Die Bombe als Botschaft – Trumps „Frieden“ ist die Ruhe nach dem Erstschlag
Es war kein Versehen. Keine Überreaktion. Keine Nacht der Verwirrung. Der Befehl kam direkt aus Washington – und mit ihm die schwersten Angriffe auf Irans nukleare Infrastruktur seit Bestehen der Islamischen Republik. Donald Trump spricht von einem „historischen Moment“ und ruft zum Frieden auf, während die Bomber bereits zurückkehren und die Einschläge noch nachhallen. Doch was als Friedensangebot verkauft wird, ist in Wahrheit ein Ultimatum mit Sprengkraft – militärisch wie geopolitisch.
Ein Meinungsbeitrag von Sabiene Jahn.
Am frühen Morgen des 22. Juni 2025 hat die Welt eine Schwelle überschritten, die selbst im Arsenal amerikanischer Außenpolitik nicht alltäglich ist. US-Präsident Donald Trump verkündete via Truth Social die Durchführung eines massiven Luftangriffs auf drei zentrale iranische Nuklearanlagen: Fordow, Natanz und Esfahan. Die Botschaft, die der Präsident gleich mitlieferte, war ebenso einfach wie zynisch: „Jetzt ist es Zeit für Frieden.“ Was wie ein propagandistischer Satz aus einem dystopischen Handbuch klingt, ist in Wirklichkeit der geopolitische Offenbarungseid einer Weltordnung, in der diplomatische Prozesse durch Zerstörung ersetzt werden, in der Verträge durch Ultimaten verdrängt wurden – und in der der Präsident der Vereinigten Staaten sich über Verfassung, Völkerrecht und Inspektionsprotokolle hinwegsetzt, um der Welt einen Frieden nach seinen Bedingungen zu diktieren.
Bemerkenswertes Maß an Vorbereitung
Die Bombardierung von Fordow – tief in den Bergen bei Qom verborgen –, von Natanz – Irans Hauptanlage zur Urananreicherung – und von Esfahan – dem Standort zur Umwandlung von Uranhexafluorid – war weder spontan noch isoliert. Wie die Al-Jazeera-Korrespondentin Hamda Salhout aus Amman berichtete, wurde der Angriff in enger Abstimmung mit Israel vorbereitet. Zwar hält sich die israelische Regierung offiziell bedeckt, doch hochrangige Offizielle bestätigten gegenüber der Presse, dass man nicht nur über die Angriffe informiert, sondern militärisch und politisch eingebunden war. Israel, das seit dem 13. Juni kontinuierlich Ziele im Iran bombardiert, hatte zunehmend Druck auf Washington ausgeübt. Es war – so berichten israelische Medien – bereit, Fordow selbstständig zu attackieren, obwohl es dafür nicht über die notwendige militärische Durchschlagskraft verfügt. Den „Bunker-Buster“-Schlag übernahmen schließlich die USA – ein klassisches Stellvertretermanöver mit atompolitischer Signalwirkung.
Die iranische Reaktion erfolgte zunächst nicht in Form eines unmittelbaren Gegenschlags, sondern durch ein bemerkenswertes Maß an Vorbereitung. Wie Dorsa Jabbari, Al Jazeera-Korrespondentin in Teheran, berichtet, wurden die betroffenen Anlagen bereits Tage zuvor evakuiert – sowohl das Personal als auch das nukleare Material. Zudem meldeten Provinzbehörden in Qom, Esfahan und Natanz erfolgreiche Aktivierungen der Luftabwehrsysteme, was darauf hindeutet, dass man mit einem Angriff rechnete. „Das iranische Atomprogramm ist das am stärksten überwachte weltweit,“ so Jabbari, „die IAEA ist in ständigem Kontakt mit den iranischen Behörden. Bei jedem Angriff erfolgt sofortige Berichterstattung.“
Die IAEA selbst bestätigte bislang keine akute radioaktive Kontaminationsgefahr – was bedeutet: Trump ließ bunkergeschützte, aber weitgehend leere Gebäude bombardieren.
