Trumps Pläne
Die Lage an der Front ist für die Ukraine verzweifelt. Trump will nach seinem Amtsantritt schnell ein Ende der Kämpfe erreichen, aber die Mehrheit EU-Staaten will anscheinend weiter gegen Russland kämpfen. Was hat die Ukraine in den nächsten Monaten zu erwarten?
Ein Standpunkt von Thomas Röper.
Eine der interessantesten Fragen der nächsten Wochen und Monate ist, wie es mit der Ukraine weitergeht. Die Ukraine ist militärisch praktisch geschlagen und der feuchte Traum westlicher Politiker, Kiew könnte irgendwann „aus einer Position der Stärke“ mit Russland verhandeln, hat sich de facto zerschlagen, wie sogar der NATO-Generalsekretär gerade erst eingestanden hat.
Die EU-Kommission, und mit ihr viele Regierungen von EU-Staaten wie Deutschland, Frankreich, Polen, den baltischen und den skandinavischen Staaten, wollen dem Kurs der abtretenden Biden-Regierung weiter folgen den Kampf gegen Russland fortsetzen, während der designierte US-Präsident Trump und einige EU-Staaten wie Ungarn und die Slowakei den Krieg beenden wollen.
Theoretisch sind daher in den nächsten Wochen verschiedene Entwicklungen möglich. In der EU wurde darüber gesprochen, die Ukraine notfalls ohne die USA zu unterstützen, es ist aber auch möglich, dass es demnächst zu Verhandlungen kommt und es ist möglich, dass die Verhandlungen nicht so ausgehen, wie Trump es gerne hätte, was dazu führen könnte, dass auch seine Regierung die Ukraine zumindest eine Zeitlang weiter unterstützen könnte.
Daher ist ein Blick auf die militärische Lage wichtig und danach schauen wir uns an, was die Vertreter der verschiedenen Seiten in letzter Zeit über die mögliche Zukunft der Ukraine gesagt haben.
Die verzweifelte militärische Lage
Dass die militärische Lage der Ukraine derzeit regelrecht hoffnungslos ist, wird auch im Westen nicht mehr bestritten. Das hat Anfang Dezember dazu geführt, dass NATO-Generalsekretär Rutte vor der Presse zugegeben hat, dass er gar nicht wisse, ob „es noch genug Menschen in der Ukraine gibt“, die kämpfen können, aber er hat trotzdem „mehr Menschen“ gefordert, „die an die Frontlinie geschickt werden“. Und US-Außenminister Blinken sagte gleichzeitig, die Ukraine solle das Einberufungsalter endlich auf 18 Jahre senken, damit mehr Ukrainer an die Front geschickt werden können. Der Kampf des US-geführten Westens gegen Russland bis zum letzten Ukrainer ist Realität geworden.
Auch aus der Ukraine wird immer öfter gemeldet, dass der Westen Druck macht, das Einberufungsalter auf 18 Jahre zu senken und beim letzten Treffen im Ramstein-Format am 9. Januar war die Stimmung schlecht, wie der polnische Verteidigungsminister nach dem Treffen offen zugegeben hat, als er sagte:
„Zunächst einmal ist die Stimmung nicht positiv, das muss ich direkt sagen. Das geschieht aus mehreren Gründen. Erstens ist die Lage in der Ukraine schwierig. Die Situation an der Front ist tatsächlich sehr schwierig, die Kriegsmüdigkeit in der Ukraine ist enorm und die Menschen haben es schon satt.“
Wie schlecht die militärische Lage für Kiew ist, zeigen die Meldungen der ukrainischen Streitkräfte selbst. Bekanntlich ist eines der größten Probleme der Ukraine die russische Luftüberlegenheit, weshalb Kiew und der Westen immer wieder davon reden, die Ukraine müsse unbedingt und schnellstens mehr Luftabwehr bekommen.
