„Was die Friedensbewegung braucht sind eigene Gedanken“

Daniele Ganser sprach in Hamburg über Wahrheit, Mut und Liebe

Eine Rezension von Christiane Borowy.

Insgesamt elf Vorträge hat Daniele Ganser in Hamburg schon gehalten. Am 13. und 14. Juni 2019 hat es wieder mehrere hundert Menschen, die seine Einschätzungen zur internationalen Politik hören wollen, in die Hansestadt gezogen. Themenschwerpunkt diesmal war „Wahrheit, Mut und Liebe“. Dies sind Werte, die der Friedensbewegung, also allen Menschen, die das gewaltsame „Lösen“ von Konflikten ablehnen, als Leitstern und zur Stärkung dienen können. Wahrheit, Mut und Liebe dienen als universelle Prüfkriterien von: UNO-Gewaltverbot, UN-Sicherheitsrat, illegalen Kriegen seit 1945, den Medien vor und bei Kriegsausbruch, Kriegsverbrechern, Geheimdiensten, der individuellen Weiterentwicklung und Bewusstseinsbildung sowie der Stärkung der Friedensbewegung. Niveau und Spannungsbogen waren also gewohnt hoch.

20 Jahre forscht Ganser inzwischen zu Krieg, Terror und Lügen. Das alles bedeutet Chaos und wenn man als Wissenschaftler zu diesem Thema recherchiert, aufwühlende Texte liest und Bilder sieht, ist es keine leichte Aufgabe, im Gefühls- und Gedankenchaos die Ruhe zu behalten. Ganser ist also nicht nur Experte in Fragen des Zeitgeschehens seit 1945, sondern versteht auch etwas davon, einerseits die thematisch „heißen Eisen“ anzupacken und andererseits körperlich und seelisch bei Gesundheit zu bleiben. Wie macht er das?

Ganser schlägt vor, dass man in jeder Situation mit der Frage beginnen kann: Was ist die Wahrheit? Was würde der Mut, was die Liebe sagen?

Dabei ist die Wahrheit für Ganser ganz wesentlich eine Sache der Perspektive. So ist es bei aller Wahrheitsfindung wichtig, auch verschiedene Sichtweisen einzunehmen und nicht nur einer vorgegebenen Meinung zu einer Lage zu folgen. Das bezieht sich nicht nur auf die Medien, sondern auch auf jeden selbst. Es ist gut, die Fähigkeit zu entwickeln, sich von einer als persönliche Wahrheit gebildeten Meinung auch wieder lösen zu können anstatt zu denken: „Ich habe mich umfassend informiert, viele Perspektiven eingenommen, jetzt habe ich die Wahrheit und so ist es. Das müssen die anderen Menschen jetzt mal verstehen.“ Es kann immer sein, dass etwas dran ist an dem, was ein anderer sagt.

Beschäftigt man sich mit illegalen Kriegen braucht es Mut, die Wahrheit auszusprechen. Der Mensch ist ein soziales Wesen und wer eine Wahrheit ausspricht, die von den meisten Menschen als unliebsam betrachtet wird, braucht die innere Stärke, bei der Wahrheit zu bleiben. Es ist allen klar, dass Ganser diese Stärke hat. So ist er allein durch seine Arbeit bereits ein positives Beispiel. Er führt Sophie Scholl an, die in der Zeit des NS-Regimes Flugblätter verteilt und dafür mit dem Leben bezahlt hat. Doch nicht jede mutige Tat bezahlt man sofort mit dem Tod. Mit Augenzwinkern und doch ernsthaft führt Ganser an, dass wir ohnehin sterben müssen. Da führe kein Weg daran vorbei. Also könne man auch vor dem Sterben einfach mutig sein. Man muss auch nicht zwingend über glühende Kohlen laufen. Im Publikum gibt es tatsächlich Menschen, die dies getan und sich nicht verbrannt haben. Die innere Haltung und die Unterstützung von anderen Menschen waren hilfreiche Faktoren, um in dieser Weise über sich hinauszuwachsen. Und das kann der Mensch nachweislich: Über sich hinauswachsen. Obendrein ist es ein lebendiger und Energie bringender Vorgang, Grenzen zu überschreiten und sich dann wiederzufinden – wenn man in der Lage ist, sich aus der eigenen Komfortzone zu bewegen.

