
Ein Lehrstück über direkte Demokratie: Wie Swisscom, Ringier und Co. die E-ID-Abstimmung zu ihren Gunsten lenkten – mit Palantir im Hintergrund.
Ein Standpunkt von Michael Straumann.
50,39 Prozent Ja zu 49,61 Prozent Nein – ein Unterschied von nur 20.000 Stimmen, kaum mehr als die Bevölkerung einer Schweizer Kleinstadt. Das Resultat sorgte weltweit für Aufsehen. In den sozialen Medien zeigten sich viele entsetzt darüber, dass ausgerechnet die Schweiz – das Land der direkten Demokratie – oft als «Freiheitsinsel Europas» verklärt – dem E-ID-Gesetz zustimmte.
Der US-amerikanische Journalist und Twitter-Files-Mitherausgeber Michael Shellenberger schrieb kurz nach der Abstimmung am 28. September:
"Gütiger Gott. Die Schweizer Bevölkerung hat soeben der digitalen ID zugestimmt. Australien führte sie im Dezember ein, Großbritannien letzte Woche. In allen drei Ländern stehen Politiker dahinter, die eng mit dem Deep State verflochten sind. Das ist ein digitaler ID- und Zensur-Notstand."
Welch Paradoxon: Im Namen der Demokratie kann ein Volk so gelenkt werden, dass es dem Abbau seiner eigenen Grundrechte zustimmt. Eine Demokratie lebt davon, dass der öffentliche Debattenraum intakt bleibt: dass alle relevanten Argumente fair, sichtbar und unverzerrt diskutiert werden können. Genau das aber war bei dieser Volksabstimmung nicht der Fall.
Auch in der Schweiz wurde diese Frage im Zusammenhang mit der Abstimmung zum E-ID-Gesetz erneut gestellt. Doch das Problem lag hier nicht in der Auszählung der Stimmen – dafür gibt es keine stichhaltigen Hinweise. Die Manipulation fand bereits früher statt: im Prozess der öffentlichen Meinungsbildung.
Swisscom mischte sich illegal in den Abstimmungskampf ein
Die Swisscom AG, das grösste Telekommunikationsunternehmen der Schweiz, ist zu 51 Prozent im Besitz des Bundes – und damit unter staatlicher Kontrolle. Trotzdem griff sie im Abstimmungskampf zum E-ID-Gesetz aktiv ein und unterstützte die Ja-Kampagne finanziell.
Am 10. Juli 2025 überwies die Swisscom 30’000 Franken an das «Wirtschaftskomitee Schweizer e-ID». Öffentlich bekannt wurde die Zahlung jedoch erst am 21. September – eine Woche vor dem Urnengang. Damit verletzte Swisscom das in der Bundesverfassung garantierte Gebot der Abstimmungsfreiheit (Art. 34 Abs. 2 BV).
Als staatsnahes Unternehmen ist die Swisscom zur politischen Neutralität verpflichtet. Sie darf demokratische Prozesse nicht durch einseitige Interventionen beeinflussen – genau das ist jedoch geschehen. Die Swisscom versuchte, ihr Vorgehen zu rechtfertigen: Die Unterstützung der Ja-Kampagne liege im eigenen Interesse, da die E-ID digitale Signaturen und Dienstleistungen vereinfache.
Andreas Glaser, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Zürich, bezeichnet die Kampagnenfinanzierung als unzulässig. Die Spende sei zu hoch und der Zusammenhang zwischen dem E-ID-Gesetz und dem Kerngeschäft der Swisscom zu schwach. Auch der Anwalt Artur Terekhov, der die Bürgerrechtsbewegung MASS-VOLL! juristisch vertritt, hält fest, dass eine Spende an ein privates Komitee gegen das Gebot der Sachlichkeit und Verhältnismässigkeit verstößt – Regeln, die für staatliche und staatsnahe Akteure verbindlich sind. Zusätzlich war die Swisscom indirekt an der Ja-Kampagne beteiligt: über ihre Mitgliedschaft im Lobbyverband digitalswitzerland, in dessen Vorstand CEO Christoph Aeschlimann sitzt.
Angesichts der brisanten Spende reichte MASS-VOLL! eine Stimmrechtsbeschwerde ein. Andere Komitees aus dem Nein-Lager folgten. Zunächst forderten sie die Verschiebung der Abstimmung und nach dem äußerst knappen Ergebnis eine Wiederholung.
Ringier und TX Group leisteten Beihilfe
Nicht nur Swisscom griff zu unlauteren Mitteln. Auch die beiden größten Medienhäuser des Landes – Ringier und die TX Group – stellten sich auf die Seite der Befürworter. Beide unterstützten die Ja-Kampagne mit umfangreichen Sachleistungen, deren Ausmaß erst kurz vor dem Urnengang bekannt wurde.
