STANDPUNKTE • Geliftete Jugend und alte Schinken für Straßburg

Ein Kommentar von Hermann Ploppa.

„Schicksalswahl“: Am Wahlsonntag lag das Unterste zuoberst und das Oberste zuunterst. Neben den traditionell langen Gesichtern bei den kaum noch darstellbaren Sozialdemokraten nun auch noch lange Gesichter bei den traditionell konservativ Halbrechten. Die TV-Moderatoren fragten uns, ob es wohl noch einmal reichen würde zu einer Mehrheit für die alten Kumpels von halbrechts konservativ und sozialdemokratisch. Spannend, spannend, denkt sich vermutlich der Zuschauer am heimischen Bildschirm und kann sich gar nicht vom Fernsehsessel lösen, um das Klo aufzusuchen.

Äh, worum geht’s denn eigentlich? Richtig, um nichts. Um rein gar nichts. Denn das Europa-Parlament hat überhaupt gar nichts zu entscheiden. Das Europa-Parlament kann noch nicht einmal von sich aus Gesetze auf den Weg bringen. Die Straßburger Parlamentarier dürfen lediglich die aus Brüssel von der EU-Kommission heruntergereichten Beschlüsse abnicken. Wenn sie das nicht tun, auch egal. Das Europa-Parlament kann immerhin einen von Brüssel vorgeschlagenen EU-Kommissionspräsidenten ablehnen. Wow! Und dafür sitzt Ihr geschlagene fünf Jahre in Straßburg? Lol!

Zu einer Demokratie gehört zwingend eine Dreiteilung der Macht zwischen Exekutive (das ist die Regierung), der Legislative (dem Parlament) und der Judikative (der – das ist wichtig: unabhängigen Gerichte). Aber: hat man schon mal gehört, dass ein Parlament etliche hundert Kilometer von der Regierung entfernt residiert? Der Bundestag in Bonn, die Bundesregierung in Berlin? Aber das Europa-Parlament dämmert im verschlafenen, weintrunkenen Elsass, in Straßburg, vor sich hin, während die Regierung Europas im geschäftigen Brüssel herumwuselt. Es kümmern sich um unsere 751 europäischen Volksvertreter sage und schreibe 25.000 zugelassene Lobbyisten. Ist das nicht rührend?

Es ist also nicht weiter verwunderlich, wenn bei dieser Europawahl äußerst kuriose Ergebnisse herauskommen: In Großbritannien hat eine Brexit-Partei aus dem Stand über ein Drittel der Wähler gewinnen können, während sich die regierende Konservative Partei mit kaum noch darstellbaren 8.71% auf dem vierten Platz wiederfindet, und auch die oppositionelle Labour-Partei sich auf Platz drei mit kläglichen 14.05% zufrieden geben muss. Bei der Wahlbeteiligung gibt es ein klares West-Ost-Gefälle. Riga ist nun mal verdammt weit weg von Straßburg. Und insgesamt hat wieder einmal lediglich die Hälfte aller wahlberechtigten EU-Bürger überhaupt an der Wahl teilgenommen.

Welche Möglichkeiten zur Artikulation der eigenen Wünsche haben denn die Menschen draußen im Lande bei dieser Wahl zu einem fast vollkommen macht- und funktionslosen Parlament? Die Alten wählten rechts oder rechts-“populistisch“. Die Jungen wählten ökologisch-umweltrettend oder gar polit-satirisch (also in Deutschland die Witzpartei Die Partei). Die Mainstreampresse stempelte uns entweder zu Europa-Freunden (wenn wir die gewünschten Parteien wählten) oder zu Europa-Feinden (wenn wir die unerwünschten Parteien gewählt haben). Kein Wunder, dass sich so ein diffuses Stimmungsbild ergeben hat.

Ich sag mal so: ich bin auch für Europa. Aber das Europa, das von abgehobenen Eliten nach dem Zweiten Weltkrieg am Reißbrett entworfen wurde, ist nicht mein Europa. Denn nach dem Krieg hat die Regierung der USA den obskuren Geheimdienst CIA damit beauftragt, Westeuropa zu einem antikommunistischen Staatenbund zusammenzuschweißen. Dafür wurden synthetische, scheinbar unabhängige Organisationen wie die Americans for a United Europe (ACUE) gegründet, die reichlich Geld in eine synthetische Bewegung für ein geeintes Europa ausgeben konnte. Entstanden ist eine neue, nicht von unten her legitimierte Europa-Regierung, die mittlerweile als gigantischer Moloch immer mehr Entscheidungskompetenzen von den nationalen, demokratisch legitimierten Regierungen absaugt. Im undurchdringlichen Brüsseler Dschungel haben Eurokraten das Sagen, die von niemandem gewählt sind. Die sich ganze Regierungsprogramme von privaten Stiftungen und Thinktanks wie der Bertelsmann-Stiftung vorkauen lassen, und den Brei dürfen wir Bürger dann auslöffeln. Friß‘, Vogel oder stirb‘. Dabei werden ungefragt marktradikale Glaubenssätze in die Politik eingewoben, die Grundsätze wie soziale Verantwortung und Solidarität geradezu in die kriminelle Ecke stellen. Vor wenigen Jahren wurde dieser gar nicht demokratische Skandal noch thematisiert. Mittlerweile hört man kaum noch ein Wort grundsätzlicher Kritik. Ich will ein Europa, in dem zunächst einmal grundsätzlich diskutiert wird: wollen wir überhaupt Macht an eine supranationale Behörde abgeben? Wenn ich das frage, bin ich wohl schon „Rechtspopulist“. Im Moment nähern wir uns jedoch einem Zustand, in dem der Nationalstaat ungefragt demontiert wird. Man kann sagen über den Nationalstaat was man will. Aber eines ist doch klar: gegen die neofeudale Übermacht der globalen Konzerne ist der Nationalstaat der letzte Großorganismus, den man noch umfunktionieren könnte zu einem Abwehrapparat gegen die Versklavung in der Schönen Neuen Konzernwelt.

