Wenn die Olivenhaine Trauer tragen

Gedankensplitter zum 70. Jahrestag der Gründung des Staates Israel.

Hinweis zum Rubikon-Beitrag: Der nachfolgende Text erschien zuerst im „Rubikon – Magazin für die kritische Masse“, in dessen Beirat unter anderem Daniele Ganser und Rainer Mausfeld aktiv sind. Da die Veröffentlichung unter freier Lizenz (Creative Commons) erfolgte, übernimmt KenFM diesen Text in der Zweitverwertung und weist explizit darauf hin, dass auch der Rubikon auf Spenden angewiesen ist und Unterstützung braucht. Wir brauchen viele alternative Medien!

„Jeder, der in der israelischen Armee dient, ist ein Gerechter“, sprach einer der führenden nationalreligiösen Rabbiner, Eli Sadan (1). Selbstgerecht sind sie und so die Scharfschützen, die freitags friedliche Demonstranten hinrichten. Jeder davon ist offiziell ein Terrorist – kein Mensch, sondern Tier. Bleierne und gasgeschwängerte Luft hängt in den Olivenbäumen. Ein Krieg ist nie gerecht. Es heißt, dass der Olivenbaum zwischen dem 40. und 150. Lebensjahr in der Blüte seiner Kraft stehe. Der Mensch fällt gemeuchelt in der Blüte seines Lebens viel früher in diesem siebzigjährigen Krieg. Manch ein Olivenbaum hat diese unmenschliche Zeit schon überdauert.

Palästina war früher ein blühendes Land mit Olivenhainen am Übergang zur Halbwüste, besiedelt seit der Bronzezeit von Kanaanitern, ihren Nachfahren sowie Einwanderern, die gekommen waren, um kurz zu bleiben und zu herrschen. Die Olivenhaine luden sie ein. „Der Olivenbaum stellt ein Zeichen der Verbundenheit dar zwischen Volk und Land. (…) Nicht umsonst symbolisiert der Olivenzweig Frieden“ (2). Die letzten Herrscher nach dem kolonialen Empire sind die Siedlerkolonisten, meist Nachfahren der europäischen Ashkenazim, die gekommen waren ohne Olivenzweig, um lang zu bleiben und zu herrschen.

Die Ansässigen waren schon vor den Zionisten da und sind es immer noch, auch wenn sie sich jetzt, gleich Tieren, hinter Zäunen verkriechen müssen. Um das Wasser ringend, denn die Halbwüste ist nicht fern und die Brunnen trockengelegt. Sie sollten nicht zu dicht aneinander wachsen, sonst gedeihen sie, die Olivenbäume, nicht gut unter der Sonne. In der Negev-Halbwüste sind nur selten grüne Olivenhaine zu sehen. Darum soll nun dort, im Süden, ein neuer Olivenhain gepflanzt werden, woran jeder Einzelne für 70 Euro (als Jubiläumspreis) teilnehmen kann:

„Zum feierlichen 70. Jubiläumsjahr Israels werden wir dazu auf einer Fläche von zwei Hektar im Negev Olivenbäume pflanzen, und zwar in derselben Gegend, wo wir vor zehn Jahren unseren Weinberg bei Kadesch Barnea mit zionistischem Pioniergeist zur Begrünung der Wüste und im Vertrauen auf Gott angelegt haben. Wer von Ihnen hätte nicht gern einen eigenen Olivenbaum in Israel auf seinen persönlichen Namen…“ (3).

Warum soll der Name von jemandem, der nie dieses Stück Land beackert hat, an einem jungen Olivenbaum haften? Jeder Baum bedeutet viel Arbeit. Er ist für die Nachwelt, die Enkel und Urenkel, nicht bestimmt für den heutigen Städter im fernen Deutschland. Dem Menschen ist im Vergleich zur Olivenpflanze, die vielleicht sogar ein Jahrtausend lang zu einem knorrigen Baum wächst und steht und bleibt, nur eine kurze Zeitspanne von Gott oder Schicksal beschieden. Warum nicht den Namen eines Getöteten nennen, etwa eines Beduinen, der zur Zeit der Katastrophe in der Region gelebt hatte, bis sein Haus dem Erdboden gleichgemacht und er darin durch Mörsersplitter getötet wurde?