Keine akute Bedrohung für die USA
Trump handelt, wie er spricht: unilateral, martialisch, angriffslustig – aber ohne Rückhalt im Parlament. Wie Kimberly Halkett, White House-Korrespondentin, berichtet, wurde der Angriff auf iranisches Hoheitsgebiet ohne Genehmigung des US-Kongresses ausgeführt. Die US-Verfassung jedoch ist klar: Nur der Kongress darf Krieg erklären – es sei denn, der Präsident kann eine akute Bedrohung nachweisen. Doch weder das Weiße Haus noch das Pentagon lieferten bisher Belege für eine solche. „Das ist ein Bruch mit Trumps eigenem Wahlversprechen, keine endlosen Kriege mehr zu führen,“ kommentierte Halkett.
„Er wird sich gegenüber seiner eigenen MAGA-Basis erklären müssen – denn auch dort wächst der Widerstand.“ Tatsächlich zeigen sich in Trumps Umfeld tiefe Risse: Während militaristische Falken den Angriff feiern, warnen isolationistische Republikaner wie Marjorie Taylor Greene oder Tucker Carlson vor einem „neuen Irak“.
Eskalation zur Zwangsdiplomatie
Die Argumentation des ehemaligen US-Botschafters und RAND-Analysten Bill Courtney gibt Einblick in das strategische Denken jener sicherheitspolitischen Eliten, die Trumps Vorgehen nicht primär bejubeln, sondern als machtpolitisches Kalkül rechtfertigen. Wie Courtney erklärt, habe der Westen über Jahre versucht, Iran durch Sanktionen zum Einlenken zu bewegen – ohne Erfolg. Nun sei, so seine Deutung, militärische Gewalt das einzige noch verbleibende Druckmittel, um Iran an den Verhandlungstisch zu zwingen: „Der Iran ist jetzt deutlich geschwächt. Der Westen hat mehr Hebel. Das könnte die Aussichten für eine verhandelte Lösung verändern.“ Courtney verglich die Situation mit Nordkorea: „Nordkorea konnte wegen seiner konventionellen Stärke nicht angegriffen werden. Iran ist schwächer. Jetzt hat der Westen mehr Glaubwürdigkeit, mehr Hebel. Militärische Macht kann die Verhandlungen erzwingen.“
Das ist eine gefährliche Logik. Denn sie macht Militärschläge zur Voraussetzung von Diplomatie. Anstatt auf das IAEA-kontrollierte Nicht-Atomwaffenprogramm des Iran zu reagieren, wird eine hypothetische Bedrohung als Vorwand genommen, um vorhandene Inspektionsstandorte zu zerstören. Die Warnung vor einem „zweiten Nordkorea“ legitimiert in dieser Erzählung nicht etwa Abrüstung – sondern Angriff.
Diese Logik reiht sich nahtlos ein in das Konzept der „Coercive diplomacy“ – also in eine Diplomatie, die nicht auf Gegenseitigkeit, sondern auf Zwang und Einschüchterung beruht. Frieden bedeutet hier nicht Konsens, sondern Kapitulation. Trumps Satz „Jetzt ist es Zeit für Frieden“ entfaltet in diesem Kontext seine ganze Ambivalenz: Er ist nicht Ausdruck eines diplomatischen Fortschritts, sondern eine rhetorische Tarnung für einen Präventivkrieg. Das politische Signal an Iran lautet: Redet mit uns – aber erst, wenn wir euch bombardiert haben.
Sichtweise zunehmend realitätsfern
Wie Mohamed Saleh in seinem Broadcast aus Indien „Beyond Worlds 1“ berichtet, hatte die jemenitische Houthi-Miliz bereits vor Wochen mit den USA eine inoffizielle Deeskalationsvereinbarung geschlossen. Sie verzichteten auf Angriffe auf US-Schiffe in der Roten See. Doch Saleh warnt: Sollte sich die US-Eskalation fortsetzen, etwa durch einen Bodenkrieg oder weitere Luftschläge, droht auch diese Front wieder aufzuflammen. Ein Szenario, das die ohnehin fragile Sicherheitslage im Indischen Ozean – zwischen Bab al-Mandab und Hormus – noch weiter destabilisieren würde. Und der iranische Präsident Massoud Pazischkian soll laut Berichten in einem Gespräch mit Emmanuel Macron klargestellt haben, dass Iran seine nukleare Infrastruktur nicht aufgibt – erst recht nicht unter Beschuss. Die europäischen Vorschläge zur Wiederaufnahme des JCPOA erscheinen in Teherans Sichtweise zunehmend realitätsfern, solange sie nicht mit klarer Verurteilung israelischer Luftangriffe und westlicher Doppelmoral einhergehen. Will Europa Verträge retten, während Amerika sie bombardiert?