Schlägt sich das in irgendwelchen Debatten noch nieder? Nö! Denn auch die europäische Linke nuschelt nur noch brav vor sich hin. Die Quittung erhielt unter anderem die deutsche Linkspartei, die ihre rote Sahra weggebissen hat. Frau Wagenknecht hatte ja auch Fundamentalkritik am Brüssel/Straßburger Moloch geübt. Das geht nun offenkundig gar nicht mehr. Blieben also scheinbar nur die Grünen, die wenigstens dafür kämpfen, dass wir in ein paar Jahren überhaupt noch Sauerstoff atmen können. So wurde es zumindest angepriesen. Wer allerdings in einem Bundesland lebt, wo die Grünen in der Regierung sitzen, erlebt es allerdings ganz anders. „Staatsmännische Vernunft“ siegt über Umweltschutz. Ob Garzweiler, ob Stuttgart21: mit den Grünen kriegen die Konzerne einfach alles durch, was sie mit den Altkonservativen schon lange nicht mehr durchdrücken können. Ist die Verzweiflung und Verunsicherung so groß, dass die Menschen draußen im Lande das schön weit verdrängen? Vor allen Dingen sind die Grünen eine NATO-Partei. Schon vergessen, wie die Grünen Schaum vorm Mund hatten, als Guido Westerwelle die deutsche Zustimmung zum völkerrechtswidrigen Überfall auf Libyen im Weltsicherheitsrat verweigert hat? Wie Frau Marieluise Beck und ihr Göttergatte Ralf Fücks von den Grünen mit den amerikanischen Neocons unisono zum Krieg gegen Russland trommeln?

Ach so, ja. Das Europa-Parlament hat doch wahrscheinlich auf Druck der Grünen empfohlen, Trinkhalme, Geschirr und Wattestäbchen aus Plastik ab 2021 zu verbieten. Aber Glyphosat finden die Euro-Parlamentarier in Ordnung bis mindestens 2022. Und die Sanktionen gegen Russland sollte man weiter verschärfen, finden die Dickbäuche aus Straßburg. Ja, und dann habt Ihr Euch in einer Entschließung gegen das Ausspionieren unserer Konten durch die US-Schnüffelbehörde ausgesprochen. Ach so, das ist ja nur eine Entschließung, also nicht bindend. Klingt aber als Presse-Schlagzeile super: „EU-Parlament spricht sich gegen NSA-Schnüffelei aus!“

Ja, also was hat denn der Wähler, die Wählerin, nun eigentlich zu wählen gehabt? Es gab schlichtweg nichts zu wählen. Jedenfalls nicht, wenn man seine bürgerlichen Freiheiten gegen eine anonyme kafkaeske Veranstaltung wie den Konzern-Moloch von Brüssel behaupten möchte. Die alte Garde von Knallchargen will keiner mehr wählen. Aber was dann? Rechtspopulistisch? Ist was für verbitterte alte Männer. Früher gab es in der Politik noch Idealisten, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben im Kampf für eine bessere Welt. Tempi Passati! Heute ist Politik offenkundig ein Karrieresprungbrett für Minderbegabte, die in ihrem Leben überdurchschnittlich gut verdienen wollen ohne viel arbeiten zu müssen. Schockierend der Strache Heinz Christian, wie er Red Bull-gedopt auf den viel zu kurzen Rock der angeblichen russischen Oligarchin glotzt, auf die Venusfalle reinklatscht und seine Primitivität und Machtgier offenbart. Und dann ist da der Youtuber Rezo, der uns in genialer Komposition eine brunzdumme Drogenbeauftragte präsentiert, die die elementarsten Fakten aus ihrem Spezialgebiet nicht draufhat. It’s Money for Nothing! Eine wirklich brillante Analyse der Verblödung unserer Politikerkaste aus einer Ecke, aus der man nichts dergleichen erwartet hat. Doch hat Rezo ja eine indirekte Wahlempfehlung für Grüne, Linke, VOLT oder Diem25 abgegeben. Und das trotz seiner klaren Kritik an imperialistischen Verbrechen wie den Drohnenmorden, dirigiert aus Ramstein – von den Grünen niemals wirklich in Frage gestellt.

Die Welt rettet man nicht dadurch, dass man irgendwelche Wackeldackel nach Straßburg entsendet. Sondern nur dadurch, dass man hier und jetzt anfängt, die Gesellschaft von unten her rundzuerneuern. Das geschieht bereits allerorten. Das neue Leben muss vernetzt werden. Habt den Mut, Eure Vereinzelung aufzugeben!

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung.

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