mehr. Brand im Bremer Hauptbahnhof.“ Er deutet auf sein Smartphone. Prompt zücken die Wartenden unisono ihr Galaxy und nicken. Ich eile zur Treppe, bevor das Getrampel los geht. 20 Euro fürs Taxi zurück zu meiner Wohnung. Brände passieren. Dann eben morgen nach Bremen.

TAG 2: Taxi kostet wie gehabt. Auf Gleis 4 herrscht ein reger Austausch unter den Wartenden. Die Menschen sprechen miteinander, sie schütteln den Kopf, manche lachen hysterisch auf. Bahnfahren verbindet. Jeder scheint eine absurde Geschichte parat zu haben und immer spielt die Deutsche Bahn darin die Hauptrolle. Auf der blauen Tafel über unseren Köpfen bewegt sich ein elektronisches Laufband: Der ICE 267 nach Bremen fällt aus … Der ICE 267 nach Bremen fällt aus … fällt aus, fällt aus etc., etc. Eine Begründung gibt es nicht. Also trete ich erneut den Gang zum gläsernen Kiosk an. Und wieder ist er verlassen. Wenn ich Angestellter der Deutschen Bahn wäre, würde ich mich dem Zorn der Kunden auch nicht stellen wollen. Naja, es gibt ja noch den Metronom. Der hält zwar unterwegs an vier Stationen, aber was soll‘s. Vergiss deine Buchung 1. Klasse, vergiss deine Sitzplatzreservierung. Hauptsache du kommst nach Bremen. Also ab in die S-Bahn zum Hauptbahnhof, von dort fährt er nämlich, der Metronom. Aber wann? In 45 Minuten, erfahre ich von einem Bahnbeamten, der für mich extra sein Handy bemüht. „Gleis 9, Abschnitt A-E. Das ist ganz hinten.“ Wer den Hamburger Hauptbahnhof kennt, weiß, dass ganz hinten ganz hinten ist. Ich greife meine Reisetasche, die ein beträchtliches Gewicht hat und gehe auf die Rolltreppe zu. Die läuft nach unten, wie heute übrigens alle Rolltreppen im Hauptbahnhof. Ich kämpfe mich auf Gleis 9 durch einen Pulk von aufgebrachten Wartenden, die mit Kinderwagen, Fahrrädern und schweren Koffern angetreten sind, um Bremen zu erobern. Die zwei Bänke, die man auf hundert Metern aufgestellt hat, sind besetzt. Auf der einen hat sich eine schwarze Mutti mit ihren drei Balgen breit gemacht, die allesamt auf dem Handy Krieg spielen, während uns per Lautsprecher eine Information nach der anderen um die Ohren gehauen wird, in denen behördliche Maßnahmen, Notfalleinsätze und technische Defekte als Begründung für weitere Zugausfälle genannt werden. „Wir bitten um Entschuldigung“. Dieses Mantra geistert durch die Halle, während sich auf den Bahnsteigen kaum noch ein Stehplatz finden lässt. 13Uhr15. Zeit für den Metronom. Eigentlich. Verspätet sich voraussichtlich um 30 Minuten. Die halbe Stunde ist um. Zug fällt aus. Gibt kein Zugverkehr mehr nach Harburg. Strecke gesperrt. „Wir bitten um Entschuldigung“. Ich rempel mich durch den ganzen Bahnhof, steige mit schwerer Reisetasche eine lange Treppe hinauf in die Wandelhalle, durchquere sie auf voller Länge und steige außerhalb des Bahnhofs hinab zur S-Bahn, die auch schon da steht. Das ist endlich ein erfreuliches Ereignis. Fährt sie auch über Dammtor? Ja, tut sie, steht auf der Anzeigentafel. Aber dann geht es nicht über die Lombardsbrücke, sondern in einen Tunnel. Nächste Haltestelle ist Jungfernstieg, nicht Dammtor. Hier kenn ich mich nicht aus. Nach einem langen Marsch durch endlose Gänge erreiche ich den Ausgang Rathaus. An der frischen Luft werde ich von einem Geräusch empfangen, das einen glauben lässt, man würde im Mörser zerstampft. Schuld ist ein mordsmäßiger Presslufthammer, dessen Getöse ich im Laufschritt zu entkommen versuche. Auf der anderen Seite des Rathausmarktes befindet sich die Haltstelle für den 5er, der mich zur Hoheluftbrücke bringt. Von dort ist es nur noch ein Kilometer nachhause. Die Haltestelle, lese ich, ist ab heute für sechs Monate gesperrt. Taxi! Wo finde ich ein Taxi? Drüben in der Mönckebergstraße ist ein Stand. Der Fahrer scheint mich für einen Touristen zu halten, jedenfalls schlägt er eine seltsame Route ein. „Baustellen,“ sagt er und zuckt mit den Schultern. „Über 900 gibt es zur Zeit in Hamburg.“ Vermutlich hat er recht. Rote Reiter, wohin man blickt. Am Ende stehen 26 Euro 8o auf der Uhr. Ich gebe ihm 30, das war es doch wert heute.

