Sanders vs Clinton: Politische Revolution gegen den Status Quo?

Sanders vs Clinton: Politische Revolution gegen den Status Quo?

Die von wenigen vorausgesehenen Erfolge von Bernie Sanders bei den Vorwahlen in Iowa und New Hampshire werfen Fragen auf: Kann Sanders in einer korrupten demokratischen Partei überhaupt gegen Hillary Clinton gewinnen? Hätte der selbsterklärte „demokratische Sozialist“ Sanders eine Chance bei den Präsidentschaftswahlen? Und am wichtigsten: macht Sanders einfach nur den Obama und schlägt im Wahlkampf radikale Töne an, um hinterher die Hoffnungen seiner Wähler zu betrügen?

Von Prinz Chaos II.

„There is something going on, and you don’t know, what it is – do you, Mr. Jones?“ – diesen Song von Bob Dylan hörten Bobby Seale und Huye P. Newton rauf und runter, 1968 in einem heruntergekommenen Appartement in Chicago. Sie waren dabei, die „Black Panther Party“ zu gründen: die radikalste schwarze Organisation der modernen US-amerikanischen Geschichte.

„Da draußen passiert etwas und Du weißt nicht, was es ist – oder doch, Frau Clinton?“ – so könnte der Text im Jahre 2016 lauten. Und nicht nur Hillary Clinton scheint dieser Tage fassungslos über das, was in den USA geschieht.

Sozialismus! Natürlich ist das, was Bernie Sanders unter Sozialismus versteht, nicht der Sozialismus von Marx, Engels, Lenin und Rosa Luxemburg. Sander fordert nicht die Enteignung der Produktionsmittel oder eine Rätedemokratie.

Der „Sozialismus“ Marke Sanders entspricht eher der Reformvision der klassischen Sozialdemokratie vor ihrem historischen Verrat: funktionierende soziale Sicherungssysteme, Umverteilung des Wohlstands, eine Steuer auf Börsenspekulation, Abschaffung der in den USA aberwitzig hohen Studiengebühren etc.

Aber immerhin fordert Sanders auch: die Zerschlagung der Großbanken! Er verfolgt eine antimonopolistische Agenda – und dass jemand unter dem Label „Sozialist“ in den USA überhaupt reüssieren kann, ist eine Sensation, auch und gerade innerhalb der Demokratischen Partei.

Und Sanders kommt machtvoll nach vorne. Bei der Vorwahl in New Hampshire holte er 60% der Stimmen, was einen historischen Rekord bedeutet. Der 74jährige gewann dabei 75% der Wähler unter 45 Jahren. Er lag unter Frauen mit 11% vorn Hillary Clinton und gewann überhaupt in jeder demographischen Gruppe – mit einer einzigen Ausnahme: nur Wähler, die mehr als 200.000$ im Jahr verdienen, votierten mehrheitlich für Clinton.

Clintons Kampagne hat derweil massive Probleme. Die Strategie scheint chaotisch. Unter dem Druck von Sanders ist Clinton weit nach links gerückt und kopiert geradezu seine Message. Aber Clinton hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Kann man einer Politikerin, die alleine 2015 mehr als 600.000$ für Reden bei Goldman Sachs und Konsorten eingestrichen hat, zutrauen, den Kriminellen an der Wall Street das Handwerk zu legen?

Die Idee jedenfalls, nur Clinton könne einen Sieg über die Republikaner im nächsten Herbst garantieren, ist zwar populär, aber durch die Daten keineswegs abgestützt. Hillary ist seit Jahrzehnten in der Politik. Aber ihre Beliebtheitswerte sind weit im negativen Bereich, während Sanders als einziger von allen Kandidaten beider Parteien positive Werte aufweist. Auch im direkten Vergleich mit Donald Trump, Ted Cruz und Marco Rubio schneidet Sanders weit besser ab als Clinton.

Vor allem aber kommt es darauf an, wer die bessere Kampagne „on the ground“ hat. Denn das Wahlsystem in den USA ist darauf zugeschnitten, ärmeren Bevölkerungsschichten den Zugang zu den Wahllokalen möglichst zu erschweren. US-Bürger haben nicht einfach Wahlrecht. Sie müssen sich in einem komplizierten Prozess erst als Wähler registrieren. Der Schlüssel zum Obama-Sieg 2008 waren deshalb die Hunderttausenden Freiwilligen in einer perfekt organisierten Kampagne, die Millionen neuer Wähler registrierten und am Wahltag mit Fahrgemeinschaften und Sammeltaxis zu den Wahllokalen mobilisierten.