Ruhe nach dem Erstschlag
Auf Truth Social, X (ehemals Twitter) und Telegram überschlugen sich binnen Minuten nach Trumps Ankündigung die Reaktionen. Zwischen Fassungslosigkeit, nationalistischem Applaus und zynischem Spott bildete sich ein globales Meinungsbild, das die Spaltung der Weltgemeinschaft widerspiegelt.
Der Angriff auf Irans Nuklearanlagen war keine Verteidigung – er war ein strategischer Dammbruch. Unter einem falschen Vorwand der Nichtverbreitung von Atomwaffen, die es nicht gibt, wurde eine diplomatische Struktur gesprengt, die über zwei Jahrzehnte gewachsen war. Die USA haben der Welt demonstriert: Wer sich an internationale Inspektionen hält, kann dennoch Ziel werden. Wer kontrolliert wird, wird verwundbar. Wer verhandelt, verliert – jedenfalls in der Logik Donald Trumps. Was als historischer Moment verkauft wird, ist in Wahrheit ein geopolitischer Rückschritt. Der Bruch mit der Verfassung, dem Völkerrecht und der multilateralen Diplomatie offenbart: Die Bombe ist wieder Verhandlungsinstrument – nur diesmal offen. Und Trumps „Frieden“? Er ist nicht die Abwesenheit von Krieg. Er ist die Ruhe nach dem Erstschlag.
Reaktivierung eines alten Traums
Doch diese Ruhe täuscht – und sie überdeckt ein geopolitisches Großprojekt, das in seiner Bedeutung für Eurasien weit über die Zerstörung einzelner Atomanlagen hinausreicht. Denn gerade erst hatte Iran, unterstützt von China, mit der Umsetzung einer strategischen Eisenbahnverbindung begonnen, die Xi’ans Industriezentren mit dem zentraliranischen Terminal Aprin bei Teheran verbindet. Das Projekt ist ein zentraler Teil des International North-South Transport Corridor (INSTC) – der multilateralen „One Belt, One Road“-Initiative - deren Ausbau über den Iran hinweg nicht nur China, sondern auch Russland, den Irak, Syrien und perspektivisch die Türkei miteinander verknüpfen soll – über die kaspische Achse und den Persischen Golf hinaus bis zum Mittelmeer. Es ist die Reaktivierung eines alten Traums: ein eurasisches Logistiksystem, das ohne den Dollar funktioniert und das geopolitisch autarke Versorgungsräume für Energie, Rohstoffe, Industrie und Konsumgüter schafft. Ein direkter Angriff auf den Iran, vor allem auf seine nukleare, energetische und logistische Infrastruktur, ist damit nicht nur als Sicherheitsintervention oder Präventivschlag lesbar – sondern als gezielter Schlag gegen die Souveränität und Integrationsfähigkeit einer Region, die sich vom Westen emanzipieren will. Für Israel ist Irans nukleare Aufrüstung dabei nur ein Teil der Bedrohung. Für Washington geht es um mehr: das strategische Momentum der BRICS-Staaten zu brechen, die Kontrolle über Energieflüsse und Handelsachsen zu behalten – und jede Infrastruktur zu sabotieren, die ohne amerikanische Aufsicht funktioniert.
Unabhängigkeit vom Westen
Es wäre daher ein schwerwiegender analytischer Fehler, diesen Krieg lediglich im Rahmen traditioneller Feindbilder zu deuten: als Schlag Israels gegen einen regionalen Rivalen oder als US-amerikanische Aktion gegen einen vermeintlichen Nuklearstaat. Naheliegender ist ein tieferes strategisches Kalkül, das sich gegen den Aufstieg einer wirtschaftlich-infrastrukturellen Gegenordnung richtet. Und Europa steht in diesem Szenario in der Bredouille – nicht als souveräner Akteur, sondern zunehmend als geopolitischer Statist. Sollte das Iran-China-Projekt mitsamt seinen infrastrukturellen Verzweigungen erfolgreich sein, entstünde in Eurasien ein alternatives Verkehrs-, Energie- und Handelsnetz, das nicht mehr über Rotterdam, Genua oder Hamburg läuft, sondern über Bandar Abbas, Chabahar, Astana und Noworossijsk. Das bedeutet nicht, dass Europa wirtschaftlich ausgeschlossen würde – aber es würde seine Vermittlerrolle zwischen Ost und West verlieren. Es wäre nicht länger transkontinentaler Umschlagplatz, sondern Endabnehmer am Rande eines Raumes, dessen Dynamik sich östlich vollzieht.