Aber in den ukrainischen Streitkräften ist der Mangel an Frontsoldaten, also Infanterie, so eklatant, dass die ukrainischen Streitkräfte bereits Flugabwehrspezialisten in die Infanterie einziehen. Der ukrainische Generalstab der Streitkräfte gab am 14. Januar zu, dass er aufgrund des Mangels an Infanterie in vielen Abschnitten gezwungen sei, „einige Spezialisten“ aus dem Personal der ukrainischen Luftwaffe in die Sturmabteilungen abzukommandieren:
„Die Lage an der Front ist schwierig, an vielen Abschnitten herrscht ein Mangel an Infanteristen. Die Entscheidung, die Bodenbrigaden an der Front mit Soldaten aus Einheiten anderer Zweige und Teilstreitkräfte der ukrainischen Streitkräfte zu verstärken, ist ein erzwungener Schritt.“
Trump zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Wie ernst Trump seine lange wiederholte Parole meinte, er könne den Ukraine-Konflikt innerhalb von nur 24 Stunden lösen, weiß wohl nur er selbst. Sollte er daran geglaubt haben, ist er inzwischen offenbar in der Realität angekommen, denn neulich sprach er bereits von einem halben Jahr und sein Ukraine-Sonderbeauftragter Kellogg hat sich als Ziel dafür 100 Tage gesetzt.
Zu Anfang schien Trump noch ernsthaft geglaubt zu haben, er könne den Konflikt einfach an der Kontaktlinie einfrieren und dann den Europäern die Unterstützung der Ukraine inklusive der Entsendung von Friedenstruppen aufdrücken. Allerdings war immer klar, dass Russland auf ein bloßes Einfrieren des Konfliktes nicht eingehen würde, weil Russland eine endgültige Lösung inklusive der Aufhebung der Sanktionen und einer europäischen oder eurasischen Friedensordnung will.
In der EU nahm die Diskussion über die Entsendung von Friedenstruppen in die Ukraine kurzfristig sogar Fahrt auf und die Rede war Mitte Dezember von der Entsendung von 100.000 europäischen Soldaten in die Ukraine, was einmal mehr zeigt, wie unrealistisch auch die Vorstellungen der europäischen Politiker sind, denn Russland hat in der Ukraine eingegriffen, um einen NATO-Beitritt der Ukraine zu verhindern, weshalb eine Friedenslösung inklusive Entsendung von „Friedenstruppen“ aus NATO-Staaten in die Ukraine für Russland unannehmbar und damit unrealistisch ist.
Aber schon kurz darauf begann man auch in Europa zu verstehen, dass das unmöglich ist und sogar Bundesverteidigungsminister Pistorius räumte ein, dass die Entsendung von Friedenstruppen in die Ukraine nur mit Zustimmung Russlands möglich ist. Das zeigt ganz nebenbei, dass man auch im Westen inzwischen versteht, wie die Dinge in der Ukraine wirklich stehen.
Momentan scheint man im Team Trump ein wenig ratlos zu sein, denn anstatt auf ein Ende der Kämpfe zu drängen, hat Trumps künftiger Nationaler Sicherheitsberater Mike Waltz im Fernsehsender ABC erklärt, die künftige US-Regierung unter dem designierten Präsidenten Donald Trump bestehe darauf, dass die Ukraine das Mobilisierungsalter auf 18 Jahre senkt.
Der „Dealmaker“ Trump scheint verstanden zu haben, dass der Westen nicht in der Position ist, bei Verhandlungen allzu viel von Russland zu fordern, weil die ukrainische Front am Zusammenbrechen ist. Waltz sagte daher, die künftige US-Regierung wolle eine „Stabilisierung der Lage an der Front“ erreichen, während Kiew „echte Probleme mit der Personalstärke“ habe, weshalb das Mobilisierungsalter auf 18 Jahre gesenkt werden müsse.
Der Grund dafür ist offensichtlich: Wenn die ukrainische Front zusammenbricht, hat Trump bei Verhandlungen mit Russland nicht mehr viel in der Hand, worüber man noch verhandeln und einen deal machen könnte.
