
Am Dienstag hat Selenskyj ein Gesetz durch das Parlament gebracht, das im Westen kritisiert wird und gegen das in vielen ukrainischen Städten umgehend von westlichen NGOs organisierte Proteste begonnen haben. Erleben wir den Beginn eines neuen Maidan?
Ein Standpunkt von Thomas Röper.
Gestern Abend habe ich über die Hintergründe eines Gesetzes berichtet, das Selenskyj durch das ukrainische Parlament gepeitscht hat. Für die Details lesen Sie zum Verständnis bitte den gestrigen Artikel, denn hier kann ich darauf nur sehr oberflächlich eingehen.
Hier geht es nämlich um die Proteste, die in der Ukraine unmittelbar nach der Abstimmung über das Gesetz ausgebrochen sind, denn diese Proteste wurden vom Westen initiiert. Ob das nur eine Warnung an Selenskyj ist, oder ob ein Maidan 2.0 orchestriert wird, um Selenskyj zu stürzen, werden die nächsten Tage zeigen.
In diesem Artikel werde ich nur kurz erklären, worum es bei dem Gesetz geht (mehr Details finden Sie wie gesagt im oben verlinkten Artikel), und ausführlich zeigen, wer die Organisatoren der Proteste sind, denn da gibt es einige sehr interessante Details.
Worum es bei dem Streit geht
Kurz gesagt geht es dabei um folgendes: Nach dem Maidan hat der damalige US-Vizepräsident Joe Biden unter dem Vorwand, die Korruption in der Ukraine bekämpfen zu wollen, das Antikorruptionsbüro der Ukraine (NABU) eingerichtet. Seitdem war für Fälle von Korruption in der Ukraine nicht mehr die Staatsanwaltschaft, sondern das neue Büro zuständig, das von der US-Botschaft in Kiew gelenkt wurde und in der Ukraine zum wohl wichtigsten Hebel der Macht für die US-Regierung wurde, denn das Büro hat in der Ukraine gegen jeden, der die US-Politik gestört hat, Ermittlungen wegen Korruption eröffnet. Darüber habe ich in meinem Buch „Das Ukraine-Kartell“ sehr ausführlich berichtet.
In der Ukraine tobt ein Machtkampf, in dessen Zentrum wohl Selenskyj wichtigster Mitarbeiter Andrej Jermak steht, der sowohl der alten als auch der neuen US-Regierung ein Dorn im Auge ist, der in der Ukraine aber als graue Eminenz gilt, die so mächtig ist, dass manche fragen, ob Selenskyj oder Jermak die Macht in der Ukraine hat.
Das NABU hat im Zuge des Machtkampfes Korruptionsermittlungen gegen Leute aus Selenskyjs und Jermaks engem Umfeld gestartet, was als Warnung an Selenskyj und Jermak verstanden wurde. Darauf hat der Selenskyjs Präsidialverwaltung direkt unterstellte ukrainische Geheimdienst SBU zurückgeschlagen und Ermittlungen gegen angebliche Antikorruptionsaktivisten eröffnet und ohne richterlichen Beschluss deren Büros und Wohnungen durchsucht.
Darüber habe ich letzte Woche berichtet und einen Artikel aus der Financial Times dazu übersetzt. Die Geschichte kommt also keineswegs aus heiterem Himmel, sondern der Machtkampf hat sich über Monate hochgeschaukelt und ist jetzt eskaliert.
Selenskyj hat auf die Aktivitäten des NABU reagiert und ein Gesetz ins Parlament gebracht, das das NABU der von Selenskyj kontrollierten Generalstaatsanwaltschaft unterstellen soll, und am Montag ist der SBU bereits gegen das NABU selbst vorgegangen und hat Durchsuchungen durchgeführt und NABU-Mitarbeiter unter verschiedenen Vorwänden verhaften lassen.
Am Dienstag wurde Selenskyjs Gesetz in der Rada angenommen und Meldungen zufolge hat Selenskyj das Gesetz umgehend unterschrieben, womit es in Kraft getreten ist.
Parallel dazu gab es in US-Medien bereits Artikel, die das Gesetz kritisiert und davor gewarnt haben, das „unabhängige“ Antikorruptionsbüro unter die Kontrolle der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft zu stellen. Das ging so weit, dass sogar gewarnt wurde, die westlichen Waffenlieferungen könnten eingestellt werden, wenn es in der Ukraine keine „unabhängige“ (also dem Westen unterstellte) Antikorruptionsbehörde mehr gibt. Auch die G7 und die EU haben das Gesetz am Dienstag in Erklärungen kritisiert.