Und nicht nur dieser eine Baum, einen ganzen Hain braucht es mit Namen – ja, viele Haine. Jeder, der gewaltsam in diesem Krieg in Palästina auf seinem Land sein Leben lassen musste, soll durch einen Olivenbaum, den ihm gewidmeten, genannt werden. Stolperbäume sollen es werden, die noch Generationen später an das Schicksal jedes Einzelnen erinnern und mahnen: Niemandem darf das je wieder passieren.

Fünf ehemalige Scharfschützen der israelischen Armee und Mitglieder der Menschenrechtsorganisation „Schowrim Schtika“ haben einen offenen Brief geschrieben, der in Haaretz abgedruckt wurde und nachgedruckt in The Guardian, wo es heißt:

„Wir sind von Sorge und Scham erfüllt, da wir von den Militärbefehlen erfahren, die es erlauben, auf unbewaffnete Demonstranten zu schießen. (…) Wir wissen aus eigener Erfahrung sehr gut, dass sie für immer die Szenen mit sich herumtragen werden, die sie durch das Visier ihrer Waffen gesehen haben” (4).

Es sind noch viele Olivenbäume zu setzen. Einer soll den Namen des jüngst am Freitag, den 6. April, in Gaza über den Grenzzaun hinweg erschossenen Journalisten Yaser Murtaja (5) – posthum von den Tätern zum Terroristen und Spion ernannt – tragen. Niemand möge den Tätern und ihren Helfern – from here to eternity – Olivenbäume pflanzen und ihre Namen preisen.

Wenn die Politik, die dortige wie die unsrige, versagt, müssen Friedensbewegungen die Unterstützung der Zivilgesellschaft finden. So gibt es das „Israelische Komitee gegen Häuserzerstörung“ (6) von dem amerikanisch-israelischen Friedensaktivisten Jeff Halper gegründet, und die „Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe (München)“ (7) mit Forderungen wie „Kein Mensch darf seine Heimat verlieren, weil ein anderer dort seine Heimat sucht“. All jene Postulate hingegen, die Frieden verhindern, sind zu hinterfragen und als Mythen zu entlarven (8). Aber eine Atommacht kann man nicht durch Appelle und einen Wink mit dem Olivenzweig zum Einlenken in einen Friedensprozess bringen.

Nur wirtschaftlicher Druck kann etwas bewirken. Das genau leistet die BDS-Kampagne (9). Sie wird auch von dem Verein „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ (10) unterstützt, deren erster Grundsatz ist, jede Gewalt gegen Zivilisten in dem Konflikt, egal von welcher Seite an wem begangen, zu verurteilen. Dass diese Kampagne immer effektiver wird (11), belegt hierzulande ihre unsägliche Verleumdung mit dem „Antisemitismus“-Vorwurf, der seit kurzem gezielt von der das Wunder preisenden Bundesregierung eingesetzt wird. Nun ist als Abwehr erst recht eine breite Unterstützung für die BDS-Kampagne angesagt – im Gedenken an Yaser Murtaja und die vielen anderen Opfer.

Quellen und Anmerkungen:

(1) israel heute, April 2017, S.3
(2) www.israelheute.com/Shop
(3) www.israelheute.com, Nachrichten, 12.12.2017
(4) Der Standard, 14.04.2018, S.9
(5) https://www.aljazeera.com/indepth/opinion/israel-yaser-murtaja-gaza-protests-180412145101108.html
(6) https://icahd.org/
(7) https://jpdg.de/
(8) Ilan Pappe: Was ist los mit Israel? Die zehn Hauptmythen des Zionismus. 3. Aufl. Comics Verlag, 2016
(9) http://bds-kampagne.de/
(10) http://www.juedische-stimme.de/
(11) Shir Hever: BDS: Eine wirtschaftliche Betrachtung 2017. In: A. Groth/ N. Paech/ R. Falk (Hrsg.), PapyRossa Verlag, 2017, S.201-211

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Dieser Beitrag erschien am 24.4.2018 bei Rubikon – Magazin für die kritische Masse.

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