Ein Kommentar von Susan Bonath.
Vor 100 Jahren endete das Deutsche Kaiserreich. Die SPD feiert sich bis heute für den 9. November 1918 als Vorreiterin eines demokratischen Aufbruchs. Damals, zwei Tage vor dem Ende des Ersten Weltkrieges, habe sie unter Führung Friedrich Eberts die Reste der deutschen Monarchie mit der Novemberrevolution hinweggefegt, und dies gar ohne größeres Blutvergießen. So jedenfalls lautet die bürgerliche Legende, die die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung plakativ vor sich her trägt. Doch die Wahrheit geht ein wenig anders.
Der Erste Weltkrieg kam nicht aus dem Nichts. 20 Jahre kleinere Kriege, geführt von den damaligen Großmächten USA, Japan und jenen aus Europa, gingen dem gut vierjährigen barbarischen Völkermorden mit rund 17 Millionen Opfern voraus. Es ging um die imperialistische Neuaufteilung der kolonialisierten Welt innerhalb der Machtfraktionen des monopolisierten Großkapitals. Schon zu Beginn des Krieges Ende Juli 1914 fiel die SPD-Spitze ihrer millionenstarken proletarischen Basis in den Rücken. Hatte sie am 25. Juli noch zu Großdemonstrationen „gegen das verbrecherische Treiben der Kriegshetzer“ aufgerufen, stimmte sie Tage später der Aufnahme milliardenschwerer Kriegskredite zu.
Gut vier Jahre später grassierten Hungersnot und Seuchen im Deutschen Reich. Der linke Flügel hatte sich inzwischen von der SPD abgespalten und die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands, USPD, gegründet. Das deutsche Heer lag am Boden, die anfängliche, vor allem propagandistisch erzeugte Kriegsbegeisterung war Müdigkeit und Elend gewichen.
Der Kieler Matrosenaufstand am 24. Oktober 1918 war der unmittelbare Auslöser für die beginnenden Kämpfe der verelendeten Arbeiter gegen Ausbeutung, Unterdrückung und Repressionen. Die Marinesoldaten verweigerten den Befehl, die britische Flotte ein letztes Mal anzugreifen. Sie meuterten, sabotierten Kriegsgerät. Binnen Tagen breitete sich die Revolte über das ganze Land aus. Der Ruf nach Räterepublik und Sozialismus erschallte. Der Kaiser floh.
Am selben Tag passierten zwei Ereignisse, die SPD-Führer Ebert, der ursprünglich eine „parlamentarische Monarchie“ erhalten wollte, nicht auf dem Schirm gehabt hatte. Sein Parteigenosse Philipp Scheidemann verkündete vom Balkon des Reichstagsgebäudes den Zusammenbruch des Kaiserreichs. Er rief zugleich die Deutsche Republik aus. Ebert als „Revolutionsführer“ sei nun Reichskanzler, erklärte Scheidemann.
Derweil propagierte Karl Liebknecht – 1916 wegen Ablehnung der Kriegskredite aus der SPD geflogen und gerade aus dem Zuchthaus entlassen – vor dem Berliner Schloss die sozialistische Republik. Arbeiter in vielen Teilen Deutschlands folgten seinem Aufruf, führten gegen den Willen der SPD-Spitze den Aufstand weiter. Während letztere nach „Ruhe und Ordnung“ rief, forderten erstere die Enteignung des Großkapitals.
„Ruhe und Ordnung“ setzte Ebert brutal durch. Er hetzte bewaffnete Truppen gegen die kämpfenden Arbeiter und setzte, nachdem die USPD aus dem Rat der Volksbeauftragten ausgetreten war, Gustav Noske als Heeresverantwortlichen ein. Noske, unter Arbeitern als „Eberts Bluthund“ bekannt, heuerte die bereits allerorts marodierenden, von Teilen des Großkapitals finanzierten präfaschistische Freikorps an.
Zusammen mit dem reaktivierten deutschen Heer und im Auftrag der SPD-Führung schossen die Soldaten den Spartakusaufstand unter Führung Liebknechts, Rosa Luxemburgs und ihrer neu gegründeten KPD im Januar 1919 nieder. Ausgerufene Räterepubliken hatten keine Chance. Tausende Tote bis Mai desselben Jahres waren die Folge. Unter den Hingerichteten waren auch Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg.
Offiziell galt der Offizier Waldemar Pabst als jener, der die Morde veranlasst hatte. Doch er hinterließ nach seinem Tod 1970 einen Brief. „Dass ich die Aktion ohne Zustimmung Noskes gar nicht durchführen konnte – mit Ebert im Hintergrund – und auch meine Offiziere schützen musste, ist klar“, räumte er darin ein. Und: Pabst sei nie unter Anklage gestellt worden, „weil ich das Verhalten der damaligen SPD damit quittiert habe, dass ich 50 Jahre lang das Maul gehalten habe über unsere Zusammenarbeit“.