Unmittelbar nach der Annahme des Gesetzes wurden aus diversen ukrainischen Städten Proteste gegen das Gesetz gemeldet, wobei die Demonstranten Parolen wie “Das ist kein Gesetz, das ist die Kapitulation vor der Korruption” oder “Wir können einen Maidan 2.0 organisieren! Habt Ihr Lust?” skandierten.
Der Westen versteht keinen Spaß
US-Medien begannen umgehend, die Proteste medial zu unterstützen. Das Wall Street Journal titelte beispielsweise „Proteste brechen aus, nachdem die Ukraine versucht, der von den USA unterstützten Antikorruptionsbehörde die Kontrolle zu entziehen“. Das Thema muss gewissen Kräften in den USA sehr wichtig sein, wenn dort um 3 Uhr nachts Ortszeit bereits Artikel über die Proteste in der Ukraine veröffentlicht werden.
In dem Artikel hieß es, Selenskyj könnte wegen des Gesetzes die Unterstützung des Westens verlieren. Laut der Zeitung erklärten die Botschafter der G7-Staaten nach einem Treffen mit Vertretern von Antikorruptionsbehörden in Kiew, sie hätten „ernsthafte Bedenken und beabsichtigen, die aktuellen Ereignisse mit ihren Regierungschefs zu besprechen“.
Das Wall Street Journal weist in seinem Artikel darauf hin, dass das NABU ursprünglich auf Ersuchen der westlichen Verbündeten der Ukraine gegründet wurde, um die Regierung des Landes nach dem Maidan zu unterstützen. Das NABU sei zudem ein zentrales Element der Justizreform in der Ukraine, die für die Einreichung des Antrags auf Mitgliedschaft in der EU erforderlich war. Die Zeitung zitiert einen Vertreter der EU-Kommission dazu wie folgt:
„Diese Institutionen sind für die Reformagenda der Ukraine von entscheidender Bedeutung und müssen unabhängig handeln, um Korruption zu bekämpfen und das öffentliche Vertrauen zu wahren.“
Wenn es um die Kontrolle über die Machtstrukturen in der Ukraine geht, versteht der Westen offensichtlich keinen Spaß. Das zeigt sich auch daran, dass der britische Spectator in der Nacht auf Mittwoch bereits unter der Überschrift “Selenskys Krieg gegen die ukrainischen Antikorruptionsbehörden ist ein Desaster” berichtet hat, die EU könnte wegen des Gesetzes Sanktionen gegen die Ukraine verhängen.
Deutsche Medien sind wie immer langsam
Es ist immer wieder lustig zu beobachten, wie langsam die deutschen Medien auf Entwicklungen reagieren, die ihre Redaktionen nicht verstehen. In den deutschen Redaktionsstuben weiß wahrscheinlich kaum jemand, was das NABU ist und welche Aufgabe es hat. Bisher war die klare Linie, der die deutschen Medien brav gefolgt sind, dass Selenskyj positiv dargestellt und dass das Thema Korruption in der Ukraine weitgehend verschwiegen werden muss. Daher dürfte in deutschen Redaktionen angesichts von Meldungen über massenhafte Proteste in der Ukraine gegen Selenskyj wegen Korruption eine gewisse Ratlosigkeit herrschen und man wartet ab, wie man darüber zu berichten hat, indem man beispielsweise die Berichte der US-Medien verfolgt (oder vielleicht sogar auf einen Anruf wartet, der die Lage erklärt).
Jedenfalls gibt es während ich diesen Artikel gegen ein Uhr nachts deutscher Zeit schreibe, in Deutschland noch fast keine Meldungen über die Proteste.
Interessant ist, dass n-tv die große Ausnahme ist, denn dort gab es schon um 19 Uhr abends einen Artikel mit der Überschrift „Landesweite Proteste – Ukraine beschneidet Unabhängigkeit der Korruptionsermittler“, der aus Agenturmeldungen zusammengebastelt wurde und keine eigene redaktionelle Arbeit der n-tv-Redaktion enthielt.
Wer hinter den Protesten steckt
In allen westlichen Medienberichten der letzten Tage über die Vorgänge in der Ukraine wird die ukrainische NGO Anti-Corruption Action Center (AntAC) erwähnt. Die Financial Times hat die NGO schon letzte Woche in ihrem Artikel erwähnt und dabei ausführlich deren Geschäftsführerin Daria Kalenjuk zitiert. Auch in dem n-tv-Artikel wird AntAC erwähnt.
