US-Sondergesandter Steve Witkoff bei Wladimir Putin – der warnt Europa vor aggressiver Politik
Ein Kommentar von Tilo Gräser.
Mit Spannung wurde der Besuch des US-Sondergesandten Steve Witkoff und von Jared Kushner, Schwiegersohn von US-Präsident Donald Trump, am Dienstag in Moskau erwartet. Beide trafen am späten Nachmittag zu einem Gespräch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin im Kreml ein, wie Nachrichtenagenturen melden.
Es handelt sich zumindest um den ersten hochrangigen russisch-US-amerikanischen Kontakt seit dem Gipfeltreffen von Trump und Putin in Anchorage im August. Für die russische Zeitung Kommersant handelt es sich um ein Zeichen, „dass Moskau und Washington bereit sind, weiter an einem Friedensabkommen für die Ukraine zu arbeiten“. Das Blatt beschäftigte sich am Montag mit dem Zustandekommen des Treffens und den aktuellen Entwicklungen um Trumps neuen Friedensplan. Das vorherige Treffen von Mitgliedern der US-Regierung und einer Delegation aus Kiew am Samstag in Miami habe wichtige Fragen der territorialen Abgrenzung und Sicherheitsgarantien, von denen die Zukunft des ukrainischen Friedens abhänge, nicht beantwortet.
Die Zeitung fasste Informationen über die ukrainisch-US-amerikanische Gespräche in Miami zusammen. Die Nachrichtenagentur AFP habe berichtet, dass es dabei um die Formulierungen des Trump-Planes gegangen sei, mit denen die US-Vertreter nach Moskau kamen. Dabei sei es vor allem um territoriale Fragen gegangen. Die Agentur habe einen US-Vertreter zitiert, der erklärt habe, die USA würden sich als „Vermittler“ und nicht als Unterstützer Kiews sehen. Für US-Außenminister Marco Rubio gehe es vor allem um eine langfristige Lösung über das Kriegsende hinaus, die die Existenz der Ukraine als unabhängigen und souveränen Staat sichere.
Der Kommersant-Bericht stellt „deutliche Veränderungen“ in der US-Haltung zum Ukraine-Konflikt in den letzten Monaten fest:
„Erstens fordert Washington von Moskau nicht mehr einen sofortigen Waffenstillstand, und zweitens versucht die US-amerikanische Seite nicht mehr, strenge Fristen für die Herstellung des Friedens festzulegen.“
Berichten zufolge seien in Miami die „schwierigsten Punkte“ des US-Friedensplanes zurückgestellt worden, so die territorialen Fragen, die Sicherheitsgarantien und die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine. Die russische Zeitung erinnerte an die Aussagen Putins vor dem Sicherheitsrat der Russischen Föderation am 21. November. Der Präsident bezeichnete dabei den US-Plan als mögliche Grundlage für eine endgültige Friedensregelung. Dessen Text sei aber mit Russland noch nicht konkret diskutiert worden. Putin vermutete, dass es der US-Regierung nicht gelingen werde, die Zustimmung Kiews zu erhalten. Die Ukraine und ihre europäischen Verbündeten würden nach wie vor davon träumen, Russland eine „strategische Niederlage” zuzufügen.
Allmähliche Annäherung
Die russische Onlinezeitung Gazeta.ru berichtete am Dienstag, Kreml-Sprecher Dmitri Peskow habe erklärt, Russland sei „weiterhin offen für Friedensgespräche, aber durch Friedensgespräche müssen wir unsere Ziele erreichen, die wir uns im Rahmen der Sonderoperation gesetzt haben“. Er habe bestätigt, dass Putin und Witkoff in Moskau die Gespräche zwischen Washington und Kiew in Miami auswerten. Die Zeitung gibt Einschätzungen von Mitgliedern der Duma, des russischen Parlaments wieder. Demnach sieht der stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für internationale Angelegenheiten, Alexej Tschepa, „eine allmähliche Annäherung der Positionen der Parteien zur Vorbereitung der endgültigen Fassung des Friedensabkommens“. Russland sei nicht wesentlich von seinen ursprünglichen Plänen abgewichen und habe Trump bereits seine Position mitgeteilt. Der Abgeordnete hofft, dass die USA „genug Kraft haben werden“, um gegenüber den europäischen und ukrainischen Vertretern die in Anchorage erzielten Vereinbarungen zu verteidigen.