Obama, 2008… Der Wahlkampf von Bernie Sanders erinnert in vielem an die mitreißende Kampagne des Anfangs unbekannten Senators aus Ilinois. Auch er versprach einen radikalen Wandel, wenn er auch nicht,wie Sanders, eine „politische Revolution“ in Aussicht stellte. Auch Obama finanzierte sich zunächst durch unzählige Kleinspenden – um am Ende die großen Geldbündel der Wall Street in Empfang zu nehmen und Wall-Street-Botschafter wie Timothy Geithner ins Kabinett zu holen.

Wird Sanders die gleiche Nummer abziehen?

Dagegen spricht, dass Bernie Sanders seit Jahrzehnten in der Politik ist und seine Haltungen mehr als einmal unter Beweis gestellt hat. Er hat die Kriege von Bush und Obama ausnahmslos abgelehnt. Seine antimonopolistische Agenda betreibt er seit Jahrzehnten. Er gewinnt seine Wahlkämpfe seit jeher ohne Spenden aus der Großindustrie und dem Finanzwesen.

Einiges spricht dafür, dass Sanders es ernst meint.

Wichtiger als Sanders selbst ist aber sind die gewaltigen Verschiebungen im Diskurs und in der politischen Kultur, die wir derzeit in den USA erleben und denen Sanders Erfolge ein Gesicht verleihen. Was 2008 im Obama-Wahlkampf begonnen und später verraten hat, was mit Occupy Wall Street wieder sichtbar und massenwirksam wurde, bricht sich jetzt auf breiter Front Bahn: die Wut über die Machenschaften des Monopolkapitals!

Diese Stimmung, dass es endlich reicht, schlägt sich nicht nur in den Vorwahlen nieder, sondern etwa auch in Wilden Streiks an den Häfen von New York und New Jersey, in erbitterten Lehrerstreiks in Chicago und einem allgemeinen Aufschwung sozialer Kämpfe. Die afro-amerikanische Community politisiert sich auf breiter Front über den mörderischen Polizeirassismus und die massenhafte Versklavung schwarzer Jugendlicher im privatisierten Gefängnissystem.

Natürlich geht ein großer Teil der Unzufriedenheit auch in eine ganz andere Richtung. Donald Trump und Ted Cruz stehen für eine Politik, die noch die Präsidentschaft des Georg W. Bush in den Schatten stellen könnte. Sie vertreten offenen Rassismus, den totalen Sicherheitsstaat und ein Programm der aggressiven Aufrüstung.

Und es ist keineswegs gesagt, dass Sanders die Nominierung der Demokraten gewinnt. Die Vorwahlen der „Demokraten“ sind alles andere als demokratisch. In New Hampshire holte Sanders 60% und Clinton 38% – aber er bekam dafür nur 15 Delegierte zugesprochen und sie 14…

Die Parteimaschine der Demokraten steht hinter Clinton und wird zu jedem Betrug bereit sein, um Sanders zu stoppen. Und das letzte Mal, als ein erklärter Sozialist bei den Demokraten reüssierte, 1938, als der Schriftsteller Upton Sinclair zur Governeurswahl in Kalifornien antrat, spaltete sich der rechte Flügel der Demokraten ab und verhalf dem Kandidaten der Republikaner ins Amt.

Der Prozess ist also völlig offen und der Ausgang ungewiss. Aber schon das ist, gegen die angeblich „unvermeidliche“ Präsidentschaftskandidatin Clinton, ein unerhörter Erfolg.

Demnächst werden übrigens die etablierten Medien dazu übergehen, auf Sanders einzudreschen. Aber auch in den USA hat sich eine massive, alternative Medienszene im Netz entwickelt. Der progressive Youtubesender „The Young Turks“ von Cenk Uygur etwa hat auf Youtube 2,5 Millionen Abonnenten und eine Gesamtklickzahl von einigen Milliarden. Und das Internet, soviel steht fest, unterstützt im wesentlichen Bernie Sanders.

Es wird spannend, im Herzen der Bestie.

 

Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Artikels.

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