AntAC wird als Kämpfer gegen Korruption präsentiert und Selenskys Geheimdienst SBU ist auch gegen diese NGO vorgegangen und hat die Wohnung von Witali Schabunin in Charkow durchsucht und Handys, Laptops und Tablets beschlagnahmt. Schabunin, ein Gründungsmitglied der 2012 gegründeten NGO AntAC, wurde von der Financial Times als „prominenter Antikorruptionsaktivist“ bezeichnet. Alle Berichte westlicher Medien der letzten Tage haben seinen Fall, ob nebenbei oder als Hauptthema, thematisiert – offensichtlich sollen Schabunin, Kalenjuk und AntAC als neue „Helden“ aufgebaut werden.
AntAC wurde 2012 gegründet und sowohl das ukrainische als auch das russische Wikipedia schreiben, dass das von Schabunin und Kalenjuk gegründete AntAC seine ersten Finanzspritzen aus Anlass seiner Gründung von den Soros-Stiftungen, der US-Regierung, der britischen Botschaft in Kiew, dem tschechischen Außenministerium und einer holländischen Organisation erhalten hat.
Viel geändert hat sich daran offensichtlich nicht, denn AntAC schreibt auf seiner Seite stolz, es werde von der US-Regierung, der EU und EU-Mitgliedsstaaten und privaten Stiftungen finanziert.
Daria Kalenjuk, die Geschäftsführerin von AntAC, ist übrigens nicht irgendwer, sie war 2022 Teilnehmerin der Young Global Leaders des Weltwirtschaftsforums von Klaus Schab, was bedeutet, dass sie im Westen bestens vernetzt ist und bei Bedarf Zugang zu den nötigen Geldtöpfen hat.
AntAC wurde offensichtlich als Speerspitze für einen möglichen Kampf gegen Selenskyj in Stellung gebracht, denn auch die Tagesschau hat in einem Bericht über Selenskyjs Vorgehen gegen angebliche Antikorruptionsaktivisten über den Fall von Schabunin berichtet und Kalenjuk ausführlich dazu interviewt. Dabei hat die Tagesschau auch über einen offenen Brief an Selenskyj berichtet, in dem Dutzende ukrainische NGOs fordern, die Angriffe auf Schabunin und andere Regierungskritiker einzustellen.
Solche Netzwerke, bestehend aus vom Westen finanzierten und kontrollierten NGOs, sind es, die bei früheren Farbrevolutionen die Massen auf die Straße gebracht haben, um eine Regierung zu stürzen. Und genau das ist nur wenige Stunden nach der Verabschiedung des Gesetzes in der Ukraine wieder geschehen: Tausende Menschen sind in diversen ukrainischen Städten unmittelbar nach der Annahme des Gesetzes den Aufrufen der NGOs gefolgt und haben gegen das Gesetz demonstriert und Selenskyj mit einem „Maidan 2.0“ gedroht.
Die nächsten Tage könnten interessant werden
Nun bleibt abzuwarten, wie es weitergeht. Einerseits können vor allem die Europäer Selenskyj derzeit kaum fallen lassen, weil sie ihn für ihren Krieg gegen Russland brauchen. Andererseits versteht der Westen keinen Spaß, wenn seine Kolonien versuchen, die Machtinstrumente abzubauen, mit denen der Westen sie beherrscht.
Es bleibt also spannend: Macht Selenskyj doch noch einen Rückzieher? Und wenn nicht, wird der Westen es riskieren, Selenskyj während des Krieges gegen Russland zu stürzen, was in der unstabilen Ukraine, in der massenhaft Kriegswaffen praktisch ohne Kontrolle verfügbar sind, unkalkulierbare Risiken bedeuten kann? Und wenn das passiert, wen wird der Westen dann als Selenskyjs Nachfolger einsetzen?
Vitali Klitschko, der Bürgermeister von Kiew, scheint sich schon mal in Stellung zu bringen, denn er hat sich den Demonstranten in Kiew angeschlossen und unterstützt sie. Klitschko wurde während des Maidan von der Konrad-Adenauer-Stiftung der CDU finanziert und wäre sicher ein Wunschkandidat der Bundesregierung, während es der heutigen US-Regierung egal sein dürfte, ob Klitschko Selenskyj ersetzt. Hauptsache, die USA verdienen Geld an den Waffenlieferungen an Kiew, die die Europäer bezahlen.
Oder arrangiert man sich im Westen doch noch irgendwie mit Selenskyj, um den Krieg gegen Russland nicht zu gefährden?
Die nächsten Tage könnten durchaus Überraschungen bringen…
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Dieser Beitrag erschien zuerst am 23. Juli 2025 auf anti-spiegel.ru.
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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bild: Wolodymyr Selenskyj (Präsident der Ukraine)
Bildquelle: Juergen Nowak / shutterstock
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