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Sachbuch "Zeitenwende" – Wie Corona die Kybernetische Revolution beschleunigt hat

Sachbuch "Zeitenwende" – Wie Corona die Kybernetische Revolution beschleunigt hat


Eine Rezension von Eugen Zentner.

Nach Russlands Angriff auf die Ukraine hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine Zeitenwende ausgerufen. „Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor“, sagte er. Von einer Zeitenwende spricht auch die Wirtschaftshistorikerin Andrea Komlosy, fasst sie jedoch als einen ökonomischen Transformationsprozess auf. In ihrem gleichnamigen Buch wird er als „Kybernetische Revolution“ bezeichnet, als ein „Übergang von standardisierter industrieller Massenproduktion und Massenkonsum hin zu Waren, die just-in-time erzeugt und spezifisch auf einzelne Zielgruppen bzw. Zielpersonen zugeschneidert werden“. Diesen Geschichtseinschnitt verbindet Komlosy mit der Corona-Politik und stellt die These auf, dass diese die „Voraussetzungen verbesserte, den befürchteten Zusammenbruch der Wirtschaft zu verhindern und der kybernetischen Transformation zum Durchbruch zu verhelfen“.

Bevor die Wirtschaftshistorikerin ihre Kernaussagen argumentativ auszubreiten beginnt, baut sie zunächst ein theoretisches Fundament, um in der Folge darauf aufzubauen. Es geht viel um langfristige Entwicklungen, die sowohl die Konjunktur, die Geopolitik sowie die menschheitsgeschichtliche Evolution betreffen. Pate steht dabei der sowjetische Wirtschaftswissenschaftler Nikolai Kondratjew (im Buch Kondratieff geschrieben), der die Theorie der langen Wellen ausgearbeitet hat und darin beschreibt, wie sich die Wirtschaft in mehreren Zyklen entwickelt. Dieser erste Teil fällt sehr wissenschaftlich aus, in einer etwas spröden Sprache und einem Begriffsinstrumentarium, das den Lesefluss stocken lässt. Wer diese Hürde geschafft hat, erlebt im zweiten Teil ein intellektuelles Vergnügen. Die Autorin zeichnet ein facettenreiches Bild des gegenwärtigen Transformationsprozesses mit Rückgriffen auf solche Phänomene wie Big-Data-Kapitalismus, Transhumanismus, Überwachungsökonomie oder Biosecurity. Im Zentrum steht die Corona-Politik, von der aus immer wieder die Knotenpunkte verbunden werden.

Corona, so Komlosy, habe die Weichen für einen erneuerten Kapitalismus gestellt, „der Befürchtungen oder – nach anti-systemischer Lesart – die Hoffnungen auf ein Ende des Systems entkräftet“. Die großen Aufbau- und Investitionspakete seien ein deutliches Zeichen, in welche Richtung es danach gehen soll: „Digitalisierung, Optimierung, Robotik, Mensch-Maschine-Verbindungen, Künstliche Intelligenz.“ Diesen Bereichen komme die Aufgabe zu, die Gesellschaft in ein neues Zeitalter zu führen. Es zeichne sich dadurch aus, dass die selbstgesteuerte kybernetische Interaktion zwischen den Dingen dem Menschen einen neuen Platz zuweise.

Die Autorin veranschaulicht nicht nur den Umbau der Wirtschaftsstrukturen im Übergang vom industriellen zum kybernetischen Kapitalismus, sondern betrachtet auch, wie sich neue Verhaltens- und Konsumformen herausbilden. Ihre Ausführungen gleichen einer Tour de Force, einem Parforceritt durch sämtliche Aspekte der zukünftigen Gesellschaft, in der Komlosy zufolge sechs Bereichen eine Leitfunktion zukommen werde: den Kognitiven Systemen, dem Medizinsektor, dem additiven Druckverfahren, der Nanotechnologie, der Biotechnologie sowie der Informations- und Kommunikationstechnologie. Diese Sektoren brächten aufgrund neuer Verfahren und Materialien neue Produkte für eine steigende Zahl von Anwendungsbereichen hervor, solche wie künstliche Körperteile, Medikamente, Impfstoffe, Kommunikations- oder Steuerungsprogramme. Zugleich entstehe dadurch eine Nachfrage nach Optimierung in Bereichen wie Gesundheit, Fitness, Schönheitsästhetik oder genetische Modellierung. Als Schnittpunkt bezeichnet Komlosy den Medizinbereich, weil die Neuerungen dort zusammenlaufen.

Die systemische Selbststeuerung, Herzstück des kybernetischen Zeitalters, werde ausgehend von den Leitsektoren alle Lebensbereiche durchdringen, sodass sich schließlich auch der menschliche Organismus und die biologische Natur des Menschen anpassten. Ein zentrales Element sieht die Wirtschaftswissenschaftlerin in Big Data. Im kybernetischen Zeitalter gäben die Konsumenten ihre Bedürfnisse und Wünsche preis, indem sie bei der Internet-Suche, bei der Kommunikation oder beim Spiel ein ganz bestimmtes digitales Verhalten an den Tag legten. Während sie die Datensätze füllten, verhießen ihnen große Konzerne, politische Institutionen und Stiftungen Selbstoptimierung bis hin zur Vervollkommnung des Menschen als unsterbliches Wesen, so Komlosy, die zu bedenken gibt, dass der auf Körper und Gesundheit fokussierte Optimierungsgedanke gleichzeitig das Einfallstor für Kontroll-, Sicherheits- und Überwachungstechnologien öffne. Diese dienten dann aber nicht nur „der individuellen oder der öffentlichen Gesundheit, sondern auch der Beobachtung und Sanktionierung abweichenden Verhaltens“.

Dieses Prinzip erläutert die Autorin unter anderem an der Verschmelzung zwischen Big Data und Big Pharma, indem sie auf die Planspiele der letzten Jahrzehnte eingeht: „Bemerkenswert bei den Simulationen ist, dass dabei Viren, die von Terroristen als Biowaffen zur Destabilisierung der politischen Ordnung eingesetzt werden können, als zentrale Bedrohung angesehen werden.“ Biosecurity werde damit zum Bindeglied zwischen Biowaffen, Notstandsmanagement und der Entwicklung von Impfstoffen. Die politischen Akteure, Institutionen, Konzerne und Großspenden agierten bei solchen Planspielen als Finanziers und spielten schließlich auch bei Corona eine zentrale Rolle, „nur dass es sich dabei um keine Simulation in US-Luxushotels handelte, sondern um ein Schauspiel, das weltweit aufgeführt wurde“.

Der kritische Ton dieser Zeile findet sich immer wieder, wenn die Autorin auf die Hintergründe und die Ereignisse rund um die vermeintliche Pandemie zu sprechen kommt. In mehreren Abschnitten beschreibt sie, was während der Corona-Krise schiefgelaufen ist, sodass sich ihr Buch gut für die notwendige Aufarbeitung eignet. Es ruft Entscheidungen, Reaktionen sowie Widersprüche und irrwitzige Maßnahmen ins Bewusstsein, die mittlerweile aufgrund der Materialfülle vielleicht verlorengegangen sind. Zugleich lenkt die Monographie die Aufmerksamkeit auf Tendenzen, die möglicherweise weitaus missliebigere Lebensbedingungen zeitigen könnten als die Corona-Politik. Ob es tatsächlich dazu kommt, wird die Zukunft zeigen. Mit Komlosys Buch kann man sich zumindest gut darauf vorbereiten.

Das Buch ist hier erhältlich: https://mediashop.at/buecher/zeitenwende/

+++ Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags. +++ Bildquelle: metamorworks /Shutterstock


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