„In Moskau versteht man, dass sich der Abschluss eines Friedensabkommens ausschließlich aufgrund einiger NATO-Länder verzögert, denen der Krieg zwischen Russland und der Ukraine zugute kommt und die die Vereinbarungen von Minsk und Istanbul sabotiert haben.“
Der Politologe Konstantin Blochin erwartet laut Gazeta.ru, dass Kiew den Verhandlungsprozess hinauszögern werde. Es sehe die Tatsache, mit Moskau verhandeln zu müssen, schon als „Kapitulation“ an. Die Ukrainer hätten sich daran gewöhnt, dass unter Joseph Biden das strategische Ziel der USA war, Moskau eine vernichtende Niederlage zuzufügen. Deshalb sei es für Kiew das Wichtigste, Zeit zu gewinnen und den Moment abzuwarten, in dem in den USA Trump wieder durch einen Kandidaten der Demokratischen Partei abgelöst werde.
Berichten zufolge wollten Witkoff und Kushner nach dem Treffen in Moskau am Mittwoch in Kiew mit dem dortigen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sprechen. Dieser erklärte, „dass es keine einfachen Lösungen geben wird“, wie die russische Nachrichtenagentur Tass berichtete. Laut Selenskyj gibt es derzeit 20 Punkte, die bei den US-amerikanisch-ukrainischen Gesprächen in Genf ausgearbeitet und in Florida überarbeitet worden seien. Seiner Meinung nach müssten „einige Dinge noch überarbeitet werden“.
Laut der ukrainischen Nachrichtenagentur Ukrinform sagte Selenskyj bei einem Besuch in Irland, der weitere Friedensprozess hänge von den Ergebnissen der Verhandlungen zwischen den USA und Russland in Moskau ab. Kiews Diplomaten arbeiten nach seinen Worten „aktiv mit allen Partnern zusammen, um sicherzustellen, dass die europäischen Länder und andere Mitglieder der Koalition der Willigen maßgeblich in die Entscheidungsfindung einbezogen werden“. Berichten nach sagte er außerdem, er habe „Angst“ vor einem nachlassenden Interesse der USA. Russlands Ziel sei es, die USA von der Lage in der Ukraine abzulenken.
Putins Warnung
Russlands Präsident Putin hatte am Dienstag vor dem Treffen mit Witkoff gegenüber Journalisten erklärt, die Kiewer Führung verhalte sich so, als lebte sie „irgendwo auf einem anderen Planeten“, berichtete Tass. Sie sei nicht über die „aktuellen Ereignisse in der Wirtschaft und erst recht nicht an der Front“ informiert und befinde sich in einem ständigen „Prozess des Bettelns um Geld“.
Die aktuellen ukrainischen Angriffe auf Öltanker im Schwarzen Meer bezeichnete Putin als Piraterie. Russland werde Maßnahmen gegen Schiffe von Ländern, die Kiew bei der Piraterie unterstützen, prüfen und als Reaktion auf die Angriffe die Angriffe auf ukrainische Häfen ausweiten, kündigte er an. Die radikalste Methode, um solche Aktionen zu stoppen, könnte darin bestehen, die Ukraine vom Meer abzuschneiden: „Dann wäre es ihr unmöglich, überhaupt Piraterie zu betreiben.“
Russland gehe in der Ukraine vorsichtig und „chirurgisch präzise” vor, so der russische Präsident laut der Nachrichtenagentur. Wenn jedoch die europäischen Führungen mit ihrer Illusion, Russland eine strategische Niederlage zuzufügen, beschließen, einen Krieg gegen Russland zu beginnen, werde sich die Lage völlig anders entwickeln, warnte er. Zugleich widersprach Putin erneut westlichen Behauptungen über russische Kriegspläne gegen die EU oder die Nato: „Wir haben nicht vor, gegen Europa zu kämpfen, das habe ich schon hundertmal gesagt.“ Aber bei einem Angriff werde Russland „sofort“ reagieren.