Auch wenn Trump an der Ukraine nicht viel Interesse hat, will er in der Ukraine keine Blamage wie in Afghanistan, also keine totale Niederlage der USA erleben.
Gleichzeitig räumte Waltz ein, dass „es realistisch ist, zu sagen, dass wir jeden Russen von jedem Zentimeter ukrainischen Bodens vertreiben werden, selbst von der Krim“. Daher müsse Kiew sich mit den neuen Realitäten abfinden und die Tatsache akzeptieren, dass eine Rückkehr zu den Grenzen der Ukraine von 1991 unrealistisch ist.
Selenskyjs Verzweiflung
All das steht natürlich in krassem Widerspruch zu dem, was Selenskyj bisher gefordert hat, aber auch er scheint die Realitäten langsam zu verstehen und versucht, sich mit Trump möglichst gut zu stellen, um für sich das Maximum herauszuholen. Das allerdings dürfte schwierig werden, denn Trump hat sicherlich nicht vergessen, dass ein Telefonat mit Selenskyj der Grund für das erste Amtsenthebungsverfahren gegen Trump war und dass Selenskyj der Biden-Regierung nach Bidens Wahlsieg sofort zugesichert hat, ihr bei Ermittlungen gegen Trumps Anwalt Guiliani zu helfen.
So rückte Selenskyj nach Trumps Wahlsieg von der Forderung nach einer sofortigen Aufnahme der Ukraine in die NATO ab und erklärte, er verstehe, dass die USA und andere Staaten die Ukraine derzeit nicht in die NATO aufnehmen können. Kiew sei nun bereit, sich mit Sicherheitsgarantien der NATO für die Teile der Ukraine zufrieden zu geben, die unter der Kontrolle Kiews stehen.
Darauf antwortete Trump Mitte Dezember an die Adresse von Selenskyj:
„Er muss bereit sein, einen Deal zu machen. Das ist alles. <…> Es sterben zu viele Menschen. Das ist Krieg und es sterben zu viele Menschen. Er muss einen Deal machen.“
Dass Selenskyj im Grunde jeden Einfluss auf die weitere Entwicklung verloren hat, ist offensichtlich. Seine Rolle erschöpft sich mittlerweile darin, zähneknirschend plötzlich gut zu finden, was er noch vor wenigen Monaten als kategorisch ausgeschlossen bezeichnet hat.
Die ratlose EU
Der EU geht es dabei nicht viel anders als Selenskyj. Auch sie ist ganz zum Zuschauer geworden, der wartet, was Trump nun tun wird. Es gibt schon Meldungen darüber, dass man sich in Brüssel Sorgen darüber macht, ob man überhaupt mit am Tisch sitzt, wenn über die Ukraine verhandelt wird, oder ob man außen vor bleiben muss.
Beim EU-Gipfel am 19. Dezember war eines der Themen, wie die EU die Ukraine alleine unterstützen kann, wenn die USA die Unterstützung einstellen. Aber die Idee scheint mittlerweile auch vom Tisch zu sein, denn in der EU dürfte man gemerkt haben, dass es dabei nichts zu gewinnen, aber viel zu verlieren gibt.
Zwar reden die Falken in der EU immer noch davon, dass die Ukraine den Konflikt nicht verlieren darf, aber sie hat ja de facto bereits verloren. Da haben all die Sanktionen, die die EU zum eigenen Schaden erlassen hat, all die Milliardenbeträge und die Berge von Waffen nichts geholfen, die der Westen in die Ukraine geschickt hat.
Auch die EU wird sich mit der Realität abfinden müssen, dass es am Ende Trump und Putin sind, die entscheiden, ob und wie der Krieg beendet wird. Die EU und Selenskyj dürfen sich freuen, wenn sie bei den Gesprächen wenigstens als Statisten mit am Tisch sitzen dürfen, was aber eher unrealistisch ist.
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Dieser Beitrag erschien zuerst am 15. Januar 2025 auf anti-spiegel.ru.
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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bildquelle: TPYXA_ILLUSTRATION / shutterstock
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