TAG 3: 7 Uhr. Rein ins Internet. Die Bahn meldet noch keine Störung. Heute nehme ich den 8Uhr38. Frühstücken ist nicht. Der Eisschrank ist wie vor jeder Reise leer gefuttert. Ich mache es kurz: kaum Leute auf dem Bahnsteig. Im gläsernen Kiosk aber sitzt einer. „Der 8Uhr38er fällt heute aus,“ sagt er. Grund ist eine behördliche Maßnahme. Ich gebe auf. 60 Euro Taxigeld hat es mich bisher gekostet, nicht nach Bremen zu kommen.

Am vierten Tag klappt es reibungslos. Der ICE ist pünktlich und kommt pünktlich in Bremen an. Reibungsloses Umsteigen in den zwölf Minuten später fahrenden Regio nach Norddeich Mole auch kein Problem. Was für ein berauschendes Gefühl es doch ist, wenn im Deutschland 2024 vorübergehend Normalität einkehrt.

PS: Vorübergehend - Sie haben richtig gelesen. Denn eine Woche später steckte ich auf dem Rückweg prompt in Bremen fest. Der ICE wurde gegen einen anderen ohne Speisewagen ausgetauscht, hieß es, er sei aber pünktlich, was auf der Strecke, die aus Basel kommend durchs Ruhrgebiet führt, nie vorkommt. Auf dem Bahnsteig war dann eine Verspätung von einer Stunde angezeigt, die später in der Mitteilung mündete, dass der Zug ausfällt. Kurz hinter Bremen wurde die Strecke nach Hamburg gesperrt, sodass man anbot, mit der Bummelbahn nach Kirchweye zu fahren, um dort in einen umgeleiteten ICE zu steigen. So verlockend das Angebot war, aber nein, danke. Hatte ich Lust bei Ausfall des ICE`s in Kirchweye zu nächtigen? Ratlos unter Ratlosen auf Gleis 10. Plötzlich ging das Gerücht, dass ein Metronom demnächst (!) nach Hamburg fahren würde. Stimmte.

Nach zwei Stunden rollte er ein. Ich hatte inzwischen drei Schnecken beim Bahnhofsbäcker gegessen. Zur Schnecke machen konnte ich mich auch. Der Metronom wurde regelrecht gestürmt, von Menschen, denen die letzten drei ICE`s entzogen worden waren. Die 1. Klasse war gesperrt, Klimaanlage defekt und das bei 33 Grad im Schatten. Inzwischen war ich vier Stunden unterwegs, als es plötzlich die Möglichkeit gab, mit der Regionalbahn Richtung Hamburg aufzubrechen. Die hielt zwar an jeder Milchkanne, hatte aber eine klimatisierte 1. Klasse, in der außer mir nur ein Computerfreak mit Kopfhörern Platz nahm. Sechzehn Stationen fuhren wir in gemächlicher Fahrt. Die Landschaft, die sich den Blicken im ICE bei 240 km/h kaum erschließt, bot sich dar in all ihrer grünen Pracht. Herrlich. Unvergesslich.

+++ Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags. +++ Bildquelle: Emilie Nerlich / shutterstock


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