So gesehen gehen Mut und Liebe Hand in Hand, denn Liebe ist vor allem eins: Energie. Energie entsteht durch einen Wechsel aus Anspannung und Entspannung. Liebe ist Dialog. Wenn man beispielsweise eine völlig fremde Meinung hört, spannt man sich ja vielleicht zunächst an und regt sich auf. Doch wenn man dann gedanklich in den Schuhen des anderen geht, versteht man einige Aspekte besser, fühlt sich vielleicht sogar inspiriert. Kehrt man nun wieder zu der eigenen Wahrnehmung und Position zurück, kann man sich wieder entspannen. Dadurch wird sowohl Einseitigkeit und Dogmatismus verhindert, als auch ein „gedankliches Verkrampfen“, wie Ganser es nennt. So bleibt überhaupt erst lebendig, was Liebe eigentlich meint: Freundschaft, Respekt, Zuneigung.

Man muss also nicht allein nach der Art der Liebe fragen, Kindesliebe, Elternliebe, Partnerschaftliche Liebe und so weiter. In Bezug auf die internationale Politik wäre Liebe dann vielleicht ein zu pralles Wort.

Doch im eben beschriebenen Sinn kann man sich auch beim Thema illegale Kriege fragen: „Was würde die Liebe dazu sagen, dass das UNO-Gewaltverbot verletzt wird?“ Ist das freundlich?“ Nein. „Ist das respektvoll?“ Nein. „Ist es ein Ausdruck von Zuneigung?“ Nein. „Ist es Dialog?“ Nein. Also kann die Frage „Was ist Liebe“ dazu führen, dass man Menschen nicht mehr abwertet oder tötet.

Ein allen Menschen Zuneigung entgegenbringender, also liebevoller Begriff ist der der Menschheitsfamilie, verbunden mit dem Postulat: „Jedes Leben ist heilig.“

„Wenn Sie sich an Wahrheit, Mut und Liebe orientieren, verhindern sie viel Leid. Denn Sie gehen niemals in Kriege, die Sie nicht verstehen und töten Menschen, die Sie nicht kennen.“

Wenn man sich nach diesen Werten ausrichtet, verbindet man Wissen mit Weisheit. So ist man auf der richtigen Fährte und kann neben der Forschung eine Spur verfolgen, die Kraft gibt und stärkend ist

Das ist ein zentraler Gesichtspunkt, weil es eine starke Friedensbewegung braucht, um eine wirksame Gegenkraft zu Krieg und Terror zu bilden.

Ganser hat natürlich auch Beispiele genannt, die allesamt in seinen zahlreichen YouTube-Vorträgen und in seinem Buch „Illegale Kriege“ zu finden sind. Doch diese Vorträge in Hamburg hatten als Leitthema „Wahrheit, Mut und Liebe“ und das ist eine gute Erinnerung an hohe Werte, die wir auf die internationale Politik und auf uns selbst anwenden können. Die Vorträge in Hamburg regen dazu an, es selbst auszuprobieren. Wie wäre es, nicht nur Informationen zu konsumieren, sondern das Gehörte in die Tat umzusetzen, denn gehört bedeutet nicht automatisch auch gelernt und umgesetzt. Vielleicht ist es inspirierend, das aktiv zu tun, was Ganser in seinem Vortrag gemacht hat: Man könnte sich ein Stichwort heraussuchen, zu dem man mehr Informationen möchte, beispielsweise „Was ist die Operation „Timber Sycamore“: Wo ist die Wahrheit, was sagt der Mut dazu und was würde die Liebe sagen?“

Die aktuellen Geschehnisse im Iran oder warum Deutschland jetzt in diesem Augenblick in Kriege verwickelt ist, könnte man ebenfalls anhand dieser Fragen durchdenken.

Vielleicht führt das genau zu dem, was Ganser in seinen Vorträgen fordert: Die Friedensbewegung entwickelt ihre eigenen Gedanken.

Folgt man den Leitsternen Wahrheit, Mut und Liebe praktisch, das heißt durch wiederholtes Ausprobieren und Anwenden, kann sich die Friedensbewegung selbst stärken, indem sie Gedanken loslässt, die nicht die eigenen sind. So könnte sie die eigene innere Kraft entwickeln, Hass auf sich und andere aus der Welt schaffen.

Fazit: Ganser erzählt in den Vorträgen in Hamburg nichts Neues. Dennoch sind die Vorträge Inspiration. Ganser redet über zwei Stunden und trotz großer Hitze hat sich niemand gelangweilt. Besonders berührend und Hoffnung spendend ist die Fähigkeit von Ganser, jahrzehntelange historische Forschung mit der Arbeit an der Erweiterung und Entwicklung von Bewusstsein zu verbinden. So konnte man an einem Nachmittag oder Abend nach Hause gehen und in sich wieder das Gefühl der Kraft und der Verbindung zu Menschen spüren.

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Foto: Dirk Wächter

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Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung.

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