Was der Attentäter von Dortmund und die Deutsche Bank gemeinsam haben

Ein Kommentar von Laurent Stein.

Seit den frühen Morgenstunden des 21. April kursiert die Meldung, dass der mutmaßliche Täter des Anschlags auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund festgenommen wurde.

Es soll sich hierbei um den 28-jährigen Deutsch-Russen Sergej W. aus Freudenstadt in Baden-Württemberg handeln. Erste Erkenntnisse der Ermittler weisen darauf hin, dass der Verdächtigte aus Habgier gehandelt haben soll. Sein Plan war möglichst viele Teammitglieder von Borussia Dortmund zu töten oder zu verletzen, um so einen Kurssturz der BVB-Aktie herbeizuführen.

Dieser Kurssturz hätte ihm dann wiederum ein Vermögen eingebracht, hatte er sich doch zuvor mit Hilfe eines Verbraucherkredits 15.000 Optionsscheine der BVB-Aktie mit einer sogenannten Put-Option (eine Wette auf fallende Aktienkurse) gekauft.

Sein Vorhaben scheiterte, der zweite der insgesamt drei Sprengsätze wurde zu hoch platziert und verfehlte sein Ziel. Einzig Abwehrspieler Marc Bartra erlitt einen Handgelenkbruch, die BVB-Aktie stieg nach der Festnahme des Verdächtigen deutlich.

Der Spiegel bezeichnete den Vorfall als „eine in der deutschen Kriminalgeschichte beispiellose Tat, die ein völlig neues Phänomen darstellt“.

Ist das so ?

Ein von der Gier angetriebener Börsenspekulant, der des Profits wegen bereit ist über Leichen zu gehen, klingt in meinen Ohren nicht unbedingt nach einem gesellschaftlichem Novum.

Vielmehr hat das Spiel mit dem Tod im Zuge der Weltwirtschaftskrise ein zuvor nie dagewesenes Ausmaß erreicht. Nachdem 2007 der Immobilienmark implodierte, begaben sich die Spekulanten auf die Suche nach einem neuen Hort für ihre Geldmittel. Sie fanden ihn, getreu dem Motto „Agrarland ist als Anlage wie Gold, nur besser“ im Rohstoffmarkt.

Die Folgen dieser ausufernden „Finanzialisierung des Rohstoffsektors“ lassen sich am besten anhand von Zahlen demonstrieren. Der von der Welternährungsorganisation herausgegebene Nahrungsmittelpreisindex verzeichnete zwischen 2006 und 2008 eine Preissteigerung von 71% bei essentiellen Lebensmitteln, bei Reis und Getreide lag der Wert gar bei 126%. In den Industrieländern, wo die Ausgaben für Nahrungsmittel sich bei etwa 10% des Haushaltseinkommens bewegen, fallen solche Preisanstiege nicht groß ins Gewicht.

Im Gegenteil: Auch in ”Krisenzeiten” landet in Deutschland fast die Hälfte aller produzierten Lebensmittel auf dem Müll.

In Entwicklungs- und Schwellenländern hingegen, betragen die Ausgaben für Nahrungsmittel etwa 60 bis 80% des Haushaltseinkommens. Wenn also die Preise anziehen, bedeutet das schlicht und ergreifend, dass die Lebensmittel für die Bevölkerung nicht mehr bezahlbar sind. Es kommt zu Hungerkatastrophen.

Der Rohstoffsektor weist schon von Natur aus durch externe Einflüsse wie dem Klima eine hohe Preisvolatilität auf. Diese unvermeidlichen Schwankungen zu intensivieren, durch eine quasi ungezügelte Auslieferung an die Finanzbranche, kommt einem Spiel mit dem Feuer gleich.

2013 haben einige Banken, darunter die Commerzbank und Deka entschlossen auf diese Entwicklung zu reagieren und sich aus dem Geschäft der Nahrungsmittelspekulation zurück gezogen. Nicht so die Deutsche Bank und die Allianz. Anstatt der Wahrheit ins Auge zu sehen, geben beide Unternehmen lieber Studien in Auftrag, die die stabilisierende Wirkung der Spekulation auf die Nahrungsmittel beweisen sollen. In Anbetracht der von beiden Unternehmen verwalteten 10,5 Milliarden Euro an Finanzprodukten im Agrarsektor, ist dieses Vorgehen nicht weiter verwunderlich. Was allerdings verwunderlich ist, ist wie die Presse mit solchen Tatsachen umgeht. Die riesige (zweifellos berechtigte) Aufregung über die Motive des Dortmunder Attentäters, wirkt hinsichtlich der nur vereinzelt auftretenden Berichte über die Praktiken hiesiger Unternehmen doch ziemlich verlogen. 24.000 Menschen verhungern jeden Tag. Das bedeutet, alle 3 Wochen verhungert eine Anzahl an Menschen, die so groß ist wie die Einwohnerzahl von Dortmund und das in einer Welt, die problemlos 12 Milliarden Menschen ernähren könnte. „Ein Kind, das am Hunger stirbt, wird ermordet“ so die klaren Worte des Schweizer Soziologen und langjährigen UNO-Sonderberichterstatters für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler. Das Problem ist nur, dass im Gegensatz zum Attentat auf eine Dortmunder Fußballmannschaft, die Täter nicht benannt werden. Es scheint ganz so als würden sie uns nicht interessieren.

Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

KenFM bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Meinungsartikel und Gastbeiträge müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

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