Die Novemberrevolution richtete sich im Kern gegen Herrschaft und Unterdrückung. Doch die SPD half der Konterrevolution nicht nur auf die Sprünge. Sie sorgte mit Waffengewalt dafür, dass lediglich die missglückte März-Revolution von 1848 fortgesetzt und die monarchischen Überbleibsel fielen. Die SPD hatte sich an die Führung der Revolution geputscht und – dank Millionen blauäugiger Arbeiter – deren Interessen verraten. Am Ende schmückte sie sich gar mit den Federn ihrer kläglichen Errungenschaft: Einer von Anfang an wackeligen parlamentarischen Republik.
Diese kurze Phase der Weimarer Republik unterbrach zwar für den Moment die Kette imperialistischer Kriege und brachte auch das Wahlrecht für jedermann. Doch das Zusammenspiel von SPD, Armee und Freikorps legte bereits jene ideologischen Wurzeln, die 1933 zur Machtergreifung Hitlers, damit zur Verfolgung von Kommunisten und linken Sozialdemokraten und, am 9. November 1938, zur Reichskristallnacht führten, dem Übergang der deutschen Faschisten zur offenen Vernichtung der Juden und anderer ausgegrenzter und entrechteter Bevölkerungsteile, sowie geradewegs in den nächsten Weltkrieg.
Das Liebäugeln mit der Macht ist also bei der SPD nichts Neues. Das weiß auch die Großbourgeoisie ganz genau. Nicht umsonst fürchtete sie die SPD nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur nicht. Sie traute ihr auch einiges zu. „Sozialpartnerschaft“ zwischen Arbeitern und Großkapital lautete ihre demagogische Parole, welche heute die Gewerkschaften mehr denn je propagieren. Doch selbst davon weicht die heutige SPD immer stärker ab. Ihr Klüngelei mit den rechten Parteien und den Kapitalisten ist spätestens seit der Agenda 2010 mit Hartz IV unübersehbar. Selbst ihr Zuckerbrot ist zu bloßen Parolen verkommen.
Längst ist auch die Führung der Linkspartei auf diesen Kurs eingeschwenkt. Sie ist gespalten in zwei Sozialpartnerschafts-Lager. Das eine propagiert den national-sozial gebändigten Kapitalismus. Das andere operiert mit bürgerlicher Milieupolitik innerhalb der neoliberalen Agenda. Und die Grünen? Sie stehen derweil für einen „grünen Kapitalismus“, obwohl allein die Logik des Profitstrebens bei ständigem Wirtschaftswachstum einen solchen Wunsch ad absurdum führt.
Dass Sozialpartnerschaft zwischen Herrschenden und Ausgebeuteten nicht funktionieren kann, weil die Interessen der einen die der anderen ausschließen, zeigt nicht nur die Historie der Novemberrevolution, sondern die gesamte Geschichte der vergangenen 100 und mehr Jahre. Und diese ist – mindestens von oben – auch weiterhin von Klassenkämpfen geprägt.
Der 9. November hat darin Tradition. An jenem Datum im Jahr 1989 löste sich die gerade begonnene friedliche Revolte in der DDR mit dem anfänglichen Ziel, das System zu demokratisieren, in Rückschritt und Annektion auf. Auch damals siegte die Konterrevolution schneller, als es den meisten bewusst wurde. Die Profitgeier verleibten sich die Produktionsmittel ein, Glücksritter plünderten und kassierten.
Seit den 1990er Jahren geht wieder Krieg von deutschem Boden aus, entgegen dem, was im Zwei-plus-Vier-Vertrag mit den Alliierten Mächten vereinbart worden war. Die neue Ära „kleiner“ neokolonialer Kriege dauert inzwischen schon 28 Jahre. Die Hochrüstung und militärische Einkreisung, diesmal im Namen von „Demokratie und Menschenrechten“ läuft auf Hochtouren. Wie damals stacheln rechte Demagogen aus einer angeblichen Mitte die sogenannte Mitte der Gesellschaft rassistisch und nationalistisch auf.
Der 9. November ist ein geschichtsträchtiges Datum der verratenen Revolutionen. Es sollte vor allem an eins erinnern: Ein Ende der imperialistischen Kriegsära ist ohne Bruch mit dem Kapitalismus nicht zu haben.
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Bildhinweis: Crowd at the Reichstag Building, Berlin, at the proclamation of new government Nov. 10, 1918. Kaiser Wilhelm II abdicated on the same day, in the aftermath of Germanys defeat in World War 1.
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Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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