„Sollte Europa plötzlich einen Krieg gegen uns beginnen, würde das meiner Meinung nach sehr schnell gehen. Das ist nicht die Ukraine. In der Ukraine gehen wir chirurgisch vor, ganz vorsichtig. Das ist kein Krieg im direkten, modernen Sinne des Wortes.“
Mit Blick auf die (west)europäische Politik sagte der russische Präsident zu deren Klagen, dass sie von den Verhandlungen zur Ukraine ausgeschlossen sei, „niemand hat sie ausgeschlossen – sie haben sich selbst ausgeschlossen“. Europa habe keine friedliche Agenda und stehe „auf der Seite des Krieges“, indem es die Friedensbemühungen von Trump behindere. Die europäischen Länder würden versuchen, in Bezug auf die Ukraine „Forderungen zu stellen, die für Russland völlig inakzeptabel sind, und das wissen sie auch“. Die europäische Politik habe immer noch die Illusion, Russland eine strategische Niederlage zuzufügen. Dabei verstehe sie, dass dies unmöglich sei: „Sie haben damals das Gewünschte für das Tatsächliche gehalten, aber sie können und wollen sich das selbst nicht eingestehen.“
Wie zur Bestätigung traf sich am Dienstag der ukrainische Verteidigungsminister Denys Schmyhal in Brüssel mit der Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Kaja Kallas. Dabei sei es um „die Umsetzung gemeinsamer Verteidigungsinitiativen und die Nutzung eingefrorener russischer Vermögenswerte“ gegangen, berichtete Ukrinform. Kallas habe betont, dass auf Russland und nicht auf die Ukraine Druck ausgeübt werden müsse, um eine friedliche Lösung für den Krieg zu finden, den Russland entfesselt habe.
Nato-Präventivschlag gegen Russland?
Wie ernst Putins Warnungen an die Europäer zu nehmen sind, machten außerdem Aussagen des aktuellen Vorsitzenden des Nato-Militärausschusses Giuseppe Cavo Dragone deutlich. Der italienische Admiral erklärte der Zeitung Financial Times, dass das westliche Militärbündnis seine Reaktion auf die angebliche hybride Kriegsführung Moskaus verschärfen könnte. Dragone sagte demnach, dass ein „Präventivschlag“ als „defensive Maßnahme“ betrachtet werden könne, fügte jedoch hinzu: „Das ist weiter entfernt von unserer normalen Denk- und Verhaltensweise.” Das russische Außenministerium erklärte am Montag in einer Stellungnahme, dass Dragones Äußerungen ein „äußerst unverantwortlicher Schritt“ seien und die „Bereitschaft der NATO, weiter in Richtung Eskalation zu gehen“ signalisierten. „Wir sehen darin den gezielten Versuch, die Bemühungen um einen Ausweg aus der Ukraine-Krise zu untergraben“, sagte Ministeriumssprecherin Maria Sacharowa dazu.
Das Denken in den europäischen Hauptstädten machte unter anderem der ehemalige britische Premier Boris Johnson in einer Kolumne für die Zeitung Daily Mail am 22. November deutlich. Darin schrieb er, der 28-Punkte-Plan Trumps zur Beendigung des Krieges könnte „komplett vom Kreml verfasst worden sein“. Es sei „ein völliger Verrat an der Ukraine“ und bedeute „eine totale Kapitulation der sogenannten Freunde der Ukraine“. Johnson will „im Namen der Freiheit den 28-Punkte-Plan für die Ukraine vertikal ablegen“. Er hatte in einem Interview im November 2024 offen eingestanden: „Wir führen einen Stellvertreterkrieg, aber wir geben unseren Stellvertretern nicht die Möglichkeit, ihre Aufgabe zu erfüllen. Seit Jahren schon lassen wir sie mit einer Hand auf dem Rücken gefesselt kämpfen, und das ist grausam.“
Aussagen deutscher Politiker gehen in dieselbe Richtung. So erklärte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in der Bundestagsdebatte am 26. November: „Wir wollen keinen Frieden durch Kapitulation, sondern wir wollen ein friedliches Zusammenleben der Völker in Europa. Auf der Grundlage unserer demokratischen, freiheitlichen Werte.“ Ein „zwischen Großmächten verhandeltes Abkommen ohne die Zustimmung der Ukraine und ohne die Zustimmung der Europäer“ werde keine Grundlage für einen „echten tragfähigen Frieden“ sein.