Am 24. September 2025 stellte Ringier, Herausgeber des Boulevardblatts Blick, Werbeflächen im Wert von 85.000 Franken zur Verfügung. Zwei Tage später folgte die TX Group – das Verlagshaus hinter dem Tages-Anzeiger und 20 Minuten – mit Gratisinseraten im Wert von 78.000 Franken. Zusammen ergab das eine nicht-monetäre Unterstützung von 163.000 Franken, die an die «Allianz Pro e-ID» floss. Zu diesem Zeitpunkt hatten die meisten Stimmberechtigten bereits brieflich abgestimmt. Die Enthüllung dieser verdeckten Wahlkampfhilfe kam zu spät, um das Stimmverhalten noch zu ändern.
Mit diesem Eingriff gaben Ringier und die TX Group ihre Rolle als neutrale Beobachter auf. Sie wurden zu aktiven Akteuren im Dienst einer von der Regierung gewünschten Vorlage. Die Berichterstattung von Blick, Tages-Anzeiger und 20 Minuten war kein unabhängiger Journalismus mehr, sondern Teil einer orchestrierten Kampagne.
Einmal mehr zeigt sich der politisch-mediale Komplex: Die großen Medienhäuser agieren längst nicht mehr als Kontrolleure der Macht, sondern als deren Steigbügelhalter. Dieses Muster zeigte sich bereits während der Corona-Krise, als Ringier-CEO Marc Walder seine Mitarbeiter anwies, die Regierung «aktiv zu unterstützen» und Kritik zu vermeiden.
Die Bewegung MASS-VOLL! fordert nun die Aufhebung und Wiederholung der Abstimmung. Angesichts der hauchdünnen Differenz von rund 21.000 Stimmen ist es mehr als denkbar, dass das Ergebnis ohne diese Eingriffe anders ausgefallen wäre. Die Verteidigung der Verlage überzeugt kaum. Die TX Group verweist auf eine angeblich strikte Trennung zwischen Redaktion und Werbemarkt, Ringier auf seine publizistische Unabhängigkeit und gängige Branchenpraxis. Doch angesichts der politischen Tragweite dieser Abstimmung bleibt von dieser Selbstrechtfertigung wenig übrig.
Auch Palantir mischte im Hintergrund mit
Auch der Datenkonzern Palantir hat seine Finger im Spiel – wenn auch indirekt. Das Unternehmen aus dem Silicon Valley gilt als einer der mächtigsten Akteure der globalen Überwachungsindustrie. Gegründet mit Geld aus dem CIA-Umfeld, ist Palantir heute tief im US-Sicherheitsapparat verwurzelt.
Seit 2021 ist Palantir auch in der Schweiz präsent. In Altendorf im Kanton Schwyz eröffnete der Konzern seinen sogenannten «Europa-Hub». Was kaum bekannt ist: Palantir ist Mitglied der Lobbyorganisation digitalswitzerland – jener einflussreichen Wirtschaftsallianz, die zu den größten Finanziers der Ja-Kampagne zum E-ID-Gesetz gehörte. Der Verband steuerte insgesamt 178.800 Franken an direkten und indirekten Zuwendungen bei.
Brisant ist auch Palantirs Verbindung zum Medienhaus Ringier. CEO Marc Walder ist nicht nur Gründer von digitalswitzerland, sondern unterhält seit Jahren geschäftliche Beziehungen zu Palantir. Seit 2018 kooperiert Ringier mit dem US-Datenkonzern und nutzt dessen Software sowohl für die Werbeplatzierung als auch im Blick-Newsroom, um Inhalte gezielter auf die Leserschaft zuzuschneiden.
Ein Nachspiel mit offenem Ausgang
Noch ist die Abstimmung nicht gegessen. Die eingereichten Stimmrechtsbeschwerden sind anhängig, und es bleibt abzuwarten, ob ihnen stattgegeben – und damit eine Wiederholung der Volksabstimmung angeordnet – wird.
Wenn sich ein bundeseigenes Unternehmen wie die Swisscom offen in den Abstimmungskampf einmischt, wenn Medienkonzerne wie Ringier und die TX Group kurz vor dem Urnengang noch Gratiswerbung im Wert von Hunderttausenden Franken spenden und wenn im Hintergrund ein US-Datenkonzern wie Palantir mitmischt – dann wird aus der Demokratie eine Farce.
Die Gegner des E-ID-Gesetzes kämpften gegen eine millionenschwere Propagandamaschine – und verloren nur knapp. Diese Abstimmung war mehr als ein Votum über ein digitales Dokument. Sie war ein Lackmustest für die Verfasstheit der Schweizer Demokratie – und hat tiefe Risse offengelegt.
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Dieser Beitrag erschien zuerst am 14. Oktober 2025 auf straumedia.ch sowie auf freie-medienakademie.de.
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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bild: Hand einer Frau hält digitale ID-Karte
Bildquelle: Shutter z / shutterstock
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