Doch damit nicht genug: Auch das westliche Sanktionssystem, wie es seit Jahren gegen Iran, Russland oder Venezuela angewendet wird, verliert an Wirksamkeit, sobald sich ein Netz gegenseitiger Verflechtung bildet, das nicht mehr auf Dollar, SWIFT und westliche Transportlogistik angewiesen ist. Eine Seidenstraße über Schienen, Pipelines und Häfen, die nicht kontrolliert wird von NATO, Weltbank oder transatlantischen Reedereien, sondern von der Shanghai Cooperation Organisation oder BRICS, unterläuft die Sanktionsarchitektur des Westens. Und genau das könnte der geopolitische Kern des aktuellen Konflikts sein: Nicht das Uran bedroht den Westen – sondern die Unabhängigkeit vom Westen.
In einem solchen Szenario wird auch klar, weshalb die Europäische Union in diesem Konflikt so widersprüchlich agiert: Auf der einen Seite betont sie völkerrechtliche Zurückhaltung, kritisiert die einseitige Eskalation Israels kaum bis gar nicht, und meidet jeden offenen Bruch mit Washington. Auf der anderen Seite hat Europa faktisch nichts zu gewinnen – außer durch Vasallentreue. Sollte der BRICS-Korridor gelingen, ist Europa überflüssig geworden. Sollte er scheitern – sei es durch Krieg, Sanktionen oder Sabotage – steht Europa wirtschaftlich und politisch zwischen zwei zerstörten Welten: der östlichen Ordnung, die es nicht betreten darf, und der westlichen Ordnung, die zunehmend militarisiert, energieabhängig und selbstreferenziell wird.
Nicht Infrastruktur, sondern Konzept
Im Falle einer Fortführung des Krieges, vor allem wenn es zu Gegenschlägen Irans gegen US-Stützpunkte in der Golfregion oder Israel selbst kommt, ist die Einbindung Europas unausweichlich. Nicht nur, weil europäische Kriegsschiffe und Aufklärungssysteme in der Region operieren – sondern auch, weil jede weitere Eskalation neue Fluchtbewegungen, Cyberangriffe, Energiekrisen oder Terrorbedrohungen auf den Kontinent tragen könnte. Der größte Schaden, den Europa erleiden könnte, ist daher nicht primär wirtschaftlich oder militärisch – sondern konzeptionell: Der Kontinent würde endgültig vom handelnden zum reagierenden Akteur. Vom Brückenbauer zur verlängerten Front. Und vom Exporteur von Werten zum Importeur geopolitischer Brüche. Was in Iran zerbombt wurde, ist also nicht nur Infrastruktur. Es ist ein Konzept. Jenes einer wirtschaftlich verbundenen Welt jenseits militärischer Blöcke. Und der Westen, angeführt von den Vereinigten Staaten, zeigt nun, dass er dieses Konzept nur dann duldet, wenn es sich in seine Ordnung fügt. Tut es das nicht, wird es zerstört – notfalls unter dem Deckmantel der Nichtverbreitung, der Friedenssicherung oder des Schutzes „gemeinsamer Werte“. Europa hat diesem Prozess nichts mehr entgegenzusetzen – außer vielleicht die Erinnerung daran, dass es einst aus genau solchen Verheerungen geboren wurde.
Quellen und Anmerkungen:
1.) https://www.tagesschau.de/newsticker/liveblog-nahost-dienstag-258.html
3.) https://www.zeit.de/politik/ausland/2025-06/israel-iran-krieg-nahost-liveblog
5.) https://www.tagesschau.de/kommentar/usa-trump-iran-100.html
7.) https://www.sueddeutsche.de/politik/nahost-liveblog-israel-iran-usa-tarnkappenbomber-li.3269642
8.) https://www.wired.com/story/truth-social-crashes-as-trump-live-posts-bombing-iran/
9.) www.youtube.com/watch?v=gCNeDWCI0vo
11.) https://www.zoominfo.com/p/Hamdah-Salhut/3162626349
12.) https://www.atlanticcouncil.org/wp-content/uploads/2024/10/The-future-of-US-strategy-toward-Iran.pdf
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