Doch „die Europäer hatten weder die Kraft, noch den Willen, fast vier Jahre lang einen eigenen Vorschlag für Friedensverhandlungen vorzulegen“, kritisierte kürzlich der ehemalige Bundeswehr-Generalinspekteur und Dragone-Vorgänger Harald Kujat gegenüber dem österreichischen FPÖ TV. Von den Europäern sei kein Vorschlag gekommen, um die Bevölkerung zu schützen und das Töten und die Zerstörung des Landes zu beenden. Stattdessen sei während des gesamten Krieges „die Fiktion aufrechterhalten worden, die Ukraine könnte ja doch irgendwann den Krieg gewinnen. Wir müssen nur immer mehr Waffen, immer modernere Waffen, immer leistungsfähigere Waffen in die Ukraine bringen. Wir müssen mehr Geld zur Verfügung stellen, dann wird das schon klappen.“ Doch die ukrainischen Streitkräfte waren laut Kujat „zu keiner Zeit in der Lage, die strategische Lage zu ihren Gunsten zu wenden“.
„Sehr nützliche Gespräche“
Am Dienstagabend gingen die Gespräche zwischen Witkoff und Putin nach mehr als fünf Stunden zu Ende, wie Tass berichtet. Konkrete Ergebnisse wurden nicht bekannt. Juri Uschakow, Berater des russischen Präsidenten, erklärte nach dem Treffen laut der russischen Nachrichtenagentur, bislang gebe es noch keinen Kompromissplan für die Ukraine. Einige US-amerikanische Vorschläge seien für Russland akzeptabel, andere hingegen nicht.
Laut einem weiteren Tass-Bericht sagte Uschakow, beide Seiten hätten mehrere Optionen für einen Friedensplan, darunter auch die Frage der Territorien, diskutiert und vereinbart, den Kontakt fortzusetzen. Das Gespräch sei „sehr nützlich, konstruktiv und sehr inhaltsreich“ gewesen. Mit den US-Vertretern sei der Inhalt der Entwürfe und Dokumente besprochen worden, die die USA „vor einiger Zeit nach Moskau übermittelt haben“. Es sei „nicht über konkrete Formulierungen oder konkrete amerikanische Vorschläge gesprochen“ worden, sondern über „den Kern“ der US-Dokumente. Nach der ersten Version des Friedensplans der USA für die Ukraine habe Russland vier weitere Dokumente erhalten, über die diskutiert worden sei. Deren Inhalt könne aber nicht offengelegt werden, so Uschakow. Sie würden „die langfristige friedliche Beilegung der Krise in der Ukraine“ betreffen.
Putin und Witkoff hätten die territorialen Fragen angesprochen. Der russische Präsident habe sich zudem über „die destruktiven Handlungen, die wir im Zusammenhang mit der Beilegung des Konflikts seitens der Europäer beobachten“, geäußert. Er habe seinen Gesprächspartnern „eine Reihe wichtiger politischer Signale“ übermittelt, die nicht genauer benannt wurden. Außerdem seien insbesondere „die enormen Perspektiven für die zukünftige wirtschaftliche Zusammenarbeit beider Länder“ diskutiert worden.
Nach dem Treffen im Kreml hätten sich die Russische Föderation und die USA in der Frage der Ukraine-Regelung nicht weiter voneinander entfernt, so Uschakow: „Aber es liegt noch viel Arbeit vor uns, sowohl in Washington als auch in Moskau. Das wurde vereinbart, die Kontakte werden fortgesetzt.“ Ein mögliches Treffen zwischen Putin und Trump „hängt davon ab, welche Fortschritte auf diesem Weg erzielt werden können“. Die US-Delegation habe erklärt, dass sie nach dem Treffen im Kreml in die USA zurückkehren und nicht nach Kiew fahren werde. Uschakow sagte dazu:
„Die Kollegen werden nach Hause zurückkehren. Sie werden die heute angesprochenen Fragen diskutieren. Und dann werden sie sich, wie ich vermute, telefonisch mit uns in Verbindung setzen, und wir werden die Diskussion fortsetzen.“
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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bild: US-Sondergesandter Steve Witkoff
Bildquelle: DT phots1 / shutterstock
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